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Veröffentlicht am 30.05.2018

Sehr bewegend.

Tage wie Türkis
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Als Amy ihr altes Tagebuch wiederfindet, macht sie sich ohne es zu beabsichtigen auf eine Reise zurück in ihre Vergangenheit.
Fast zwei Jahrzehnte gleiten in ihrer Erinnerung an ihr vorbei und Amy versinkt ...

Als Amy ihr altes Tagebuch wiederfindet, macht sie sich ohne es zu beabsichtigen auf eine Reise zurück in ihre Vergangenheit.
Fast zwei Jahrzehnte gleiten in ihrer Erinnerung an ihr vorbei und Amy versinkt in Fragen. Fragen und Gedanken zu ihrem alten Ich, ihrer Vergangenheit, Fragen an die Zukunft, an das „wie wird es werden“.
Große Fragen, philosophische Fragen über die Welt, die Menschen und ihr Verhalten.
Und Amy fragt sich, wann ihre eigenen Tage wieder türkis sein werden - denn türkise Tage, das sind die Tage voller Glück, voll Zuversicht, voll Freundschaft.

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„Tage wie Türkis“ ist ein kleines Buch.
144 Seiten fasst es - und beinhaltet doch so viel mehr, als dieser kleine Umfang vermuten lässt.

Vor Allem sprachlich fasst es ganze Welten, metaphorisch, sensibel und unglaublich bildhaft umreisst es nicht nur pragmatische Elemente, sondern greift mal eben auch umfassend philosophische und esoterische Aspekte auf.
Immer, und das finde ich besonders ansprechend, auf eine sehr positive Art und Weise.

Spannend und wirkungsvoll das Verbinden von Farben und Emotionen - natürlich nicht neu, aber durchaus ein Element, dass Vieles verständlicher macht, dass vermutlich jedem auch bekannt ist.
Lange nicht immer geht es - um beim Thema der Farben zu bleiben - rosa zu in Amys Leben, ihrer Vergangenheit und der Gegenwart. Aber immer schafft es die Autorin, Hoffnung auf einen positiven Ausgang aufrecht zu halten, Licht scheinen zu lassen in Amys dunkelsten Momenten.

Das hilft auch dem Leser, denn zugegebenermassen leidet man oft sehr mit mit Amy; der Schreibstil zieht einen rein in ihr Leben, ihre Gefühlswelt, ihre Gedanken.
Man fühlt sich verbunden mit ihr und ihrer Vergangenheit und auch man selber spürt oft bedrückend Amys Lage; um dann glücklicherweise immer wieder einen Hoffnungsschimmer zu erleben.

Effektiv ist „Tage wie Türkis“ wie ein kleiner Ratgeber, eine Hilfe in Buchform, ein Denkanstoss.
Viele Fragen werden aufgeworfen, Fragen, die auch teils durchaus uns selber betreffen.
Amy befindet sich nach dem Auffinden ihres Tagebuchs auf dem Weg, sich selber zu finden und ihre Vergangenheit zu bewältigen, sie zu verstehen.
Dadurch, dass wir sie auf diesem teils sehr schwierigen Weg begleiten beschäftigen auch wir uns mit den Fragen, die sie leiten.

Und die Hoffnung, die ihr gegeben wird, die wirkt auch auf uns wie eine kleine „Selbsthilfe“ beim Lesen.
Man wird aufgerüttelt, man fängt an nachzudenken, man stellt sich selber Fragen und infrage und gleichzeitig bekommt man doch das positive Gefühl vermittelt, dass es weitergehen wird.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Der zweite Fall für Mara Billinsky

Lautlose Schreie
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Frankfurt.
Die Polizei macht auf einem Feld eine grausame Entdeckung: sieben Kinderleichen werden gefunden, allesamt in einem Zustand, der darauf schließen lässt, dass die Kinder vor ihrem Tod lange gelitten ...

Frankfurt.
Die Polizei macht auf einem Feld eine grausame Entdeckung: sieben Kinderleichen werden gefunden, allesamt in einem Zustand, der darauf schließen lässt, dass die Kinder vor ihrem Tod lange gelitten haben müssen - und alle Leichen haben frische Operationsnarben.

Mara Billinsky übernimmt den Fall zutiefst erschüttert und mit dem festen Entschluss, den Täter sobald wie möglich dingfest zu machen.
Mit ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden - nicht immer zum Vergnügen ihres Vorgesetzten und ihrer Kollegen - deckt sie ein Verbrechen auf, dessen Ausmaße schockieren.

