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Veröffentlicht am 03.06.2018

Liebeserklärung an Agatha Christie

Die Morde von Pye Hall
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Ein Schriftsteller, der dem Verlag nur ein unvollendetes Manuskript seines Krimis hinterlässt. Eine Lektorin, die sich auf die Suche nach dem verlorenen letzten Kapitel des Kriminalromans macht, damit ...

Ein Schriftsteller, der dem Verlag nur ein unvollendetes Manuskript seines Krimis hinterlässt. Eine Lektorin, die sich auf die Suche nach dem verlorenen letzten Kapitel des Kriminalromans macht, damit das Buch noch rechtzeitig erscheinen kann und dabei ihr Leben aufs Spiel setzt: Das ist die Rahmenhandlung von Anthony Horowitz‘ neuem Buch „Die Morde von Pye Hall“.

Dazwischen findet sich die Binnenhandlung, das Manuskript des Kriminalromans ist – so weit es eben vorliegt – abgedruckt. Hier kann man in die Welt des Atticus Pünd eintreten, einem Detektiv alten Schlags, der die Morde von Pye Hall aufklären will.

Ein Buch im Buch präsentiert uns Anthony Horowitz also. Und, so viel sei verraten, beide Handlungen werden auf – für mich zumindest – überraschende Art und Weise miteinander verbunden.

Zunächst ein paar Worte zur Binnenhandlung, dem Atticus-Pünd-Plot: Der wohlhabende Eigentümer von Pye Hall wird ermordet, Atticus Pünd beginnt zu ermitteln. Ganz im Stil von Miss Marple und Hercule Poirot befragt er die große Zahl der Verdächtigen und zieht Schlüsse – allerdings erst am Schluss. Eifersucht, Neid, Hass, Gier – all das sind mögliche Mordmotive. Da gibt es die Ärztin, der ein tödlich wirkendes Medikament gestohlen wird, der Pfarrer, der etwas zu verbergen hat, die zurückgesetzte Schester des Ermordeten, ein zwielichtiger Antiquitätenhändler und einige mehr. Ein spannender Fall also, den es zu lösen gilt.

Dann gibt es da die Rahmenhandlung, in der sich die Verlagslektorin Susan Ryeland auf die Suche nach dem fehlenden letzten Kapitel des Kriminalromans macht. Hier möchte ich nicht zu viel verraten. Nur so viel sei gesagt: die Suche nach dem fehlenden Kapitel erweist sich als äußerst schwierig, und auch hier gibt es genug Verdächtigte, denn der Schriftsteller Alan Conway, der die Atticus-Pünd-Romane verfasst hat, war alles andere als beliebt. Exzentrisch trifft es vielleicht am besten. Allerdings muss ich sagen, dass das Buch für mich hier deutliche Längen hatte. Während der Atticus-Pünd-Plot an vielen Stellen originell war, verläuft sich die Rahmenhandlung ein wenig. Das liegt zum einen daran, dass zunächst überhaupt nicht klar ist, was geschehen ist. So dauert es eine Weile, bis sich auch hier Spannung aufbaut, weil man eine grobe Ahnung hat, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein muss. Zum anderen ist die Riege der Verdächtigen im Rahmenteil auch weniger vielschichtig. So bieten sie deutlich weniger Reibungsfläche und machen einen auch nicht wirklich neugierig.

Anthony Horowitz‘ Buch ist eine Liebeserklärung an Agatha Christi und Arthur Conan Doyle. Allein deshalb lohnt sich die Lektüre.

Veröffentlicht am 03.05.2018

Liebevoll erzählte Geschichte eines Mädchens in China

Der freie Vogel fliegt, Band 1
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Xiaolu hat es nicht leicht. Die Hauptfigur des Comics „Der freie Vogel fliegt“ von Jidi und Ageng geht in der westchinesischen Stadt Chengdu auf die Mittelschule. Da sie – vor allem in Mathematik – schlechte ...

