"Es waren", erklärte ich ihm, "die besten sechs Monate meines Lebens." Darauf folgte ein langes Schweigen. "Komisch, Clark, bei mir ist es genauso."
Inhalt:
Louisa Clark führt ein einfaches und bescheidenes Leben, sie liebt ihren Job, wohnt bei ihren Eltern, um sie finanziell zu unterstützen und weiß ganz genau, wie viele Schritte es benötigt, um von der Bushaltestelle bis zu ihrem Haus zu gelangen. Ihr Leben folgt festen Regeln und diese hat Louisa noch nie wirklich in Frage gestellt. Dies ändert sich, als sich die junge Frau eines Tages beim Arbeitsamt wiederfindet, ihr vorheriger Chef musste den Laden aufgeben und Lou entlassen. Sie bekommt einen Job bei der gutgestellten Familie Traynor als Pflegekraft bzw. Haushaltshilfe für dessen pflegebürftigen und im Rollstuhlsitzenden Sohn Will.
Will Traynor hat alles verloren, an was er geglaubt und was er geliebt hat. Seit einem Verkehrsunfall ist Will bis zum Hals gelähmt und in allen Lebenslagen auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Das Schlimmste, was ihm passieren konnte, denn der junge Mann hat sein altes Leben geliebt, war ständig in Bewegung, auf Reisen und hat das große Abenteuer gesucht. Sich nicht mehr eigenständig bewegen zu können raubt ihm jede Freude und Lust am Dasein.
Was beide noch nicht wissen, sie werden das Leben des Anderen komplett auf den Kopf stellen und jeder von ihnen, wird den Anderen verändern – für immer.
Meinung:
Manchmal wehre ich mich mit Händen und Füßen gegen eine Geschichte, nur weil sie von allen anderen Lesern gehypte wird. Ich weiß nicht so recht woran es liegt, aber mein Bedürfnis es den Anderen gleich zu tun, schwindet mit jeder Person, die ich mit dem Buch in der Hand sehe. „Ein ganzes halbes Jahr“ war auch so eine Geschichte. Ich konnte mich nicht für sie erwärmen, weil jede Frau im Zug sie zwischen den Fingern hielt und begierig darin versank. Warum ich mir die Erzählung von Will und Louisa dann doch mit nach Hause nahm, in Form eines Hörbuches, und warum ich sie mir dann wirklich auch anhörte, kann ich heute gar nicht genau sagen. Ich kann nur sagen, dass Will und Lou mein Leben verändert haben. Das klingt vielleicht etwas hochgestochen, aber ich meine es so, wie ich es hier niederschreibe. Sie haben mein Leben verändert, sie haben mich nachts mit ihrer Geschichte wach gehalten, sie haben mich dazu gebracht, dass ich mich in sie verliebt habe, mit Haut und Haaren.
Nun kann ich nachvollziehen, warum und weswegen dieses Buch so viele Menschen in seinen Bann ziehen konnte. „Ein ganzes halbes Jahr“ ist einfach wunderbar, unglaublich und atemberaubend. Mit ganz viel Gefühl und Sensibilität erzählt Jojo Moyes ihren Zuhörern eine herzzerreißende, mitreißende und außergewöhnliche Geschichte. Dabei greift sie ein Tabuthema auf, das bisher nur wenig, bis gar nicht in dieser Genrespate zu finden ist: Sterbehilfe und das Recht dazu, sein Leben durch Selbstmord selbst zu beenden. Wie ist das Leben im Rollstuhl? Wie fühlt es sich an, wenn man sich kaum bewegen kann und in allen Lebensbereichen auf Hilfe angewiesen ist? Schränkt es die Lebensqualität ein? Lässt es das eigene Lachen auf immer verstummen? Und wie fühlen sich Betroffene, denen ein ganz vertrauter Mensch plötzlich entzogen ist, weil sich seine Persönlichkeit nach und nach seiner Erkrankung anpasst? All diesen Fragen stellt sich Jojo Moyes hier und das auf sehr authentische und bewegende Weise.
