Profilbild von Leselurch

Leselurch

aktives Lesejury-Mitglied
offline

Leselurch ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Leselurch über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein zwiespältiger Roman über Mobbing und seine Konsequenzen

Das wirst du bereuen
1

Worum geht's?
Emma Putnam ist tot – und Sara und ihre beste Freundin Brielle sind schuld daran. Sie haben Emma mit ihren Demütigungen in den Selbstmord getrieben und sollen sich nun vor Gericht für ihre ...

Worum geht's?
Emma Putnam ist tot – und Sara und ihre beste Freundin Brielle sind schuld daran. Sie haben Emma mit ihren Demütigungen in den Selbstmord getrieben und sollen sich nun vor Gericht für ihre Taten rechtfertigen. Absoluter Unsinn, wie Sara findet. Schließlich hat sich Emma nicht umgebracht, weil alle sie für eine Schlampe hielten – sondern weil sie eine war. Dass Emma da den einen oder anderen Denkzettel von Brielle und Sara erhalten musste, versteht sich doch von selbst. Und dass sie sich schließlich umbringen wollte, ist doch ihre eigene Entscheidung gewesen. Emmas Entscheidung ganz allein…

Meine Meinung:
Es gibt unzählige Bücher über Mobbing und es gibt wohl niemanden, der noch keines gelesen hat. In der Schule zählen sie mittlerweile zu den Pflichtlektüren, um die Schüler über das Thema aufzuklären und vor den Konsequenzen zu warnen. Amanda Maciel schlägt mit ihrem Debüt, dem Jugendthriller „Das wirst du bereuen“, die gleiche Richtung ein – und ist doch ganz anders als die Mobbing-Bücher, die man sonst in den Buchhandlungen finden kann. Die Autorin beschäftigt sich nämlich nicht, wie sonst typisch, mit dem Opfer, sondern mit den Tätern. Sie beleuchtet in ihrem Roman genau die Seite, die man sonst klischeehaft als bösartig abstempelt und nicht genauer untersucht. „Du wirst bereuen“ ist ein Roman, der sich mit der Gegenseite beschäftigt und zeigen will, warum es überhaupt erst zum Mobbing kommen muss.

Amanda Maciel erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen: dem „Davor“ und dem „Danach“. Während man Sara einerseits in der fiktiven Gegenwart, also nach dem Selbstmord ihrer Mitschülerin Emma, bis zu ihrem Gerichtstermin begleitet, springen einige Kapitel zurück in die Vergangenheit, in der Emma noch gelebt hat. Man erlebt, wie sich Saras Leben durch Emmas Tod verändert hat, wie sie sich selbst verändert hat, und welche Konsequenzen sie nun zu erwarten hat – oder auch nicht. Durch die Rückblicke erfährt man zudem Stück für Stück, was Emma in den Selbstmord getrieben hat, und diese Kapitel haben es wirklich in sich.

Protagonistin Sara ist absolut keine Hauptfigur, mit der man sympathisieren kann. Sie und ihre beste Freundin Brielle gehören zu jenen Mädchen, die sich stets für etwas Besseres halten. Arrogant, überheblich und auf eine ungesunde Weise von sich selbst überzeugt haben sie sich an die Spitze der Hackordnung ihrer Schule gekämpft, indem sie andere schikanieren, beleidigen und demütigen. Es macht ihnen Spaß, ihre Macht zu demonstrieren, und sie lassen keine Gelegenheit aus, Späße aus Kosten anderer zu machen. Sara und Brielle sind grausam und eiskalt – und machen sich damit weder bei ihren Mitschülern (obwohl sie natürlich nie wagen würden, es zuzugeben) noch bei ihren Lesern beliebt.

