Grausam, ungeschönt, aber irgendwie überzeugend.
1793„Mich täuschen Sie nicht. Natürlich sind Sie ein Wolf. Ich habe genug erlebt, um das zu erkennen, und wenn ich tatsächlich falschliegen sollte, dann steht Ihnen die Verwandlung kurz bevor- denn niemand ...
„Mich täuschen Sie nicht. Natürlich sind Sie ein Wolf. Ich habe genug erlebt, um das zu erkennen, und wenn ich tatsächlich falschliegen sollte, dann steht Ihnen die Verwandlung kurz bevor- denn niemand streift mit den Wölfen umher ohne ihrer Art nachzueifern… eines Tages wird Blut auf ihren Zähnen schimmern, und da werden Sie begreifen, wie Recht ich hatte.“ Seite 95
„1793“ von Niklas Natt och Dag
Verlag: Piper
Ausgabe: Broschiert, 496 Seiten
Genre: Historischer Krimi, wobei historische Elemente eine große Rolle spielen.
Inhalt:
Stockholm, 1793: Der Häscher Cardell, der im Krieg gegen Russland einen Arm und einen Kameraden verloren hat und seither von Traumata geplagt in die Alkoholsucht gerutscht ist, zieht aus dem Fluss einen entstellten Torso. Dem Toten wurden noch vor dem Tod sämtliche Gliedmaßen amputiert wurden sowie die Augen ausgestochen und die Zunge herausgeschnitten. Von Ermittler Cecil Winge wird er zur Unterstützung der Ermittlungen herbeigerufen. Doch diese sind ein Wettlauf gegen die Zeit, nicht nur droht der amtierende Kriminalrat Norlin abgesetzt und durch einen korrupten Nachfolger ersetzt zu werden, auch Winges Lebenszeit neigt sich dem Ende zu: Er ist an Tuberkulose erkrankt.
Meine Meinung:
Zunächst muss ich gleich mal mit den Äußerlichkeiten aufräumen. Das Cover des Werkes ist wunderschön, aber der Klappentext… Cecil Winge hat nichts, aber auch gar nichts mit Sherlock Holmes zu tun. Der Vergleich hinkt für mich an allen Enden. Einzige Gemeinsamkeit, neben einem gewissen Grad an Intelligenz und Kombinationsgabe, die aber viele Ermittler haben, kann man maximal in einer gewissen Schrulligkeit der Charaktere Ähnlichkeiten sehen. Das war es dann aber auch schon. Der Vergleich mit Holmes passt für mich gar nicht.
Doch auch wenn Winge kein Holmes ist, ist das Werk doch fesselnd zu verfolgen. Die Geschichte ist in vier Abschnitte unterteilt, in denen die Lebensgeschichte und Ermittlungsgeschichte verschiedener für die Gesamtgeschichte wichtiger Charaktere auf verschiedene Art und Weise erzählt wird. Nach und nach fügen sich die Ermittlungen zu einem Gesamtbild zusammen, wodurch Spannung erzeugt wird.
Die Geschichte ist schwer historienlastig, ich würde sie daher nicht als klassischen Krimi beschreiben. Dafür nimmt die Ermittlungsarbeit einfach zu wenig Raum im Werk ein. Der Autor schafft es durch seine Darstellungen, ein umfassendes Gesellschafts- und Stadtbild Stockholms Ende des 18. Jahrhunderts zu schaffen. Die Stadt wird durch seine Umschreibungen geradezu lebendig. Man begleitet die Protagonisten durch die schmutzigen Gassen Stockholms, riecht den Gestank des Urins und des Schmutzes der Kanäle und sieht, was sie sehen.
Der Schreibstil des Autors ist sehr darstellerisch, man erlebt die Geschichte geradezu. Und der Verfasser beschönigt nichts. Das in Kombination kann manchmal von Nachteil sein, denn das Werk ist eindeutig nichts für schwache Nerven. Seien es „schleimige, blutige Auswürfe“, seien es „splitternde Zähne“ und knackende Knochen in einer Prügelei- man ist bei allem hautnah dabei. Und das waren jetzt noch eher harmlose Beispiele. Es passt perfekt in die Geschichte und war für diese auch in gewissem Maße notwendig, derart detailliert zu beschreiben, dass der Leser es quasi am eigenen Leib erfährt. Die Beschreibungen wirkten auch keineswegs reißerisch. Dennoch war ich stellenweise doch hart an der Grenze und ich bin sonst eher hartgesotten. So toll die historischen Details auch sind, sollten Leute, die sich mit Brutalität und Gewaltdarstellungen eher schwer tun (etwa weil sie es sich zu genau vorstellen können), einen Bogen um dieses Werk machen.
Kleine Schwierigkeiten hatte ich zudem mit der Erzählung im Präsens.
Fazit:
Insgesamt war 1793 trotz meiner gewissen Probleme mit Gewaltszenen, die in die ich mich durch den Stil einfach zu gut hineinversetzen konnte, ein Lesehighlight. Der Anfang war zwar etwas holprig, doch der detaillierte Stil und die Liebe zu historischen Details überzeugen einfach. 1793 schafft es, ein umfassendes Bild der schwedischen Gesellschaft Ende des 18. Jahrhunderts zu zeichnen und versetzt einen, ohne zu beschönigen, in eine andere Zeit.