Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.05.2018

Die glückliche Jugend eines friedlichen Amerikas

Die Geschichte der Baltimores
0

„Die Katastrophe des Lebens. Es gab immer Katastrophen, es wird immer Katastrophen geben, und das Leben geht trotzdem weiter. Katastrophen sind unvermeidlich. Sie haben im Grund keine große Bedeutung. ...

„Die Katastrophe des Lebens. Es gab immer Katastrophen, es wird immer Katastrophen geben, und das Leben geht trotzdem weiter. Katastrophen sind unvermeidlich. Sie haben im Grund keine große Bedeutung. Wichtig ist nur, wie wir sie überwinden.“


Inhalt


Marcus Goldman, erfolgreicher Schriftsteller, verarbeitet in diesem Buch seine eigene Lebensgeschichte oder zumindest die seiner glorreichen Kindheit und Jugend. Gemeinsam mit seinem Cousin Hillel und Woodrow, dem Ziehsohn der Familie Goldman verbringt er unvergleichliche Tage in Baltimore. Die drei Halbwüchsigen sind eine richtige Gang, sie teilen alles, unterstützen sich wo sie können und holen aus dem Gegenüber stets das Beste raus. Gemeinsam gehen sie durch dick und dünn und sind wahre Brüder im Herzen. Marcus steckt voller Bewunderung für den intelligenten Hillel und den Footballstar Woody und würde am liebsten seine eigene Familie gegen ein Leben an der Seite seiner Cousins eintauschen. Aber Marcus bleibt immer ein bisschen außen vor, muss wieder fahren, wenn die Ferien zu Ende gehen und das Anwesen seines geliebten Onkels Saul zumindest für eine Weile verlassen. Rückblickend erzählt er nun, warum die Goldmans aus Baltimore in seinen Augen so wunderbar waren aber auch, wie die Bilderbuchfamilie ihrem Untergang geweiht war, wie bald alle Mitglieder ums Leben kamen und eine Katastrophe das ganze Universum eines Menschen auf den Kopf stellen kann. Denn in der Gegenwart ist Marcus der Einzige, der Bilanz ziehen kann und in seinem Buch eine Versöhnung zwischen Menschen herstellt, die sich zu sehr liebten und zu wenig gönnten, um miteinander unbeschwert durchs Leben gehen zu können.


Meinung


Dies war mein erster Roman des prämierten Autors Joel Dicker, der auch mit diesem, seinem zweiten Roman monatelang auf den Bestsellerlisten vertreten war und ich habe ihn gern gelesen. Mit leichter Erzählstimme und äußerst genau gezeichneten Charakteren vermag er es, eine wirkliche Geschichte zu erschaffen, die obgleich ihrer fiktiven Seite, dennoch ein äußerst realistisches Familienporträt entwirft.


Auf gut 500 Seiten darf der Leser in die Welt des Marcus Goldman eintauchen, hinein in ein glückliches Idyll mit großartigen Menschen und liebevollen Elternhäusern. Die kleinen Gesten, die zahlreichen Handlungspunkte, die netten Gespräche, all das zeichnet diesen Roman aus. Immer fühlt man sich kurzweilig und gut unterhalten, nie wird es langweilig, nie unvorstellbar, sondern stets scheint das Leben selbst der Autor des Buches gewesen zu sein. Und obwohl die Handlung sehr willkürlich und oft in Zeit und Raum springt, passt auch dieser Schachzug zum Text, denn dadurch das Marcus eine Art übergeordnete Erzählperspektive vertritt, stellt sich der Leser darauf ein, von ihm nur stückchenweise die ganze Wahrheit offenbart zu bekommen. Die Anfangs erwähnte Katastrophe zeichnet sich erst im zweiten Drittel des Buches ab und auch die Vorgeschichte der Vergangenheit kommt erst dann ans Tageslicht.


