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Veröffentlicht am 23.06.2018

Drei Frauenschicksale

Der Zopf
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Warnung! Der Klappentext verrät zu viel! Wenn möglich nicht vorher lesen!

Ein richtiger Zopf besteht aus drei einzelnen Strähnen, die sich am Ende zusammenfügen. Genauso ist dieser Roman von Laetitia ...

Warnung! Der Klappentext verrät zu viel! Wenn möglich nicht vorher lesen!

Ein richtiger Zopf besteht aus drei einzelnen Strähnen, die sich am Ende zusammenfügen. Genauso ist dieser Roman von Laetitia Colombani. Er erzählt von drei sehr unterschiedlichen Frauen, die auf den ersten Blick nicht wirklich viel gemeinsam haben. Und doch verbindet sie einiges...

Die Geschichten der drei Frauen wechseln sich immer wieder ab. Wir lesen zuerst über Smita aus Indien, dann über Giulia aus Sizilien und Sarah aus Kanada und jeder Part endet mit einem kleinen Cliffhanger, sodass man das Gefühl bekommt einfach weiterlesen zu wollen. So begleiten wir abwechselnd Smita, Giulia und Sarah in ihren sehr verschiedenen Leben.

Die Autorin hat mich besonders mit dem Strang rund um Smita beeindruckt. Diese ist eine Dalit, eine Unberührbare, die am untersten Ende der Gesellschaft steht. Sie hat keinerlei Rechte und null Chancen mehr aus ihrem Leben machen zu können. Die Beschreibung ihrer Aufgabe, der Einsammlung von Exkrementen höher gestellter Inder wird sehr eindringlich beschrieben. Den Gestank konnte ich durch die lebendige Beschreibung fast riechen. Ebenso erfährt man detailiert von der Arbeit ihres Ehemann Nagajaran, einem Rattenfänger. Sein Fang ist das tägliche Essen seiner Familie. Lohn erhält Smita keinen, bestenfalls ein paar Essenreste. Smita's größter Wunsch ist es ihre Tochter Lalita in die Schule zu schicken und ihr ein ähnliches Schicksal als Müllsammlerin zu ersparen. Mit Nagajaran hat sie einen guten Ehemann gefunden und die Beiden geben ihr gesamtes Erspartes einem Lehrer, damit Lalita die Schule besuchen kann. Dieser nimmt das Geld, verwehrt Lalita aber den Unterricht. Smita kann diese Schmach nicht hinnehmen und flieht mit ihrer Tochter...
Man erfährt in Smitas Abschnitt sehr viel über das Kastensystem, dem Glauben, die Armut und die Diskriminierung von Frauen. Nachdem man die Verbrennung der Witwen großteils abgeschafft hat, haben diese Frauen denselben Status wie Dalits und werden geächtet. Es ist schockierend zu lesen, wie Frauen in Indien behandelt und die Gesetzte missachtet werden.

Der Abschnitt um Giulia in Sizilien konnte mich anfangs nicht sofort begeistern. Giulia ist die jüngste Tochter der letzten sizillianischen Perückenmanufaktur in Palermo. Hier werden noch Echthaarperücken aus ausschließlich sizilianischen Haaren geflochten. Im Gegensatz zu ihren Schwestern interessiert sie sich für das kleine Firmenunternehmen und arbeitet selbst fleißig mit. Giulia möchte später in die Fußstapfen des Vaters treten. Das passiert allerdings schneller als ihr lieb ist, denn als ihr Vater nach einem Verkehrsunfall im Koma liegt, entdeckt sie, dass die Firma hoch verschuldet ist und auch der Privatbesitz samt Haus gepfändet werden kann. Ihre Mutter und ihre Schwestern tendieren zur Aufgabe der Fabrik. Kunsthaar oder Haare aus anderen Ländern kommen nicht in Frage. Sie bestehen auf Tradition oder Verkauf, doch Giullia glaubt an Weiterentwicklung und will nicht so schnell aufgeben. Als sie sich in einem Mann mit Flüchtlingsstatus verliebt, beginnt sie zu kämpfen - für die Fabrik, die Arbeiter und die Liebe.

