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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2018

Ein türkisch-fränkischer Humor-Döner

Bülent Rambichler und die fliegende Sau
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Bülent Rambichler pflegt sich gerne und ausgiebig in seinem Wohnungs-Hamam, ist Hauptkommissar im Nürnberger Morddezernat und sträubt sich seit Jahren erfolgreich gegen jeglichen Außendienst. Als jedoch ...


Bülent Rambichler pflegt sich gerne und ausgiebig in seinem Wohnungs-Hamam, ist Hauptkommissar im Nürnberger Morddezernat und sträubt sich seit Jahren erfolgreich gegen jeglichen Außendienst. Als jedoch in seinem Heimatstädtchen Strunzheim die „Gelbwurst-Pflunzn“, die Fleischereifachverkäuferin Kerstin, gewaltsam zu Tode kommt, muss er doch seinen geliebten Schreibtisch verlassen und zusammen mit seiner yogabiegsamen veganen Assistentin Astrid Weber tief eintauchen in den fränkische Provinzmief.
Zwei Anmerkungen vorneweg: Im Buch ist „Allmächd“ mit t am Ende geschrieben, also Allmächt. Das könnte ein Franke gar nicht aussprechen, geschweige denn schreiben! Und da sich die Franken nicht als Bayern sehen, ist ein Wolpertinger als Titelbild nicht ganz so glücklich…
Anja Bogner hat meiner Meinung nach den perfekten Provinzkrimi geschrieben. Perfekt, weil die Geschichte als solche gute Krimiqualität hat und die Aufklärung durchaus überrascht. Perfekt, weil die fränkische Grobheit in der Sprache und im Humor, die fränkische Sturschädeligkeit wunderbar in Szene gesetzt wird. Und perfekt, weil die Protagonisten in ihrer überzeichneten Darstellung, wie in einer Karikatur, Prototypen von Menschen sind, die man nicht nur in Franken findet: türkisch-stolze Eltern, träge Beamte, extrem neugierige Kleinstadtbewohner usw.
Schon viele Jahre lebe ich weit weg von meiner Heimatstadt Nürnberg, aber Anja Bogner hat es geschafft, mich mit ihrem Krimi nach nur wenigen Seiten mitten hinein in mein fränkisches Herz zu treffen. Da finde ich fränkische Mundartwörter, die fest zu meiner Kindheit gehörten und die ich schon vergessen hatte, wie z. B. der Hetscher (Schluckauf). Wenn Begriffe auftauchen, die zu tief in die fränkische Fremdsprache reichen, als dass ein Nicht-Franke sie verstehen könnte, gibt es entsprechende Übersetzungen als Anmerkungen, zusätzlich noch im Anhang ein Glossar „Fränkisch für den Hausgebrauch“. Anja Bogner trifft perfekt den derben Humor, hinter dem der Franke gerne sein großes Herz versteckt. Außerdem spielt die Autorin gekonnt mit Situationskomik, Krimispannung und Lokalkolorit, und der Leser merkt, dass sie selbst großen Spaß hat an diesem Spiel. Selten habe ich bei Lektüre eines Buches so oft so schallend gelacht wie bei diesem hier.
Das Buch ist wie ein türkisch-fränkischer Döner, saugut!

Veröffentlicht am 25.05.2018

Zum Staunen gut

Der Dominoeffekt oder Die unsichtbaren Fäden der Natur
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Alles ist mit allem verbunden, und wenn in diese Verbundenheit von Menschenhand eingegriffen wird, kann das unabsehbare Folgen für das Ökosystem haben.
Accinelli erzählt auf locker-unterhaltsame Weise ...