Und so gern, wie ich dieses Buch auch gelesen habe, so gibt es zwei Punkte, die mich nicht vollends überzeugen konnten. Zum ersten ist es eine gewisse Banalität der Geschehnisse, denn eigentlich erfährt man hier nur von einer Freundschaft, an deren Erhalt der Zahn der Zeit nagte, die Menschen betraf, die sich verändert haben und nicht mehr wie die einstigen Teenager heere Träume hegten. Dafür benötigt man aber keine 500 Seiten Text, das kann man kürzer uns straffer erzählen. Auch die Katastrophe an sich, ist so typisch amerikanisch, dass sie mich schon wieder stört, weil sie ins Klischee verfällt. Auch die Tatsache, dass es anscheinend ewig dauert, bis man den Kern der Erzählung erreicht, hat mir nicht sonderlich gefallen und letztlich stört mich vor allem eins: es ist ein bitterer Einzelfall, eine Tragödie nur für die Baltimores, ein hausgemachtes Problem, eine recht willkürliche Sache, die mir über das Buch hinaus nur wenig Ansatzpunkte für weitere Gedankengänge offenbart. Man klappt die Geschichte zu und wird sie wieder vergessen, es ist alles gesagt, alles vergeben, alles vergessen und die Menschen, die damit leben müssten, sind tot.


Der Text hat mich darüber hinaus immer wieder an einen Film erinnert, ich könnte mir vorstellen, dass diese Geschichte als Spielfilm weit mehr in Erinnerung bleiben könnte, als in Textform. Dort würden auch die Rückblenden und Vorausgriffe besser wirken und die Charaktere könnten zur Höchstform auflaufen.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen Familienroman über eine amerikanische Familie, deren Traum von der glorreichen Zukunft im Sand verläuft. Hier findet man eine interessante Story, Protagonisten mit Herzblut und spannende Hintergründe. Menschlich gesehen konnte mich diese Geschichte nicht bewegen, blieb mir zu oberflächlich und erhebt auch nicht den Anspruch mehr vermitteln zu wollen. Sie wirkt eher beispielhaft und durchaus persönlich, doch es ist die Art und Weise der Erzählung, die hier überzeugt, wenn auch nur so lange, wie man liest. Mir hätte sie generalistischer und weniger detailliert noch etwas besser gefallen. So bleibt es die Geschichte der Baltimores, die es nicht mehr gibt.

Veröffentlicht am 29.05.2018

Das Schweigen war kein Gutes

Mehr Schwarz als Lila
0

„Ein schönes Bild, das von Jugend erzählt, von Freiheit und dem Jetzt. Die Jugend, und wenn sie bei Jugend immer von Freiheit sprechen, dann deshalb, weil sie vergessen haben, dass Gefühle endlos scheinen.“


Inhalt


Alex ...

„Ein schönes Bild, das von Jugend erzählt, von Freiheit und dem Jetzt. Die Jugend, und wenn sie bei Jugend immer von Freiheit sprechen, dann deshalb, weil sie vergessen haben, dass Gefühle endlos scheinen.“


Inhalt


Alex ist Teil einer gut funktionierenden Dreierfreundschaft, bei der sie in ihren schwarzen Klamotten die sein kann, die sie ist, weil auch ihre Freundin Ratte mit den Rastalocken, nicht in ein Schema passt und Paul, der dritte im Bunde für das intellektuelle Niveau sorgt. Gemeinsam sind sie stark und passen aufeinander auf. Dieses Gleichgewicht wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, nachdem der junge Referendar Herr Spitzing den Unterricht übernimmt. Denn plötzlich wird der neue Lehrer für Alex zu einer Größe, die ihre Freundschaft belastet, denn Offenheit bezüglich ihrer Gefühle kann sie sich nicht leisten, weder gegenüber dem Lehrer noch gegenüber ihren Freunden. Und als Ratte auch noch eine andere Frau in ihr Herz lässt, zerbricht das, wofür Alex bisher gelebt hat. Ein wir gibt es nicht mehr und für ein Du fehlt ebenfalls jegliche Grundlage …