Die Dritte im Bunde ist Sarah, die in Montreal, Kanada lebt. Sie erscheint neben Smita und Giulua wie ein Mensch von einem anderen Stern. Sie ist eine Karrierefrau, alleinerziehend und steht kurz davor Partner in der Anwaltskanklei zu werden, in der sie arbeitet. Als Frau muss sie noch härter arbeiten, Schwäche ist unerwünscht, denn "In einem Haifischbecken sollte man lieber nicht bluten". Sarah lebt den Perfektionismus und hat alles im Griff....bis ihr das Schicksal ein Schnippchen schlägt und sie schwer erkrankt. Sie verschweigt ihre Krankheit, wie sie auch ihre Kinder verschwiegen hat und bemerkt sehr schnell, dass Schwäche und Krankheit ein Hindernis ist, um mitspielen zu dürfen...

Sehr gefallen hat mir der Aufbau des Romans - die drei Handlungsstränge, die einander beeinflussen und sich am Ende verbinden...wie ein Zopf.

Smitas Erzählstrang ist eindeutig am intensivsten und hat mich sehr berührt. Alle drei Protagonistinnen kämpfen gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Missachtung der Menschen- und Frauenrechte und für ein besseres Leben, manchmal auch ums Überleben. Der rote Faden der sich durch den Roman zieht, ist das Haar. Für alle drei Frauen haben Haare eine besondere Bedeutung, die ich hier nicht verraten möchte.

Inhaltlich steckt in diesem nur 288 Seiten starken Buch sehr viel. Einzig die Nebenfiguren blieben etwas blass. Die Autorin hat sich größtenteils auf ihre drei Protagonistinnen fixiert.
Das Ende fand ich etwas abrupt und hier hätte ich mir gerne noch mehr Seiten gewünscht. Es werden zwar die wichtigsten Fragen beantwortet, es bleiben jedoch ein paar davon offen. Man kann sich aber selbst das weitere Schicksal von Smita, Giulia und Sarah vorstellen und blickt auf einen hoffnugsvollen Ausgang der Geschichte.

Schreibstil:
Der aussagekräftige und klare Schreibstil der Autorin hat mir sehr gut gefallen. Laetitia Colombani schreibt sehr einfühlsam und bildhaft. Dialoge gibt es kaum, dafür viel indirekte Rede. Die Gedanken und Gefühle von Giulia und Sarah hätten noch mehr in die Tiefe gehen können.


Fazit:
Ein bemerkenswerter Debutroman über drei beeindruckende Frauen, der mir noch lange im Gedächtnis beleiben wird. Gerne hätte ich noch mehr über Smita, Giulia und Sarah gelesen...ein paar mehr Seiten hätten der Geschichte gut getan. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 15.06.2018

Komplex und brandaktuell

Solothurn spielt mit dem Feuer
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Letztes Jahr habe ich die Krimis aus unserem Nachbarland, der Schweiz, entdeckt und bin seitdem ein richtiger Fan geworden ;) Mit "Solothurn spielt mit dem Feuer" darf ich nun den dritten Band der Reihe ...

Letztes Jahr habe ich die Krimis aus unserem Nachbarland, der Schweiz, entdeckt und bin seitdem ein richtiger Fan geworden ;) Mit "Solothurn spielt mit dem Feuer" darf ich nun den dritten Band der Reihe rund um die Solothurner Katonspolizei lesen.

Christof Gasser hat nichts mit einem langen Vorgeplänkel am Hut, sondern man wird als Leser bereits im Prolog Zeuge wie ein Scharfschütze einen serbischen Kriegsverbrecher eliminiert.
Danach sind wir im titelgebenden Solothurn, wo Kantonspolizist Dominik Dornnbach zu einem grausamen Fund gerufen wird. Unterhalb der Ruine Balm wurde ein Kinderskelett gefunden. Während er sich auf die Suche nach der Identität des Kindes macht, geht in der Kanzlei von Richter Scheurer eine Briefbombe hoch, die seine Sekretärin schwer verletzt. Vor wenigen Tagen hat er ein umstrittenes Urteil gesprochen, bei dem Dr. Weingarten, eine schweizer Juristin, die zum Islam konvertiert ist und die fundamentalistische Vizepräsidentin des Hamdala Rates ist, die Verteidigung inne hatte. Kurze Zeit später ist auch Scheurers Sohn Jonas verschwunden. Jana Casagrande hält sich zur selben Zeit in Genf auf, wo man eine islamische Terrorzelle hochgehen lassen möchte. Das Unterfangen misslangt und die Anführer konnten fliehen. Währenddessen steht die Identität des toten Jungen fest, der schon vor Jahren vom sogenannten "Bubenfresser" getötet wurde. Dieser starb im Gefängnis. Dornbach und Kollegin Maja sind ratlos, denn wer kannte außer dem Täter noch das Versteck der Leiche, die erst jetzt umgebettet wurde? Wurde damals der falsche Mörder verhaftet?