Xiaolu hat es nicht leicht. Die Hauptfigur des Comics „Der freie Vogel fliegt“ von Jidi und Ageng geht in der westchinesischen Stadt Chengdu auf die Mittelschule. Da sie – vor allem in Mathematik – schlechte Noten hatte, kommt sie auf diese Schule, die einen Schwerpunkt auf Kunst und Gestaltung hat. Dort hat sie die typischen Probleme eines Teenagers in China: jede Menge Stress in der Schule, dann Stress mit Lehrern und Eltern, das erste Verliebtsein und schließlich eine deftige Auseinandersetzung mit einer Klassenkameradin.

Der erste Band dieser Comicreihe, die auf (mindestens) sechs Bände angelegt ist, konzentriert sich auf Xiaolus Schulzeit und rückblickend auf ihre Kindheit. Bei aller Schwere besticht der Comicband durch die faszinierende Leichtigkeit des Erzählens. Xiaolu lebt in ihrer eigenen Welt, in der ihre Lieblingscomicfiguren ihr zur Hilfe kommen. Liebevoll wird man als Leser in Xiaolus Gefühlswelt hineingenommen und erlebt ihre Gefühlsschwankungen mit. Man sieht sie leiden, wenn ihre Lehrerin sie runtermacht. Und genauso sieht man sie vor Freude springen, als sie sich verliebt. Allerdings – das ist ein kleines Manko des Bandes – ist die Schrift vor dunklem Hintergrund zum Teil nicht gut zu lesen.

Tolle Bilder, farbenprächtig und detailverliebt, setzen die Handlung in Szene. Dabei kann man auch ihren Tagträumen beiwohnen und ihrer ersten Liebe. Mit ironischem Unterton erzählen Jidi und Ageng, wie Xiaolu ihrem Auserkorenen hinterherspioniert.

Mit knapp 25 Euro ist der Comic etwas teuer geraten, allerdings ist er auch zweisprachig, sodass er mit dem deutschen und dem chinesischen Teil (sie folgen aufeinander) auf insgesamt knapp 300 Seiten kommt. Zudem sind auch Erklärungen abgedruckt und wer chinesisch lernt, erhält am Schluss sogar ein chinesisch-deutsches Vokabular zum Comic.

Eine kleine Warnung sei ausgesprochen: Hat man den ersten Band gelesen, will man unbedingt weiterlesen – denn wie es mit Xiaolu und ihrem Auserkorenen weitergeht, will man ja schließlich wissen…

Veröffentlicht am 28.04.2018

Spannendes Jugendbuch über unangepasste Jugendliche im Dritten Reich

Bis die Sterne zittern
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Die Meuten – das sind Jugendliche, die sich im Dritten Reich nonkonform verhielten – statt HJ-Uniform trugen sie kurze Lederhosen und karierte Hemden. „Bündische Jugend“ nannten sie sich selbst. Etliche ...

Die Meuten – das sind Jugendliche, die sich im Dritten Reich nonkonform verhielten – statt HJ-Uniform trugen sie kurze Lederhosen und karierte Hemden. „Bündische Jugend“ nannten sie sich selbst. Etliche Gruppen gab es in Leipzig, bis sie 1939 durch die Gestapo zerschlagen wurden.

Während die Edelweißpiraten und die Swing Kids inzwischen schon bekannt sind, kennt man diese Leipziger Gruppen kaum. Umso erfreulicher ist es, dass nun ein Jugendbuch erschienen ist, das diese Leipziger Jugendbewegung zum Thema hat: Johannes Herwigs Jugendbuch „Bis die Sterne zittern“.

Hauptperson ist der 16-jährige Harro. Eher zufällig wird er Mitglied einer Leipziger Clique. Doch bald wird für ihn aus der bloßen Freude am Rebellieren bitterer Ernst. Aus Lausbubenstreichen werden politische Aktionen, die die Staatsmacht immer gründlicher beobachtet. Harro selbst ist sehr überzeugend dargestellt. Er wird zwar als überzeugter Gegner des Dritten Reiches dargestellt, der alle staatliche Propaganda durchschaut, doch ist er keineswegs sakrosankt. Im Gegenteil: er muss seine Erfahrungen machen – auch mit Mädchen. Bei vielen Entscheidungen Harros, z.B. auch die, aus der Hitlerjugend auszutreten, fragt man sich, wie wohlüberlegt sie überhaupt ist.