Saras Grausamkeit und ihre felsenfeste Ansicht, keine Schuld an der Tragödie zu tragen, machen es wirklich unmöglich, sie ins Herz zu schließen. Selbst nach Emmas Selbstmord pocht sie darauf, dass ihre „kleinen Späße“, die in Wahrheit viel tiefer gehen als man es sich vorstellen mag, stets lustig gewesen seien. Egoistisch, wie sie ist, regt sie sich sogar darüber auf, dass sich nun alle nur noch um Emma scheren und sich niemand darum kümmert, wer Emma wirklich gewesen ist. Sara ist auf ihre Weise eine Protagonistin, die einen so sehr abstößt, dass man unweigerlich fasziniert von ihr ist. Fassungslos klebt man an den Seiten, weil man nicht fassen kann – oder eher nicht fassen will -, dass ein solches Verhalten an manchen Schulen tatsächlich Gang und Gäbe ist.

Im Verlauf der Geschichte wird sehr deutlich, dass hinter Sara viel mehr steckt als ein oberflächliches Mädchen, das sich keiner Schuld bewusst ist. Je mehr Zeit man mit ihr verbringt, je näher man sie kennenlernt, desto deutlicher wird, wieso sie sich so ekelhaft verhalten hat. Sympathiepunkte sammelt Sara damit nicht und die Gründe entschuldigen ihr Verhalten auch nicht, aber Amanda Maciel schafft es tatsächlich, dass man ihre Protagonistin auf gewisse Weise verstehen kann. Man kann ihre Wut, ihre Abscheu gegenüber Emma nachvollziehen, und ertappt sich so manches Mal sogar selbst dabei, dass man das verstorbene Mädchen in einem schlechten Licht betrachtet. „Das wirst du bereuen“ geht mit seiner Thematik definitiv unter die Haut und bewegt zum Nachdenken.

Was mir bis zur letzten Seite gefehlt hat, war eine klare Darstellung von Emma Putnam, dem Opfer in der Geschichte. Wer war dieses Mädchen wirklich? Was hat sie zu ihren Entscheidungen und Handlungen bewegt, bevor sie in ihren Selbstmord getrieben wurde? Wie verlief ihr Leben, bevor sie an die Elmwood High kam? Für mich war Emma ein einziges Rätsel und ich hätte gerne mehr von ihr erfahren. Nicht nur aus Neugierde, sondern auch, um ihre endgültige Entscheidung besser nachvollziehen zu können. Während der Rückblenden macht Emma einen insgesamt toughen, manchmal etwas schwächelnden, aber niemals einen selbstmordgefährdeten Eindruck auf mich. Emma war für mich leider nicht der komplexe Charakter, den ich erwartet hätte.

Der Abschluss der Geschichte wirkte auf mich leider viel zu gestellt und zu gewollt. Das Verhalten, das Sara vor Gericht schließlich an den Tag legt, passt überhaupt nicht zu ihr und ihrer Persönlichkeit, die man im Verlauf der Geschichte kennengelernt hat. Vielmehr scheint es so, als würde Amanda Maciel ihrer Protagonistin um jeden Preis noch ihren Seelenfrieden schenken wollen. Ob sie es verdient oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt, aber die plötzliche Erkenntnis Saras hat der Geschichte leider einiges an Glaubwürdigkeit geraubt.

Fazit:
„Das wirst du bereuen“ von Amanda Maciel ist ein schockierender Roman über Mobbing und seine Konsequenzen, der sich im Gegensatz zu den vielen anderen Büchern zu diesem Thema mal nicht mit dem Opfer, sondern mit dem Täter beschäftigt. Auf erschreckende und realistische Art zeigt Maciel in ihrem Debüt, was die junge Sara gemeinsam mit ihrer besten Freundin Brielle dazu bewegt, ein anderes Mädchen nach allen Regeln der Kunst zu demütigen – und sogar in den Selbstmord zu treiben. Es ist ein Roman, der es verdient hat, gelesen und beachtet zu werden. Der zum Nachdenken bewegt. Trotzdem hätte Maciel an einigen Stellen mehr aus ihrem Debüt herausholen können: Emmas Charakter war mir zu blass und das Ende der Geschichte hat dem Roman in meinen Augen leider viel Glaubwürdigkeit geraubt. Für „Das wirst du bereuen“ vergebe ich gute drei Lurche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mochte ich es – oder mochte ich es nicht?

