Wenn die Regierung zum Raubtier wird
Das hungrige KrokodilDer Titel „Das hungrige Krokodil“ erschließt sich erst im Laufe des Buches, das auf den Aufzeichnungen des tschechischen Arztes Dr. Pavel Vodák beruht. Die Geschichte setzt in Prag 1968 an und endet nach ...
Der Titel „Das hungrige Krokodil“ erschließt sich erst im Laufe des Buches, das auf den Aufzeichnungen des tschechischen Arztes Dr. Pavel Vodák beruht. Die Geschichte setzt in Prag 1968 an und endet nach dem Mauerfall ebenfalls in Prag.
1968 engagierte er sich für die Reformen des Prager Frühlings. Bald gilt er als Regimekritiker und steht unter Beobachtung. Jede noch so kleine Hoffnung auf Freiheit und einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ wird im Keim erstickt. Stattdessen wird den Menschen in der Tschechoslowakei genau vorgeschrieben, wie sie zu leben und sich zu benehmen haben. Bestes Beispiel ist hier Vĕra, Pavels Frau, die nicht studieren darf.
Bedrückend, beängstigend und spannend ist die wahre Geschichte von Pavel Vodàk - voller Fingerspitzengefühl und Achtung vor diesem starken Mann, der sich seine eigenen Gedanken über die Zustände in seiner Heimat der Tschechoslowakei macht und konsequent seinen Weg in die Freiheit sucht und geht. Der Schreibstil der Autorin ist feinsinnig und stimmig, passend zu der düsteren und bedrückenden Zeit zwischen 2. Weltkrieg und dem Mauerfall. Die vermeintlichen Veränderungen im Prager Frühling werden genauso lebendig wie die Enttäuschung über die Beschneidung der Freiheit, die Reiseverbote in die westlichen Länder und dem Zwang, unter dem die Menschen in der Tschechoslowakei zu leiden hatten. Pavel zahlt für das Verlassen der Heimat einen hohen Preis: Entwurzlung und Entfremdung von der Heimat. Diese Entscheidung hat sich Pavel zu keiner Zeit leicht gemacht und doch sah er letztlich keinen anderen Weg für sich und vor allem auch für seine Tochter Pavla, die er in Freiheit und ohne politische Beschränkungen aufwachsen sehen wollte. Letztlich ist ihm dieses Ziel gelungen, denn Pavli scheint in Deutschland angekommen zu sein.
Sandra Brökel ist mit Hilfe von Pavli, Pavels Tochter, ein berührender und aufwühlender Familienroman mit einem Einblick in die Geschichte Tschechiens mit ihren politischen Umbrüchen und Unruhen durch die „Brille“ eines Zeitzeugen gelungen. Pavels Angst, Unsicherheit und Wut waren während des Lesens jederzeit spür- und erlebbar. Auch die unterschiedlichen Denkweisen und die Regimetreue seines eigenen Bruders sind deutlich zu erkennen und zu spüren. Viele „kleine“ Begebenheiten im Buch – z.B. wie sich Pavel ein letztes Mal in die Wiese an der Moldau setzt und Prags Luft eingeatmet hat – sind sehr ergreifend. Was muss ihm da nicht alles durch den Kopf gegangen sein? Ich könnte noch unzählige weitere Erlebnisse aufzählen, aber am eindrücklichsten blieb mir der Vergleich der Regierung, der Politiker etc. mit einem hungrigen, gefährlichen Krokodil im Gedächtnis. Dieser Vergleich ist so passend wie erschreckend und gilt leider auch heute noch in vielen Ländern dieser Erde. Pavel war ein humorvoller, leidenschaftlicher und auch kritischer Mann, der sich für die Schwachen einsetzte und die politische Lage nicht nur verfolgt hat, sondern auch zusammen mit anderen Intellektuellen friedlich dagegen angegangen ist. Schade, dass dies nicht von Erfolg gekrönt war und er nur noch einen Weg aus seiner Heimat gesehen hat: Flucht und ein Neuanfang in der Heimat seiner Mutter!
Aktueller könnte ein Buch kaum sein. So viele Menschen flüchten aus ihren zerstörten, kriegsgebeutelten Ländern oder weil sie dort verfolgt werden, sich jedes Wort drei Mal überlegen müssen.