Fragen über Fragen....viele Personen und Namen erleichtern den Einstieg nicht gerade und die reichlichen Handlungsstränge tun das Übrige. Für mich war es etwas leichter, da ich den Vorgänger bereits kannte. Für Einsteiger dürfte es zu Beginn etwas schwer sein die vielen Figuren zuzuordnen. Der Krimi ist sehr vielschichtig und fordert Aufmerksamkeit.
Als Leser rätselt man, ob und wie die einzelnen Handlungsstränge zusammenhängen oder ob es sich um einzelne Straftaten handelt. Christoph Gasser versteht es immer wieder neue Fährten zu legen und überraschende Wendungen einzubauen. Ich habe bis zum Ende nicht erraten, wer der oder die Täter ist/sind.

Auch diesmal hat sich der Autor dem Fremdenhass, sowie dem islamischen Terror gewidmet. Dabei versteht er es nicht zu polarisieren und differenziert sehr wohl zwischen Fanatiker und normale Anhänger einer Religion. Private Einblicke lassen hinter die Fassade von Dominik Dornbach, Jana Cranach von der Europol, Angela Casagrande oder Dornbachs Tochter Pia blicken. Dabei wetteifern Jana und Angela in diesem Band um Dornbach, was zu einigen problmatischen Handlungen führt.
Die Charaktere sind authentisch, wobei sich Casagrande diesmal in einer echten Lebenskrise befindet und deren Handeln mir des öfteren unglaublich den Kopf schütteln hat lassen.

Schreibstil:
Christof Gassers Schreibstil ist angenehm, aber temporeich. Spritzige Dialoge lockern die Krimihandlung auf. Lokalkolorit spielt ebenfalls eine große Rolle.
Ein Glossar mit Schweizer Ausdrücken und Begriffen findet man am Ende des Krimis. Mittlerweile habe ich mich schon an die Wörter wie "parkieren" (parken, einparken) oder dass es in der Schweiz kein "scharfes s" gibt, gewöhnt. Viele Wörter ähneln auch dem österreichischen Dialekt.

Fazit:
Der dritte Teil rund um die Solothurner Kantonspolizei ist vielschichtig, abwechslungsreich und komplex. Dabei ist er ebenso brandaktuell und brisant und liest sich äußerst spannend! Ich mag einfach die Krimis aus unserem Nachbarland Schweiz, die mit Hochspannung und Lokalkolorit punkten!

Veröffentlicht am 31.05.2018

Auch in der idyllsischen Wachau wird gemordet

Jenseits auf Rezept
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Ich liebe es Bücher zu lesen, die dort spielen, wo ich wohne?. Sehr viele gibt es ja nicht, aber dieses Jahr ist es schon der zweite Roman/Krimi, der in der Wachau spielt, den ich lesen durfte.
"Jenseits ...

Ich liebe es Bücher zu lesen, die dort spielen, wo ich wohne?. Sehr viele gibt es ja nicht, aber dieses Jahr ist es schon der zweite Roman/Krimi, der in der Wachau spielt, den ich lesen durfte.
"Jenseits auf Rezept" ist ein klassischer Regionalkrimi, der den Leser miträtseln lässt. Es ist Band 2 rund um Major Paul Eigner, den ich schon in "Faule Marillen" kennenlernen durfte. Der Krimi kann aber auch ohne Vorkenntniss zu Teil 1 gelesen werden.