Meinung


Nachdem mich sowohl die Thematik, als auch die positiven Rezensionen sehr angesprochen haben, wollte ich diesen Roman über eine 17-Jährige mit ihren Ängsten und Nöten nur zu gern lesen, nicht zuletzt, weil mich die Ausgangssituation sehr an meine persönliche Geschichte erinnert hat. Und tatsächlich gelingt es der, mit mir fast gleichaltrigen, Autorin ein sehr bewegendes, authentisches Buch über das Erwachsenwerden zu schreiben, über die Wucht der ungebremsten Gefühle, über Zweifel, Probleme und Ängste, die zwar nicht immer eine dramatische Grundlage haben aber für die Jugendlichen doch das Zentrum ihres Lebens sind. So fängt sie ihre Protagonisten sehr ehrlich und offen, sehr emotional und impulsiv ein, zeigt aber auch, dass ihr Handeln zwar auf zahlreichen, mannigfaltigen Gedankengängen beruht, die Wirkung aber teilweise eine ganz andere ist, als gewünscht.


Das Besondere an diesem Buch ist sicherlich auch seine Sprache, die in kurzen Sätzen, manchmal nur Fragmenten eine bunte Palette an ernsthaften, wichtigen Überlegungen aufgreift und sie einfach so in den Raum hineinstellt, als könnte man sich genau das nehmen, was man möchte und das andere einfach stehen lassen. Sehr interessant auch der Schachzug mit dem Adressaten des Buches. Denn „Mehr Schwarz als Lila“ richtet sich eigentlich an Herrn Spitzing, jenen Lehrer, der für Alex so viel mehr sein sollte, als eine Aufsichtsperson. Trotzdem wirkt das „Du“ im Text nicht fremd, man kann es gut verallgemeinern und fühlt sich als Leser sicherlich noch mehr angesprochen als derjenige, der hier verstehen sollte, was er zerstört hat und warum er Alex dennoch weitergebracht hat auf ihrem persönlichen Weg in die Freiheit.


Was mir neben der hervorragend dargestellten Geschichte über das Erwachsenwerden gefehlt hat, ist eine gewisse Bedeutsamkeit, die über das Profane hinausgeht. Es fiel mir zwar nicht schwer, mich in die Protagonisten hineinzuversetzen, doch manchmal wirkte das Geschehen viel zu einfach, zu belanglos, zu uninteressant. Gerade der Part mit der Lehrer-Schüler-Liebe wurde eher oberflächlich behandelt. Immer da, wo ich hoffte, auch im Erwachsenen einen wichtigen Part zu finden, verlief das Gesagte etwas im Sand. So legt die Geschichte den Fokus auf eine Freundschaft, die durch einen anderen Menschen zerstört wird, wer das eigentlich ist und warum, scheint ziemlich bedeutungslos.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen einprägsamen, zeitlosen Roman über junge Menschen, die gezwungen sind, ihren Weg zu finden, nicht nur innerhalb einer Freundschaft, sondern auch ganz allein für sich selbst. Die begreifen müssen, welche Verantwortlichkeiten entstehen, wenn man andere verletzt, aber auch welche Innigkeit sich entwickelt, wenn man ehrlich gegenüber den eigenen Gefühlen ist. Empfehlenswert ist dieses Buch vor allem für junge Erwachsene und solche, die sich noch gut an das Auf und Ab der Gefühle in der Pubertät erinnern. Einer Lebensphase, der man nicht entkommen kann und die gleichermaßen Last und Freude sein kann – für alle Beteiligten. Von der Autorin selbst möchte ich sehr gern noch weitere Bücher kennenlernen, ihr Text hier bleibt mir in Erinnerung und lässt mich auch nach der Lektüre noch über die Inhalte nachdenken, das mag ich sehr.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Die Mauer des Schweigens

Wenn die Nacht verstummt
0

Ich weiß, was es heißt, sich nach einem Leben zu sehnen, das man nicht haben kann. Das man sich aber trotzdem so sehr wünscht, dass es weh tut, und das Schicksal einem die große Enttäuschung im Leben serviert.“ ...

