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Veröffentlicht am 19.04.2018

Von wegen ruhiger Lebensabend, hier geht die Post ab!

Heringsmord
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Herrlich, das ist ein, fast schon gemütlicher Krimi nach meinem Geschmack!

Die Geschichte fängt gemächlich mit dem Wohnortwechsel an und wir erfahren abwechselnd aus Sicht der Eheleute ihre Erlebnisse ...

Herrlich, das ist ein, fast schon gemütlicher Krimi nach meinem Geschmack!

Die Geschichte fängt gemächlich mit dem Wohnortwechsel an und wir erfahren abwechselnd aus Sicht der Eheleute ihre Erlebnisse und Eindrücke. Sie beide träumen von einem gemeinsamen Lebensabend auf Sylt und wechseln ihre schwäbische Heimat gegen einen Campingplatz in Kampen auf. Der erworbene Wohnwagen erweist sich als renovierungsbedürftig, ohne Heizmöglichkeit und mit altmodischer Inneneinrichtung, das sorgt für den ersten Ärger zwischen Frieda und Ernst. Auch gefühlsmäßig entsteht ein Riß, denn beide haben hier Kontakt zum anderen Geschlecht, fühlen sich begehrt und das weckt Sehnsüchte, die in der langen Ehe fast eingeschlafen waren.
Das Leben als Dauercamper muss auch erst gelernt werden, schliesslich ist das ein ganz eigenes Völkchen. Was hier so an Klatsch verbreitet wird, kommt jedoch Frieda beim Ermitteln zugute.

Der Mord geschieht erst zur Hälfte des Buches, aber bis dahin hat man sich mit den Schmälzles in Kampen eingewöhnt und sie und ihre Campingplatznachbarn bestens kennen gelernt. Die Ermittlung ist geschickt mit manipulativen Details aufgearbeitet, sodass man als Leser dem Täter nicht so schnell auf die Spur kommt. Es geht hier unblutig und ohne Brutalität voran.

Neben der Beschreibung von landschaftlicher Schönheit, der Uwe-Düne und anderen Inselbesonderheiten, erwähnt die
Autorin interessanterweise auch aktuelle Probleme auf Sylt. Man erfährt wie hier in den vergangenen Jahren die Immobilienpreise rasant anstiegen, weil sich Reiche als Geldanlage diesen Luxus gönnen, dadurch aber leider die eigene Bevölkerung sich den Faktor Wohnung kaum noch leisten kann und die Insel im Winter fast menschenleer ist.

Mir macht der humorvolle Schreibstil von Anfang an gute Laune und gerade die geschlechtstypischen Ansichten und Unstimmigkeiten der Eheleute sorgen für gute Unterhaltung. Ich habe viel gelacht und die Klischees von Eheleben und Campergewohnheiten genossen.

Dieser Krimi kommt unblutig und relativ harmlos daher. Humorvolle Szenen, witzige Dialogen und typisches Camperleben geben dem Buch die spezielle Note, die noch von der Liebe zur Insel Sylt gekrönt wird. Von mir absolute Empfehlung für ein tolles Urlaubsbuch oder zum Wegträumen daheim!

Veröffentlicht am 19.04.2018

Ein aufwühlender Roman über berührende Schicksale der deutschen Geschichte.

Honigtot
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Es ist eine Merkwürdigkeit des Lebens, dass dem Menschen fast immer bewusst ist, wenn er dem Guten begegnet, während der Instinkt dem Bösen gegenüber fast ausschließlich versagt. Zitat Seite 199


Dieses ...

Es ist eine Merkwürdigkeit des Lebens, dass dem Menschen fast immer bewusst ist, wenn er dem Guten begegnet, während der Instinkt dem Bösen gegenüber fast ausschließlich versagt. Zitat Seite 199


Dieses Buch hat mich von Beginn an gefesselt. Ich bin emotional tief eingetaucht in die dramatische Familiengeschichte, die erlittene Seelenpein, die Kriegsjahre und die dramatischen Schilderungen haben mich nicht mehr losgelassen. Es ist ein wahres Gefühlskaleidoskop, das mich berührt, aufgewühlt, gut unterhalten und nachdenklich gestimmt hat. So muss ein großer Roman auf den Leser wirken.

