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Veröffentlicht am 06.05.2018

Schicksale auf den Kanalinseln

Das Liliencottage
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„...Du kannst anscheinend alles essen ohne zuzunehmen, ich jedoch lese nur das Fettgedruckte in der Zeitung und habe sofort ein paar Pfund mehr auf der Hüfte...“

Die Geschichte beginnt im Jahre 1950 auf ...

„...Du kannst anscheinend alles essen ohne zuzunehmen, ich jedoch lese nur das Fettgedruckte in der Zeitung und habe sofort ein paar Pfund mehr auf der Hüfte...“

Die Geschichte beginnt im Jahre 1950 auf der Kanalinsel Jersey. Aus dem dortigen Waisenhaus wird der vierjährige Thomas von einem Ehepaar mitgenommen.
Dann wechselt das Geschehen in die Gegenwart. Die 35jährige Sharon ist Model. Langsam aber greift eine Jüngere nach ihrem Job. Also tut sie alles, um jung und attraktiv auszusehen. Ihr Freund Ben, der ebenfalls in der Modebranche arbeitet, macht ihr einen Heiratsantrag. Doch Sharon will keine Kinder. Daran zerbricht die Beziehung.
Wenige Tage später bricht Sharon auf dem Catwalk zusammen. Sie nimmt eine Auszeit und fährt auf die Kanalinsel Guernsey. Dort zieht ins Liliencotttage bei Theodora ein.
Die Autorin hat eine abwechslungsreiche und spannende Geschichte geschrieben, die in zwei Zeitebenen erzählt wird. Zum einen darf ich als Leser Sharons jetziges Leben auf der Insel verfolgen, zum anderen berichtet Theodora über ihre Kindheit und Jugend.
Die Personen werden gut charakterisiert. Sharons Mutter war eine begnadete Künstlerin. Den Eltern aber fehlte die Zeit für die Tochter. Mit 6 Jahren wird Theodora zu Sharons Ersatzgroßmutter. Während Sharons Modelkarriere allerdings war der Kontakt abgebrochen.
Theodora ist weit über 80 Jahre. Doch sie führt immer noch ihre Pension. Außerdem hat sie sich einen kritischen Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen bewahrt. Deshalb erkennt sie sofort Sharons Probleme, geht aber sehr behutsam darauf ein.
Sharon ist unterernährt. Ihre Einstellung gibt das obige Zitat wieder. Sie weiß nicht, wie es mit ihr weitergehen soll, denn außer Modeln hat sie nichts gelernt.
Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. Sehr detailliert wird die Landschaft und die Sehenswürdigkeiten auf der Insel beschrieben. Dafür nutzt die Autorin geschickt Sharons Spaziergänge über die Insel. Dabei erfahre ich auch das eine oder andere über Sharons Vergangenheit auf der Insel. Sharons Emotionen werden dabei gut wiedergegeben. Angst vor der Zukunft, leichte Melancholie, aber auch Zeiten der Ruhe und Ausgeglichenheit wechseln sich ab.
In Theodoras Geschichte stehen die Jahre der deutschen Besatzung im Mittelpunkt. Hier dominieren Angst und Vorsicht. Auf der Insel selbst gab es keine Kämpfe, aber trotzdem Tote. Theodora hat ihr Leben einer engagierten Krankenschwester zu verdanken. Schon in jungen Jahren auf sich gestellt, macht Theodora aus jeder Situation das Beste. Ihr Mitgefühl und ihre Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen, zeichnen sie aus. Trotzdem wird sie mehrmals gerade die Menschen verlieren, die ihr am Herzen liegen. Doch bis ins hohe Alter hat sie sich ihren Humor bewahrt, wie das folgende Zitat zeigt:

„...Wenn der Tod in den nächsten Tagen anklopft, werde ich ihm sagen,dass er erst noch einen Tee trinken und später wiederkommen soll...“

Mit Hauptmann Konrad Huber hat die Autorin einen schwer durchschaubaren Charakter geschafft. Einerseits fällt er grausame Entscheidungen, andererseits gibt er Theodora ein Heim und eine Aufgabe.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Theodoras Lebensgeschichte hat mich tief beeindruckt. Gleichzeitig verändern die Tage auf der Insel auch Sharon. Sie lernt erkennen, was wirklich wichtig ist und zieht die richtigen Schlussfolgerungen. Mit einem Zitat aus dem Buch, das von Victor Hugo stammt, möchte ich meine Rezension abschließen:

„...Die Kanalinseln sind Stücke von Frankreich, die ins Meer gefallen sind und von England aufgesammelt wurden...“

Veröffentlicht am 05.05.2018

Gelungener Auftakt

Horizon
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„...Ein König ist nicht nur ein Herrscher über sein Volk, er ist auch ein Diener am Volk. Die Menschen vertrauen auf sein Urteil, auf faire Entscheidungen, die weder durch Voreingenommenheit beeinflusst ...

