"Eins" ist mal wieder eines dieser Bücher, bei denen ich unbedingt etwas zur Aufmachung sagen muss. Denn die Gestaltung dieses Buches hat mich sehr beeindruckt und fasziniert und als es bei mir angekommen ist, konnte ich es gar nicht fassen, wie großartig es aufgemacht ist und wie wunderschön es ist. Ich habe mich lange mit diesem Buch beschäftigt, nicht nur mit seinem Inhalt, sondern auch mit seinem Äußeren. Es ist ein echter Schatz. Der Schutzumschlag ist transparent und aus stabilem Plastik. Aufgedruckt sind auf den Innenseiten der Klappentext und die Autorenbeschreibung, auf der Vorderseite der Titel sowie in Hellblau die Umrisse des Kopfes eines Mädchens. Erst durch den weißen Einband des Buches, auf den sich der Schutzumschlag legt, werden diese Aufdrucke sichtbar und lesbar. Der Einband des Buches selbst fühlt sich wie sehr hochwertiges Leinen an. Hier aufgedruckt ist der gleiche Umriss des Kopfes wie auf dem Schutzumschlag, nur in Rosa und spiegelverkehrt. Legt man nun den Schutzumschlag um das Buch, ergibt sich ein faszinierendes Zusammenspiel der Farben. Nehmt das Buch unbedingt mal in die Hand, wenn ihr es im Buchladen beim Stöbern seht, und macht mal den Schutzumschlag ab. Ich bin wirklich begeistert von der Aufmachung!
Und wenn ihr das Buch dann schon mal in der Hand habt, dann nehmt es am besten auch direkt mit. Denn es ist so so so lesenswert! Bücher über Zwillinge habe ich durchaus schon gelesen, auch über Geschwisterbeziehungen allgemein. Aber bislang habe ich noch kein Buch über siamesische Zwillinge gelesen, umso faszinierender fand ich dieses Werk von Sarah Crossan.
Und aufgepasst - jetzt kommt auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich: Selten habe ich so schnell so ein umfangreiches Buch gelesen und mich dabei doch so intensiv mit dem Inhalt beschäftigt. Denn: Mit seinen gut 420 Seiten ist "Eins" schon ein ordentlicher Schmöker, aber dennoch habe ich wohl nur drei Stunden zum Lesen gebraucht. Denn die inhaltliche Gestaltung erinnert an einen Gedichtband. Oft sind es nur wenige Zeilen, die auf die einzelnen Seiten gedruckt wurden, mit Überschriften, kurzen Zeilen und Absätzen. Beim Lesen passt man sich automatisch diesem Rhythmus an und liest in einem ganz eigenen und besonderem Tempo, was das Lesevergnügen wirklich einzigartig macht.
Über einen Zeitraum von acht Monaten (von August bis März) begleitet man als Leser Tippi und Grace. Man erlebt ihren Alltag, man geht mit ihnen zur Schule, man sitzt mit ihnen zusammen am Frühstückstisch, man begleitet sie in ihrer Freizeit. Und dabei ist dieses Buch so viel mehr. Denn natürlich sitzen Tippi und Grace nicht einfach am Frühstückstisch. Sie benötigen dafür einen extra breiten Stuhl. Und natürlich gehen Tippi und Grace nicht einfach so zur Schule. Denn selbst die Schuluniform, die alle Schüler tragen müssen, schafft es nicht, dass Grace und Tippi so aussehen wie alle anderen. Und natürlich ist der Alltag von Tippi und Grace alles andere als normal. Denn da ist der Vater, der verzweifelt auf der Suche nach einem Job ist, um seine Familie zu ernähren, und dabei doch immer wieder scheitert und sich dem Alkohol hingibt; da ist die jüngere Schwester, die sich verbissen im Balletttraining vergräbt, um vor allem für ihre Eltern mehr zu sein als nur die Schwester von Tippi und Grace, und die dabei doch immer mehr entschwindet. Da ist zwar die Lust am Leben, aber dann ist da eben auch der Wunsch, einfach mal allein sein zu können. Da sind die Therapiestunden. Da ist die Angst vor der Zukunft.
Ich-Erzählerin des Buches ist Grace. Sie spricht oft von einem "Wir", aber letztlich sind es ihre Gedanken, die man als Leser am intensivsten mitbekommt. Es sind sehr erwachsene Gedanken, die sie mit dem Leser teilt. Wenn sie zum Beispiel erzählt, dass es wirklich nicht so schlimm sei, mit ihrer Schwester verwachsen zu sein, denn schließlich gebe es ganz andere Fälle von siamesischen Zwillingen, die mit zusammengewachsenen Köpfen oder Herzen leben müssen oder zu zweit nur zwei Arme haben. Oder wenn sie sich fragt, ob es ihre jüngere Schwester Dragon nicht nervt, mit ihnen verwandt zu sein und ob sie das nicht auch zum Freak macht. Es sind sehr bewegende Gedanken, die tief in mir als Leserin viel bewirkt haben. Grace ist eine sehr toughe Ich-Erzählerin, die ich für ihre Einstellung zum Leben extrem bewundert habe. Es ist großartig, wie es Sarah Crossan gelingt, Grace den Lesern des Buches so nahe zu bringen, dass man sich fühlt, als wäre man selbst mit Grace verwachsen. Sie kommt dem Leser so nahe, ihre Geschichte und ihre Gedanken und Gefühle werden so lebendig, dass man gar nicht anders kann, als mit ihr zu fühlen. Man fühlt die Einschränkungen, die ihr Leben mit sich bringt, aber man fühlt auch den enormen Spaß am Leben, die Freude über Kleinigkeiten, die erste Liebe, den Wunsch, doch endlich mal ein paar Minuten für sich selbst zu haben, die Angst, als die Ärzte sie und ihre Familie vor die schwerste Entscheidung ihres Lebens stellen. Denn das Buch nimmt eine drastische Wende.
Dieses Buch ist so viel mehr und so tiefsinnig, dass es gar nicht für eine Rezension reicht. Lest dieses Buch unbedingt selbst! Und vielleicht wisst ihr jetzt auch, warum es kein Widerspruch war, zu schreiben, dass ich noch nie so schnell so ein dickes Buch gelesen habe und dennoch so viel Zeit damit verbracht habe. Denn das Leseerlebnis war so intensiv und das Buch wirkt lange nach. Es hat gut getan, diese Rezi zu schreiben und dabei das Buch noch einmal zu durchleben.
Mein Fazit
"Eins" ist ein ganz einzigartiges und besonderes Buch, das nicht nur von der Aufmachung her überzeugt, was den Schutzumschlag, den Einband und den Textsatz betrifft, sondern vor allem auch durch den Inhalt, der so intensiv und bewegend ist.