Das Geheimnis von Ella und Micha ist eine wundervolle, zeitgenössische Liebesgeschichte, die vor allem deshalb so gelungen ist, weil sie eben nicht nur von der Liebe handelt, sondern auch vom Leben an sich und damit eine sehr realistische ist.
Jessica Sorensen schickt den Leser zusammen mit ihren beiden Protagonisten Ella und Micha, aus deren Perspektiven die Handlung abwechselnd geschildert wird, sodass man sich in beide Figuren gut hineinversetzen kann, auf eine fesselnde Reise durch die Widrigkeiten des Lebens. Jeder von ihnen ist in komplizierten sowie ziemlich ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hat schon einige schlimme Schicksalsschläge erlebt, die sie teilweise noch bis in die Gegenwart verfolgen. Dafür konnten sie sich aber wenigstens immer aufeinander verlassen und haben sich so gegenseitig Halt gegeben.
Ella hat jedoch große Angst davor sich jemandem wirklich zu öffnen und als ihre jahrelange tiefe Freundschaft zu Micha beginnt sich zu verändern, intimer zu werden, ergreift sie die Flucht. Allerdings flieht sie nicht nur vor ihren Gefühlen für Micha, sondern auch vor sich selbst. Sie will alles hinter sich lassen und die Vergangenheit am liebsten vergessen, weil sie sich die Schuld am Tod ihrer Mutter gibt und mit diesen Schuldgefühlen nicht mehr umgehen kann. Sie fängt ein neues Leben an, bricht den Kontakt zu ihrem früheren Leben fast völlig ab, und wird dabei zu jemandem, der sie einfach nicht ist.
Erst als sie durch den Mangel an Geld und Alternativen gezwungen ist in den Semesterferien nach Hause zurückzukehren, wird ihr bewusst, dass Flucht keine Lösung ist und ihr langer und harter Weg der Selbsterkenntnis beginnt. Sie erkennt, dass man sich zwar verändern kann, sich dabei aber nicht selbst verlieren und seinen wahren Charakter unterdrücken sollte; dass sie einige Menschen mit ihrem plötzlichen, unbedachten und abschiedlosen Abgang sehr verletzt hat; dass Gefühle nicht verschwinden, indem man sie ignoriert; dass man sich seinen Ängsten stellen muss um sie zu überwinden, und, was am wichtigsten ist, dass man sich selbst vergeben sollte, wenn man einen Fehler gemacht hat. Niemand ist perfekt oder kann alles kontrollieren und gerade weil man die Vergangenheit nicht ändern kann, darf man sie nicht über die Zukunft bestimmen lassen. Außerdem findet heraus, dass Nähe etwas sehr schönes sein kann, wenn man sie zulässt und es manchmal durchaus hilfreich sein kann, wenn man jemanden zum Reden hat.
Dass Ella nun endlich die Vergangenheit überwinden kann, hat sie vor allem Micha zu verdanken. Er hat acht Monate lang versucht sie zu finden und setzt nun, da sie zurückgekehrt ist, alles daran seine frühere beste Freundin zurückzubekommen. Er weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss um das Feuer in ihr, das er so vermisst hat, wieder zu entfachen. Er kennt Ella teilweise besser als sie sich selbst und sieht ihr an, dass ihr neues Ich nur eine Fassade ist, eine Mauer, mit der sie sich schützen will, dass sie aber trotzdem unglücklich ist. Er liest in ihren Augen wie in einem Buch und will sie unbedingt lächeln sehen. Er gibt Ella nicht auf, obwohl sie ihn wieder und wieder von sich stößt und dafür kann man ihn einfach nur lieben. Seine Beharrlichkeit ist bewundernswert und man merkt jeder seiner Handlungen an, dass er das alles nur tut, weil er Ella so sehr liebt.
Jessica Sorensen zeigt dem Leser also, warum Ella und Micha einander lieben und was sie am jeweils anderen besonders anziehend finden, wodurch ihre Liebe sehr glaubwürdig ist. Sie haben diese tiefen Gefühle über Jahre hinweg füreinander entwickelt und es hat lange gedauert, bis sie es sich selbst und schließlich dem anderen gegenüber zugeben konnten.
Da Ella Micha mit der Zeit näher an sich heran lässt, gibt es auch ein paar wenige, dafür aber sehr ansprechende, erotische Szenen. Dabei verzichtet die Autorin auf nervigen Dirty Talk und beleuchtet stattdessen Ellas nachvollziehbare Ängste genauer. Sie zeigt, dass Intimität Vertrauen erfordert und die Erfahrung viel intensiver ist, wenn der andere einem etwas bedeutet.
Das Buch dreht sich hauptsächlich um Ella und Micha, trotzdem gibt es neben ihnen noch ein paar Nebenfiguren, von denen man insbesondere ihre jeweils besten Freunde Ethan und Lila sehr ins Herz schließt. Während Ethan schon von Kindesbeinen an mit Micha und Ella befreundet ist, hat Lila Ella erst auf dem College und somit zunächst einmal nur deren neues Ich kennen gelernt. Entgegen der Befürchtungen ihrer Mitbewohnerin, hat Lila die wahre Ella allerdings mindestens genauso gern, wenn nicht sogar noch mehr und erweist sich letztlich als echte Freundin.
Außerdem scheinen Ethan und Lila Gefallen aneinander gefunden zu haben, auch wenn sie das abstreiten, was zeigt, dass Gegensätze sich eben doch manchmal anziehen. Vielleicht schaffen die Beiden es ja dann im nächsten Band offiziell ein Paar zu werden.
Obwohl es sich um den ersten Band einer Tetralogie handelt, kann man Das Geheimnis von Ella und Micha durchaus als Einzelband lesen, denn das Ende ist in sich abgeschlossen und lässt erst einmal keine Wünsche offen. Ella und Micha haben einen Weg gefunden, sich der Vergangenheit zu stellen und ihre jeweils eigenen Träume für die Zukunft mit ihrer gegenwärtigen Beziehung in Einklang zu bringen.
FAZIT
Das Geheimnis von Ella und Micha ist eine berührende Geschichte über das Leben und die Liebe, die einen mal zum Lachen und mal zum Weinen bringt. Die einem zeigt, dass die Liebe sowohl schön als auch Angst einflößend sein kann. Dass ein Fehler das ganze Leben verändern kann, sie zu machen aber trotzdem dazu gehört, weil man eben nicht alles kontrollieren kann.
Ella und Micha sind zwei unheimlich sympathische Figuren, denen man gern dabei zusieht, wie sie schließlich zueinander finden und gemeinsam ihre Probleme überwinden. Das Ende verlangt eigentlich nicht zwingend nach einer Fortsetzung, dennoch wird man nicht zögern diese zu lesen, vor allem damit man sich noch nicht endgültig von diesem tollen Paar verabschieden muss.