Der Ozean am Ende der Straße
0

Worum geht's?
Es war nur ein Ententeich, ein Stück weit unterhalb des Bauernhofs. Und er war nicht besonders groß. Lettie Hempstock behauptete, es sei ein Ozean, aber ich wusste, das war Quatsch. Sie behauptete, ...

Worum geht's?
Es war nur ein Ententeich, ein Stück weit unterhalb des Bauernhofs. Und er war nicht besonders groß. Lettie Hempstock behauptete, es sei ein Ozean, aber ich wusste, das war Quatsch. Sie behauptete, man könne durch ihn in eine andere Welt gelangen. Und was dann geschah, hätte sich eigentlich niemals ereignen dürfen … (Quelle: Eichborn)

Meine Meinung:
In „Der Ozean am Ende der Straße“ entführt Neil Gaiman seine Leser in ein modernes Märchen für Erwachsene: Man begleitet einen Mann, der zu einer Beerdigung in seine Heimatstadt zurückkehrt, auf eine phantastische Reise in die Vergangenheit. Um für einen Moment für sich allein zu sein, geht er zu dem Ententeich am Ende der Straße, den er als siebenjähriger Junge als Ozean bezeichnet hat – nein, den Lettie Hempstock so genannt hat! Lettie, das starke Mädchen, mit dem er Dinge erlebt hat, die einem nicht in der uns bekannten Welt zustoßen würden.

Nach der betrübten Einleitung, die einen in keiner Weise auf den Handlungsverlauf vorbereitet, springt Neil Gaiman zurück in die Kindheit seines Protagonisten. Gemeinsam mit dem Jungen, dessen Namen man nicht erfährt, entdeckt man die Magie in unserer realen Welt. Es ist keine schöne Magie, auf die man trifft, aber auch keine, die man einfach in Gut und Böse unterteilen kann. Es ist eine skurrile Magie, wie man sie von Neil Gaiman kennt.

Stellenweise hatte ich jedoch das Gefühl, dass der Roman tiefer gehen wollte als es die Geschichte hergab. „Der Ozean am Ende der Straße“ greift Themen auf, schneidet Mythen und Legenden an, die den Eindruck erwecken, groß und bedeutsam zu sein, ohne diesem Anspruch – zumindest zwischen den Buchdeckeln – gerecht zu werden.

Die Frage, die sich mir dabei aufdrängte, war natürlich, ob Neil Gaiman dies auch überhaupt will. Will er über die phantastische Traumszenerie hinaus? Will er den entstehenden Erwartungen gerecht werden? Ich unterstelle ihm, dass er als Autor mehr will als seine Leser zu unterhalten – und das, Erwartungshaltung hin oder her, ist ihm bei mir nur mäßig gelungen.

Für mich war „Der Ozean am Ende der Straße“ schlichtweg nicht rund genug. Während ich mich einerseits absolut von Gaimans besonderem Schreibstil verzaubern, mich in seine fantastische Welt entführen lassen konnte, wurde ich von Kapitel zu Kapitel unfreiwillig von mehr Fragen und Gedanken begleitet, die die magische Leseatmosphäre erheblich gestört haben. Ein „Mal so, mal so“, dass mich nach der letzten Seite in einer Zweckmühle sitzen ließ: Mochte ich es nun, oder mochte ich es nicht?

Dass Neil Gaiman ein besonderer und talentierter Autor ist, steht wohl völlig außer Zweifel. Er schreibt mit einer einzigartigen Magie, einer Intensität, die er in jedes seiner Worte legt. Die Poesie seiner Schreibe strahlt eine besondere und träumerische Atmosphäre aus, die perfekt zu der traumhaften Handlung passt. Fans von phantastischer Literatur, die eine ganz eigene Welt in der unseren erschafft, die etwas Skurriles und Neues in das Unbekannte einfließen lässt, ja, die unserem Leben das Unnatürliche und Magische hinzufügt, kommen bei Neil Gaiman stets auf ihre Kosten.

