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Veröffentlicht am 15.07.2018

Von brutaler Düsternis und süßen Träumen: "Wir waren tot, aber jetzt stehen wir wieder auf!"

Ein Schatz aus Papier und Magie (Das Buch von Kelanna 2)
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Allgemeines:

Titel: Ein Schatz aus Papier und Magie
Autor: Traci Chee
Genre: Fantasy
Verlag: Carlsen (28. Juni 2018)
ASIN: B077PWZBS4
ISBN-10: 3551583552
ISBN-13: 978-3551583550
Originaltitel: The Speaker
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Ein Schatz aus Papier und Magie
Autor: Traci Chee
Genre: Fantasy
Verlag: Carlsen (28. Juni 2018)
ASIN: B077PWZBS4
ISBN-10: 3551583552
ISBN-13: 978-3551583550
Originaltitel: The Speaker
Seitenzahl: 544 Seiten
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
18,99€ (Gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: "Ein Meer aus Tinte und Gold";
"Die Schlacht um Wörter und Blut"



Inhalt:


"Meine Liebe ist für neugierige Blicke unsichtbare. Doch das Herz wird sie immer finden."

Nach der schmerzhaften Begegnung mit der Wache flüchten Sefia und Archer sich in den Schutz der Wälder. Doch vor den qualvollen Bildern der Vergangenheit gibt es kein Entkommen. Um diese zu vertreiben, beschließen sie, die Organisation der Impressoren zu zerschlagen und die gefangenen Jungen zu befreien. Doch jeder Kampf macht Archer mehr und mehr zu dem unerbittlichen Krieger, der er früher war. Sefia will ihm beistehen und sucht in ihrem Buch nach Antworten. Denn Archers Schicksal stellt nicht nur ihre Freundschaft auf die Probe – auch die Sicherheit Kelannas steht auf dem Spiel.


Bewertung:


Schon nach dem ersten Teil der Trilogie um das Buch von Kelanna "Ein Meer aus Tinte und Gold" war ich hin und weg von diesem wundervollen Märchen für Erwachsene, das in eine wundervoll schreckliche Welt aus Wasser, Schiffen und Magie entführt. Doch spätestens nach diesem grandiosen Mittelteil, der ästhetische Gestaltung, herzzerreißende Gefühle und brutale Action zu einer unvergesslichen Geschichte vereint, bin ich ein absoluter Fan von Traci Chee.


"Dass du dir eine bessere Welt wünschst, macht dich nicht zu einem schwachen Menschen.
Es macht dich zu einem Menschen, den die Welt braucht."


Ganz besonders hervorheben will ich zu Beginn wieder die Gestaltung, die ein einziger Traum in Silber ist und zusammen mit dem ersten Cover zu den schönsten aber vor allem zu den passendsten Gestaltungen ist, die ich jemals gesehen habe. Ganz im Zentrum des Bildes steht wieder das alte Buch mit den vergilbten Seiten, aus dessen Tiefen eine Burg zuwachsen scheint, auf welche ein Mädchen mit wehenden Kleidern zu reitet - das Mädchen als Leserin oder als Gelesene, als Teil der Geschichte, die kein Anfang und kein Ende hat. Der Titel umrahmt dieses Bild wieder in schwarzen Schnörkeln und komplettiert die Gestaltung, die super zu Band 1 passt. Im Gegensatz zu der warmen, lebendigen Ausstrahlung von Band 1 verströmt das Silber eine kältere, klinischere Faszination, die angesichts der heftigeren Handlung und brutaleren Atmosphäre definitiv gerechtfertigt ist. Besonders gut gefallen hat mir aber auch wieder die Gestaltung innerhalb der Buchdeckel. Dort erwarten unser prüfendes Leserauge jede Menge liebevoll gestaltete Überraschungen wie zum Beispiel wieder eine geheime Botschaft, die zwischen den Zeilen versteckt an uns gerichtet ist:


"Dies ist ein Wort und ein Zauberspruch
- ein festes Versprechen oder ein Vertrauensbruch.
Hältst du die Macht der Worte in den Händen,
kannst du deinen Namen zum Guten wenden.
Bist du Held oder Schurke?
Spitzel oder Retter?
Manche Titel sind Lüge.
Andere sind Netter.
Jetzt hast du Sprache, kannst dein Wesen bestimmen,
doch für die Erwählten gibt es kein Entrinnen"


Von einer herausnehmbaren Klappkarte von Kelanna, über eine kleine, handgeschriebene Notiz, den Plan der Wache für den Roten Krieg, kurzen Briefen, geheimnisvolle Zeichen, vergilbt erscheinende, hervorgehobene Auszüge aus dem Buch, verschiedene Schriftarten bis zu versteckten Botschaften ist alles dabei um unser Gehirn auf Trab zu halten und unser Leserherz zu erfreuen! So werden wir auf ungewohnt aktive Weise mit in das Geschehen mit einbezogen und werden Teil dieser Geschichte, sowie Sefia Teil der ihrseits gelesenen Geschichte wird. Die Autorin spielt hier mit dem Grundgedanken einer Geschichte, eines Buches, wirft die philosophische Frage in den Raum, ob wir bloß Teil einer Geschichte sind, die andere lesen und schafft gleichzeitig eine Hymne an das Lesen an sich. Ganz große Klasse!


