Poetische Wortgewalt
Da vorne wartet die ZeitWorum geht's?
In der Stadt am Waldrand leben Menschen, die nicht wissen, wie eng ihre Schicksale miteinander verwoben sind. Vielleicht wollen sie es auch einfach nicht wahrhaben. Denn in der Stadt am Waldrand ...
Worum geht's?
In der Stadt am Waldrand leben Menschen, die nicht wissen, wie eng ihre Schicksale miteinander verwoben sind. Vielleicht wollen sie es auch einfach nicht wahrhaben. Denn in der Stadt am Waldrand geschehen schreckliche Dinge und der Tod ist allgegenwärtig.
Meine Meinung:
"Da vorne wartet die Zeit" erzählt eine Geschichte, die wiederum selbst eine Geschichte erzählt. In der Stadt am Waldrand, einer scheinbar friedvollen und wunderschönen Stadt, leben Menschen, die alle ihre eigene Geschichte zu erzählen haben. Dabei merken sie nicht, dass sie alle unmittelbar und unweigerlich miteinander verbunden sind. Es gibt zwar eine grobe Handlung, die über allen Schicksalen schwebt, aber tatsächlich spielt sie kaum eine Rolle. Viel mehr sind es die komplexen und verstrickten Beziehungen der Charaktere, die zusammen ein dichtes, wunderschönes und zerbrechliches Netz aus schrecklichen Geheimnissen und düsteren Machenschaften ergeben.
Einen Einstieg in die Geschichte zu bekommen fällt einem zu Beginn sehr schwer. Mit jedem Kapitel lernt man einen neuen Charakter kennen. Nur einen kurzen Moment, einen Bruchteil seines Lebens darf man miterleben, ehe man sich wieder verabschieden muss. Zunächst wirken die Kapitel und ihre Bedeutung sehr willkürlich. Dass die Szenen viel mehr sind als kurze Einblicke in fremde Leben, wird einem erst im Verlauf des Romans wirklich bewusst. Alles, jeder noch so kleine Augenblick hat in "Da vorne wartet die Zeit" eine Bedeutung inne, dessen Gewicht man nicht einmal erahnen kann.
Der Tod zieht sich durch die gesamte Handlung und sorgt für eine melancholische Atmosphäre, die das Herz rasen und stillstehen, die einem heiß und kalt werden lässt. Das Leben hat mit den Bewohnern der Stadt am Waldrand kein Mitleid und setzt sie extremen Schicksalsschlägen aus. Wer dem Tod nicht persönlich begegnet, bekommt ihn in unmittelbarer Nähe zu spüren. "Da vorne wartet die Zeit" ist ein emotionaler Roman über den Tod, der einem deutlich macht, wie zerbrechlich das Leben ist und welche Bedeutung selbst kleine Entscheidungen haben können. Lilly Lindner bringt ihre Leser zum Nachdenken und zwingt jeden, der das Buch an sich heranlässt, auf zärtliche und zugleich brutale Weise dazu, in sein eigenes Herz zu schauen.
Lilly Lindner hat in "Da vorne wartet die Zeit" keine feste Hauptfigur. Mit jedem neuen Kapitel stellt sie einen weiteren Charakter vor, indem sie einen kleinen, aber entscheidenden Splitter seines Lebens beschreibt. Im Grunde lernt man sogar nur ein Fragment ihrer Persönlichkeit kennen und obwohl diese Momente nur sehr kurz sind, wirken die Figuren lebendig und authentisch. Für einen Augenblick darf man diesen Fremden ganze nahe sein und das Gefühl bekommen, sie zu kennen, zu verstehen. Doch wer sie wirklich sind, zeigt sich erst im Verlauf des Romans, wenn die verschiedenen Schicksalsstränge sich endlich zu einem komplexen Bild zusammensetzen.
"Da vorne wartet die Zeit" ist jedoch kein Buch, das man an einem Stück durchlesen sollte. Es ist ein Roman über schwere Schicksale, die berühren und bedrücken. Jeder einzelne Charakter hat seine eigene Geschichte, die es verdient hat, gewürdigt zu werden, und die man erst einmal sacken lassen muss, ehe man weiterlesen kann. Wer das Buch in einem Rutsch durchliest, setzt sich der Gefahr aus, nicht die volle Bandbreite der Gefühle zu spüren zu bekommen oder gar den Überblick über die zahlreichen Figuren zu verlieren.
Lilly Lindners Schreibstil ist besonders und speziell, hält aber für jeden, der sich darauf einlässt, jede Menge Gänsehaut parat. Die junge Autorin schreibt poetisch, ausdrucksstark und bildgewaltig zugleich und geht ihren Lesern damit direkt unter die Haut. Wer ein Lindner-Neuling ist, wird zu Beginn sicher ein paar Schwierigkeiten haben und sich nicht auf Anhieb in diesen sonderbaren Schreibstil verlieben. Sobald sich die berührende Atmosphäre erst einmal aufgebaut hat, möchte man "Da vorne wartet die Zeit" aber am liebsten auf jeder Seite mit Post-Its bestücken, um die schönsten Textpassagen nicht aus den Augen zu verlieren.
Fazit:
"Da vorne wartet die Zeit" von Lilly Lindner ist ein berührendes Buch über eine Stadt voller Schicksale, die alle miteinander verwoben sind und sich in ihrem zerbrechlichen Leben dem Tod stellen müssen. Die junge Autorin schreibt ihren Lesern mit ihrer poetischen und wortgewaltigen Sprache direkt ins Herz und lässt sie mit unzähligen Gedanken und Gefühlen zurück, die man nicht in Worte fassen kann. "Da vorne wartet die Zeit" ist ein Buch, das man selbst erleben muss. Ein Buch, das verändert. Für "Da vorne wartet die Zeit" vergebe ich 5 Lurche, die dem Buch nicht einmal ansatzweise gerecht werden können.