Als die alte Rosl Nienführ tödllich die Kellertreppe hinunterstürzt und Tobias Fischer im Bett eines "natürlichen" Todes stirbt, glaubt noch niemand an Mord. Doch dann wird die attraktive Sonja König, die im neuen Therapiezentrum für einen Anstieg der männlichen Patienten verantwortlich ist, als vermisst gemeldet. Bald darauf wird die Leiche der sportlichen jungen Frau aus der Donau gefischt. War es ein Mord aus Eifersucht? Oder Konkurrenzneid? Oder ist jemand aus Sonjas Vergangenheit aufgetaucht, die sie seltsamer Weise unter Verschluss hält? Major Paul Eigner ermittelt....

Nach der Versetzung vom Posten in Klein Dürnspitz, wo Major Paul Eigners Wiedersacher Stierschneider endlich seinen Chefposten bekommen hat, ist Paul eigentlich sehr zufrieden mit seinem Job im kriminalpolizeilichen Beratungsdienst bei der Kremser Kriminalpolizei. Als er zur Leiche von Sonja König gerufen wird, ist er sich sicher, dass es sich um Mord handelt. Und es gibt auch einige Personen, die nicht so begeistert von der wunderhübschen Sonja sind. Auch Rosl Nienführs Tochter glaubt nicht an einem normalen Sturz über die Kellertreppe ihrer Mutter, die erst operiert wurde und sich sicherlich nicht über die steilen Treppen in den Keller wagen würde. Hängen etwa die Todesfälle doch zusammen?

Die Autorin versteht es immer wieder falsche Spuren zu legen. Es gibt jede Menge Verdächtige, trotzdem habe ich bis zum Schluss gerätselt, wer der Täter ist. Der Krimi ist eher unblutig, bietet aber auf einigen Seiten einige grausige Szenen, bei denen die Autorin ihre Fortbildung bei diversen Body Farms in den USA miteinfließen lassen konnte. (Anmerkung Wikipädia: Als Body Farm wird im Allgemeinen ein Gelände bezeichnet, auf dem wissenschaftliche Studien zu postmortalen Veränderungen an Menschen, also über Verwesungsprozesse von Leichen, an freier Luft erfolgen können). Nun lässt eure Fantasie spielen....

Der Krimi beinhaltet viel Atmosphäre und Lokalkolorit. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Man bemerkt eindeutig eine Steigerung zum ersten Fall. Der Spannungsbogen beginnt zwar auch diesmal eher spät anzusteigen, jedoch mochte in den Krimi kaum aus der Hand legen. Der Autorin gelang es eine gelungene Mischung zwischen Polizeiarbeit und Major Eigners Privatleben zu vermitteln.

Charaktere:
Die Figuren sind sehr lebendig gezeichnet und kommen sicher jedem Leser auch im realen Leben unter, wie die geschwätzige Gebetspielerin oder die etwas von oben herab agierende Mutter von Doktor Donaubaumer. Pauls Schwester Hanni, ist eine gutmütige Seele, die ihren Bruder verwöhnt, den Vater pflegt und einheimisches Produkte erntet, verarbeitet und verkauft. Sie ist immer mit Rat und Tat zur Stelle. Dabei hat sie mit ihrem Mann nicht gerade das große Los gezogen, der als schmieriger Politiker zu Hause keinen Finger krümmt und sich lieber im Dorfwirtshaus herumtreibt. Hanni gerät diesmal auch an ihre Grenzen.... Auch der Enkel von Paul, Simon, spielt wieder eine kleine Rolle und die Ex-Kollegin aus "Faule Marillen" Dorothea Dürr, arbeitet lieber mit Paul zusammen, als mit ihrem neuem Chef Stierschneider.
Auch die Figuren im Therapiezentrum sind sehr authentisch beschrieben.

Schreibstil:
Lisa Lerchers Schreibstil lässt sich einfach sehr gut lesen. Man fühlt sich mitten im Geschehen und lebt mit den Figuren mit. Da ich die Gegend, in der dieser Krimi spielt selbst kenne, hatte ich alle Plätze sofort vor Augen. Ich denke aber, dass sich jeder Leser die wunderschöne Umgebung der Wachau durch die detaillierten und bildhaften Beschreibungen der Autorin wunderbar vorstellen kann. Auch der manchmal trockene Humor kommt nicht zu kurz.
Der Krimi wird aus der Sicht von Major Paul Eigner in der 3. Person erzählt. Es gibt keine Kapitel, die einzelnen Abschnitte sind durch Sternchen getrennt.