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„Lautlose Schreie“ ist der zweite Fall für Mara Billinsky, die unorthodoxe Ermittlerin aus Frankfurt.
Sie wird konfrontiert mit einem Fall, der in seinen immer größeren Dimensionen nicht nur ihr, sondern auch dem Leser sehr an die Nerven und an die Gefühle geht.
Sind es anfangs sieben Kinderleichen - ohnehin schon etwas, was einen nicht unbedingt schnell loslässt - befindet sie sich schnell in einem Fall von Organhandel.

Und der lässt einen ebenso fassungslos wie gebannt dastehen - und lesen. Mit extrem hohem Erzähltempo fegt die Geschichte durch die Seiten, der Leser kommt selten zum Durchatmen.

Das Thema Organhandel immer aktuell und nie emotionslos. Hier als zu lösender Fall und gleichzeitig aber auch einmal beleuchtet von der „Gegenseite“ - was ist, wenn das eigene Kind auf ein Spenderorgan angewiesen ist, aber keins bekommt?

Eine skrupellose Organmafia und eine Kommissarin, die alles dran setzt, ihr das Handwerk zu legen.
Eine unglaublich spannende Persönlichkeit, die Mara, auch genannt „die Krähe“. Relativ neu in Frankfurt und noch dabei, ihr Revier abzustecken. Und das mit eigenen Mitteln. Sie verbiegt sich nicht, sie ist sie selbst. Mit Ecken, Kanten und oft auch viel Witz.

Generell sehr gut ausgearbeitete und gut vorstellbare Charaktere, die sich im Verlauf des Thrillers entwickeln und gut greifbar sind. Es ist spannend, ihnen zu folgen, vor Allem auch, da niemand einfach platt „gut“ oder „böse“ ist, sondern jeder seine Facetten hat.

Ebenso vielschichtig die Geschichte an sich. Wenn man denkt, jetzt blickt man durch gibt es Wendungen, die man so nicht erahnen konnte, die einen als Leser immer wieder überraschen. Besonders spannend: auch Mara liegt gerne mal daneben.

Traurig auf der einen Seite, aber eine gute Wahl: es gibt kein Happy End. Schicksale und Fragen bleiben offen, nicht alles löst sich einfach und simpel auf.
In manchen Büchern der Supergau, hier in sich sehr stimmig und vor Allem auch Hoffnung auf einen weiteren Fall für Mara, in dem sich vielleicht so manche Frage noch klären lässt.

Veröffentlicht am 06.05.2018

Die perfekte Welle

Barbarentage
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William Finnegan lebt in den 60ern nach einem Umzug aus Kalifornien in Hawaii.
Seine große Leidenschaft ist das Surfen, für ihn nicht nur ein Sport, sondern seine Identität. Das Surfen bietet ihm die ...


William Finnegan lebt in den 60ern nach einem Umzug aus Kalifornien in Hawaii.
Seine große Leidenschaft ist das Surfen, für ihn nicht nur ein Sport, sondern seine Identität. Das Surfen bietet ihm die Möglichkeit, sich selbst und seinen Platz in der Welt zu finden.

Immer auf der Suche nach der „perfekten Welle“ zieht es ihn als jungen Erwachsenen durch die Welt. Er sieht Afrika, Asien und Australien, lebt ein unstetes Abenteuerleben. Finnegan lernt Menschen und Kulturen kennen, lebt Liebe und Freundschaft - existiert in erster Linie aber für seine große Leidenschaft, das Surfen.

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„Barbarentage“ ist die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Autobiografie des amerikanischen Journalisten William Finnegan.

Unglaublich sachlich und nüchtern nimmt er uns mit auf die Reise durch sein Leben.
Für mich faszinierend zu erleben, wie pragmatisch er schreibt - und wie emotional es trotzdem oder grade deswegen wirkt.
Seine Leidenschaft für das Surfen ist Dreh- und Angelpunkt seiner Erzählung - und es gibt für den Leser gar kein Vertun: die Liebe zum Surfbrett spürt man in jeder Zeile, sei sie auch noch so nüchtern.
Ich selber habe noch nie auf einem Surfbrett gestanden, aber nach diesem Buch würde ich es fast gerne tun.

Klar, die Fachtermini, die immer wieder auftauchen, die sind etwas anstrengend, das will ich nicht in Abrede stellen. Wer weiss, wovon er da schreibt, für den ist es perfekt, für mich sind es eben böhmische Dörfer. Aber ich möchte mich auch nicht festhalten an diesen Details - die Gesamtstimmung, das Gesamtbild des Themas Surfen als Lebensinhalt, das wirkt.