„...Ein König ist nicht nur ein Herrscher über sein Volk, er ist auch ein Diener am Volk. Die Menschen vertrauen auf sein Urteil, auf faire Entscheidungen, die weder durch Voreingenommenheit beeinflusst werden sollten noch durch Bestechlichkeit...“

Corin ist der uneheliche Sohn von Daven Etienne Bryant, dem König von Carbonn. Er lebt mit seiner Mutter Elise und dem Stiefvater Phillippe Perrot weit ab vom Hofe des Königs. Als der Junge neun Jahre ist, stattet der König der Familie einen Besuch ab. Corin ist davon nicht begeistert.
Sieben Jahre später trägt der König seinen erstgeborenen Sohn zu Grabe. Er wurde heimtückisch ermordet. Nur Frederic Durant, sein Vertrauter weiß, dass Raoul, der Zweitgeborene, ein Kuckuckskind ist und kein königliches Blut in seinen Adern trägt. Deshalb holt er nun den 16jährigen Corin an den Königshof. Es schmerzt Corin, seine Mutter und seine Zwillingsgeschwister verlassen zu müssen.
Die Autorin hat einen abwechslungsreichen Fantasyroman geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Das liegt unter anderen auch darin, dass ein Teil der Handlung nahe an der Realität ist. Außerdem wird auf brutale Kampfszenen verzichtet.
Corin ist ein verantwortungsbewusster junger Mann. Nach dem Tode seines Stiefvaters hat er sich um die Landwirtschaft und seine kleinen Geschwister gekümmert. Das Geld, das der König für ihn geschickt hat, hat zum Leben gereicht, aber keine großen Sprünge erlaubt.
Am Königshof trifft er auf Raoul. Der macht ihm schnell klar, was er von ihm hält und dass er sich seine Pläne nicht kaputt machen lässt. Er zeichnet sich durch Machtbesessenheit und Überheblichkeit aus.
Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Die innere Spannung entsteht vor allem dadurch, dass der König beide Söhne drüber im Dunkeln lässt, was er wirklich plant. Nur scheibchenweise lässt er sie an seinen Gedanken teilhaben. Das facht einerseits Raouls Wut an, lässt andererseits aber Corin hoffen, das er eines Tages zu seiner Familie zurückkehren kann.
Gut beschrieben werden die Bauwerke und die Landschaft. Corin muss erkennen, dass Völker und Tiere, die er bisher für Fabelwesen und Märchengestalten hielt, wirklich existieren. Der Flug mit dem Riesenadler wird für ihn zu einem besonderen Erlebnis, wie das folgende Zitat zeigt:

„...Allmählich genoss Corin den Flug...Der Himmel verfärbte sich zunächst orange, schließlich rötlich und tauchte die Landschaft damit in ein warmes Licht. Corin versuchte sich zu erinnern, wann er je so etwas Schönes gesehen hatte...“

Hier wird auch deutlich, dass die Autorin das Spiel mit Adjektiven und passenden Metaphern beherrscht. Gut ausgearbeitet sind die Dialoge. Corin vertritt offensiv seine Meinung und lässt sich nicht verbiegen.
Ein besonderes Erleben wird für Corin der Aufenthalt beim Volk von Lindora, das über magische Fähigkeiten verfügt und mit dem Königreich Carbonn verbündet ist. Aber hier deuten sich erste Probleme an, die in den folgenden Teilen der Serie sicher stärker thematisiert werden. Bryan möchte sein Herrschaftsgebiet ausweiten. Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob er in jedem Fall das umsetzt, was er im Eingangszitat äußert. Wenn er hofft, dass ihn Corin auf diesem Weg folgt, sehe ich für ihn Schwarz. Corin legt Wert auf ein friedliches miteinander. Das zeigt sich schon an seinem Verhalten auf dem Königshof. Er geht davon aus, dass Raoul der rechtmäßige Nachfolger ist und gönnt ihm das von ganzem Herzen. Doch Raoul hat keine Antenne für die feinen Schwingungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Das wird Folgen haben.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Personen werden gut charakterisiert. Wer allerdings von einem Fantasyroman vorwiegend Action und Abenteuer erwartet, ist bei dem Buch falsch. Hier steht mehr das menschliche Miteinander und Gegeneinander, vertrauen und Verantwortung im Mittelpunkt der Handlung.