Was eine Clique ausmacht, die Mischung aus bloßer Rebellion und politischer Aktion, wird in „Bis die Sterne zittern“ deutlich. Man spürt auch die Recherche, die hinter dem Buch steht. Selbst Kinderspiele der damaligen Zeit sind recherchiert. Die Handlung hat mich nicht ganz so stark überzeugt. Es bleiben viele lose Enden zurück. Harro als Jugendlicher, der auf dem Weg ins Erwachsenenleben ist, ist gut getroffen. Aber wie es mit ihm weitergeht: man kann es nicht einmal erahnen. Und irgendwie fehlt der Geschichte in wenig der Pepp. Für mich liegt das vor allem an der gewählten Ich-Perspektive: da kann man eben als Erzähler nicht über die Grenzen der vorgegebenen Perspektive des Jugendlichen hinaus. Man erfährt wenig von den besorgten Eltern, wenig von den Beobachtungen der Gestapo usw. Und die Sprache ist (vor allem am Ende von Kapiteln) viel zu lyrisch, als dass sie zu einem Jugendlichen passt. Ein auktorialer Erzähler hätte eher nicht zu diesen Schwächen geführt. Der Ich-Erzähler ist sich selbst im Weg: schöne, lyrische Formulierungen wirken aus dem Mund Harros einfach fehl am Platz.

Fazit: „Bis die Sterne zittern“ ist ein Jugendbuch, das die Zeit des Dritten Reichs aus der Sicht einer unangepassten Jugendgruppe lebendig werden lässt. Ein klein wenig hat die Handlung unter der Absicht, die Leipziger Meuten vorzustellen, gelitten. Dennoch war es eine gute, bereichernde Lektüre.

Veröffentlicht am 13.03.2018

Lesenswerte Familiengeschichte

All die Jahre
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Es ist eine Familiengeschichte, die J. Courtney Sullivan in ihrem neuen Buch „All die Jahre“ ausbreitet. Freilich eine mit großen – und kleinen – Familiengeheimnissen. Denn die beiden Schwestern Nora und ...

Es ist eine Familiengeschichte, die J. Courtney Sullivan in ihrem neuen Buch „All die Jahre“ ausbreitet. Freilich eine mit großen – und kleinen – Familiengeheimnissen. Denn die beiden Schwestern Nora und Theresa verbindet mehr, als ihnen zeitweise lieb ist. Und: sie leben sich auseinander, sprechen nicht mehr miteinander. Bis zu dem Augenblick, wo Noras jüngster Sohn Patrick stirbt.

Auf zwei Zeitebenen erzählt J. Courtney Sullivan von den beiden irischen Schwestern, die gemeinsam auswandern und ihr Glück in den USA versuchen. Während aus Nora eine glückliche Mutter wird, geht Theresa schließlich ins Kloster und findet dort ihre Bestimmung. Doch das ist nur der äußere Schein. Denn beide sind auf ihre eigene Weise unglücklich.

J. Courtney Sullivan erzählt lebendig, man kann sich nicht nur die beiden Schwestern lebhaft vorstellen, sondern auch Noras vier Kinder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dafür ist auch der Wechsel der Erzählzeit verantwortlich. Man hat als Leser Entwicklungen vor Augen, auch wenn manch‘ Geheimnis erst recht spät im Buch aufgeklärt wird. Zunächst taucht man ein in die Zeit irischer Einwanderer – nimmt Anteil an ihren Hoffnungen und Enttäuschungen. Dann, 50 Jahre später, erfährt man, wie schwer es Nora fällt, auch nur für einen Besuch in das Land ihrer Eltern zurückzukehren. Sie hat es hinter sich gelassen. Aber auch die Geschichten der vier Kinder werden mehr als schlaglichtartig beleuchtet. So bietet „All die Jahre“ eine lesenswerte Familiengeschichte mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen.

