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Veröffentlicht am 07.06.2018

Ein atmosphärischer Krimi aus Griechenland mit guter Portion Gesellschaftskritik.

Die Toten von Athen
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„Die Toten von Athen“ von Leo Kanaris ist ein recht spannender, atmosphärischer Krimi mit guter Portion Gesellschaftskritik und einem sympathischen Protagonisten.

Klappentext beschreibt den Anfang ganz ...

„Die Toten von Athen“ von Leo Kanaris ist ein recht spannender, atmosphärischer Krimi mit guter Portion Gesellschaftskritik und einem sympathischen Protagonisten.

Klappentext beschreibt den Anfang ganz gut: „Griechenland – authentisch und gefährlich.
Mario Filiotis, der sehr sozial und ökologisch gesinnte Bürgermeister der Insel Astypalea, kommt in Athen bei einem mysteriösen Fahrradunfall ums Leben. Privatdetektiv George Zafiris ist der festen Überzeugung, dass sein Freund ermordet wurde. Doch bei Marios Beerdigung liegt nicht der Tote, sondern ein antiker Goldschatz im Sarg. George Zafiris nimmt die Ermittlungen auf und gerät in ein Labyrinth aus Korruption, Betrug und Gewalt.“

Der Anfang war verlockend. Im Laufe der Geschichte gewann ich eher den Eindruck, dass es dem Autor wichtiger war, die gesellschaftskritischen Aspekte in den Vordergrund zu rücken wie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die einfache Bevölkerung Griechenlands, die gesellschaftliche Zerrissenheit der Gutmenschen und die gute Organisation und perfekte Vernetzung der Verbrecher im Gegensatz zu ihnen. Die Ermittlungen an sich erschienen vor diesem Hintergrund eher zweitrangig, die Motive stellenweise etwas zu konstruiert. Das Ende war etwas unglaubwürdig und zu schnell abgewickelt.
Aber eine nette Reise voller Abenteuer in Griechenland ist dieser Krimi allemal geworden. Die Vielfalt der Orte, die George zwecks seiner Ermittlungen besucht, ihre sehr gut beschriebene Atmosphäre ist schon beeindruckend. Es ist, man wäre mit George vor Ort und schaute ihm über die Schulter. Auch die Diversität der Tätigkeiten ist positiv aufgefallen. Man ist bei der Olivenernte im Kreise der Familie und beim Ölpressen dabei, auch beim Beten mit den Mönchen auf Insel Athos, wohin den Zugang nur Männer haben dürfen, bei den flammenden Reden des Wirtes über die in der Gesellschaft fehlende Solidarität uvm. In den Krankenhäusern ist man recht oft: Am Anfang, wo es einem vermittelt wird, wie die medizinische Versorgung in Griechenland funktioniert, und am Ende beim verletzten George.

Die Figuren sind durchwegs gut gelungen. Wobei sie alle kommen wie Opfer des korrupten wie kaputten Systems vor. Der neue Assistent von George konnte mich jedoch nicht wirklich überzeugen, eher schemenhaft geblieben bis zum Schluss, bei dem ich mich motivieren musste, doch noch zum Ende zu lesen.

Fazit: Ein ganz guter, atmosphärischer Krimi, flott und recht gekonnt geschrieben. Die Spannung nimmt zum Schluss jedoch ab, und dieser fällt abrupt aus.
3,5 Sterne, die ich auf 4 aufrunde.

Aufbau Taschenbuch Verlag, 352 S., ET 18.05.18

#NetGalleyDEChallenge.

Veröffentlicht am 23.05.2018

Ein gutes, vielfältiges, bereicherndes Leseerlebnis.

Mit anderen Augen
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„Mit anderen Augen“ von Fabian Körner habe ich insg. gern gelesen und kann das Buch gut weiterempfehlen, v.a. an die Eltern, deren Kinder nicht so ganz gesund auf die Welt gekommen sind.
Etwas ungewöhnlich ...