Fazit:
Mochte ich es – oder mochte ich es nicht? Diese Frage zu beantworten fällt mir im Fall von „Der Ozean am Ende der Straße“ von Neil Gaiman tatsächlich nicht leicht. Einerseits hat mich Gaiman mit seiner außergewöhnlichen Schreibe und seiner skurrilen Magie absolut in seinen Bann gezogen, andererseits war der Roman für mich in einigen Punkten nicht rund genug. Es waren vor allem die mich unfreiwillig begleitenden Fragen und Gedanken, die sich von Kapitel zu Kapitel dominanter in meinem Kopf auftürmten, die mir die einzigartige Leseatmosphäre und somit auch den Lesespaß vermiesten. Nichtsdestotrotz hat „Der Ozean am Ende der Straße“ definitiv einen gewissen Reiz auf mich ausgeübt, den ich nicht verleugnen kann. Für „Der Ozean am Ende der Straße“ vergebe ich daher unentschlossene drei Lurche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ich sehe was, was offensichtlich ist.

Ich sehe was, was niemand sieht
0

Worum geht's?
Charley hat Visionen. In kurzen, heftigen Blitzen sieht und hört sie Dinge, die sie nicht zuordnen kann: Das angsterfüllte Gesicht eines Mädchens. Schreie. Das Rattern eines Zuges. Charley ...

Worum geht's?
Charley hat Visionen. In kurzen, heftigen Blitzen sieht und hört sie Dinge, die sie nicht zuordnen kann: Das angsterfüllte Gesicht eines Mädchens. Schreie. Das Rattern eines Zuges. Charley ist sich sicher, dass ihre Blitze ihr eine schreckliche Wahrheit zeigen, doch niemand glaubt ihr. Niemand – bis auf ihre beste Freundin Natalie, die vor wenigen Tagen durch ein Zugunglück starb. Als kurze Zeit später erneut ein Mädchen auf den Gleisen umkommt, ermittelt der junge Police Officer Tom Henson an dem Fall. Zufällig treffen er und Charley aufeinander. Als Charley Tom von ihren Blitzen erzählt, kann er es zunächst nicht fassen. Doch er glaubt ihr. Zusammen machen sich Charley und Tom auf die Suche nach der Wahrheit. Eine Wahrheit, die grausamer kaum sein könnte…

Meine Meinung:
Mit „Ich sehe was, was niemand sieht“ feiert Tim O’Rourke sein deutschsprachiges Debüt. Es handelt sich um einen Mystery-Thriller für Jugendliche, der von der Idee her ein wenig an die „Bodyfinder“-Serie von Kimberly Derting erinnert: Ein Mädchen mit einer besonderen, übersinnlichen Gabe ist die einzige, die einen vermeintlichen Serienmörder zur Strecke bringen kann. Unterstützend steht ihr ein gutaussehender, wohlerzogener junger Mann zur Seite, der schon bald mehr für sie sein soll. Morde, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, und eine Liebesgeschichte, die einem zugleich das Herz erwärmt – eine Mischung, wie sie ein guter Jugendthriller für mich haben sollte.

Dass Tim O’Rourke gut schreiben kann, möchte ich ihm nicht absprechen. Sein Schreibstil ist sehr flüssig, gut lesbar und lässt einen rasch durch die Seiten fliegen, wodurch „Ich sehe was, was niemand sieht“ durchaus ein gewisses Pageturner-Feeling mit sich bringt. Leider war das für mich auch bitter nötig, denn ohne die lockere Sprache und das rasante Erzähltempo hätte ich das Buch wohl immer wieder zur Seite gelegt. Nach einem vielversprechenden Start in die Geschichte, der mich neugierig auf Charley, ihre Gabe und die Wahrheit hinter den schrecklichen Zugunglücken gemacht hat, flaute „Ich sehe was, was niemand sieht“ stetig weiter ab.