Allerdings nimmt Sullivan ihre Leser zu stark an der Hand. Der allwissende Erzähler liebt es zu kommentieren. Man sieht nicht nur, wie wenig Nora in ihrer Ehe glücklich ist, der Erzähler sagt dem Leser direkt: es war eine Pflichtehe. Als ob man das nicht längst gemerkt hätte. Trotz all der Familiengeheimnisse bleibt so an den Figuren wenig Geheimnisvolles, wenig, an dem man sich reiben kann, über das man streiten kann. Das ist schade.

Veröffentlicht am 18.02.2018

Die Last der Freiheit

Das Gewicht der Freiheit
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Wer ist Florian Burkhardt? Einer der es geschafft hat. Einer, der das Bedürfnis hat, anderen zu gefallen. Einer, der tief gestürzt ist und sich wieder aufgerappelt hat.

Florian Burkhardt dürfte von allem ...

Wer ist Florian Burkhardt? Einer der es geschafft hat. Einer, der das Bedürfnis hat, anderen zu gefallen. Einer, der tief gestürzt ist und sich wieder aufgerappelt hat.

Florian Burkhardt dürfte von allem ein wenig sein: ein Selfmademan, ein Selbstdarsteller und ein Stehaufmännchen. Eines ist er aber heute nicht mehr: ein Getriebener. Wie er es geschafft hat, sein Leben auf der Überholspur zu verlassen und eine Angststörung in den Griff zu bekommen, beschreibt Florian Burkhardt in seinem neuen Buch „Das Gewicht der Freiheit„.

Auch wenn das Buch die Gattungsbezeichnung „Roman“ trägt: es ist rundum eine Auto-Biographie. Florian Burkhardt erzählt aus seinem Leben. Wie er mit 21 ins Flugzeug steigt und in die USA fliegt, um Schauspieler zu werden. Wie er stattdessen im zweiten Anlauf erfolgreiches Model wird (ohne allerdings viel dabei zu verdienen). Wie er seine Karriere abbricht und mit 23 ikarusgleich abstürzt, sich wieder aufrappelt. Wie er kurzfristig als Lehrer arbeitet, um dann wieder nach seiner Bestimmung zu suchen. Wie er sich selbst zum Internetexperten und Website-Gestalter weiterbildet. Wie er sich nach einem Zusammenbruch zurückzieht und den Kontakt zur Außenwelt abbricht. Wie er seine Angststörung Stück für Stück wieder in den Griff bekommt.

Im Schnelldurchlauf begleitet man als Leser Florian Burkhardt bei seiner Karriere, die doch nichts anderes ist als der Vorbote für seinen großen Absturz. Wo er erfolgreich ist, übernimmt er sich und muss mühsam lernen, seine Grenzen zu akzeptieren. Florian Burkhardt beschreibt dabei zumeist recht nüchtern, was er erlebt. Egal ob in der Modebranche oder in der psychiatrischen Anstalt: es ist kein emotionaler Blick auf das Leben, sondern eher ein nüchterner, abgeklärter. Nur an wenigen Stellen sind deutliche Bewertungen zu finden. So sieht Burkhardt rückblickend das Modeln als Versuch, die Jugend hinauszuzögern, um nicht erwachen werden zu müssen.

Was das Buch ausmacht ist meines Erachtens die Art, wie es geschrieben ist. Wer jammernd noch anklagend, sondern beschreibend. Als Leser kann man ihn beobachten, ohne vereinnahmt zu werden.

Sprachlich ist die Autobiographie alles andere als anspruchslos. Besonders da, wo es um die Befreiung aus Zwängen geht, schildert Florian Burkhardt seine Gefühle sehr bildhaft, metaphernreich. Und auch der Zusammenbruch ist sprachlich sehr intensiv dargestellt, sodass man selbst als Leser in einen Sog gerät. „Das Gewicht der Freiheit“ ist somit kein Buch, das sich nur an Leser richtet, die wissen wollen, wie es in der Welt der Models zugeht (und wie nicht). Es ist vielmehr ein Buch, das sich vorwiegend an die richtet, die miterleben wollen, wie ein junger Mann sich mit seinem Leben und seinen Zielen auseinandersetzt.