Profilbild von walli007

walli007

Lesejury Star
offline

walli007 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit walli007 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.04.2018

Schreibtischjob

Der Tote in der Kapelle
0

So klasse findet Hugo Hawksworth es nicht, in den Innendienst versetzt zu werden. Im Außendienst, mit geheimen Aufträgen, die ihn in ferne Länder führten, war sein Leben doch viel spannender. Doch eine ...

So klasse findet Hugo Hawksworth es nicht, in den Innendienst versetzt zu werden. Im Außendienst, mit geheimen Aufträgen, die ihn in ferne Länder führten, war sein Leben doch viel spannender. Doch eine Verwundung am Unterschenkel hat seine Zeit in dieser Position für immer beendet. Schweren Herzens macht er sich gemeinsam mit seiner kleinen Schwester auf den Weg nach Selchester Castle weit weg von London und allem. Im Jahr 1953 sind die Nachwirkungen des Krieges noch deutlich zu spüren. So ist der Schlossherr bereits kurz nach dem Krieg spurlos verschwunden. Eine Tatsache, die Hugo wesentlich neugieriger macht als sein neuer Job, der im Wälzen alter Akten besteht.

Ein im Einsatz versehrter junger Mann und seine 13jährige Schwester machen sich auf zu neuen Ufern. Natürlich geht es auch um den neuen Job. Wichtig ist aber, dass Georgina den Tod der Eltern noch nicht überwunden hat und sie sich in der Obhut ihres Bruders wohler fühlen wird. Die Schlossbewohner sind zunächst wenig begeistert von ihrer Einquartierung. Nur die Haushälterin, die Georgina sofort in ihr Herz geschlossen hat, umsorgt sowohl sie als auch Hugo mit ordentlichen Mahlzeiten und viel Wärme. Die Nichte des verschwundenen Hausherrn möchte die Gäste am liebsten nur von weitem sehen. Ein Wunsch, der unerfüllt bleiben muss, denn schon bald wird in der Kapelle ein Skelett gefunden. Bei den nun folgenden Nachforschungen wird Hugos Hilfe und seine Erfahrung im Nachrichtendienst gerne in Anspruch genommen.

Hugo Hawksworth hat mit „Der Tote in der Kapelle“ seinen ersten Auftritt in einer Reihe von drei Büchern. Leider ist die Autorin bereits verstorben und das letzte Buch in der Reihe wurde von ihrem Sohn nach ihren Notizen verfasst. Mit den Beschreibungen des ländlichen Lebens in England fühlt man sich sofort an die Englandbesuche erinnert. Auch wenn die nicht in den 1950ern stattfanden, ist die englische Landschaft und die Architektur doch irgendwie urtümlich geblieben. Glücklicherweise hat es der Verursacher des zweiten Weltkrieges nicht geschafft, den Engländern ihr England zu nehmen. Dennoch waren die Menschen durch den Krieg belastet und traumatisiert. Das ist noch deutlich zu spüren und auch der beginnenden kalte Krieg wirft seine Schatten voraus. Viel mehr Beziehungen gibt es zum Geheimdienst als man in so einem heimeligen Örtchen vermuten möchte. Schließlich ist doch das Leben dort alles andere als geheim. Da weiß die Haushälterin und damit auch der ganze Ort am Abend schon, was am Morgen in der Zeitung stehen wird. Und dennoch hinterlassen die warmherzigen Menschen in Selchester einen sympathischen Eindruck. Sogar beim Lesen fühlt man sich heimisch und beginnt mitzurätseln, welches Schicksal den Herrn des Hauses wohl ereilt hat.

Ein liebenswerter Schreibtisch-Ermittler, der durchaus nicht nur am Schreibtisch bleibt, mit einer naseweisen Schwester in einem heimeligen Setting in der englischen Provinz, was will man mehr auf der Suche nach dem, was der Tat zugrunde liegt.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Madeline, Eve und Brady

Für immer ist die längste Zeit
0

Sie ist tot, Maddy ist vom Dach gesprungen und gestorben. Ihre Tochter Eve ist untröstlich und auch Brady, ihr Mann weiß nicht wie er mit dem tragischen Ereignis umgehen soll. Manchmal denkt Eve, sie habe ...