Fazit:
Lisa Lercher ist mit diesem klassischen Regionalkrimi eine großartige Milieustudie gelungen. Der Krimi beginnt langsam und trotzdem kann man ihn schwer aus der Hand legen. Die Geschichte lebt vorallem durch die bildhafte Beschreibung der Gegend und den ausgezeichneten Charakterdarstellungen. Eine eindeutige Steigerung zu Band 1 und eine Leseempfehlung für alle Krimifreunde!

Veröffentlicht am 22.05.2018

Ein etwas anderes Krebsbuch - sehr empfehlenswert!

Liebe wird aus Mut gemacht
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Dieser Roman von Catharina Junk ist als Hardcover unter dem Titel "Auf Null" im August 2016 erschienen, der nun als Taschenbuch mit der abweichenden Benennung "Liebe wird aus Mut gemacht" veröffentlicht ...

Dieser Roman von Catharina Junk ist als Hardcover unter dem Titel "Auf Null" im August 2016 erschienen, der nun als Taschenbuch mit der abweichenden Benennung "Liebe wird aus Mut gemacht" veröffentlicht wurde. Ich überlegte bereits vor zwei jahren den Roman zu lesen und bin lange um ihn herumgeschlichen. Ich habe das Buch damals aber nicht gelesen, da beim Erscheinungsdatum meine Tochter Nina genauso alt wie die Protagonistin, die ebenfalls Nina heißt, war. Da hat mich der Klappentext doch etwas abgeschreckt. Außerdem war ich zu dieser Zeit auch ein bisschen überstättigt von Romanen mit diesem Thema.
Nun habe ich ihn mir aber doch aus der Bücherei mitgenommen und innerhalb von wenigen Tagen gelesen.
Ich bin wirklich froh dieses Buch gelesen zu haben, denn dieser Roman ist anders als viele Krebsbücher!

Auch wenn man in Rückblenden den Alltag im Krankenhaus mit Nina durchlebt, den sie mit viel Sarkasmus zu überleben versucht, so spricht der Roman vorallem die Ängste nach der Entlassung an. Diese Zweifel und Ninas Unsicherheit transportiert die Autorin sehr gut. Man empfindet all die Emotionen, die das junge Mädchen durchläuft, beginnend mit der Diagnose, den Kampf gegen die Leukämie-Erkrankung verbunden mit vielen Rückschlägen und der totalen Unsicherheit nach dem Verlassen des Krankenhauses. Hier breitet sich Hoffnung aus, doch Nina kann sich diesem Gefühl der Zuversicht nicht hingeben. Sie muss wieder lernen dem eigenen Körper zu vertrauen und den Schritt zurück ins Leben zu meistern. Das beginnt bei ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder Theo, der sich während ihrer Krankheit benachteiligt fühlt und sich der Religion zuwendet. Hat eine Sekte ihn in ihren Fängen?

Auch Ninas Freundinnen reagieren unterschiedlich auf die Diagnose. Während sich ihre ziemlich oberflächliche Schulfreundin Isabelle in der Zeit von Ninas Krankenhausaufenthalt abwendet, aber bei ihrer Rückkehr ins Leben versucht Nina wieder zu integrieren, ist ihre beste Freundin Bahar jeden Tag im Krankenhaus und versucht alles um sie von der Krankheit abzulenken und sie zu "retten", was jedoch im Laufe der Zeit zu einem Bruch der Freundschaft führt.
Als Nina Erik kennenlernt und sich in ihn verliebt, kann sie ihre Ängste vor einem Rückfall nicht abstellen und gibt der Beziehung erstmals keine Chance.

"Angst klopft an, Vertrauen öffnet. Keiner war draußen." - Seite 366

Ninas Angst, die sie mit ihrem wunderbaren Sarkasmus bewältigt und damit zu versuchen lernt mit ihrer Krankheit umzugehen, vermittelt die Autorin wirklich großartig. Bis zum Ende hin ist man als Leser nicht sicher, ob sich das Blatt nochmals wendet oder nicht...wird Nina überleben?

