Ich bin ein Mensch – so lautet die erste Kapitelüberschrift, die mich mit den ersten Sätzen direkt in den Bann gezogen hat. Die Geschichte wurde aus der Perspektive einer Omega erzählt. Eine Omega, die als Sklavin verkauft wurde, keine Rechte und kein Leben besaß, einen Namen schon gar nicht.
Durch den angenehmen Schreibstil schaffte es die Autorin mich von der ersten Seite an mitzureißen. Ich merkte schnell, dass ich mich unbewusst direkt auf die Seite von der Protagonistin schlug, mich gedanklich an ihre Seite stelle, ihr meine Hand auf die Schulter legte, um ihr mein Mitgefühl zu bekunden. Nicht, dass sie bemitleidenswert war. Sie war unglaublich mutig, im Anbetracht der Tatsache, dass ihr das Sprechen und auch ein kleiner Blick nach oben verboten wurde, stets sollte sie den Kopf geneigt tragen und zum Boden schauen. Die Alphas hingegen genossen alle Privilegien der grotesken Gesellschaftsform, die punktuell an 1933 erinnerte. Alle Grausamkeiten, die den Omegas zugefügt wurden, wurden mit ihrer minderen Rasse begründet. Es war also völlig normal, sie zu versklaven, ihnen körperliches wie seelisches Leid zuzufügen, sie wie Ware zu handeln, sie zu ignorieren, ihnen menschenunwürdige Aufgaben zuzuteilen.
Alleine die Tatsache, dass ich mir zahlreiche Stellen markiert habe und beim erneuten Lesen wieder völlig in die Thematik gerissen werde zeigt, wie emotional, wie authentisch, wie aufregend diese Geschichte ist. Ich möchte gar nicht zu viel über die Protagonistin, die keinen Namen trug, verraten, ebenfalls nicht zu viel über den Inhalt. Die Entwicklung hielt einige Überraschungen bereit, positiv, wie negativ. Es gab schockierende Situationen, die ein beklemmendes Gefühl in mir auslösten. Es gab positive Momente, die einen kleinen Hoffnungsschimmer boten. Und es gab ein paar Besonderheiten auf der Beziehungsebene, die mich zu Tränen gerührt haben. Denn nicht nur die Omegas waren die Sklaven dieser Gesellschaft. Hier wurde die Intransparenz, die korrupten Machenschaften und die skurrilen Vorgaben immer wieder deutlich, sodass nicht nur unsere Protagonistin rebellierte. Oder zumindest den Versuch unternahm, waren ihr die meiste Zeit die Hände gebunden – im übertragenen Sinne. Alle Charaktere wurden hervorragend gezeichnet, Gut und Böse war nicht immer erkennbar und jeder trug seine Geheimnisse mit sich, manchmal bis ins Grab.
Zahlreiche Emotionen wurden in mir hervorgerufen, allen voran Wut. Eine tiefe Wut, gepaart mit Fassungslosigkeit, die die Hilflosigkeit, das Leid und all den Schmerz der Protagonistin und anderer Betroffenen widerspiegelte. Die Schicksalsschläge und die Grausamkeiten, aber auch die kleinen hoffnungsvollen Momente rührten mich zu Tränen. Ich kämpfte innerlich mit der Omega mit, ich hoffte mit ihr, sorgte mich mit ihr, fürchtete mich mit ihr. Die Hilflosigkeit war spürbar und ich wäre am liebsten in die Geschichte gekrochen, um an ihrer Seite zu stehen. Selten habe ich so eine mutige Heldin erlebt, deren Glauben an Veränderung und eine angenehmere Zukunft unerschütterlich war und die gleichzeitig alles andere als beneidenswert war – im Vergleich mit anderen Heldenfiguren aus dystopischen Büchern und Filmen.
Ein paar Charaktere und ihre Gedanken & Äußerungen zeigten, dass sie in ihrer eigentlich privilegierten Situation durch äußere Einflüsse und innere Angst vor eventuellen Konsequenzen immer wieder in Gewissenskonflikte geraten sind – zeige ich mich loyal meinem Volk gegenüber? Oder folge ich meinem Herzen? Denn tief im Inneren wussten sie, was richtig ist. Sie wussten aber auch, was auf ihre daraus resultierenden Handlungen folgen wird. Ein surrendes Gefühl der Angst, der Gewissheit, dass etwas passieren wird, begleitete die Charaktere in den Situationen. Je weiter die Handlung voran schritt, desto lauter wurde es. Je weiter die Rebellion durchsickerte, desto spannungsgeladener wurde es.
Das Ende konnte mich überzeugen und für ein gutes Gefühl sorgen, auch, wenn es wahrlich nicht nur positiv war. Und das starke Nachwort der Autorin hat mich sehr berührt. Ich weiß, dass es chronische Nachwortvermeiderer gibt, doch das solltet ihr hier auf jeden Fall ablegen und es euch durchlesen. Eigentlich möchte man danach in die Welt hinausschreien, wie schei*se Rassismus ist, wie wichtig Gleichberechtigung und Toleranz. Und wenn man schon mal dabei ist, kann man direkt noch auf dieses Buch aufmerksam machen.
FAZIT
Mit Nation Alpha zeigt Christin Thomas auf, zu welchen (fiktiven) Grausamkeiten Menschen mit einer rechtsradikalen Ideologie in der Lage sein können und öffnet dem Leser auf eine schonungslos ehrliche und emotionale Weise die Augen. Ich kann die Geschichte dieser mutigen Heldin wirklich jedem empfehlen.
Vielen Dank an Zeilengold Verlag für das Rezensionsexemplar.