„Mit anderen Augen“ von Fabian Körner habe ich insg. gern gelesen und kann das Buch gut weiterempfehlen, v.a. an die Eltern, deren Kinder nicht so ganz gesund auf die Welt gekommen sind.
Etwas ungewöhnlich ist dieses Werk von der Form her, ein Mix aus: 1) Reiseberichten, wie man sie vllt in einigen Reiseblogs liest, i.e. Aufenthalte in Simbabwe, auf Mali, in der Dominikanischen Republik; 2) Beschreibungen der Lebenserfahrungen, i.e. die Geburt von Yanti, Abenteuer einer ganz anderen Art. Die erste, pessimistische Reaktion der Eltern, als sie erfuhren, dass die Kleine Downsyndrom hat; 3) Ein Ratgeber in Sachen positiver, richtiger Lebenseinstellung und Problembewältigung, gerade wenn man kein vollkommen gesundes Kind hat.
Die Reiseberichte, obwohl auch mit so manchen politischen Gegebenheiten und persönlichen Erfahrungen, Beschreibungen exotischer Landschaften angereichert, konnten mich wenig fesseln. Aber die Geschichte um Yanti, und wie ihre abenteuerdurstigen Eltern zu einer positiven Einstellung kommen, wie es da weitergeht, insb. nach dem Treffen mit der Mutter einer erwachsenen Tochter mit Downsyndrom, die erzählt hat, dass sie zuletzt vor dreißig Jahren im Urlaub war und sonst kein lebenswertes Leben seitdem hatte, all diese Dinge haben mich gefesselt und bis zur letzten Seite getragen. So schön und bewegend war zum Schluss zu lesen, was auch sehr überzeugend rübergebracht wurde, dass Yanti ein besonders einnehmendes, fröhliches Wesen hat und gleich positiv und freundlich angenommen wird!
Vieles liegt an den Eltern und an ihrem Umgang mit dem Downsyndrom des Kindes, liest sich deutlich aus den Zeilen von Fabien Körner heraus. Hier wurde auch gezeigt, dass eine richtige Lebenseinstellung die entscheidende Rolle spielt. Das eigene Leben gleich aufzugeben, wenn es nicht so ganz glatt läuft, gehört nicht dazu. Reisen mit solchen Kindern ist kein Problem, wenn man sich selbst nicht im Weg steht, wie die Reise in die Dominikanische Republik mit Baby Yanti zeigt. Auch das Reisen auf eigene Faust und Campen lässt sich prima gestalten. Es wurde gar von einem Mann aus Spanien berichtet, dass er trotz des Syndroms ein Lehramtstudium abgeschlossen, Vorträge zum Thema Inklusion gehalten, eine Sendung moderiert hat uvm. Fabian und seine Frau sehen in Spanien in einem Supermarkt eine Frau mit Downsyndrom, die allein einkaufen geht und sich sonst sehr souverän gibt.
Das Buch macht auf jeden Fall Mut all den Eltern, deren Kinder nicht so ganz gesund auf die Welt gekommen sind. Es sagt ganz klar: Man darf das eigene Leben nicht aufgeben. Es geht weiter, und es seid ihr, die dafür verantwortlich sind, dass ihr euer Leben nach euren Vorstellungen lebt und glücklich werdet.

Alles in allem ist es ein gutes, vielfältiges, bereicherndes Leseerlebnis geworden. Die Texte sind gut. Ich konnte sie prima lesen. Die Sprache ist klar, griffig, bildhaft, sodass das Kopfkino gleich startet und bis zur letzten Seite anhält. Ich kann hier gute vier Sterne vergeben.

Veröffentlicht am 15.05.2018

Aufschlussreich und lesenswert.

Charakterfrage
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Das Buch gibt eine gute Vorstellung davon, wie die Psychologen heute eine Persönlichkeit beurteilen, was die Studien heute über eine Persönlichkeitsentwicklung sagen können, was sie als belegt betrachten ...