Ich weiß, was es heißt, sich nach einem Leben zu sehnen, das man nicht haben kann. Das man sich aber trotzdem so sehr wünscht, dass es weh tut, und das Schicksal einem die große Enttäuschung im Leben serviert.“



Inhalt


Chief Kate Burkholder wird in ihrem 3. Fall in der Gemeinde Painters Mill in Ohio nicht nur mit einer Reihe Hassdelikten gegen die Minderheitsbevölkerung der Amischen auf Trab gehalten, sondern muss auch noch in einem Mordfall ermitteln. Auf der Farm der rechtschaffenen Familie Slabaugh, hat sich ein Unglück ereignet, bei dem Vater, Mutter und Onkel auf tragische Weise ums Leben kamen. Alle drei sind in die Jauchegrube gefallen und dort ertrunken bzw. erstickt. Doch was zunächst wie ein Unfall aussieht, entwickelt sich nach Bekanntgabe des Autopsieberichtes zum Tötungsdelikt, denn der Familienvater wurde anscheinend erschlagen. Die Waisenkinder sind stark traumatisiert und verkraften den Verlust der Eltern nur schwer, doch sie wollen unbedingt zusammenbleiben und nicht in die Obhut des Jugendamtes fallen. Kate Burkholder versucht ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen und den Täter schnellstmöglich dingfest zu machen. Allerdings kehrt sie immer wieder zum Hof der Slabaughs zurück und entdeckt eines Nachts ein schwerwiegendes Motiv, welches alle Verdächtigungen auf den ältesten Sohn lenkt? Aber hat der 17-jährige, leicht aufbrausende Moses wirklich ein derartiges Verbrechen begangen?


Meinung


Auch im dritten Band dieser Kriminalreihe konzentriert sich die Bestseller Autorin Linda Castillo ganz auf die kleine Gemeinde Painters Mill, und die Bevölkerungsgruppe der Amischen, deren Lebensweise aufs einfachste beschränkt ist und die unter sich bleiben und möglichst wenig Kontakt zu Außenstehenden wünschen. Entsprechend groß ist auch das Spannungsfeld zwischen den amischen Menschen und einer englischen Polizeichefin, die genau jener Gemeinde vor Jahren den Rücken gekehrt hat. Gerade in Band 3 nimmt der persönliche Hintergrund von Chief Burkholder einen größeren Stellenwert ein und greift auf bereits bekannte Sachverhalte aus den Vorgängerbänden zurück. Die Verflechtungen zwischen der Polizistin und ihren Erinnerungen an die eigene, traumatische Jugend kommen hier immer wieder ans Tageslicht, so dass der Mordfall bei den Slabaughs auch ein persönlicher Fall ist.


Für diese nun vermehrt auftretenden Wiederholungen, ziehe ich einen Punkt ab, in Verbindung mit einigen Klischees, die sich bereits im Vorfeld abgezeichnet haben, bringt die Nebenhandlung für mich als Leser doch ziemlich viele, teilweise übertriebene Rückblicke an die Oberfläche. Es stört mich z.B. dass sich Kate immer mehr dem Alkoholkonsum hingibt, dass sie ihrer belasteten Beziehung zu John Tomasetti keine reelle Chance gibt und sobald sie auf sich gestellt ist, in ihrem Selbstmitleid versinkt. Zumal sie wie eine starke Frau wirkt, wird immer wieder auf ihrer Schwäche herumgeritten, die sie einerseits selbst pflegt, die andererseits durch Tomasettis Vorgeschichte nicht unwichtiger wird. Dennoch kann man diesen Punkt verschmerzen, denn der Kriminalfall bleibt trotzdem wahnsinnig spannend und hält unvorhersehbare Wendungen bereit.