Sie ist tot, Maddy ist vom Dach gesprungen und gestorben. Ihre Tochter Eve ist untröstlich und auch Brady, ihr Mann weiß nicht wie er mit dem tragischen Ereignis umgehen soll. Manchmal denkt Eve, sie habe ihre Mutter nicht genug gefeiert, sich nicht genug bedankt, sich wenig Mühe gegeben. Auch Brady macht sich große Vorwürfe, immer stand der Beruf im Vordergrund, häufig hatte er etwas anderes vor, wenn es darum gegangen wäre, Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Sowohl Brady als auch Eve verkriechen sich in ihre Ecken und wissen nicht wie sie mit ihrer Trauer umgehen sollen.

Man wünscht es niemanden, aber viele Menschen werden jemanden im Bekanntenkreis haben, der oder die sich das Leben genommen hat. Auch wenn man kein enger Verwandter war kann man nachvollziehen, welch ein Schlag vor den Kopf es bedeuten kann, wenn jemand einfach selbst geht und es keine Erklärung gibt. Dazu kommt die Trauer, die einen sowieso überfällt, wenn man einen lieben Menschen vermissen muss. Eve und Brady leiden an ihrem Verlust und sie können sich nicht trösten. Madeline, die irgendwie noch nicht ganz weg ist, versucht, ihren Lieben zur Seite zu stehen, ihnen zu helfen, sich gegenseitig zu unterstützen und sich auch neuen Erfahrungen zu öffnen, ohne ihre Mutter und Frau zu vergessen.

Aus Sicht von Maddy, Eve und Brady kann man an dem langsamen und schmerzvollen Prozess teilhaben, den man nach dem Versterben des geliebten Familienmitglieds durchmachen muss. Man fühlt mit Eve und Brady mit, man fragt sich, weshalb Madeline es getan hat, man wünscht den Hinterbliebenen, dass sie sich mit der Situation abfinden, neue Erfahrungen machen und doch gute Erinnerungen behalten. Man denkt aber auch an die eigenen Lieblingsmenschen, die nicht mehr da sind und versucht auch selbst nach vorne zu blicken und sich vorzustellen, dass es ihnen gutgeht, wo auch immer sie sind.

Ein berührender Roman über die Trauer, über den Tod, Lächeln und Freude, die zunächst kaum gewagt werden und die Hoffnung auf bessere Tage, in denen man einen Schritt voran getan hat und in warmer Erinnerung zurückblicken kann,

Veröffentlicht am 15.04.2018

Immer ein Berliner

Feuer in Berlin
0

Der Berliner Privatdetektiv Bernhard Gunther hat lange bei der Polizei gearbeitet. Doch vor drei Jahren (1933) hat er den Dienst verlassen. Im Berlin des Jahres 1936 bearbeitet er meist Vermisstenfälle, ...

Der Berliner Privatdetektiv Bernhard Gunther hat lange bei der Polizei gearbeitet. Doch vor drei Jahren (1933) hat er den Dienst verlassen. Im Berlin des Jahres 1936 bearbeitet er meist Vermisstenfälle, was in einer Ära, in der ein Nachbar, der Sozi, Kommunist oder Jude ist, schnell mal verschwinden kann, nicht verwunderlich ist. Ein reicher Industrieller, dessen Tochter und Schwiegersohn bei einem Brand umgekommen sind, bittet Gunther, nach dem Inhalt des Safes zu suchen, der bei der tödlichen Attacke offensichtlich entwendet wurde. Auch wenn sein Auftraggeber nicht unbedingt sympathisch wirkt, nur Bares ist Wahres. Bernie Gunther beginnt mit den Nachforschungen.

Zur Zeit der Olympiade herrscht in Berlin eine zwiegespaltene Stimmung, zwar werden unerwünschte Menschen weiterhin verfolgt und drangsaliert, doch um der Weltöffentlichkeit eine gewisse freiheitliche Ordnung vorzugaukeln verschwinden die äußeren Anzeichen der Unterdrückung des Volkes. Allerdings dauert es nicht lange bis Gunther es während seiner Suche mit der Gestapo und sogar einigen höheren Chargen zu tun bekommt. Die Sache stellt sich schwieriger dar als angenommen. Nichts scheint richtig zusammenzupassen und immer wieder wird Gunther handfest klargemacht, an welchen Stellen er nicht allzu genau nachforschen sollte.

