Diese Geschichte wird aus der Perspektive von Julian erzählt, einem siebzehnjährigen Abiturienten, der einem jungen Mann begegnet und sich Hals über Kopf in diesen verliebt - obwohl er bisher nie in Erwägung gezogen hatte, bisexuell oder gar schwul zu sein. Julian ist ein sehr sympathischer Protagonist und ich mochte sehr, wie authentisch seine widersprüchlichen Gedanken und Gefühle dargestellt wurden. Er hadert sehr mit dem, was er über sich selbst erfährt und was dies für sein Verhältnis zu seiner Familie bedeuten könnte; zugleich erlebt er zum ersten (und zweiten, und dritten...) Mal in seinem Leben wie es ist, Liebeskummer zu haben, aber auch wie es ist, frisch verliebt zu sein und keine Sekunde ohne den anderen verbringen zu wollen. Julian ist ein Protagonist, in den man sich sehr gut hinein versetzen kann und bei dem es Spaß macht, ihn auf seinem Weg durch Höhen und Tiefen zu begleiten.
Markus blieb für mich eine ganze Weile etwas blass, aber auch mit ihm wurde ich irgendwann warm. Es gab sehr viele süße Szenen zwischen den beiden, die mir beim Lesen das Herz erwärmten und mich ebenfalls schmachten ließen. Zugleich gab es aber auch Momente, in denen sie wütend aufeinander oder enttäuscht voneinander waren, wodurch sich ihre Beziehung zueinander weiterentwickeln konnte und stärker wurde. Auch die Nebencharaktere, allen voran Tim, haben mir sehr gefallen.
Über allen Handlungen schwebt die dunkle Wolke des Outings und wie Julians Familie wohl darauf reagieren wird. Dadurch kommt Spannung und Dramatik in die Geschichte, und das nicht zu knapp. Auch dieses Problem wirkte auf mich sehr authentisch und die daraus resultierende Belastung für Julian und seine Beziehung zu Markus konnte ich sehr gut nachvollziehen.
Leider gab es auch einige Dinge, die mich an der Geschichte sehr gestört haben.
Einige Abschnitte haben sich sehr gezogen. Die - laut offiziellen Angaben - 336 Seiten waren gefühlt eher 500 und es hätte der Geschichte gut getan, an manchen Stellen etwas schneller voran zu schreiten. Einige Male musste ich das Lesen unterbrechen, um später wieder neue Lust auf die Geschichte zu haben.
Auch hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin sei sich nicht sicher, wie aufmerksam ihre Leser die Geschichte verfolgen, denn einige dezente Erwähnungen wurden nur wenige Seiten später erneut wiederholt, bzw. so ausführlich erklärt, dass es auch wirklich JEDER beim schnellen überfliegen verstanden hätte. Das fand ich manchmal wirklich anstrengend und nervig.
Es gab einige "Zufälle", die mir zu gekünstelt daher kamen und einfach nicht realistisch wirkten; hier sage ich nur das Stichwort "Vanessas Wohnung".
Und zuletzt, aber leider auch am Schlimmsten: es schien (leider sehr oft) so, als ob Julian sich nicht mehr an seine eigenen Gedanken erinnern könnte, bzw. seine zuvor gemachten Eindrücke wieder vergessen würde. Insbesondere kam dies bzgl. einer bestimmten Person zum Vorschein. In einer Szene denkt er "ach, wahrscheinlich tut er nur so, als ob er homophob ist, weil er sich seine Gefühle nicht eingestehen will" und zwei Seiten weiter denkt er über dieselbe Person "nein, für den kann er keine Gefühle haben, er ist doch so homophob", dann wieder "tut er etwa nur so und das ist eine Fassade?" und gleich danach wieder "der ist so homophob, diesen Blick muss ich mir eingebildet haben". Julian hat eine Vermutung, die er aber in der nächsten Szene schon wieder vergessen hat und kurze Zeit später äußert er diese Vermutung erneut, so als ob sie ihm gerade erst in den Sinn gekommen wäre; um sie dann kurze Zeit später wieder zu ignorieren. Und dies passiert leider recht häufig im Mittelteil des Buches, sodass man ihn irgendwann anschreien will, doch in seinem eigenen Buch nachzulesen, was er vorhin gedacht hat.
Der zweite Teil der Reihe handelt von Tim, Julians bestem Freund, und Lukas. Deren Geschichte wird in diesem Teil quasi parallel erzählt und ist eine Nebenstory, die sehr viel Raum einnimmt. An sich hat mir die Einbindung dieser Geschichte in die Hauptstory sehr gut gefallen, allerdings frage ich mich schon, ob es in diesem Maße notwendig gewesen wäre, wo sie doch ihr eigenes Buch bekommen. Wäre dies ein Einzelband, hätte es für mich besser gepasst.
Fazit:
Ich wurde, trotz einiger großer Kritikpunkte, beim Lesen dieser Gay Romance sehr gut unterhalten. Es gibt in dieser Geschichte nur wenige erotische Szenen, die auch nicht zu ausschweifend erzählt werden, sodass sie sich sehr gut für Jugendliche oder Gay Romance Einsteiger eignet.
Es ist eine Geschichte über die erste Liebe und über den Mut, zu sich selbst zu stehen; über Freundschaft und wie sie jede Entfernung überwindet; über die unerschütterliche Liebe zur eigenen Familie trotz allem Leid, das diese verursachen kann; und über die Hürden, wie wahre Liebe überwinden kann, wenn beide Partner ernsthaft dafür kämpfen. Von mir erhält diese Geschichte 3,5 Sterne.