Schuld daran waren für mich vor allem die beiden Protagonisten. Charley, die siebzehnjährige Halbwaise mit einer besonderen Gabe, und Tom, der zwanzigjährige Neuling bei der Kripo, teilen sich die Rolle des Erzählers und schildern die Geschehnisse abwechselnd aus ihren eigenen Perspektiven. Auf diese Weise bekommt man Einblicke in ihre Gedanken und Gefühle, die auf mich viel zu naiv und zu willkürlich wirkten. Hätte Tim O’Rourke das Alter seiner beiden Protagonisten nicht explizit erwähnt, hätte ich die beiden viel jünger eingeschätzt. Sie handeln oftmals sehr leichtsinnig, Charley sogar extrem weinerlich und überstürzt, und ihre Beziehung zueinander konnte ich im Kontext des Buches leider überhaupt nicht ernst nehmen.

Der Plot konnte mich mit voranschreitender Handlung jedoch auch nicht überzeugen. Viel zu schnell hatte ich das Geheimnis hinter den Zugopfern durchschaut. Tim O’Rourke hat die vermeintlich falsche Spur viel zu offensichtlich beschrieben, sodass einem aufmerksamen Leser spätestens nach der Hälfte des Buches klar sein sollte, wer hinter den Grausamkeiten steckt. Die Auflösung am Ende des Romans empfand ich schließlich als unglücklich, nicht ganz passend und teils nicht vollkommen schlüssig. Für meinen Geschmack hat der Autor hier zu sehr auf eine jüngere Leserschaft gebaut, der alles vorgekaut werden muss und die nicht jedes kleine Detail in Frage stellen wird. Von einem Police Officer, der den Arbeitsalltag eines Polizisten sehr klischeehaft, aber wohl treffend beschrieben hat, hätte ich mir ein dichteres und realistischeres Handlungsnetz gewünscht.

Auf den letzten Seiten findet man eine exklusive Kurzgeschichte, die vor den Ereignissen des Romans spielt und sich mit einem Mordfall auf der Polizeischule beschäftigt. Tom spielt hier ebenfalls eine Rolle, wenn auch nur als Nebencharakter. Allerdings stellt man sich sehr schnell die Frage, woher Tom seinen guten Ruf als Polizist haben soll – besonders schlau stellt er sich in dieser Kurzgeschichte jedenfalls nicht an. Für Fans des Romans ist die knapp 20 Seiten lange Story sicherlich ein nettes Gimmick, zum Verständnis von „Ich sehe was, was niemand sieht“ steuert sie jedoch nichts bei.

Fazit:
„Ich sehe was, was niemand sieht“ von Tim O’Rourke konnte mich leider nicht überzeugen. Obwohl ich ein großer Fan von Mystery-Thrillern für Jugendliche bin und mir die Idee hinter der Geschichte sehr gut gefallen hat, musste ich schon nach wenigen Seiten einsehen, dass ich mit den Charakteren nicht warm werden würde. Für ihr Alter handeln die beiden Protagonisten Charley und Tom zu weinerlich, willkürlich und unglaubwürdig. Leider schlägt sich auch die Vorhersehbarkeit der Geschichte stark auf die Atmosphäre aus, sodass mich „Ich sehe was, was niemand sieht“ leider nicht mitreißen oder begeistern konnte. Ein Pageturner ist Tim O’Rourkes Roman aber dennoch, denn dank seines Schreibstils bin ich in Windeseile durch die Seiten gerauscht. Schreiben kann er, aber mit dem Rest konnte mich der Autor leider nicht überzeugen. Für „Ich sehe was, was niemand sieht“ vergebe ich leider nur 2 Lurche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Zu viele Themen verderben das Buch"

Die fünf Leben der Daisy West
0

Worum geht's?
Daisy ist immer für sich allein gewesen. Sie hat sich von ihren Mitschülern distanziert und sie nicht an sich herangelassen. Freundschaften würden sich für die Fünfzehnjährige ohnehin nicht ...