"Die Sache ist die: Wenn man plötzlich in ein ganz neues Leben katapultiert wird oder jedenfalls auf einmal so eng mit jemanden zu tun hat, ist es, als würde man sich die Nase am Wohnzimmerfenster von fremden Leuten platt drücken - es bringt einen dazu, neu zu überdenken, wer man eigentlich ist. Oder wie man auf andere Leute wirkt"
Authentizität und Sympathie bringt sie besonders durch Louisa Clark in ihre Geschichte, denn diese ist für die Zuhörer - schon von den ersten Minuten an – nicht mehr aus der Geschichte wegzudenken. Lou ist eine Frau wie du und ich. Lou ist das Mädchen von Nebenan, das du morgens lieb grüßt. Lou ist die beste Freundin, die du nachts anrufst, wenn du vor lauter Herzschmerz nicht schlafen kannst. Lou ist die Tochter, die dich tröstend in den Arm schließt, wenn dein Leben schwer und dein Tag hart war. Lou ist die Schwester, die dir bestimmt sagt, dass du dich auf den falschen Weg begeben hast, die dich an der Hand nimmt und dich wieder auf den richtigen Pfad führt. Lou ist natürlich, lebensfroh, voller Farben, voller Klang, voller Energie, Lebenswillen und steht mit jeder Faser ihres Körpers hinter oder vor den Menschen, die sie liebt. Schlicht: Als Protagonistin ist Lou perfekt. Man lacht mir ihr, weint mit ihr, hofft mit ihr und kämpft mit ihr. Diese ganzen Persönlichkeitsmerkmale von ihr und die wunderschöne und von der Klangfarbe perfekt auf Lou zugeschnittene Hörbucherzählerin Luise Helm, schaffen es, dass man als Zuhörer komplett in die Geschehnisse eintauschen kann, sich ganz den Klängen hingibt, die mal laut, mal sanft aus den Boxen fließen und sich den Weg in den eigenen Kopf bahnen. Besonders die Symbiose aus Will und Lou setzt dem ganzen Geschehen dann noch das Sahnehäubchen auf. Zunächst kracht es zwischen den Beiden gewaltig, doch mit der Zeit lernen sie voneinander und was schließlich dabei rauskommt, das müsst ihr dann schon selbst herausfinden.
Zwischendurch lässt Jojo Moyes auch andere Figuren zu Wort kommen, wodurch die Geschichte an Tiefe und Facetten gewinnt. Sie schildert die Gefühle von Wills Mutter, die Erlebnisse von Wills Vater, wie Lous Schwester mit den Ereignissen umgeht und zuletzt auch, wie der angestellte Krankenpfleger Nathan, die Beziehung, die sich langsam zwischen Lou und Will entwickelt, erlebt. Gesprochen werden diese Rollen von: Ulrike Hübschmann, Romanus Fuhrmann, Nina West, Anne Helm und Reinhard Kuhnert. Die Kombination aus allen Ansichten ist gelungen und eröffnet auch noch einmal eine neue Perspektive auf das schwierige Thema des Werkes. Hier bekommt man ein Gefühl für die Gesamtsituation und erkennt die Problematik. Die anderen Sprecher haben zwar einen geringeren Sprechanteil, als die Luise Helm, trotzdem fühlt man sich durch ihre Passagen nicht aus der Handlung gebracht und lauscht ihnen gebannt und neugierig zugleich.
Die Erzählung ist generell, zu keiner Zeit langwierig oder hält sich großartig mit überflüssigen Handlungsausschnitten auf. Jojo Moyes konzentriert sich auf den wesentlichen Inhalt und geht dort in die Tiefe, wo es der Geschichte zuträglich ist. Dadurch entsteht ein angenehmes Tempo.
Fazit:
Manchmal überraschen einen die Geschichten am Meisten, denen man nichts zugetraut hat, an die man sich eigentlich nie heranwagen wollte, die man im Regal immer strafend angesehen hat – so wie bei mir. Im Grunde hatte ich mir vorgenommen, die Geschichte um Lou und Will niemals kennenzulernen, als ich es dann unbegreiflicherweise doch tat, haben mich die Beiden mitten ins Herz getroffen. Louisa Clark ist eine authentische, natürliche und unglaubliche sympathische Protagonistin, mit der man nur allzu gerne befreundet sein würde. Das Thema der Geschichte ist ungewöhnlich und gewagt und bricht mit einem langgeglaubten Tabuthema. Die Sprecher haben eindringliche und angenehme Stimmen, die vom Farbton her ihren Figuren entsprechen. Um es kurz zu machen: Jojo Moyes hat hier ein wunderbares Werk geschaffen, dessen leisen, lauten, sanften, harten, lustigen und dramatischen Tönen man sich nur zu gerne hingibt – hier stimmt nicht nur das Gesamtpaket, hier stimmt alles!