Finnegan hatte es nicht immer leicht, der Umzug und auch die Gewalt an der Schule haben ihn charakterlich geprägt. Er beschreibt das Aufwachsen und Leben in den 60ern und 70ern, es ist spannend, persönliche Einblicke in diese Zeit zu kriegen. Und ganz nebenbei erfährt man auch noch mehr über Vietnamkrieg und die Hippiezeit. Nie beschönigt, immer real.

Stringent erzählt er seine Geschichte, Schritt für Schritt folgen wir ihm auf seiner Reise durch die Welt und durch sein Bestreben, sich Abenteuer und Freiheit in seinem Leben zu bewahren.

Er hat viel erlebt, dadurch ist das Buch lang, keine Frage. Natürlich kommen einem bei der Länge auch manche Elemente etwas zu lang vor, aber Alles in Allem ist es wunderbar zu lesen.

Veröffentlicht am 03.05.2018

Nachtlichter.

Nachtlichter
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Amy und ihr Bruder Tom wachsen auf den Orkney Inseln in Schottland auf. Einsame Weiten, unberührte Natur, viel Wildnis und eine bäuerliche Abgeschiedenheit.
Nach einer Kindheit geprägt durch einen streng ...

Amy und ihr Bruder Tom wachsen auf den Orkney Inseln in Schottland auf. Einsame Weiten, unberührte Natur, viel Wildnis und eine bäuerliche Abgeschiedenheit.
Nach einer Kindheit geprägt durch einen streng religiösen Mutter und einem psychisch labilen Vater verlässt Amy ihr Zuhause, um in London ein neues Leben zu beginnen.

Sie holt auf, was sie an Leben auf den einsamen Inseln bisher meint, versäumt zu haben.
Männer, Parties, Lichter, Krach, Menschen und viel viel Alkohol.

Sie wird abhängig, trinkt bis zum Exzess und driftet immer weiter ab. Amy verliert ihren Freund, schließlich ihren Job und entschließt sich, ihrer Sucht mithilfe eines Alkoholprogramms entgegenzutreten.

Schlussendlich kehrt sie nach zwölf Jahren Großstadt zurück auf die Orkney Inseln, sieht ihre Eltern wieder, arbeitet und hilft vor Ort. Eigentlich geplant als Zwischenstopp auf dem Weg zur Heilung werden die Inseln aufgrund mangelnder Alternativen erneut zur ihrer Heimat.

Sie lässt sich mitreissen von der Natur, der Wildnis, der rauen Umwelt und ihre Sehnsucht nach dem Alkohol nimmt langsam ab.



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So rau und natürlich wie die Gegend der Orkney Inseln, so schreibt auch Amy. Schonungslos und direkt, ohne Umschweife auf den Punkt.
Sie nimmt den Leser mit auf die Reise durch ihr Leben und manchmal kann man fast vergessen, dass es sich um einen autobiografischen Roman handelt, den man hier vor sich hat.

Die Beschreibungen der Natur, unfassbar plastisch, machen greifbar, was in Amy nach ihrer Rückkehr vorgeht und lassen ahnen, wie sie es schafft, langsam von der Sucht abzulassen.

Besonders faszinierend geschrieben auch die Erzählungen ihrer Zeit in London - man feiert mit, trinkt mit, leidet mit, lebt mit ihr die Sucht.
Sie beschönigt nichts, sie nimmt sich selbst nicht in Schutz. Sie erzählt. Dokumentiert quasi.

Manchmal meint sie es vielleicht etwas zu gut, wenn sie sich ausführlich auslässt über ihre Emotionen, wiederholend und detailliert - aber vielleicht gehört das einfach dazu, zur Aufarbeitung des Ganzen.
Sie springt hin und her, ihre Gedanken, grade zu Londoner Zeiten, sind flüchtig und schwankend. Manchmal ist es etwas schwer zu folgen, aber das macht es gleichzeitig auch greifbarer, das Ambivalente ihrer Situation in der Stadt.

Zurück auf den Inseln werden das Leben und die Sprache ruhiger, fliessender.
Die Natur rettet sie - jedoch nur bis zu einem gewissen Grad.

Das Suchtverhalten, der Wunsch nach dem Erleben von Grenzerfahrungen bleibt. Wird teilweise ersetzt. So gibt ihr das Schwimmen im eiskalten Meer einen ähnlichen Kick wie damals der Alkohol.