„Dort treffe ich auf andere wie mich. Drei Glatzen, zwei Mützen, zwei gute Perücken, eine sehr schlanke Liza-Minelli-Perücke und eine weitere Pudelfrisur. Es ist eine große, dünne, blonde Frau, quasi Königspudel, ich dagegen: Zwergpudel.“ - Seite 107

Obwohl es sich um ein schwieriges und trauriges Thema handelt, hat die Autorin es geschafft die Geschichte richtig zu dosieren. Nur zum Ende hin wird es ein bisschen unglaubwürdig, wenn Nina gleich zweimal als große Retterin ins Spiel kommt. Das ist aber meckern auf hohem Niveau!

Schreibstil:
Catharina Schreibstil ist jugendlich und trotzdem tiefgründig. Der Roman wird mit viel Fingerspitzengefühl erzählt. Die Autorin schreibt aus der Sicht von Nina und kann sich mühelos in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen. Auch Humor blitzt immer wieder zwischen den Zeilen auf, besonders wenn die Hauptprotaginsitin ihre sarkastischen Bemerkungen loslässt.
Die Charaktere wurden authentisch und glaubhaft dargestellt - bis hin zu den einzelnen Nebencharakteren.

Fazit:
Die facettenreiche und tragikomische Geschichte hat mich mitgenommen und beim Lesen trotzdem positiv gestimmt. Die Autorin hat das Thema Krebs erfrischend anders behandelt und sich mit den Ängsten der Protagonistin nach der "erfolgreichen" Behandlung befasst. Der Roman ist lebensbejahend und erzählt vom langen Weg zurück in die Normallität. Ich empfehle ihn gerne weiter!

Veröffentlicht am 11.05.2018

Tolles Sittenbild Südafrikas zur Zeit der Apartheit

Summ, wenn du das Lied nicht kennst
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Dieser nicht nur von außen liebevoll gestaltete Roman glänzt auch mit einem eindrucksvollen Inhalt, der uns nach Südafrika in die 1970er des Apartheitregimes führt.
Es ist die Zeit der Rassenunruhen und ...

Dieser nicht nur von außen liebevoll gestaltete Roman glänzt auch mit einem eindrucksvollen Inhalt, der uns nach Südafrika in die 1970er des Apartheitregimes führt.
Es ist die Zeit der Rassenunruhen und die Willkür der weißen Minderheit gegenüber der schwarzen Mehrheit.

In dieser Zeit wächst die neunjährige Robin in Johannesburg auf. Sie verlebt eine unbeschwerte Kindheit bis ihre Eltern eines Abends von Schwarzen ermordet werden. Robin und ihr schwarzes Kindermädchen Mabel werden auf die Polizeistation gebracht, wo Mabel misshandelt und Robin völlig allein gelassen wird. Ab diesem Zeitpunkt erlebt der Leser den grenzenlosen Hass zwischen den Rassen und die verschiedenen Sichtweisen. Ganz klar wird aufgezeigt, wie Kindern genau das nachplappern und nachleben, was ihnen ihre Eltern vorleben. Obwohl Robin ihr Kindermädchen Mabel über alles liebt, ist es für sie zum Beispiel selbstverständlich, dass Mabel nicht ihre Toilette benutzen darf. Durch den Tod ihrer Eltern ist Robin plötzlich Waise und kommt vorerst zu ihrer Tante Edith. Diese wollte selbst nie heiraten und Kinder und fühlt sich der Verantwortorung nicht gewachsen.
Hier kommt Beauty ins Spiel, eine gebildete Xhosa-Frau, die noch eine Ausbildung als Lehrerin machen durfte, bevor es der schwarzen Bevölkerung untersagt wurde. Sie ist Witwe und alleinerziehende Mutter. Sie ist auf dem beschwerlichen Weg von der Transkei nach Johannesburg um ihre vermisste 17jährige Tochter Nomsa zu suchen, die bei der Demonstration schwarzer Schüler in Soweto in den vordersten Reihen stand. Beauty kommt bei Edith unter und kümmert sich großteils liebevoll um Robin.