Alles ist mit allem verbunden, und wenn in diese Verbundenheit von Menschenhand eingegriffen wird, kann das unabsehbare Folgen für das Ökosystem haben.
Accinelli erzählt auf locker-unterhaltsame Weise in 18 erstaunlichen, unglaublichen, aber wahren Geschichten von solchen Eingriffen in die Natur und deren Folgen. Da gibt es Ereignisse, die gut ausgingen, wenn z. B. Schmetterlinge Rettung bringen vor einer Kaktusplage. Oder Geschichten ohne Ende, wie z. B. der Kampf Mensch gegen Kaninchen. Andere Geschichten wiederum sind so seltsam, dass man sie kaum glauben mag, wie z. B. die Geschichte über das Froschhotel in Panama. Jede Geschichte für sich ist so interessant, so spannend, so ungewöhnlich, dass sie Lust macht, weiter zu recherchieren, noch mehr zu erfahren und so tiefer einzudringen in das große Strickmuster der Natur. So ganz nebenbei, im Plauderton berichtet, erfahren wir so viel Wissenswertes, Wunderbares, Erstaunliches aus der Welt der Pflanzen und Tiere, dass dieses Buch nicht nur Kindern vorbehalten bleiben sollte, sondern dass auch Erwachsene es mit ganz großem Gewinn lesen sollten. Denn es kann uns etwas zurückgeben, was wir oftmals verloren haben: die große Ehrfurcht vor der Weisheit der Natur.
Die wunderbaren Zeichnungen von Serena Viola, die von fotogenau bis abstrakt mäandern, verbinden die Geschichten mit dem Faden, der wie in der Natur alles mit allem verbindet. Ein großartiges Buch!

Veröffentlicht am 24.05.2018

Zaubermittel gegen Lesemuffel

Das Hotel der verzauberten Träume - Annabells Tagebuch (Das Hotel der verzauberten Träume 2)
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Ups - ein kleiner Tippfehler bei der Navi-Eingabe – und schon landet die Familie in einem uralten, winzigen Hotel an der Ostsee, 400 km entfernt vom eigentlich gebuchten Luxushotel an der Nordsee. Statt ...


Ups - ein kleiner Tippfehler bei der Navi-Eingabe – und schon landet die Familie in einem uralten, winzigen Hotel an der Ostsee, 400 km entfernt vom eigentlich gebuchten Luxushotel an der Nordsee. Statt 3D-Kino und Feuerspucken, statt Tauchkurs, Riesenwasserrutsche und anderen angebotenen Freizeitunternehmungen nur die Bekanntschaft mit Dackel Dornröschen und Gans Agathe, und kein WLAN! Was für eine Enttäuschung für Joelle und ihren Bruder. Doch sehr schnell wandelt sich die Enttäuschung in ein spannendes Abenteuer. Denn die Hotelbesitzerin Fräulein Apfel ist irgendwie seltsam, als hüte sie ein Geheimnis. Das uralte Telefon an der Rezeption klingelt, obwohl es gar nicht angeschlossen ist. Und der ausgestopfte Seeadler, der normalerweise im Hoteleingang sitzt, fliegt um Mitternacht über den Strand. Die Kinder entdecken schließlich noch auf dem Dachboden einen Raum, in dem Hunderte von Traumfängern hängen…
Ein richtig schönes Kinderbuch ist der Autorin Gina Mayer hier gelungen. Eine zauberhafte Geschichte wird lebendig und humorvoll erzählt, mit sehr liebenswerten Protagonisten. Die märchenhaften Elemente vermischen sich im ausgewogenen Maß mit einer richtig spannenden, geheimnisvollen Abenteuergeschichte. Das Buch findet genau die richtige kindgerechte Mischung zwischen Realität und Fantasie und bringt durch die spannende Handlung auch ausgesprochene Lesemuffel ans Lesen. Unbedingt hervorheben möchte ich die liebevoll ausgearbeiteten Illustrationen von Gloria Jasionowski, die die erzählte Geschichte in perfekter Weise ergänzen. Und dass noch eine Bastelanleitung für Traumfänger im Buch zu finden ist, halte ich für eine prima Idee zur Vertiefung der Geschichte. Rundum also: absolut empfehlenswert!

Veröffentlicht am 23.05.2018

Schnurrende Diva

Kluge Gedanken für Frauen, die Katzen lieben
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Geschenkbücher für Katzenliebhaber gibt es reichlich auf dem Markt. Hier eine Lücke zu finden, eine Nische für das Besondere, ist schwierig, aber dem Insel Verlag ist dies, wie ich meine, mit dem vorliegenden ...