Das Buch gibt eine gute Vorstellung davon, wie die Psychologen heute eine Persönlichkeit beurteilen, was die Studien heute über eine Persönlichkeitsentwicklung sagen können, was sie als belegt betrachten und was sich eher als Falschwissen entpuppt.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr gut: „Wer sind wir – und warum sind wir so, wie wir sind?
Gehen wir gern unter Leute oder bleiben wir lieber allein? Sorgen wir uns häufig oder ruhen wir in uns? Machen uns Schicksalsschläge am Ende wirklich stark? Und: Kommen wir mit einem unveränderlichen Charakter auf die Welt? Jule Specht beschreibt die Entstehung und Entwicklung unserer Persönlichkeit über die gesamte Lebensspanne hinweg: In welchen Eigenschaften wir uns voneinander unterscheiden, wie wir uns im Laufe des Lebens verändern und wodurch, was uns prägt, und ob und wie wir selbst Einfluss auf unsere Persönlichkeit und unseren Charakter nehmen können. So entsteht ein ebenso lehrreiches wie unterhaltsames Buch für alle Menschen, die sich fragen, wer sie sind, wie es dazu kam, und wer sie sein werden.“

Zur Autorin lt. Umschlag: „Jule Specht i, Jg. 1986, ist Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität Berlin. In ihrer Forschung befasst sie sich vor allem mit Fragen der Persönlichkeitsentwicklung im Erwachsenenalter und den Ursachen und Konsequenzen des subjektiven Wohlbefindens.“

Etwa 222 Seiten des Textes sind in 6 Kapitel aufgeteilt: „Kann ich Persönlichkeit verändern?“ (7 S.); „Was ist Persönlichkeit?“ (4 S.); „Die Big Five“ (15 S.); „Die Persönlichkeit und ihre Entwicklung über die Lebensspanne“ (63 S.); „Die Persönlichkeit im weiteren Sinne“ (115 S.); „Die Persönlichkeit verändern“ (13 S.). Aus dieser Aufstellung kann man u.a. entnehmen, dass es sich hier um die Persönlichkeit dreht, so wie sie heute die Psychologen beurteilen, mit Hinblick auf die Frage, ob man, und wenn ja, wie, die Persönlichkeit verändern kann. Darauf wurde im letzten Kapitel eingegangen.
In „Big Five“ wurden diese im Sinne von „Emotionale Stabilität“, „Extraversion“, „Offenheit für neue Erfahrungen“, „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftigkeit“ besprochen. Zu jedem dieser Merkmale wurde ein Persönlichkeitstest angeboten, bei dem man den eigenen Grad der Ausprägung dieser ermitteln kann.

Im 4. Kapitel geht es knapp aber prägnant um die Persönlichkeitsentwicklung, anfangend mit der Entwicklung vor der Geburt, über Kindes-, Jugend-, jungen Erwachsenen-, mittleren Erwachsenen-, und endend mit hohem Alter. Hier gibt es allerlei interessante Erkenntnisse aus den Studien, z.B.: „Bisher ist nicht belegt, dass ein Kind besonders gesprächig, musikalisch oder sportlich wird. Weil es im Mutterleib bereits entsprechend geprägt wurde. …Trainings, die dem ungeborenen Kind bereits Mozart oder chinesische Sprache nahebringen wollen, eher ein Symptom überambitionierter Kindes-Optimierung… S. 39. Oder auch: „Offene Menschen zieht es eher ins Ausland, um dort eine andere Kultur und Sprache, andere Menschen und – im Studierendenkontext – andere wissenschaftliche Herangehensweisen kennenzulernen. Ebendiese Eigenschaft wird dann langfristig durch die neue Erfahrung gestärkt, und die ursprünglich bereits bestehenden Persönlichkeitsmerkmale verfestigen sich noch weiter.“ S. 82. Da gibt es noch paar gute Sätze über die Weisheit und dass diese nicht unbedingt mit hohem Alter zusammenhängen muss, s. S. 91. Gerade dieses Kapitel fand ich aufschlussreich und bereichernd, auch weil ein Menschenleben einem vor Augen geführt wird, was in o.g. Phasen üblicherweise passiert, was die Studien der Psychologen zu den Zusammenhängen bestimmter Merkmale wie „Big Five“ zu berichten haben uvm.