Die sehr unterschiedlichen Lebensumstände von Beauty und Robin werden mit viel Tiefgründigkeit und teilweise sehr dramatischen Szenen dargestellt. Die beiden Hauptprotagonistinnen erzählen aus ihrer Sicht, wobei der Part von Robin oft passend zu ihrem Alter naiv-kindlich daherkommt. Trotzdem sind ihre Aussagen oft unheimlich stark und berührend und zeigen ihre verletzte kindliche Seele.
Beauty hingegen ist eine starke Persönlichkeit, die Robin zeigt, dass es weder auf Rasse, Alter oder Religion ankommt, sondern auf Liebe, Familie und Freundschaft. Dabei lässt sie nie ihr Ziel aus den Augen ihre Tochter zu finden und nach Hause zu bringen.

Trotz des teilweise traurigen und erschreckenden Inhalts gelingt es der Autorin mit ihrer poetischen Sprache den Leser an die Seiten zu fesseln. Bianca Marais spricht aber nicht nur die Rassenprobleme an, sondern generell über die Ausgrenzung von Randgruppen wie Homosexuellen und Juden. Dazwischen gibt es aber auch witzige Szenen, vorallem zwischen Robin und ihrem Freund Morris, die sich mit der Bedeutung von Fremdwörtern, die sie aufgeschnappt haben, übertrumpfen möchten und äußerst interessante und lustige Bedeutungen dafür von sich geben.

Über Südafrika zur Zeit der Apartheit wusste ich viel zu wenig. Ich war zu der Zeit in der das Buch spielt fast genauso alt wie Robin und kann mir kaum vorstellen, was sie alles in diesem Alter durchmachen musste. Einige Passagen haben mich sehr mitgenommen. Unvorstellbar wie brutal gegen Kinder vorgegangen wird oder dass Schwarze keine ärztliche Hilfe (abseits der Hospitals für Schwarze), erhalten, selbst bei einem lebensgefährlichen Herzinfarkt. Das hier der Leitsatz der Ärzte völlig außer Acht gelassen wird, hat mich zutiefst entsetzt. Dieser Roman ist ein Plädoyer gegen Rassismus und Andersartigkeit!

Das Buch war bis etwa 100 Seiten vor dem Ende ein absolutes Highlight und hätte von mir 5 Sterne und den "Lieblingsbuchstatus" erhalten. Doch leider hat Bianca Marais das Ende etwas vermasselt. Robin scheint sich die Vorbilder aus ihren Detektivromanen wie "Die schwarze Sieben" und "Fünf Freunde" etwas zu sehr als Vorbild genommen zu haben. Die Autorin verirrt sich hier in einige unglaubwürdige Passagen und wollte wohl etwas mehr Spannung in die Geschichte bringen. Diese Szenen mit Robin haben leider das wunderbare Flair des Romans ein bisschen zerstört. Mich hat es etwas traurig gemacht, denn diese Geschichte ist wirklich etwas ganz besonderes und wird noch lange in meiner Erinnerung bleiben.

Schreibstil:
Der poetische, feinfühlige und wirklich eindrucksvolle Schreibstil der Autorin hat mich von der ersten Seite an berührt und in die Geschichte versinken lassen. Durch die lebendigen Schilderungen der Begebenheiten und der Gedanken und Gefühle von Beauty und Robin kommt der Leser den beiden Protagonisten sehr nahe.

Cover:
Der Wunderraum Verlag hat sich auf liebevoll ausgestattete Romane mit einem schönen Innenleben, einem Buchrücken aus Halbleinen und einem bedruckten Lesebändchen spezialisiert. Ich habe bereits ein Buch aus dem zum Random House gehörenden Verlag gelesen und war schon bei "Zartbitter ist das Glück" begeistert von diesem Schmuckstück. Auch "Summ, wenn du das Lied nicht kennst" ist wieder eine Augenweide und lässt mich glücklich über den Einband streichen, dessen Grafiken sich daraus erheben.

Fazit:
Ein wunderbarer Debütroman, der mich berührt und mitgenommen hat in die 1970er Jahre nach Südafrika. Die Autorin hat einen wundervollen poetischen Schreibstil und der Roman wäre ein absolutes Highlight geworden, hätte sie die letzten hundert Seiten nicht etwas zu unglaubwürdig dargestellt. Mit dem abenteuerlichen Ende hat sie dem Buch leider das Flair ein bisschen genommen. Trotzdem eine Leseempfehlung!