Das große Plus dieser Reihe ist einerseits die interessante Lebensweise der Amischen, die geheimnisvoll und düster wirkt und in der es vielleicht noch viel mehr Geheimnisse aufzudecken gibt, als gedacht. Denn irgendwie besteht diese Mauer des Schweigens zwischen allen Mitgliedern und jenen, die keine sind. Und andererseits lassen die grausamen Morddelikte das Herz von Thriller-Liebhabern höherschlagen. Die Handlungsebene und auch die Hintergründe machen hier den Reiz aus, die einzelnen Personen wirken lebensecht, obwohl sie nicht zu stark im Mittelpunkt stehen.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne, für diesen spannenden Thriller mit inspirierender Geschichte. Im Rahmen dieser Reihe ein etwas schwächerer Teil, allerdings nur, was die persönlichen Belange der Ermittler angeht. Ich denke, hier kann man auch gut die Reihenfolge der Bände willkürlich wählen, denn man erfährt in jedem neuen Fall die gleichen Hintergründe, was mir mittlerweile als „Stammleser“ nicht mehr so imponiert, da ich das Gefühl habe, Chief Burkholder mittlerweile so gut zu kennen, wie eine Freundin, die ich lieber mal zurechtweisen würde, als erneut in die Mitleidsschiene zu verfallen - doch zugegeben, dass ist meckern auf hohem Niveau, denn ich bleibe auf jeden Fall an den nächsten Bänden dran, denn erzählen kann Frau Castillo …

Veröffentlicht am 12.05.2018

Kamerad unter Fremden, Fremder unter Kameraden

Ein mögliches Leben
0

„Der Blick nach vorn hatte sein Versprechen von der goldenen Zukunft längst verloren. Am Ende lag Schwärze, das Nichts, da waren sie sich einig, sie und ihr Vater.“


Inhalt


Gemeinsam mit seinem Enkel ...

„Der Blick nach vorn hatte sein Versprechen von der goldenen Zukunft längst verloren. Am Ende lag Schwärze, das Nichts, da waren sie sich einig, sie und ihr Vater.“


Inhalt


Gemeinsam mit seinem Enkel Martin unternimmt der betagte Franz Schneider noch einmal eine Reise nach Amerika, besucht die Orte seiner längst vergangenen Kriegsgefangenschaft während des 2. Weltkrieges. Dort wo er einst in Baracken gelebt hat und Baumwolle pflückte, wo er Freunde fand, die ihm wichtig waren und Menschen, die ihre Hitlerliebe mitgebrachten um andere damit zu tyrannisieren. Rückblickend ergibt sich das Bild über die vielen Jahre in der Obhut einer fremden Regierung, mit der Franz durchaus sympathisierte. Es zeigt sich, warum der alte Mann, ein Geheimnis um seinen verlorenen Finger macht und warum er seiner Tochter Barbara die Briefe einer Freundin zukommen lässt, die vielleicht in der Gunst seiner Zuneigung noch weiter ober rangierte als ihre Mutter. Und auch Martin entdeckt Seiten an seinem Großvater, die ihm bisher unbekannt waren und beginnt seine eigenen Beziehungen zu überdenken.


Meinung


Der junge Hamburger Autor Hannes Köhler setzt sich in diesem Roman mit einer eher ungewöhnlichen Problematik der Kriegsjahre auseinander, die in der Literaturlandschaft relativ unbefleckt daherkommt. Denn obwohl in der Gegenwartsliteratur die Thematik des zweiten Weltkrieges und seine Ausuferungen gerne im Mittelpunkt stehen, fand ich diesen Abstecher in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager sehr inspirierend und informativ. Man merkt dem Text die fundierte Recherchearbeit an, obwohl er wie im Nachwort vermerkt, ein fiktives Werk ist, lediglich in Anlehnung an historische Begebenheiten.