Geschenkbücher für Katzenliebhaber gibt es reichlich auf dem Markt. Hier eine Lücke zu finden, eine Nische für das Besondere, ist schwierig, aber dem Insel Verlag ist dies, wie ich meine, mit dem vorliegenden Büchlein hervorragend gelungen.
Allein schon die Gestaltung des Taschenbuchs ist besonders. Jede Seite, wirklich jede Seite, ist farblich oder im Layout unterschiedlich gestaltet. So gibt es fliederfarbene oder graue oder ockerfarbene Seiten, mit nostalgisch wirkendem feinem Muster versehen, wie englisches Geschenkpapier wirkend. Auf diesen Seiten entdeckt man Sätze wie „Die Idee der Ruhe findet sich in einer sitzenden Katze“. Zwischengesetzt finden wir Schwarz-Weiß-Fotos von ungewöhnlicher Art, denn sie sind allesamt einer früheren Zeit entnommen, unverkitscht, und doch oder gerade deshalb anrührend. So manches Foto scheint der Filmwelt entsprungen, als es noch wahre Diven gab. Die Diva Katze und die Diva Frau, in perfekter Filmpose auf dem Foto eingefangen. Passend dazu von Robert Anson Heinlein: „Frauen und Katzen tun, was ihnen gefällt. Männer und Hunde … sollten sich daran gewöhnen.“ Bei jedem Durchblättern entdeckt man neue Details, ein unbekanntes Zitat. Selbst altbekannte Aussprüche wie „Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse“ bekommen durch die Buchgestaltung ihr besonderes Comeback.
Rundum also ein liebevoll, etwas nostalgisch gestaltetes Büchlein, eine gelungene Hommage an das kapriziöse Wesen Katze. Und das ideale Geschenk für alle, die genau das zu schätzen wissen: klugen Eigensinn.

Veröffentlicht am 21.05.2018

Bös, böser, Sara Paborn

Beim Morden bitte langsam vorgehen
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Was für ein unglaublich intelligenter, lebenskluger und bitterböser Roman! Selten habe ich mich so gut unterhalten und gleichzeitig entlarvt gefühlt, habe die Fülle der eingestreuten Bonmots der Autorin ...


Was für ein unglaublich intelligenter, lebenskluger und bitterböser Roman! Selten habe ich mich so gut unterhalten und gleichzeitig entlarvt gefühlt, habe die Fülle der eingestreuten Bonmots der Autorin genossen und mir sehnlichst gewünscht, dass alle Heile-Welt-Täuscher anhand der Doppelbödigkeit dieses Romans zur Ehrlichkeit finden mögen.
Ein Ausschnitt aus dem Klappentext erzählt den vordergründigen Inhalt: Nach 39 Ehejahren voller Sticheleien hat Irene endgültig genug von ihrem Mann. Als sie eines Tages in einer alten Schachtel Vorhang-Bleibänder findet, kommt ihr die beste Idee ihres Lebens: Aus der immer so netten Bibliothekarin wird eine gerissene Hobbychemikerin, die ihre bisher von Braten- und Kuchenduft erfüllte Küche in ein Labor verwandelt. Dort bereitet sie Bleizucker zu. Geduldig rührt sie ihrem Mann täglich ein Löffelchen in den Kaffee…
Wer die Bücher von Ingrid Noll mag, wird das vorliegende Buch lieben! Sara Paborn schreibt allerdings noch böser, noch pointierter, noch humorvoller, noch brillanter. Und nein, das Buch ist kein Krimi. Es gibt keine Tätersuche. Allenfalls gibt es die Suche nach dem Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Und nein, das Buch ist kein Psychogramm verwirrter Seelen, die man mit Diagnosen versehen in Schubladen unterbringen kann. Allenfalls gibt es Erinnerungen an früher selbstverständliche Erziehung, als die Frau dem Mann noch untertan sein sollte. Das Buch ist eine geniale Parabel für die Unmöglichkeit gleichgewichtigen menschlichen Miteinanders. Nur vordergründig gesehen ist Horst das Ekel, das es zur Gewinnung der eigenen Freiheit zu vernichten gilt. Und nur vordergründig gesehen ist die langsam mordende und sich selbst damit befreiende Irene die Person, die unsere Sympathie erhält. Die maßlose Überzeichnung beider Personen fordert den Leser heraus, Stellung zu beziehen – böser Horst und gute Irene – und gar nicht zu merken, wie wir damit der Autorin auf den Leim gehen. Denn wir alle haben in langjährigen Beziehungen ein bisschen Horst und ein bisschen Irene in uns, wir alle erleiden Mikrotraumata und setzen selbst welche. Dieser Wahrheit ins Gesicht zu sehen, würde uns gut tun. Bevor wir Bleizucker anrühren…