Sie dürfen nicht vergessen werden.
Die Vergessenen2013: Manolis Lefteris, ein Mann „für besondere Fälle“, erhält den Auftrag, für einen Klienten alte Akten zu beschaffen, die sich im Besitz einer alten Dame befinden. Für ihn eigentlich ein Routineauftrag ...
2013: Manolis Lefteris, ein Mann „für besondere Fälle“, erhält den Auftrag, für einen Klienten alte Akten zu beschaffen, die sich im Besitz einer alten Dame befinden. Für ihn eigentlich ein Routineauftrag ohne besonderen Hintergrund.
1944: Kathrin Mändler tritt eine Stelle als Krankenschwester im Pflegeheim Winkelberg an und beginnt eine Affäre mit dem leitenden Arzt der Klinik, Dr. Karl Landmann. Zu spät erst bemerkt sie das Lebensbedrohende, das hinter den Kulissen der Klinik und unter Kontrolle des Arztes geschieht.
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„Die Vergessenen“ ist ein Kriminalroman, der mich nicht losgelassen hat. Ich wollte eigentlich nur ein bisschen lesen, anfangen mit dem Buch - und habe es dann an einem Tag ausgelesen. Weglegen war nicht möglich.
Es gibt viele Bücher und Filme über die NS-Zeit, aber ich glaube, ich habe noch nichts über diese „Vergessenen“ gelesen - Menschen, die durch Behinderungen oder andere „Untauglichkeiten“ durchs Raster der Herrenmenschen fielen und buchstäblich aussortiert wurden.
Aber nicht offiziell in den Gaskammern, sondern leise und klammheimlich sterben gelassen wurden, in Hungerhäusern oder durch Krankheiten. Und das in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, Orten, an denen sie geschützt und versorgt werden sollten.
Der Roman geht nicht in die detaillierte Tiefe des gesamten Geschehens, beispielhaft werden drei Schicksale herausgesucht, die mit der Protagonisten Kathrin in Verbindung stehen.
Eine Krankenschwester, die nach und nach erkennt, dass sie in einem Pflegeheim arbeitet, in dem Behinderte und psychisch erkrankte Soldaten sterben gelassen werden und die zusammen mit einem Kollegen drei Leben und drei Tode protokolliert, um nach Kriegsende die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können.
Dazu jedoch wird es erst viele Jahrzehnte später kommen und das unter Umständen, die so vermutlich nicht geplant waren.
Der Roman verknüpft gekonnt und vielschichtig 1944 und die Gegenwart (2013) anhand von direkt mehr als einer Handvoll Personen, die alle irgendwie miteinander verbunden und in ihrer Familiengeschichte und ihren Vergangenheiten traumatisiert sind.
Zu Beginn ist es nicht immer leicht sich reinzufuchsen in das, was einem da präsentiert wird. Viele Personen und ihre Stimmen prasseln auf einen ein und man muss sich erst einmal zurechtfinden in dem Durcheinander an Zeiten, Situationen und Gegebenheiten.
Ist man einmal drin in der Geschichte kommt man nicht mehr raus. Möchte es auch gar nicht.
Sprachlich wunderbar geschickt konstruiert baut sich eine große Spannung auf, die sich quasi bis zur letzten Seite weiterzieht - bis man nach und nach für sich selber erkennt, was eigentlich passiert ist und wer mit wem etwas zu tun hat.
Und niemand ist der Held. Das finde ich persönlich besonders beachtlich. Kathrin Mändler erkennt das große Unrecht, was den Patienten angetan wird und setzt ihr eigenes Leben aufs Spiel, um während der Morde zu protokollieren und später etwas gegen dieTäter tun zu können.
Als ihr die Möglichkeit gegeben wird, stehen ihr ihre Gefühle Dr. Landmann gegenüber im Wege und sie schweigt.
Bis die Wahrheit und ihre mutigen Taten erst Jahrzehnte später ans Licht kommen. Und das mittels einem „Mann für die besonderen Fälle“, Manolis, dessen eigene tragische Familiengeschichte ihn eng verbindet mit der Historie von Kathrin Mändler - und dessen Weste, wenn er auch viel Moral und Empathie besitzt, nicht unbedingt eine der weissesten ist.
Die Geschichte springt zwischen den Charakteren, den Orten und den Zeiten ohne verwirrend zu werden.
Vielschichtig und detailliert entwickelt sich eine Geschichte, die klug konstruiert ist, in sich schlüssig und zum Ende keine Fragen mehr offen lässt.
Ausser natürlich, wie so etwas wirklich passieren konnte, der wahre Hintergrund dieser Geschichte.