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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.05.2018

Eisigkalte Abgründe

In den Fängen des Löwen
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Schon lange nicht mehr habe ich ein Buch so schnell gelesen! Ich bin durch die Seiten gejagt, nein, ich wurde durch die Seiten gejagt, das Autoren-Team hat mich durch die Seiten gejagt, dass mir Hören ...

Schon lange nicht mehr habe ich ein Buch so schnell gelesen! Ich bin durch die Seiten gejagt, nein, ich wurde durch die Seiten gejagt, das Autoren-Team hat mich durch die Seiten gejagt, dass mir Hören und Sehen verging.
Der Thriller ist düster, die depressive immerwährende Winterdunkelheit Stockholms packt den Leser, er fühlt sich der Kälte, dem Schneetreiben gnadenlos ausgeliefert, selbst im Kommissariat gibt es kein Aufwärmen. Und bei den Protagonisten schon gar nicht. Alle sind kaputte Typen, beschädigte Menschen, geradezu hoffnungslos von ihren persönlichen Vorgeschichten und ihrer Arbeit zerstört. Drogen, Drogenhandel, Kinderhandel, Kindsmissbrauch, zerstörte Seelen überall. Schwer auszuhalten all das, insbesondere der ewig zugedröhnte Zack ist zuviel des Guten. Nicht nur dadurch wird der Leser gequält, ebenso durch die quälend lange, quälend hoffnungslose Suche, die immer wieder in falsche Richtungen führt, sich in Nebenstraßen verliert, bis sie in unerträglicher Spannung zum rasanten actiongeladenen Countdown führt. Geschrieben ist der Thriller im Präsens, was die Geschichte atemlos macht und zusätzlich durch die ganz kurzen Kapitel die Spannung vermehrt. In eindringlicher, an manchen Stellen fast schon expressionistisch anmutender, ungeheuer intensiver Sprache wird erzählt. Und weil der Thriller so gekonnt geschrieben ist, rast man durch die Seiten, ist angewidert, entsetzt – und kann doch nicht aufhören zu lesen. Absolut kein Buch für zarte Gemüter!
Der Klappentext fasst die Handlung so zusammen: „Der letzte Fall hat bei Zack Spuren hinterlassen. Wochenlang saß er am Krankenbett seines besten Freundes Abdula, bis dieser schließlich aus dem Koma erwachte. Doch zum Grübeln bleibt keine Zeit, denn sein Job verlangt erneut seine ganze Konzentration. Auf einem alten Fabrikgelände in Stockholm wurde die Leiche eines elfjährigen Jungen entdeckt. Festgebunden auf einem Schornstein in grausigen Höhen. Niemand kann sich erklären, wie das Kind dorthin gekommen ist, doch dann spüren Zack und seine Partnerin Deniz einen wichtigen Zeugen auf. Ein alter Mann hat beobachtet, wie Ismail aus dem Asylbewerberheim geflohen ist, in dem er untergebracht war. Die Spur führt zu einem Mann namens Lejonet, der Löwe, der unter falscher Identität in Schweden lebt. Deniz und Zack sind sich sicher, dass er an der Entführung mehrerer Kinder beteiligt ist, doch als sie bei seiner Wohnung ankommen, eröffnet jemand das Feuer auf die Polizisten. Die Jagd hat begonnen.“

Veröffentlicht am 16.05.2018

Knisternd vor Spannung

Der Totensucher
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Dieser Thriller hat alles, was ein guter Thriller haben muss: fesselnde Spannung, fesselnder Plot, fesselnde Protagonisten!
Die Kurzbeschreibung bringt es auf den Punkt: Ein Serienmörder. Eine verschwundene ...


Dieser Thriller hat alles, was ein guter Thriller haben muss: fesselnde Spannung, fesselnder Plot, fesselnde Protagonisten!
Die Kurzbeschreibung bringt es auf den Punkt: Ein Serienmörder. Eine verschwundene Tochter. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Adrian Speer hat alles verloren: Seit ihrer Entführung vor zwei Jahren ist seine Tochter verschwunden und von seinem Job wurde er suspendiert. In einer Abteilung für besonders grausame Gewaltverbrechen wagt er einen Neubeginn. Der erste Fall führt ihn und seinen Partner zu einer alten Fabrikhalle, in der sie eine bestialisch zugerichtete Leiche finden. Schon am nächsten Tag taucht ein weiteres Opfer auf, das nach demselben Muster getötet wurde. Auf dem Handy des Toten entdecken sie ein aktuelles Foto von Speers Tochter. Die fieberhafte Jagd nach dem Serienmörder beginnt.