Auch das 5. Kapitel, in dem über das Selbstwertgefühl, das subjektive Wohlempfinden, die Kontrollüberzeugung und Intelligenz gesprochen wird, ist spannend und durchaus erkenntnisreich. Bei IQ Angaben und Intelligenztests räumt Jule Specht auf: „Aussagen wie ‚Ich habe einen IQ von 142!‘ sind daher mit großer Vorsicht zu genießen und erst dann informativ, wenn zum einen bekannt ist, um welchen Intelligenztest es sich handelt, und zum anderen Informationen zur Messgenauigkeit dieses Tests vorliegen.“ S. 201. Weiter spricht sie von unterschiedlichen Auffassungen von Intelligenz, wie sich Intelligenz entwickelt, darin „… Menschen, die im hohen Alter besonders gesund und munter waren, mehr Zeit mit intellektuell stimulierenden Beschäftigungen verbrachten, mehr Kaffee tranken und auch mehr Rotwein.“ S. 207. Und: „Eine intelligente Person wird sich also in Situationen begeben, die ihre Intelligenz fördert. Eine wenig intelligente Person wird diese Situationen eher meiden. Die anfänglichen Unterschiede im intellektuellen Potential werden sich durch diese unterschiedlich förderlichen Umgebungen damit entsprechend festigen. Auf diese Weise wird sich die Erblichkeit der Intelligenz in einer Gesellschaft mit hoher Chancengerechtigkeit erhöhen.“ S. 212.
Der Stoff ist sehr zugänglich vermittelt worden. Das Buch liest sich wie eine Art Gespräch unter Freundinnen.

Mich haben so manche Verallgemeinerungen und Annahmen etwas irritiert. Oft wurden die Ergebnisse der US-amerikanischen Studien herangezogen, um die Thesen zu belegen. Die unterliegende Annahme hier, dass diese ohne weiteres auch für Vertreter anderer Nationen, Alters-, Berufs- usw. Gruppen gelten sollen, was eigentlich nicht oder nicht immer oder eher selten der Fall ist. Klar geschieht es hpts., weil es keine vergleichbaren dt Studien gibt. Wenn es diese gab, wurden sie hier herangezogen.

Die Tests, davon gibt es reichlich, sind eher so, dass man dabei hpts. im mittleren Segment landet, was weiter nicht von großer Aussagestärke geprägt ist, i.e. es hilft nicht wirklich weiter, zu wissen, man wäre mittel z.B. im Bereich Verträglichkeit oder Offenheit für neue Erfahrungen, etc. Aber man bekommt zumindest ansatzweise die Vorstellung, wie die Psychologen solche Dinge ermitteln.

Fazit: Das Buch ist durchaus aufschlussreich und lesenswert, gerade weil es den Lesern Werkzeug gibt, das die Psychologen für die Beurteilung der Persönlichkeit nutzen (können), und so manches Neues zu dem Thema verrät. Das Buch ist klar für Einsteiger auf diesem Gebiet geschrieben worden. Aber auch Fortgeschrittene können hier einiges für sich mitnehmen.

Veröffentlicht am 14.05.2018

Ein netter, atmosphärischer, spannender Frauenroman.

Die Frauen am Fluss
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In diesem neuen Roman von Katherine Webb findet man im Grunde alles, was man von einem englischen Frauenroman erwartet: spannende, starke Frauenfiguren, Atmosphäre samt Sittengemälde der zwanziger Jahre ...

In diesem neuen Roman von Katherine Webb findet man im Grunde alles, was man von einem englischen Frauenroman erwartet: spannende, starke Frauenfiguren, Atmosphäre samt Sittengemälde der zwanziger Jahre des letzten Jh., mehrere Liebesgeschichten. Hinzukommen der Mord und die privaten Ermittlungen.

Klappentext beschreibt die Eckpunkte der Geschichte ganz gut: „England, 1922. Zuerst stellt die Ankunft der Londonerin Irene die Ordnung des idyllischen Dorfes Slaughterford auf eine harte Probe. Kurz darauf geschieht ein brutaler Mord. Der Tote ist ein angesehener Gutsherr – und Irenes Mann. Gemeinsam mit dem Stallmädchen Pudding begibt sich Irene auf die Suche nach der Wahrheit. Die Spuren führen das ungleiche Paar tief in die angrenzenden Wälder und zu einer Liebe, die nicht sein durfte und ein ganzes Dorf schuldig werden ließ.“

Es geht erst sehr gemächlich los, was an sich schön und entspannend wirkt. Das Eintauchen in die Atmosphäre der damaligen Zeit gelingt mühelos. Man ist in Irenes Erinnerungen bei ihrem Erwachsenwerden und Nach-dem-wohlhabenden-Mann-in-London-Ausschau-halten hautnah mit dabei. Wie es damals so war, eine junge Frau zu sein, mit all den heute als Anachronismen geltenden Dingen, deutlich werdend auch beim gestörten Verhältnis zu ihrer Mutter, steht klar vor Augen.