Worum geht's?
Daisy ist immer für sich allein gewesen. Sie hat sich von ihren Mitschülern distanziert und sie nicht an sich herangelassen. Freundschaften würden sich für die Fünfzehnjährige ohnehin nicht lohnen, denn sie bleibt niemals länger an einem Ort. Sie ist Teil eines Forschungsprojektes, in welchem ein mysteriöses Medikament getestet wird. "Revive" heißt das Mittel, das die Toten zurück ins Leben holen kann - und Daisy scheint den Tod beinahe anzuziehen. Da das Projekt streng geheim ist, muss Daisy nach jedem Tod eine neue Identität annehmen und in eine andere Stadt ziehen. Nun, in ihrem fünften Leben, heißt sie Daisy West und lebt in Omaha, der Stadt, in der sich alles ändern soll. Daisy findet zum ersten Mal Freunde, die sie um keinen Preis verlieren will, und lernt sogar ihre erste große Liebe kennen. Dieses Mal darf sie nicht sterben! Sie beginnt, das Projekt zu hinterfragen, und bemerkt erst viel zu spät, dass sie damit einem Geheimnis auf die Spur kommt, das ihren endgültigen Tod bedeuten könnte...

Kaufgrund:
"Die fünf Leben der Daisy West" habe ich in der Buchhandlung liegen sehen und ich konnte es einfach nicht dort lassen. Das Cover, die Farben - hach! Ja, es war ein Coverkauf, aber ich habe mir nach einem Blick auf den Klappentext auch einiges von der Geschichte erhofft!

Meine Meinung:
"Die fünf Leben der Daisy West" beginnt aufregend, rasant und spektakulär. Direkt auf der ersten Seite wird man Zeuge davon, wie Daisy das vierte Mal stirbt. Sofort türmen sich unzählige Fragen im eigenen Kopf, die man am liebsten sofort beantwortet haben möchte. Die Neugierde ist geweckt, man möchte wissen wie es weitergeht und man hat definitiv Lust auf Mehr!

Leider verfällt die Geschichte ebenso rasant, wie sie begonnen hat, in einen langatmigen Trott. Fortan liest sich die Geschichte nur noch ganz nett und es baut sich keine mitreißende Spannung mehr auf. Statt weiter auf Daisys interessantes Leben einzugehen und die komplexe Geschichte dahinter zu erläutern, hat sich Cat Patrick dazu entschieden, die erste Hälfte des Romans wie eine normale Highschool-Geschichte weiterlaufen zu lassen.

Erst ab der zweiten Hälfte geht es wieder bergauf, doch die Spitze des Berges ist noch weit entfernt. Dies liegt vor allem an dem tragischen und dramatischen Teil der Geschichte: Audreys Schicksal. Wer ohnehin emotional veranlagt ist, der wird hier sicherlich auf ganzer Linie mitleiden. Eines muss man Cat Patrick lassen: Ihr Buch vermittelt eine gute Moral. Sie versucht ihren Lesern zu zeigen, dass man trotz schlimmer Rückschläge im Leben niemals aufgeben darf. Man muss sich stets darum bemühen, aus einer Situation das beste herauszuholen.

Die Autorin hat mit ihrem Roman eindeutig zu viel gewollt. Ist es nun eine Liebesgeschichte? Wollte sie eine Art Dystopie schaffen, einen Science-Fiction-Roman? Ein Buch über den Wert des Lebens? Oder ist es doch ein Agentendrama? "Die fünf Leben der Daisy West" ist ein Geschichtschaos mit viel zu vielen Handlungssträngen, die alle zwar angeschnitten werden, von denen allerdings kein einziger wirklich aufrichtig behandelt wird - ganz nach dem Motto "Zu viele Themen verderben das Buch"!

Zum Ende hin wird "Die fünf Leben der Daisy West" noch einmal richtig spannend. Es entwickelt sich sogar ein mitreißender Lesefluss, der einen an die Seiten fesselt. Voller Hoffnung auf ein Ende, das dem guten Start das Wasser reichen kann, verschlingt man die letzten Kapitel - und ist maßlos enttäuscht. Ist das große Geheimnis erst einmal gelüftet, macht sich eine Enttäuschung breit, die kaum noch greifbar ist. Das Ende ist zu schnell abgehandelt, lässt viel zu viele Fragen offen und ist zudem völlig unlogisch. Was Cat Patrick sich dabei hat, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Mit diesem Abschluss erhält man bedauerlicherweise einen sehr negativen Blickwinkel auf die Geschichte. So viele Logikfehler machen "Die fünf Leben der Daisy West" nahezu kaputt!