Der bedrückend gute Plot wird in relativ kurzen Kapiteln erzählt und behält von Anfang bis Ende seinen gleichbleibend fesselnden Spannungsbogen. Die Geschichte macht Windungen und Wendungen, bleibt immer wieder neu überraschend. Und da man mit Lucys Vater, dem sympathischen Ermittler Adrian Speer, mitleidet, mitfiebert, ist man als Leser in der Handlung auch emotional gefangen. Vom Prolog bis zum Buchende gibt es für den Leser kein Entkommen. Ich kann nur empfehlen: Lesen Sie selbst!

Veröffentlicht am 15.05.2018

Allmächd, is der goud!

Nürnberg - Fürth, Erlangen MM-City Reiseführer Michael Müller Verlag
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Da liegt sie vor mir, die aktualisierte 11. Neuauflage des Städteführers Nürnberg, Fürth, Erlangen. Die farblich bunte Gestaltung des Covers und besonders die Regenbogenfarben des Buchrückens fallen im ...


Da liegt sie vor mir, die aktualisierte 11. Neuauflage des Städteführers Nürnberg, Fürth, Erlangen. Die farblich bunte Gestaltung des Covers und besonders die Regenbogenfarben des Buchrückens fallen im Buchhandlungsregal auf. Das Titelbild ist ziemlich abgedroschen, hat aber genau deswegen den Effekt, dass man den Reiseführer, noch ohne den Titel gelesen zu haben, bereits mit Nürnberg assoziiert.
Vorweg: Der Reiseführer ist nicht geeignet für Städte-Schnellkonsumenten, für Fast-Sightseeing, für oberflächliches Sehenswürdigkeiten-Sammeln. Zwar gibt es auch eine Übersicht der Sightseeing-Klassiker im Buch, aber wem das genügt, der ist mit einem leichtgewichtigen Faltblatt, das man gratis bei der Touristen-Info bekommt, ausreichend gut bedient. Der vorliegende Reiseführer fordert Zeit! So wie die Stadt, will man sie wirklich entdecken, Zeit fordert. Nürnberg ist so unendlich viel mehr als Burg und Schöner Brunnen. Die Einteilung des Reiseführers, der uns auf 10 verschiedenen Touren durch die Stadt begleitet, begeistert mich. Denn bei diesen Touren, jeweils versehen mit einer Übersichtkarte, werden die Augen auf vielfältige Details gelenkt, auf Historisches ebenso wie auf Modernes, auf Typisches für diesen Stadtteil, auf Wissenswertes, Kulturelles, auf Öffnungszeiten und Eintrittspreise, dazu jeweils ergänzt durch eine Fülle von Hinweisen, wo man in diesem Stadtteil Hunger und Durst stillen kann.
Auch Fürth und Erlangen werden ausführlich beschrieben. Und es finden sich all die nützlichen Hinweise, die einem Touristen das Zurechtfinden in einer fremden Stadt erleichtern, ergänzt durch ein umfangreiches Register, das Straßennamen, Bauwerke, aber auch Stichworte wie Lebkuchen und Schäufele enthält.
Tagelang habe ich in diesem Reiseführer vor- und zurückgeblättert, habe mich festgelesen und bin, indem ich durch das Buch wanderte, ebenso durch meine ersten 40 Lebensjahre in Nürnberg gewandert, wiedererkennend, erinnernd und verblüfft von all dem Neuen, das zwischenzeitlich in Nürnberg entstanden ist.
Ralf Nestmeyer ist, wie ich meine, der perfekte Reiseführer gelungen: Sachlich-klar geschrieben, strukturiert, Geschichte und Gegenwart gleichermaßen würdigend, mitunter auch einmal eine leise Kritik unterbringend, immer aber spürbar seine Zuneigung zu dieser wunderbaren Stadt ausdrückend. Was sich auch in Einschüben wie zum Beispiel diesem hier zeigt, mitten unter „Kultur- und Nachtleben“ zu finden:

„Allmächd!“: „Das Staunen der Welt, die irdischen Schrecken der Existenz und das Bedauern der Vergänglichkeit in ein Wort gepackt, dessen einzigartige Konnation durch eine weit durch die Zahlreihen hervorgestreckte Zunge und einen nach unten geschobenen Unterkiefer hervorgerufen wird“.

Veröffentlicht am 10.05.2018

Wie er wurde, was er ist

Kluftinger
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Ein sehr geschickter Coup ist den Autoren da gelungen!
In seinem Jubiläumsfall wird Kluftinger subtil bedroht und er ahnt, dass diese Bedrohung etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hat. Bruchstückweise ...