Eingebettet in eine Familiengeschichte erzählt der Autor aus dem Leben eines Mannes, der zwar dem Krieg in der Heimat entkam, nicht aber den Schrecken und Ängsten seiner fatalistischen Auswirkungen. Im Zentrum der Erzählung findet man eine besondere Spezies Mensch, ich würde sie als „Die Aufgelesenen“ bezeichnen, Menschen die in der Fremde für den offiziell politischen Gegner Strafarbeit leisten müssen. Doch die Lebensbedingungen sind nicht schlecht und die Arbeit zwar schwer aber auch gerecht. So dass es den Soldaten, die allesamt an der Front und im Hinterland gekämpft haben, gar nicht so schlecht geht wie anzunehmen. Vielmehr sind es ihre Einstellungen zum Leben, zum Krieg, ja auch zum Führer, die für Reibereien sorgen. Eine Art Gruppendynamik in den Lägern entsteht, zwischen denen, die auf den Endsieg Hitlers hoffen, anderen die sich klar auf die Seite der Amerikaner stellen und jenen, die sich schweigend zurückziehen oder ihr Fähnchen einfach in den Wind halten. Schon bald steuert der Leser auf den Kern der Geschichte zu, der sich zwischen Kameradschaft, Hass und Ausgrenzung befindet und der zeigt, welche Ausmaße das nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat.


Doch das ist nicht alles, die Erzählung streift sehr viele zwischenmenschliche Belange, nicht nur die Gefühle der Soldaten, den Zwiespalt, in dem sich die Verantwortlichen befinden, sondern eben auch die langfristigen Auswirkungen auf das normale Leben nach dem Krieg, auf Familienbande, die zwar entsteht aber längst nicht so unbelastet ist, wie gewünscht. Das Buch ist sehr vielschichtig, in leiser eindringlicher Erzählsprache gehalten, so dass man sehr gut in die Geschichte hineinfinden kann. Doch bis zur Hälfte des Textes konnte der Funke nicht so richtig überspringen, vielleicht weil mir persönlich zu Vieles angesprochen wurde. Einerseits ist es nämlich die persönliche Sicht, die Erlebnisse des Kriegsbetroffenen, die besprochen werden, andererseits die gegenwärtige Handlung einer eher schweigsamen, durchaus belasteten Familiengeschichte zwischen Vater, Tochter und Enkelsohn. Der Wechsel der beiden Handlungsstränge konnte mich nicht immer fesseln, erschwerte mir in gewisser Weise die Nähe zum Text.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen alternativen Kriegsroman, der in weiten Teilen auch eine Familiengeschichte ist. Mit einer großen Portion Einfühlungsvermögen, interessanten Fakten und ansprechender Schreibweise kann das Buch absolut punkten. Gefühle werden hier sehr sachlich, äußerst präzise und passend zu den geschaffenen Charakteren transferiert, was für eine hohe Glaubwürdigkeit sorgt. Manchmal muss man Schlucken, ob der Dramatik im Stillen, manchmal kann man lächeln über den sorgsamen Umgang mit lebenslangen Freundschaften und an anderen Stellen driftet man etwas ab, hinein ins Leben, so wie es ist, nur mit den tiefen Spuren seelischer Verletzungen im Gepäck.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Kreuzfahrt ins Verderben

Woman in Cabin 10
0

„In meinem Traum trieb die Frau in den kalten, lichtlosen Tiefen der Nordsee, weit unter den peitschenden Wellen und den Schreien der Möwen.“


Inhalt


Lo Blacklock reist als Vertreterin ihrer kurzfristig ...