Neben dem wortgewandten, ausdruckstarken Schreibstil ist besonders die faszinierende mitnehmende Geschichte ein unglaubliches Highlight. Hanni Münzer schildert die geschichtlichen Gegebenheiten ungeschönt und mit tragischen Schicksalen gefüllt. Ihre Protagonisten scheinen zu leben, so detailgenau und dramatisch bringt sie die Handlung zu Papier.

Die Familie erlebt die Judenverfolgung hautnah mit, die Mutter versucht, ihre Kinder durch eine Heirat mit einem ranghohen Sturmführer zu schützen. Wie die nachfolgenden Generationen erst viel später die Wahrheit erfahren, zeigt, wie schwierig es den Betroffenen war, über die erlittenen Qualen zu reden und zu was sie ihre Lage gemacht hat. Das ist erschreckend zu lesen, aber dank des gelungenen Schreibstils von Hanni Münzer gibt es viele Passagen, die auch angenehme Szenen beschreiben. Die Entwicklung der Protagonisten ist das Interessante am Roman, sie fesselt ungemein und man versteht viele Handlungsweisen der Figuren und bangt um einen guten Ausgang.



Ein unglaublicher Roman um Liebe, Verrat, Schrecken und Hoffnung! Wer sich für die geschichtliche Auseinandersetzung interessiert, sollte diesen als Roman aufgearbeitete Familiensaga lesen.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Ein tief bewegendes Schicksal im kargen Island wird zum literarischen Erlebnis!

Das Seelenhaus
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"Sie wissen nichts von mir.
Und ich schweige. Ich will mich vor der Welt verschließen, ich will mein Herz verhärten und an den Dingen festhalten, die mir noch nicht genommen sind. Ich darf nicht zulassen, ...

"Sie wissen nichts von mir.
Und ich schweige. Ich will mich vor der Welt verschließen, ich will mein Herz verhärten und an den Dingen festhalten, die mir noch nicht genommen sind. Ich darf nicht zulassen, dass ich vergehe." Zitat Seite 39


Dieser Roman zieht den Leser mit sich in eine Zeit, als die letzte tatsächliche Hinrichtung in Island stattgefunden hat.
Hannah Kent hat diese wahre Geschichte recherchiert und Wahrheit und Fiktion zu einem tiefen ergreifenden Roman verbunden. Ein Werk, dass dem Leser in ruhiger, besonnener Sprache dramatisch vor Augen führt, welches Elend und welche rauhen Sitten damals herrschten. Als Mägde außer der schweren körperlichen Arbeit ihren Dienstherren in jeder Weise zu Willen sein mussten, ohne Hoffnung auf Menschlichkeit und Gnade.


Dabei steht der Charakter Agnes natürlich im Vordergrund. Als sie auf ihre Hinrichtung wartet, ist sie in einer Bauernfamilie auf dem Kornsáhof untergebracht. Tóti, der junge Hilfspfarrer, wird Agnes Wunsch entsprechend als christlicher Beistand zugewiesen. Ihm öffnet sie ihr Herz und offenbahrt ihre Geschichte.
Sie wird unbeschönigt als schweigsame, intelligente Frau geschildert, die als Kind von der Mutter verlassen wurde, als Mündel auf verschiedenen Höfen arbeiten musste und deren Liebe ihres Lebens ihr zum Verhängnis wurde. Ihr Schicksal ist sowohl tragisch als auch herzergreifend und man erfährt im Lauf der Handlung die wahren Hintergründe und den Tathergang. Das macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung, der man sein ganzes Mitleid entgegen bringt.

Hannah Kent ist eine begnadete Erzählerin! Dank ihrer klaren, poetischen Erzählkraft versinkt man in einer vergangenen Zeit voller Grausamkeit und Armut, aber auch in der schroffen Schönheit der isländischen Natur, die im Winter besonders karg und abweisend erscheint. Die Lebensumstände wirken in besonderer Weise atmosphärisch und dicht und untermauern das erzählte Schicksal einzigartig bewegend. Man ist beim Lesen tief ergriffen von der Situation der Agnes. Wie sie die letzten Monate vor ihrer Hinrichtung erlebt, macht betroffen und zeigt eine Welt voller Obrigkeitsdenken, Macht, aber auch Liebe, Hilfsbereitschaft und Gier.