Nach Irenes Heirat begleitet man sie in die Dorfidylle Slaughterford auf das Anwesen ihres Mannes Alistair. Ein ruhiges, schönes Leben nah an der Natur. Doch wie es sich nach und nach herausstellt, die Idylle trügt. Und als Alistair brutal ermordet wird, und Irene gemeinsam mit ihrer neuen Freundin Pudding nach dem Mörder sucht, da tun sich die Abgründe auf.

Über diese Freundschaft der ungleichen Frauen, die einander dort ergänzen, wo die Defizite, in welcher Hinsicht auch immer, auftauchen, war nett und ermunternd zu lesen. Da sich die Polizei als unfähig erwies, haben sich die zwei jungen Frauen zusammengetan. Was sie herausgefunden haben, das hätten sie anfangs wohl kaum für möglich gehalten.
Irene kam sympathisch rüber, obwohl sie erst distanziert und etwas kühl rüberkam. Eine realistische Darstellung, denn die damalige Erziehung forderte die jungen Frauen der „besseren Gesellschaft“, sich so zu verhalten. Von zarter und schmaler Statur beweist sie die innere Stärke und Talent zu eigenhändigen Ermittlungen. Auch Pudding, so ziemlich das genaue Gegenteil zu Irene, mit ihrer schlichten Art, aber guten Portion Neugier und der stark ausgeprägten Fähigkeit, logisch zu denken, habe ich gerngehabt. Pudding ist so fest entschlossen, ihrem im ersten Weltkrieg zum Invaliden gewordenen Bruder zu helfen, dass sie einen sofort mitreißt und durch die Geschichte trägt. In dem Sinne weist der Roman auch eine deutliche anti-Krieg Note auf, denn er führt die tragischen Konsequenzen für die einfachen Leute aus dem Dorf und ihre Familien deutlich vor Augen.

Zum Schluss gab es Überraschungen, mehrere, der besonderen Art. Die Auflösung kann man nicht unbedingt klassisch nennen, sie hat aber auch durchaus ihre Reize. Vielleicht auch deshalb wird mir dieser bemerkenswerte Roman von Katherine Webb lange im Gedächtnis bleiben.

Fazit: Ein netter, atmosphärischer, spannender Frauenroman, den frau gern abends oder am verregneten Wochenende durchschmökern kann. Für Fans der Autorin und englischer Frauenromane ein Muss.
Lassen Sie sich einfach überraschen.

Veröffentlicht am 02.05.2018

Ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich guter Roman.

Eine bessere Zeit
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„Eine bessere Zeit“ ist schon ein recht ungewöhnlicher Roman, den ich gern gelesen habe.
Definitiv kein 08/15 Familienschinken, aus vielerlei Gründen, sollte er auch nicht nach gewöhnlichen Maßstäben ...

„Eine bessere Zeit“ ist schon ein recht ungewöhnlicher Roman, den ich gern gelesen habe.
Definitiv kein 08/15 Familienschinken, aus vielerlei Gründen, sollte er auch nicht nach gewöhnlichen Maßstäben des Unterhaltungsgenres beurteilt werden.

Dieses nicht-Standarte fängt schon mit einer seinen Hauptfiguren an. Miquel, Anfang vierzig, der seine und die Geschichte(n) seiner Familie zwischen Vorspeise und Dessert erzählt, in dem Restaurant, dessen Wände über Jahrhunderte hinweg Wohnsitz seines Familienclans war, der jungen schönen Frau, die er vllt zu gern mag, um in ihr nur eine Kollegin zu sehen, ist schon ein seltener Typ. Den kann man in keine Schublade stecken. Er ist weder Held noch Antiheld. Er ist irgendetwas dazwischen, auch weil er nicht so recht weiß, was er vom Leben eigentlich will. Er hat eine Künstlerseele: Literatur, Musik spielen in seinem Leben, und im Roman insg., eine große Rolle. Er arbeitet, seinen Neigungen und seiner Expertise entsprechend, bei einem Magazin, in dem er Künstlerinterviews und Kritiken auf Konzerte, etc. veröffentlicht. Selbst künstlerisch tätig ist er nie geworden, er hatte kein Kunsthandwerk gelernt, er ist aber in diesem Milieu wie Fisch im Wasser. Das hat er, wie man im Laufe des Romans erfährt, seinen Genen zu verdanken. Miquel ist letztendlich so, wie er ist, eine Art Archetyp für die Leute dieser Art.

