In Peter Nichols Roman “Die Sommer mit Lulu“ (Originaltitel: The Rocks) geht es um Lulu Davenport und Gerald Rutledge, deren Ehe noch während der Hochzeitsreise im August 1948 scheiterte. Beide haben Mallorca nie verlassen, leben noch immer im gleichen Ort, haben sich aber seitdem kaum jemals gesehen. Lulu hat die von Gerald so dringend gewünschte Aussprache über ein Geschehnis in der Vergangenheit immer verweigert. Als sie beide schon in den 80ern sind und ihre Ehe fast 60 Jahre zurückliegt, begegnen sie sich eines Tages durch Zufall. Gerald will das Gespräch erzwingen. Sie streiten und stürzen von den Klippen ins Meer.
Das besondere an diesem Roman ist seine ungewöhnliche Erzählstruktur. Der Autor erzählt die Geschichte rückwärts, beginnend im Jahr 2005 mit dem Tod der beiden Protagonisten bis zum Jahr 1948, als ein noch unbekanntes Ereignis die Liebenden für immer trennte. Niemand weiß, was damals passiert ist, auch nicht Aegina , Geralds Tochter aus zweiter Ehe mit der Spanierin Paloma und auch nicht Luc, Lulus Sohn aus der kurzen Ehe mit Bernard. Der Leser verfolgt die Geschichte, bewegt sich auf diesen alles entscheidenden Moment zu und gewinnt somit Erkenntnisse über etwas, das längst passiert ist, nicht über ein Geschehen in der Zukunft. Der Autor macht deutlich, worum es ihm geht. Er stellt ein Zitat aus dem Ithaka-Gedicht von Konstantinos Kafavis an den Anfang. Nicht das Ziel ist das Entscheidende, sondern der Weg dorthin, d.h. wichtige Erfahrungen und ein Zugewinn an Erkenntnissen.
In dem Roman spielen nicht nur die genannten Personen eine Rolle, sondern eine Vielzahl von Freunden, die jahrzehntelang die Sommer in dem von Lulu geführten Hotel Los Roques verbringen. Hier findet jeder von ihnen Aufnahme – auch in schwierigen Lebenssituationen und ohne finanzielle Mittel. Die Sommer auf einer wunderschönen Insel vor ihrer touristischen Erschließung mit Wein, Weib und Gesang sind eine Seite. Es gibt aber auch noch eine dunklere, die von sexuellen Übergriffen inklusive Vergewaltigung über Drogenschmuggel bis zu einem betrügerischen Grundstücksdeal reicht, bei dem Gerald seinen geliebten, jahrzehntelang gehegten Olivenhain für eine lächerliche Summe zugunsten einer nicht gewollten massiven Bebauung einbüßt.
Weitere Themen sind Geralds schriftstellerische Tätigkeit und seine Segeltouren auf den Spuren des Odysseus. Er hat darüber ein hoch gelobtes Werk geschrieben, das später noch einmal neu aufgelegt wird. Segeln und die Antike sind wichtige Themen im Roman.
Der umfangreiche Roman liest sich nicht schlecht, erfordert aber etwas Geduld. Am Ende gibt es mit der Rückkehr zum Jahr 2005 einen positiven Ausblick. Ein ungewöhnliches Buch.