Daisy ist eine sympathische Hauptfigur, mit der man sich augenblicklich gut versteht. Leider reicht ein liebenswürdiger Charakter nicht aus, um einen überzeugenden Protagonisten aus ihm zu formen. Daisy ist trotz ihrer komplizierten Vergangenheit und ihrem geheimnisvollen Leben ein viel zu gewöhnliches Mädchen, das nicht besonders ausfällt oder aus der Masse heraussticht. Im Verlauf der Geschichte beginnt sie zwar, sich zu entwickeln - sie taut auf, lässt Menschen an sich heran und lässt sogar Gefühle zu -, aber all ihre Fortschritte sind eher ruhiger Natur. Nachdem auf dem Klappentext eine aufregende Protagonistin versprochen wurde, die ein "waghalsiges" und "riskantes" Leben führt, habe ich eine energiegeladene Daisy erwartet, die die Handlung mit ihrem spontanen und risikofreudigen Leben immer wieder in Schwung bringt. Die falschen Erwartungen haben dafür gesorgt, dass ich von Daisy als Figur enttäuscht war - und das hat die umgängliche Daisy eigentlich nicht verdient. Wäre ich ohne diese Vermutungen an Daisy herangegangen, hätte sie mir wohl besser gefallen können.

Insgesamt sind die Charaktere allesamt sehr nett gestaltet, können aber nicht mit Tiefgründigkeit punkten. Sie werden wohl nicht lange im Gedächtnis bleiben, dafür sind sie zu oberflächlich, zu durchschnittlich. Bloß die lebenslustige Audrey, die mit einem schweren Schicksal zu kämpfen hat, sticht aus der Masse hervor und kann mit ihrem Charakter sowohl beeindrucken als auch berühren.

Cat Patricks Idee hinter dem Medikament "Revive" hat mir unglaublich gut gefallen und mich sehr neugierig auf dieses Buch werden lassen. Umso enttäuschter war ich, als ich das Buch dann tatsächlich las. Denn die Autorin lässt ihre eigene Idee viel zu kurz kommen. Während des gesamten Romans wird das Medikament eher nebensächlich behandelt, obwohl es so viele Fragen dazu gibt: Wie sind die Wissenschaftler darauf gestoßen? Wie genau funktioniert es (einen kleinen Hinweis gibt es ja)? Leider hat Cat Patrick hier sehr viel Potenzial verschenkt.

Den romantischen Part der Geschichte fand ich schlussendlich ganz nett, obwohl ich zu Beginn doch sehr skeptisch war. Das lag vor allem daran, dass Daisy Matt - Achtung, es wird innovativ - auf den ersten Blick am liebsten verschlingen würde. Sie bezeichnet ihn sogar als "megascharf". Ja, diese Liebesgeschichte macht es einem anfänglich sehr schwer, sie ernst zu nehmen und gut zu finden. Durch die tragischen Entwicklungen im Handlungsverlauf gewinnt die Beziehung jedoch immer mehr an Tiefe und Intimität. Sie blüht auf, sodass man letztendlich trotz des schweren Starts gerne wissen möchte, wie es mit den beiden weitergeht. Überzeugen kann die Liebesgeschichte allerdings bis zur letzten Seite nicht.

Cover:
Obwohl ich kein Fan von Mädchen auf Covern bin, hat mich dieses Cover doch sehr angesprochen. Das Farbenspiel ist bezaubernd! Außerdem hat sich der Verlag etwas ganz besonderes ausgedacht: Auf dem Cover haften Klebezettel, die etwas über die einzelnen Leben von Daisy aussagen und zeigen, wie sie gestorben ist. Ein tolles Extra!

Fazit:
"Die fünf Leben der Daisy West" ist ein nettes Buch für Zwischendurch, aber leider nicht mehr. Zu viele Logikfehler sorgen dafür, dass man Stück für Stück die Lust am Buch verliert und am Ende sogar ziemlich enttäuscht ist. Für eine tolle Idee, die leider nicht gut umgesetzt wurde, gibt es leider nur gute 2 Sterne.