„In meinem Traum trieb die Frau in den kalten, lichtlosen Tiefen der Nordsee, weit unter den peitschenden Wellen und den Schreien der Möwen.“


Inhalt


Lo Blacklock reist als Vertreterin ihrer kurzfristig erkrankten Chefin auf der Jungfernfahrt des exklusiven Kreuzfahrtschiffes „Aurora Borealis“ nach Norwegen. Mit der Journalistin an Bord sind nur noch 9 weitere Passagiere und das Bordpersonal, denn das neue Schiff soll sich als Luxusliner der ganz besonderen Art in der Tourismusbranche etablieren. Deshalb sind beim ersten Turn über die Nordsee ausschließlich Reporter und Sternchen der Fernsehbranche an Bord, denn der Schiffseigner Richard Bullmer erwartet sich entsprechende Publicity. Doch schon am ersten Abend wird Lo unfreiwillige Zeugin eines Verbrechens, als sie ihre Zimmernachbarin aus Kabine 10 in den Fluten versinken sieht. Vollkommen verzweifelt wendet sie sich an den Sicherheitschef des Schiffes und schildert das Vorkommnis, doch sie muss erfahren, dass Kabine 10 überhaupt nicht belegt ist. Und da auch kein Bordmitglied verschwunden ist, schenkt ihr niemand Glauben. Nur der Mörder weiß jetzt, dass er Lo schnellstmöglich zum Schweigen bringen muss …


Meinung


Die englische Thrillerautorin Ruth Ware, die bereits mit ihrem Debütroman „Im dunklen, dunklen Wald“ internationalen Erfolg hatte, greift hier eine sehr exklusive, wenn auch altbewährte Szenerie für ihren Spannungsroman auf. Den Klassiker mit dem Mord auf dem Kreuzfahrtschiff haben bereits renommierte Kriminalautoren wie Agatha Christie und Sebastian Fitzek aufgegriffen und so erwartet der Leser den erfolgversprechenden Mix aus einer handvoll Protagonisten, die auf engstem Raum, abgeschottet von der Außenwelt dem Bösen ausgeliefert sind.


Die klare Rahmenhandlung lässt der Autorin viel Freiraum bei der Gestaltung ihrer eigenen Hauptpersonen, die hier nun gerade etwas übertrieben und aufgesetzt wirkt. Lo selbst, die Einzige, die wirklich in Gefahr zu schweben scheint, trägt eine Menge persönlichen Ballast mit sich herum. Sei es die traumatische Kindheit oder der erst kürzlich erlebte Einbruch in der eigenen Wohnung - sie ist das reinste Nervenbündel. Darüber hinaus versucht sie ihr Unvermögen über die eigene Arbeit zu kaschieren, indem sie Unmengen an Alkohol konsumiert und sich mit Psychopharmaka über Wasser hält. Leider wirkt gerade sie als leicht neurotische, unglaubwürdige Protagonistin, der man nur ein labiles Seelenkostüm zusprechen konnte etwas fehl am Platze. Deshalb fragt man sich als Leser, warum die Autorin hier so dick auftragen musste – weniger wäre vielleicht mehr gewesen.


Dafür entschädigt die Handlung wieder um einiges. Der Autorin gelingt es, den Spannungsaufbau konstant hoch zu halten und damit ein fesselndes Intermezzo zu gestalten. Die gewählte Erzählperspektive macht es unmöglich, die Beweggründe der Verantwortlichen vorzeitig zu erkunden, schlüpft man doch gemeinsam mit Lo in die Rolle der verzweifelten Unschuldigen. Das Rahmenprogramm mit den oberflächlichen, doch durchaus korrupten Mitreisenden, in Kombination mit der unabdingbaren Vertrauensfrage macht diesen Thriller zu einem Page-Turner.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen atmosphärischen Thriller, der die Unausweichlichkeit, die Enge und Bedrängnis einer verzweifelten Frau sehr gut einfängt und ihre Handlungen gekonnt reflektiert. Das Geschehen selbst fesselt den Leser und nimmt ihn mit an Bord des Luxusliners. Dort kann man erleben, wie es sich anfühlt, kein Vertrauen, keine Hilfe und keine realistische Überlebenschance zu haben. Kleine Abstriche in der Ausarbeitung der Protagonisten kann man da verschmerzen. Insgesamt ein solider, gut lesbarer Kriminalroman.