Veröffentlicht am 04.05.2018

Sehr schöner Comic

Der freie Vogel fliegt, Band 1
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„...Jetzt wusste sie endlich, welch Risiko es bedeutete, wenn sie sagte, was sie dachte...“

In einer mondhellen Nacht holt die 17jährige chinesische Schülerin Xiaolu heimlich ein Bild aus ihrer Schule. ...

„...Jetzt wusste sie endlich, welch Risiko es bedeutete, wenn sie sagte, was sie dachte...“

In einer mondhellen Nacht holt die 17jährige chinesische Schülerin Xiaolu heimlich ein Bild aus ihrer Schule. Das Buch erzählt in 6 Kapiteln, wie es dazu kam und ermöglicht einen Blick in Xiaolus Kindheit.
Die Geschichte lässt sich gut lesen. Das liegt besonders an den wunderschönen und aussagekräftigen Zeichnungen in Form eines Comics. Die Texte sind knapp gehalten und kommen schnell auf den Punkt.
Als Xiaolu in die Grundschule ging, haben sich ihre Eltern scheiden lassen. Sie zeigte Verständnis dafür und äußerte das in der Schule. Dafür wurde sie zum Außenseiter gestempelt. Obiges Zitat gibt ihre Erfahrung wieder. Ihre Cousine Zhang erzählt sogar Xiaolus Geschichte in einem Aufsatz.
Sehr exakt und umfassend wird das Bildungssystem in China thematisiert. Es unterscheidet sich erheblich von dem in Europa. Zensuren haben einen weit höheren Stellenwert, Hausaufgaben über die Ferien sind die Regel, nicht die Ausnahme und der Status der Schüler hängt auch davon ab, wie aktiv die Eltern mit der Schule zusammenarbeiten.
Xiaolu interessiert sich für Kunst, hat aber in den anderen Fächern Schwierigkeiten. Deshalb bewirbt sie sich für eine entsprechende Schule und wird glücklicherweise aufgenommen.
Die Geschichte wird nicht linear erzählt. Es findet ein steter Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit statt.
Während Xiaolu sich für einen jungen Mann und seine Zeichnungen zu interessieren beginnt, ohne sich zu getrauen, ihn anzusprechen, werden nach und nach die Verletzungen der vergangenen Jahre aufgearbeitet. Auch das Verhältnis der Schüler untereinander ist schwierig. Es gibt eine strikte Rangordnung, die man möglichst nicht verletzen darf.
Die Zeichnungen unterstützen die Handlung. Sehr gut werden dabei Xiaolus Emotionen herausgearbeitet. Außerdem ist in ihnen gut zu erkennen, ob man das Kind oder die junge Frau vor sich hat. Gleichzeitig werden ihre Gedanken und Träume bildhaft verarbeitet.
Das Besondere an dem Buch ist, dass es die Geschichte sowohl auf Deutsch als auch auf Chinesisch erzählt. Nach dem deutschen Teil werden einige spezielle Comics, mit denen sich Xiaolu beschäftigt, näher erklärt. Dann folgt ein Nachwort, dass die Geschichte des Buches erklärt.
Nach dem chinesischen Teil gibt es eine umfangreiche Vokabelliste.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ermöglicht einen tiefen Einblick in eine sonst fremde Kultur.

Veröffentlicht am 03.05.2018

Folgen der Vergangenheit

Niemandsblut
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„...Und du weist ja, dass einen die Vergangenheit immer einholt...“

Die Geschichte beginnt im Jahre 1979. Ein kleines Mädchen erlebt, dass ihr schlimmster Alptraum wahr wird.
Dann wechselt die Handlung ...