Man folgt Amy gebannt und gespannt durch ihr Leben, leidet mit ihr und hofft, dass sie den Absprung schafft. Man steht mit ihr in der wilden Natur Schottlands und versteht. Was sie erlebt und wie sie lebt.

Ein unglaublich greifbares, trotz rauem Schreibstil emotionales Buch, das einen begeistert und nicht so schnell wieder loslässt.

Veröffentlicht am 02.05.2018

Unglaublich bewegend.

Flüchtige Seelen
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Janie kam als kleines Mädchen aus Kambodscha nach Kanada.
Sie hat sich in Montréal ein Leben als erfolgreiche Neurologin aufgebaut, hat Mann und Sohn.
Als ihr Mentor und Kollege Hiroji urplötzlich und ...

Janie kam als kleines Mädchen aus Kambodscha nach Kanada.
Sie hat sich in Montréal ein Leben als erfolgreiche Neurologin aufgebaut, hat Mann und Sohn.
Als ihr Mentor und Kollege Hiroji urplötzlich und spurlos verschwindet, macht sich Janie auf die Suche.

Nach ihm und nach ihrer eigenen Vergangenheit - denn beides ist eng miteinander verknüpft.
Beide haben ihre Geschwister während der Zeit der Roten Khmer verloren, beide haben schlimmste Traumata erlebt und können nicht abschließen mit der Vergangenheit, die tiefe Wunden in ihre Seelen gerissen hat.

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Janie befasst sich beruflich mit Menschen, die ihre Erinnerung verlieren. Und kämpft selbst mit ihrer Vergangenheit, ihren Emotionen und vor Allem ihren Erinnerungen. Die Roten Khmer haben sie umgestrickt, die einzelnen Menschen. Haben die Geschichten neu geschrieben, Erinnerungen verändert, ganze Leben neu kreiert.
Janie hatte mal einen anderen Namen, war jemand Anderes. Sie wurde gerettet aus Kambodscha, bekam eine neue Chance bei einer Pflegefamilie. Aber ihr Bruder, der ist verschwunden.
Somit lebt ihre Vergangenheit in ihrer Gegenwart, denn sie kann nicht abschließen, ihre Fragen nicht klären - und ihre Scham darüber, dass sie, anders als vermutlich ihr Bruder, gerettet werden konnte zermürbt sie.

Man folgt Janie auf ihrer emotionalen Reise in ihre Vergangenheit und ihre Erinnerungen, man springt zwischen Kanada und Kambodscha, zwischen dem Heute und dem Vergangenen.
Manchmal ist es schwierig, sofort hineinzufinden in die Gedankengänge, in die Haken, die das Buch kapitelweise schlägt, in die Gedanken, die zwischen verlassenen Kindern, Gewalt und Schuldgefühlen springen.
Aber diese Schwierigkeit braucht das Buch, denn sie spiegelt die emotionale Verfassung der Protagonistin wieder. Das Zerrissene, das Wirre - das macht sie aus, die Menschen, die einen Krieg erleben mussten.

Sprachlich sehr leise aber unglaublich berührend erzählt Madeleine Thien von Schicksalen, die einen so schnell nicht mehr loslassen.
Eigentlich steht Kambodscha hier nur stellvertretend für alle großen Konflikte unserer Welt - und Janie und Hiroji nur Beispiele für so Viele, die traumatisiert und emotional zerstört sind von Kriegen. Das Buch und seine Botschaft ist zeitlos, ein Spiegel für jede Generation, die Gewalt und Zerstörung erleben muss und die Konsequenzen mitnimmt in die Zukunft.

Hier gibt es Krieg ohne plakative Gewalt, es wird nicht filmhaft gemordet, es fließt kein Blut. Poetisch und zwischen den Zeilen erlebt der Leser das Unfassbare, was Janie erlebt haben muss. Leise und emotional leidet man mit, erlebt die Qualen, die teils unglaublich grausamen Situationen, in denen die Protagonisten überleben mussten.

Die Zerrissenheit, die Schuldgefühle, die ungeklärten Fragen nach der eigenen Identität, man kann ihnen nicht entkommen beim Lesen dieses Buches.

Man kann es nicht weglegen, auch wenn es einem manchmal das Herz bricht. Und wenn man fertig ist, dann ist man trotzdem noch da, emotional gefangen von dem, was man dort mit Janie erleben musste.