Ein sehr geschickter Coup ist den Autoren da gelungen!
In seinem Jubiläumsfall wird Kluftinger subtil bedroht und er ahnt, dass diese Bedrohung etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hat. Bruchstückweise kommt in Rückblenden die Erinnerung an ein Ereignis zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn zurück. Gleichzeitig wächst in der Gegenwart die Bedrohung, wird zur realen Gefahr, denn es wird immer deutlicher, dass es jemand auf Klufti persönlich abgesehen hat. Aber Kluftinger wäre nicht Kluftinger, wenn er nicht gleichermaßen mit dem Alltag zu kämpfen hätte. Denn wie transportiert man eine große Trommel in einem rosa Smart? Oder wie wird man fertig mit der Tatsache, dass der eigene Kosename Butzele plötzlich dem Enkelkind gehört?
Kluftinger in seiner gewohnt knorzigen Art und seine nicht minder eigenwilligen Kollegen erfreuen wie eh und je mit ihrem deftigen Umgangston. Die lockere Erzählweise, das perfekt getroffene Lokalkolorit und die Wichtigkeit von regelmäßiger Nahrungsaufnahme ist man bei dem Autorenteam schon gewohnt. Man schmunzelt sich sozusagen durch die Seiten und löst mit Kluftinger zusammen ganz locker nebenbei den aktuellen Fall. Aber dieses Mal gibt es noch eine weitere Dimension im Buch. Wir lernen Kluftinger näher kennen, wir erfahren, wie er zu dem wurde, was er ist. Die zahlreichen Rückblenden, verständnisfreudig in einer anderen Schrift gedruckt, erzählen uns viel Intimes über Kluftinger. Es wird berichtet über seine Jugend, über seine Berufskarriere, wie er seine spätere Frau Erika kennenlernt und erzählt auch von einem dunklen Geheimnis, das nun bis in die Gegenwart hinein seinen Schatten wirft. Durch diesen genialen schriftstellerischen Clou ist Kluftinger nicht länger nur eine durchaus gelungen gestaltete Kunstfigur, Mittelpunkt vieler komischer Szenen, sondern er wird vollständiger, echter, mehr Mensch, möchte man fast sagen. Und vor allen Dingen noch liebenswerter.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Zauber der Fantasie

Wind und der geheime Sommer
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Das großartigste Kinderbuch, das ich seit langem gelesen habe! Zum Immer-wieder-Lesen, für Erwachsene und Kinder gleichermaßen.

John-Marlon ist 11 und viel allein. Seine Eltern sind geschieden, der Vater ...


Das großartigste Kinderbuch, das ich seit langem gelesen habe! Zum Immer-wieder-Lesen, für Erwachsene und Kinder gleichermaßen.

John-Marlon ist 11 und viel allein. Seine Eltern sind geschieden, der Vater hat selten Zeit und die Mutter schuftet für den Lebensunterhalt. John-Marlon ist unsicher, ängstlich, trägt eine Brille und hat keinen Spaß am Fußball-Spielen. Nicht die besten Voraussetzungen also, um Freunde zu finden, um von anderen gemocht zu werden. An einem besonders traurigen Nachmittag entdeckt John-Marlon eine lose Latte in einem Bauzaun, schlüpft hindurch und entdeckt ein völlig verwahrlostes Grundstück. Er trifft auf ein seltsames Mädchen, das sich Wind nennt, und wenn Wind Geschichten erzählt, werden diese wahr. Es wandeln sich wild wachsende Sträucher zum Dschungel, Pfützen zum Meer, es gibt gefährliche Tiere, und einen Sommer lang erlebt John-Marlon die wunderbarsten Abenteuer. Doch eines Tages ist Wind verschwunden…

Die Autorin widmet ihr Buch den Kindern, die Müll im Rinnstein sammeln und Kunst daraus machen. Als ich diese Widmung las, war ich sofort wieder zurückversetzt in die Zeit, als meine Kinder klein waren und völlig selbstvergessen abtauchen konnten in ihre eigenen Fantasie-Geschichten, nur mit Dingen umgeben, die sie in der Natur vorfanden. Dank Waldorf-Pädagogik lernten sie in diesen Spielen ganz beiläufig das gelingende soziale Miteinander und ich erlebte über die Jahre, wie ihnen daraus eine innere Stärke erwuchs, die ihnen niemand mehr nehmen konnte. Genau so ergeht es John-Marlon im Buch. Der einsame, traurige Junge ohne Selbstvertrauen wächst hinter dem Bretterzaun in den von Wind ausgedachten Abenteuern über sich hinaus, er wird von Wind und den anderen Kindern, die sich ebenfalls in der Welt hinter dem Bauzaun einfinden, so akzeptiert, wie er ist und er erfährt, welche Fähigkeiten er tatsächlich besitzt.

Aber nicht nur der Inhalt, dieses gelungene Ineinanderverschränken von Fantasie und Wirklichkeit, macht dieses Buch so besonders. Es ist die Sprache, die mich verzaubert hat, diese wunderbar poetische Sprache in Verbindung mit feiner Beobachtung. So machen zum Beispiel im „pfotendurchhuschten Urwald“ Insekten vor dem Wegfliegen einen Knicks. Das Buch selbst ist wie eine lose Latte am Bretterzaun – zum Durchschlüpfen in die unbegrenzte Welt der Fantasie.