„...Und du weist ja, dass einen die Vergangenheit immer einholt...“

Die Geschichte beginnt im Jahre 1979. Ein kleines Mädchen erlebt, dass ihr schlimmster Alptraum wahr wird.
Dann wechselt die Handlung ins Jahr 2015. In Florenz legt Anna, eine alte Frau, die nur noch eine kurze Zeit zu leben hat, die Beichte ab. Leider erfahre ich als Leser noch nicht, was deren Inhalt ist.
Am gleichen Tag brechen zwei Personen auf spektakuläre Art in Prato in der Toskana in den Dom ein und stehlen ein wertvolles Kunstwerk.
Einen Monat später warten verschiedene Personen in Palma de Mallorca auf die einwöchige Kreuzfahrt mit der Virgin de Ocean. Dazu gehören Kerstin Luckow, die beruflich Gemälde begutachtet, deren Freundin Myriam, die die Finger aus beruflichen Gründen nicht vom Smartphone lassen kann, und zwei Ehepaare aus Gotha. Alle Personen werden gleich zu Beginn gut charakterisiert. Für die Passagiere der Kreuzfahrt hat die Reederei eine Besichtigung durch Palma organisiert, um die Zeit bis zur Abfahrt zu überbrücken. Doch beim Betreten der Kathedrale fällt der Blick der Reisenden auf eine Nonne, die am Altar ans Kreuz genagelt wurde. Es wird nicht die letzte Tote sein.
Der Autor hat einen fesselnden und abwechslungsreichen Krimi geschrieben. Das Außergewöhnliche daran ist, dass sich die Handlung während der Zeit der Kreuzfahrt entwickelt. Jedem Anlegepunkt des Schiffes kommt eine besondere Bedeutung zu. Damit ich als Leser die Reiseroute in Ruhe verfolgen kann, wurde sie auf der Rückseite des Einbandes abgedruckt.
Der Sprachstil lässt sich angenehm lesen. Kurze Kapitel und schnell wechselnde Handlungsszenen sorgen für eine hohen Spannungsbogen. Das Eingangszitat fällt im Buch nur ein einziges Mal, zieht sich aber wie ein roter Faden durch die Geschichte. Bald wird klar, dass viele der Protagonisten dunkle Punkte in ihrer Vergangenheit haben. Manche werden schnell aufgeklärt, bei anderen verlangt der Autor mein geduldiges Warten oder ein flotteres Lesen.
Lange bleibt im Ungewissen, ob die Kunstdiebstähle und der Todesfall der Nonne zusammenhängen. Hinzu kommt, dass ein alter unaufgeklärter Kriminalfall nur vorsichtig angedeutet wird, aber in der Gegenwart sich in ähnlicher Form zu wiederholen scheint.
Mit den Fällen in Florenz wird Polizeioberkommissarin Francesca betreut. Die hat aber gerade einige private Probleme. Ihre Mutter ist schwer krank und teilt ihr mit, dass Francesca nicht ihre richtige Tochter ist und damit als Spenderin einer Niere nicht in Frage kommt. Sie gehört zur Schar der Niemandskinder. Auch dies Problematik scheint bei den Verbrechen eine Rolle zu spielen. Für Francesca allerdings bricht eine Welt zusammen. Sie sucht nach ihren Wurzeln. Doch die Adoptionen waren illegal. Es gibt kaum Dokumente. Der Ratschlag eines Anwalts brringt das Geschehen auf den Punkt:

„...Sie sind mit einer Mutter aufgewachsen, die Sie liebt...Sie müssen lernen, demütiger und dankbarer zu sein für das, was sie hatten und haben, und nicht dem nachtrauern, was Sie vielleicht gehabt haben könnten. Denn niemand gibt Ihnen die Sicherheit, dass ein anderes Leben besser gewesen wäre...“

Gekonnt verknüpft der Autor verschiedene Fäden, verwirrt durch kurze Bemerkungen seiner Protagonisten meine Gedanken als Leser und führt mich so auf manche Irrwege. Lange bleibt unklar, wem eigentlich zu trauen ist, wer wen bespitzelt und welche komplexen Zusammenhänge zwischen den Protagonisten bestehen.
Natürlich gibt es auch Zeiten der Ruhe und Besinnung. Dort beweist der Autor, das er den Umgang mit passenden Metaphern und Adjektiven beherrscht, um die Schönheit der Landschaft entlang der Reiseroute wiederzugeben, wie das folgende Zitat zeigt:

„...Lilafarbener Oleander und violette Bougainvilleas in den Parks, als Häuserranken oder eingepflanzt entlang der Hafenpromenade, gaben der Stadt ... aufregende Farbkleckse. Dahinter schloss sich ein dichter, saftig grüner Pinienwald an, der sich wie ein Teppich über das bergige Hinterland legte...“

Auch geschichtliche Informationen über verschiedene Bauwerke werden gekonnt in die Handlung integriert.
Gut ausgearbeitete Gespräche bringen nicht nur das Geschehen voran, sondern ermöglichen gleichzeitig einen Einblick in den Charakter des Redenden.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Gegen das Vergessen

Geigen der Hoffnung
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„...Konnte man einen Sinn für die Würde und Schönheit der Musik besitzen und gleichzeitig Menschen zu Tode foltern?...“

Das Buch wurde von Christa Roth und Titus Müller geschrieben. Christa Roth erzählt ...