In seiner Familie der Textilfabrikanten gab es schon viel illustrere Typen, schon allein der Onkel ist eine unvergessliche Figur. Den habe ich gern kennengelernt. Noch weitere Familienmitglieder und ihre Geschichten sind gut dabei: Der Stammbaum samt seinen Varianten und all denen, die darin vorkommen, wurde dem Leser keineswegs vorenthalten.

Die Vielfalt an Erzählformen und ihre Handhabe ist auch alles andere als gewöhnlich: mal ist man in einer anrührenden Liebesgeschichte, und das so ziemlich oft, mal findet man sich in einem Frauenroman mit seinen obligatorischen geheimen und wiederentdeckten Tagebucheinträgen, mal liest sich der Roman wie ein sog. Coming of Age Stück, mal, und das doch recht oft, wie ein Werk der höheren Literatur. Auch mit Kontrasten und Parallelismen wurde aktiv gespielt. Aber alles passte ganz gut zusammen.

Der Roman ließ sehr gut lesen. Schon von der Sprache her, von der sichtbaren Fertigkeit des Autors, seine Geschichten packend, mit dem Leser spielend zu erzählen, war klar, dass man in keinem minderwertigen Schubladenroman steckte.

Auch dadurch, dass Cabré es schaffte, viel Stoff spielerisch zu vermitteln, damit die Leser eigenen Gedanken nachhängen und eigene Interpretationen der geschilderten Ereignisse anstellen könnten, man muss und sollte sich die Zeit und Freiheit nehmen, dies auch zu tun, ist dieses Werk etwas ganz Besonderes.

Carbé hat auch oft genug geschafft, mich im Laufe des Romans zu überraschen. Auch die Überraschungen zum Schluss waren ihm gut gelungen.

Die klassische Musik, die Stücke wurden beim Namen genannt und in den Erzählteppich eingewoben, spielte besonders im letzten Drittel eine große Rolle. Wenn man sich die Zeit nimmt und sie sich anhört, erweist es sich als eine Bereicherung. So kann man sich Miquel besser vorstellen und sich von seiner Welt verzaubern lassen. Da kommt die Freude auf, dass er nie ein Fabrikant werden wollte.

Ich finde toll, dass es solche Romane gibt und plädiere dafür, dass es sie weiterhin geben muss bzw. sie sollten aktiv den dt Lesern zuganglich gemacht werden, sonst wäre die Leserwelt ärmer, eintöniger und langweiliger. Das wollen wir doch nicht.

Den Roman ließ ich auf mich paar Tage wirken, nachdem die letzte Seite umgeblättert war. Und je mehr Zeit verging, desto stärker fiel die Wirkung aus. Ich musste feststellen, dass ich gedanklich immer wieder zu Miquel und seiner Familie zurückkehrte und zu immer neuen Interpretationen des Geschilderten gelang. Nach einer Pause lese ich den Roman bestimmt nochmals.

Der Titel passt auch gut, ist mehrdeutig, man kann den so und so auslegen, wie so vieles in diesem bemerkenswerten und auf jeden Fall lesenswerten Roman. Vier gute Sterbe gibt es von mir und eine Leseempfehlung für literarisch Interessierte.

Das Buch ist hochwertig gestaltet: Festeinband, Umschlagblatt aus festem, glattem Papier, Lesebändchen. Perfekt als Geschenk.

Fazit: Ein ungewöhnlicher und ein sehr ungewöhnlich guter Roman, der in keine Schublade passt. Wer mal was ganz anderes, Gutes und literarisch Starkes lesen möchte, der kann hier gerne zugreifen, sich dabei Zeit und Raum nehmen, und gespannt auf die Wirkung sein.