Leider ist der Autor im März diesen Jahres verstorben. Ein trauriger Anlass diese Serie sehr spät kennenzulernen. Der erste Band erschien im Original bereits 1989 und in diesem Jahr erscheint auf Deutsch der vorletzte dreizehnte Band, einen weiteren Band konnte der Autor vor seinem Tod noch fertigstellen. Als deutschsprachiger Leser fragt man sich bei der Lektüre des englischsprachigen Romans, ob der Autor deutsche Wendungen wörtlich ins Englische übersetzt hat oder ob einem Ausdrücke, die einem auf Deutsch wohlbekannt sind, tatsächlich im Englischen so verwendet werden. Spannend ist auch zu lesen, wie der Autor die Stimmung im Vorkriegsdeutschland beschreibt. Man kommt auf den Gedanken, die leichte Lockerung der Überwachung durch den Staat anlässlich der Olympiade, sei eine letzte Gelegenheit gewesen, abzuhauen. Doch die Meisten fliehen nicht. Auch Bernie Gunther lebt sein Leben, zwar hält er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, aber dennoch sind unter seinen Kunden auch hohe Beamte, die sicher eine andere Meinung vertreten als der Detektiv. Wo das Geld herkommt, ist schließlich doch egal. Mit seiner Berliner Schnauze eckt Bernie Gunther häufig an, mit ihr kommt er aber auch häufig durch. Grundsätzlich versucht er den Dingen auf den Grund zu gehen, was er nicht ändern kann, nimmt er jedoch manchmal zu klaglos hin. In dieser für viele Menschen lebensbedrohlichen Zeit geht Bernie Gunther seinen Weg, löst seinen Fall und findet immer wieder Möglichkeiten der alltäglichen Bedrohung zu entgehen.

Ein fesselnder Kriminalroman vor einem dramatischen politischen Hintergrund mit einem Ermittler, der auf seine eckige Art überzeugt, dass man mehr über ihn erfahren möchte.

Veröffentlicht am 14.04.2018

Wenn der Großvater

Albertos verlorener Geburtstag
0

Tinos Vater liegt nach einem schweren Arbeitsunfall im Krankenhaus, die Mutter umsorgt ihren Mann unermüdlich. Der Junge macht sich große Sorgen. Der Einzige, der ihn etwas von seinem Kummer ablenken kann, ...

Tinos Vater liegt nach einem schweren Arbeitsunfall im Krankenhaus, die Mutter umsorgt ihren Mann unermüdlich. Der Junge macht sich große Sorgen. Der Einzige, der ihn etwas von seinem Kummer ablenken kann, ist sein Großvater Alberto. Von ihm lässt er sich die alten Geschichten erzählen. Tino ist überrascht und traurig als er erfährt, dass sein Großvater das eigene Geburtsdatum nicht kennt. Um sowohl dem Jungen zu helfen als auch die Tochter zu entlasten, wagt Alberto eine Reise in seine Vergangenheit. Gemeinsam mit seinem Enkel macht er sich auf den Weg, nach seinem unbekannten Geburtsdatum zu suchen.

Wenn der Großvater mit dem Enkel eine Reise macht, kann nur etwas Gutes dabei herauskommen. Und sei es nur, dass beide durch die gemeinsam verbrachte Zeit ein noch engeres Verhältnis bekommen. Die Angst um den Vater raubt Tino manchmal den Schlaf, doch die Ablenkung, die die Suche nach Albertos Vergangenheit mit sich bringt, bietet gerade das rechte Maß an Abenteuer und Ablenkung. Auch wenn Tinos Gedanken oft bei seinem Vater sind, möchte er unbedingt, dass sein Großvater, sein geliebter Apu, endlich einen eigenen Geburtstag feiern kann. Unermüdlich gehen die Beiden den Hinweisen nach, die nach der langen Zeit, die seit Albertos Kindheit vergangen ist, noch zu finden sind.

