Die Autorin erzählt in diesem Roman die wahre Geschichte des Arztes Pavel Vodák, dessen Tagebuchaufzeichnungen jahrelang in seiner Arzttasche geschlummert haben. Diese Zeitdokumente hat sie gemeinsam mit Vodáks Tochter Pavli gesichtet und daraus eine interessante Familiengeschichte geschrieben, die den politischen Umbrauch der damaligen Tschechoslowakei beschreiben.
Nach dem Lesen der Leseprobe, die einen kleinen Einblick in die Vorbereitungen Pavels gibt, sein Land zu verlassen und in den Westen zu flüchten, wollte ich unbedingt bei der Lovelybooks Leserunde mitlesen. Genau dieser Abschnitt nahm mich auch sofort gefangen. Man konnte die Angst und Unsicherheit von Pavel spüren und im Laufe des Romans auch seine Erkenntnis, dass er nicht nur seine Zukunft mit der Flucht verändert hat, sondern auch die seiner ganzen Familie, begreifen.
Nach dem Abschnitt aus dem Jahre 1970, in dem Pavel seine Flucht aus Prag vorbereitet, blendet die Autorin zurück ins Jahr 1939. Pavel ist 18 Jahre alt und lebt in Budweis. Seine Mutter ist Deutsche und sein Vater tschechischer Militärangehöriger. Pavel hat eben sein Medizinstudium angefangen, als der Krieg seine Pläne durchkreuzt.
Der Titel "Das hungrige Krokodil" erklärt sich daraufhin bald. Pavel erkennt zuerst in der deutschen Besatzung und danach durch das russische Regime "die Gefräßigkeit des Krokodils", die Gefahr die von der jeweils politischen Lage ausgeht. Als Regimegegner und einem Bruder, der sich für den Kommunismus einsetzt, steckt er in einer Zwangslage. Erst Jahre später kann er sein Studium fortsetzen, heiratet und bekommt seine Tochter Pauline, genannt Pavli. Seiner Frau wird das Studium jedoch im neuem Regime verwehrt....
Wir erleben mit Pavel den Prager Frühling und seine Bemühungen unauffällig zu bleiben. Doch er erkennt, dass er nicht in Prag bleiben und ihm nur die Flucht in den Westen helfen kann, einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Er sieht in der Tschechoslowakei keine Zukunft mehr.
Doch auch nach der Flucht ist er getrieben und fühlt sich heimatlos und entwurzelt. Seine Gefühle und Gedanken werden sehr authentisch erzählt und man zieht direkte Vergleiche zur heutigen politischen Situation und den Flüchtlingen in unserem Land. Einzig Pavli, die noch als Kind nach Deutschland kam, findet hier eine neue Heimat.
Ich fand den Part am Beginn und am Ende, der sich mit der Flucht auseinandersetzt und bei dem wir Familie Vodák begleiten, sehr emotional und eindringlich. Hingegen kamen mir die Erzählungen der 30 Jahre dazwischen etwas nüchtern und distanziert vor. Hier hatte ich eher das Gefühl einer Aneinanderreihung von Ereignissen, mit Ausnahme der Beschreibung des Prager Frühlings. Diese Gewalt machte mich schier sprachlos.... Zum Ende hin erleben wir noch den Fall der Mauer und die Möglichkeit die alte Heimat wieder zu besuchen. Diesen Moment fand ich sehr emotional.
Der Autorin gelingt es Pavel sehr authentisch darzustellen. Das liegt aber auch daran, dass es eigentlich seine Notizen sind und seine Tochter ein lebendiges Bild ihres Vaters abgeben konnte. Pavel hatte Humor, setzte sich für die Schwachen ein, war kritisch und hatte einen guten Blick für die politische Lage. Manche seiner Handlungen konnte ich, vorallem da er Kinderpsychologe war, nicht verstehen. Außerdem empfand ich wichtige Personen rund um Pavel etwas zu blass und nicht wirklich greifbar dargestellt. Trotzdem nahm mich Pavels Lebensgeschichte gefangen.
Fazit:
Sandra Brökel hat die Stimmung der damaligen Zeit sehr gut eingefangen. Wir erleben hier 50 Jahre tschechoslowakische Zeitgeschichte, die bewegt und einen Einblick in die politische Lage und die Veränderungen im Leben der Tschechen gibt. Ein ergreifender biografischer Familienroman.