„...Konnte man einen Sinn für die Würde und Schönheit der Musik besitzen und gleichzeitig Menschen zu Tode foltern?...“

Das Buch wurde von Christa Roth und Titus Müller geschrieben. Christa Roth erzählt das Leben des Geigenbauers Amnon Weinstein, Titus Müller das Schicksal der Brüder Marek und Stani im Konzentrationslager Dachau.
Amnon ist Jude. Seine Eltern haben Vilnius rechtzeitig verlassen und in Israel eine neue Heimat gefunden. Anfangs war das Schicksal seiner Familie für Amnon kein Thema. Das sollte sich ändern, als er die Geigenbaufirma seines Vaters übernommen hat. Plötzlich hielt er Geigen in der Hand, mit denen in deutschen Konzentrationslagern gespielt worden war. Viele der Geiger haben nicht überlebt.
Den Autoren ist es gelungen, durch eine abwechslungsreiche und tiefgründige Erzählung die Erinnerung nicht nur an jüdische Musiker und Geiger wach zu rufen.
Der Schriftstil ist ausgewogen. Bei Christa Roth überwiegt ein sachliches Erzählen. Titus Müllers Part ist emotionaler. Das liegt auch an der Thematik.
An Amnons Beispiel wird klar, dass die Nachkriegsgeneration Probleme mit dem Opferstatus ihrer Eltern hatte. Als er dann eine Geige in der Hand hält, in der sich Asche befand, wurde die Vergangenheit zur Gegenwart. Nun widmet er sich den ramponierten Geigen, richtet sie wieder her und lässt sie von Orchestermusikern spielen. Gleichzeitig informiert er sich über die Geschichten, die hinter den Geigen stehen. Die Violins of Hope treten ihren Zug um die Welt an.
Amnons Frau Assi blickt auf eine andere Familiengeschichte zurück. Auch sie hat Angehörige verloren, die aber als Partisanen hinter den deutschen Linien und später in der roten Armee gekämpft haben.
Sehr gut gefallen haben mir die vielfältigen Informationen über jüdische Musik, die Tradition der Geiger und das jüdische Leben in Osteuropa, insbesondere in Vilnius.
Marek und Stani werden aus einem Ghetto bei der Annäherung der Roten Armee nach Dachau gebracht. Mareks Überlebenschancen stehen anfangs schlecht, denn der SS-Mann Köcher zertritt seine Geige und will ihn brechen. Doch der Kapo Willi nimmt sich der Brüder an. Willi ist Kommunist und hat sich seine Menschlichkeit in all den Jahren seiner Lagerhaft bewahrt. Er sorgt dafür, dass die beiden nicht in den jüdischen Block kommen. Marek erhält die Chance, im Lagerorchester zu spielen.
Das Eingangszitat stammt von Marek. Er stellt weitere ähnliche Fragen. Sein Ziel ist es, zumindest seinem Bruder das Überleben zu sichern. Als Geiger erhält er bessere Nahrung als die anderen. Davon gibt er ab. Trotzdem hat er ein schlechtes Gewissen, denn er weiß, was sie mehr bekommen, erhalten die andern Häftlinge weniger. Doch wer überleben will, muss Kompromisse machen.
Dass eine geniale musikalische Gabe nicht vor dem tod schützt, zeigt sich am Beispiel eines jungen russischen Trompeters. Am Abend unterhält er mit dem Orchester und als Solist die Bewacher des KZs, am nächsten Tag ist er einer der russischen Gefangenen, die kaltblütig erschossen werden.
Die Gefangenen spüren, dass der Krieg sich dem Ende zuneigt. Dabei fällt das folgende Zitat.

„...Bevor es vorbei ist, ...bringen sie uns Juden noch um. Dann haben sie wenigstens an einer Front gewonnen...“

Sehr bewegend war die Gegenüberstellung zweier Ärzte. Der eine, selbst Häftling, versucht zu retten, was zu retten ist. Für den anderen sind die Häftlinge Forschungsobjekte.
Ein Nachwort und ein Quellenverzeichnis ergänzen die Geschichte. Im Nachwort wird auf dargelegt, wer welchen realen Personen entsprach.
Das Buch hat mich tief berührt. Zweite Kapitel beginnt mit einem Zitat von Vaclav Havel. Damit möchte ich meine Rezension beenden.

„...Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat - egal wie es ausgeht...“