Wie schön für ein Kind, wenn es einen Großvater hat, der über eine schwere Zeit hinweghelfen kann. Wie schön aber auch für einen Großvater, wenn er ein Enkelkind hat, dass ihm hilft, sich auf die Suche nach einer Vergangenheit zu machen, von der er fast vergessen hatte, dass er sie vermisst. Schritt für Schritt kann man Tino und Alberto auf ihrer gemeinsamen Suche begleiten. Zurückversetzt in die schweren und grausamen Zeiten des spanischen Bürgerkriegs, in Zeiten einer glücklichen Kindheit, die jäh beendet wird. Man erlebt, wie Tino mehr Zuversicht bekommt. Man freut sich mit Alberto über jeden Hinweis, der ihn näher zu seinen leiblichen Eltern bringt, der alte Freunde und liebe Bekannte zurückbringt. Der eigene Geburtstag, eine Selbstverständlichkeit, die man vielleicht nicht so gering schätzen sollte. Es ist ein Tag, hinter dem eine Geschichte steckt, die es sich zu erzählen lohnt. Wie schön, hier zu lesen, wie sich aus Fürsorge für einen Jungen und dessen liebevollem Interesse an seinem Opa, eine lebensvolle Geschichte ergibt.

Veröffentlicht am 12.04.2018

Engel und Sander

Stille Zeugen: Friedelinde Engel ermittelt - Band 1
0

Friedelinde Engel gehört auch zu den Menschen die für ihren Namen nichts können, denn wenn ihr Vorname etwas altertümlich klingt, so ist Friedelinde doch noch jung, allerdings nicht jugendlich. Sie arbeitet ...

Friedelinde Engel gehört auch zu den Menschen die für ihren Namen nichts können, denn wenn ihr Vorname etwas altertümlich klingt, so ist Friedelinde doch noch jung, allerdings nicht jugendlich. Sie arbeitet als Nachlasspflegerin beim Gericht und nun soll sie die Erben einer alten Dame finden, die tot in ihrer Wohnung gefunden wurde. Zwar findet Friedelinde zunächst keinen Hinweis auf irgendwelche Erben, dafür findet sie die Leiche eines alten Mannes in der Kühltruhe. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hat, ruft Friedelinde die Polizei. Zuständig ist Kommissar Nicolas Sander, der gerade knapp einer Suspendierung entgangen ist.

Das ist schon mal ungewöhnlich, da gilt es eigentlich nach Hinweisen auf mögliche Erben zu suchen und dann findet man eine Leiche. Damit hat Friedelinde Engel nicht gerechnet und auch nicht mit diesem Kommissar, der Probleme mit sich rumzuschleppen scheint und seine Mitmenschen gerne mal rumstehen lässt oder aus dem Auto aussetzt. Da könnte frau sich schön drüber aufregen, wenn es nicht doch wichtigere Dinge zu tun gäbe. Und immer weiter gräbt sie in der Vergangenheit der Toten, während der Kommissar indessen einen weiteren Todesfall zu untersuchen hat, bei dem offensichtlich etwas nicht stimmen kann.

Witzige Wortgefechte zwischen Engel und Sander bestimmen den Beginn der Bekanntschaft der beiden eigenwilligen Persönlichkeiten. Ein sympathischer, wenn auch eckiger Kommissar die freundlich, einfühlsame Friedelinde Engel bilden ein Team, das sich gut ergänzt. Neben einigen Reibungspunkten arbeiten sie gut zusammen, wobei sich Friedelinde mehr als Freundin und Helferin erweist als der Kommissar, den sie mehr als einmal in heiklen Situationen unterstützt. Auch Sanders beruflicher Partner Gernot, hilft ihm, wenn es notwendig ist, wobei Gernots eigener Werdegang noch im Ungewissen bleibt. Jeder auf seine Art, manchmal gemeinsam, das Geheimnis um die Erblasserin wird gelöst. In diesem Rahmen kann ein Blick in die unrühmliche Vergangenheit unseres Landes geworfen werden, eine Vergangenheit, die auf keinen Fall vergessen werden darf.

Engel und Sander in ihrem ersten gemeinsamen Auftritt bilden eine außergewöhnliche Kombination von Ermittlern, denen sich sicher noch viele spannende Ansätze für die weitere Zusammenarbeit bieten.