Der Roman entwickelt eine fesselnde Sogwirkung, denn man möchte den wahren Tathergang erfahren. Warum ist Agnes angeklagt und wie kam es zu dieser Tat? Am Ende bleibt beim Leser die Erklärung als schaler Geschmack noch lange haften. Ein Buch, dass noch lange nachklingt und tiefe Emotionen auslöst.

Ein einzigartig fesselnder Roman, der die isländischen Bewohner und seine Landschaft zeigt, und mit dem ergreifenden Schicksal der letzten zum Tode Verurteilten tief bewegt. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 19.04.2018

Einfach nur schön geschrieben

Die Glasbläserin
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Die Lebensgeschichte der Schwestern wird spannend und unterhaltsam erzählt. Man erfährt viel über das Glasbläserhandwerk und die Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit und erkennt auch die untergeordnete ...

Die Lebensgeschichte der Schwestern wird spannend und unterhaltsam erzählt. Man erfährt viel über das Glasbläserhandwerk und die Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit und erkennt auch die untergeordnete Rolle, die Frauen damals zuteil wurde.

Die Autorin hat den Roman 2002 geschrieben und damit eine neue Welle von historischen Büchern angeschoben, in denen es mal nicht um Kampf, Kriege und Machtspiel im politischen Sinne ging. Es war schon etwas Neuland, dass sie betreten hat und die Familiengeschichte wird so wunderbar erzählt, dass man die Nachfolgebände kaum erwarten kann.

Besonders die bildhaften Beschreibungen der Arbeit einer Glasbläserin versetzen mich in Erstaunen. Bislang konnte Marie dieses Handwerk nur beobachten, es war für Frauen nicht zugängig. Doch sie bringt sich die Arbeit selbst bei und ihre Kunstfertigkeit ist von Talent gekrönt. Ihre Schwestern haben erst eigene Interessen und Lebensziele, die jedoch scheitern und so wenden sie sich ebenfalls der Werkstatt zu und erledigen die Geschäfte und Organisation.

Dieser Roman vermag zu fesseln und die gezeigten Arbeitsgänge im Glasbläserhandwerk ebenso. Doch es ist viel mehr als das, es ist die Entstehung der Emanzipation, das historisch belegte Leben in Deutschland und die Durchsetzung persönlicher Lebensziele von Frauen, entgegen den geltenden Gebräuchen.

Der Erzählstil ist glaubwürdig klar und mitreißend und führt in einen Lesesog.

Dieser historische Roman führt in eine nicht heile Welt, auch wenn die Christbaumkugeln dies assoziieren können und dennoch ist man wie im Rausch beim Lesen und mag kaum enden.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Habe ich als Buch geliebt und als Theaterstück noch mehr!

Der kaukasische Kreidekreis
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Brecht ist ein begnadeter Autor, der seine Leser oder das Theaterpublikum durch seine erzählenden Stücke zum Nachdenken bringen wollte. Er hat eine überaus einnehmende Erzählkunst, die menschliche Fehler ...

Brecht ist ein begnadeter Autor, der seine Leser oder das Theaterpublikum durch seine erzählenden Stücke zum Nachdenken bringen wollte. Er hat eine überaus einnehmende Erzählkunst, die menschliche Fehler aufzeigt, den Eigennutz und die Selbstsucht anprangert und dennoch ein großartiges Stück Literaturgeschichte ist, dem man inhaltlich verfällt.

Die fremd klingenden Eigennamen sind anfangs schwer zu fassen, man gewöhnt sich jedoch schnell daran und wird mit ihnen bekannt. Der einzigartigen Erzählung kann man sich nicht entziehen, sie ist das Herzstück dieses gelungenen Theaterstückes, das Emotionen weckt, aufwühlt und die Tragweite der menschlichen Art erkennen lässt.
Die Charaktere stellen sich als Beispiele der menschlichen Gesellschaft dar, den Zuschauern wird regelrecht der Spiegel vorgehalten.
In der Rahmenhandlung versteckt sich ebenfalls die Geschichte des Richters Azdak.

Brecht bringt in diesem Stück seinen Wunsch zum Ausdruck, humanes Verhalten zur gesellschaftlichen Realität werden zu lassen. Wer wirklich liebt, verzichtet auf eigene Vorteile und gibt der geliebten Person Freiraum und auch Schutz.


Ein Theaterstück, welches durch seine epische Form typisch für Brecht ist und mich immer wieder begeistert.