Erster Satz: "Archer träumte schon wieder, und in seinen Träumen hatte er keinen Namen."


Die Geschichte um die Bedeutung von Geschichten beginnt mit einem kurzen Prolog aus Archers Traumperspektive. Schon in den ersten Sätzen bekommen wir auf eindrucksvolle Art und Weise geschildet, dass Sefia und Archer zwar der Wache mit dem Buch entkommen konnten, jedoch für immer auf der Flucht sein werden. Auf der Flucht vor den Häschern der Wache aber vor allem auf der Flucht vor der Schuld, der Vergangenheit, der Gewalt, die beide immer wieder einholen. Als sie schließlich auf eine Gruppe Impressoren treffen, die einige Jungen gefangen halten, beschließen die beiden, dass sie nicht länger passiv auf der Flucht sein können und befreien die Jungen. Schnell muss Sefia jedoch feststellen, dass die Jungen, die dasselbe Trauma wie Archer erlitten haben, von ihren Erfahrungen und ihrer Wut vereint zu einer Einheit zusammenwachsen, deren innerster Kern zwar Verständnis und Respekt aber vor allem auch eines ist: Blutdurst! Getrieben vom Verlangen nach Rache ziehen die Blutritzer - wie sie sich bald nennen - in den Kampf um alle Impressoren ganz Deliennes zu vernichten. Doch während sie ihrem Ziel immer näher kommen, entfernen sich die beiden treuen Begleiter immer mehr voneinander und gleichzeitig rückt auch die schlussendliche Entscheidung näher, welche Rolle Sefia und Archer im roten Krieg spielen wollen. Denn wenn Archer der Junge aus der Prophezeiung wäre, stünde sein Schicksal schon fest. Bald muss sie sich entscheiden, was sie alles dafür aufgeben würde, um das Schicksal zu ändern, denn Sefia steht ein Schatz auf der Seite: ein machtvoller Schatz aus Papier und Magie....


"Meine Familie hat damit angefangen", sagte sie. "Ich werde dir helfen, es zu beenden." Er strich über seine Narbe. Unter den Fingerspitzen spürte er, wie sein Blut bei der Aussicht auf künftige Kämpfe pochte. "Aber wenn wir Impressoren erledigen", warnte sie, "wir Tanin davon Wind bekommen und dann macht sie Jagd auf uns." Archer nickte und verzog den Mund zu einem Lächeln. "Soll sie doch. Wir veranstalten unsere eigene Jagd!"


Nachdem Band 1 recht gemächlich und unbestimmt in die Geschichte startete und noch viele Fragezeichen im Raum schwebten, ist diese Handlung deutlich zielgerichteter. Trotzdem wird hier ein für einen Fantasy-Roman sehr langsames aber wunderbar flüssiges und intensives Tempo eingehalten. Ganz besonders schön fand ich wieder die verschiedenen Handlungsstränge, die in verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten spielen, sich aber nach und nach alle zu einem Gesamtbild verflechten. Immer wieder erfahren wir hier mehr über die Geschichte Keleannas, die Pläne der Wache, die wahre Rolle Sefias Eltern und die Vergangenheit Archers. Mit jeder neuen Wendung, mit jedem neuen Schritt in eine andere Richtung, mit jeder neuen Enthüllung, mit jedem Kapitel wird dieses Buch um ein wundervolles Detail reicher und die Handlung um einen Hauch komplexer. Man kann vielleicht kritisieren, dass in diesem Buch ein bisschen viel Hin- und Her die Handlung beherrscht, doch gerade diese chronische Unentschlossenheit, die rastlose Suche nach dem richtigen Weg und das sich Entfernen und wieder Aufeinander zugehen der Protagonisten macht das Feinfühlige der Geschichte aus. Durch den geschickt verschlungenen Aufbau der Geschichte und dem tollen Setting, das abwechslungsreich und wunderbar detailreich ausgearbeitet ist, wird die Geschichte zu einem kleinen Gesamtkunstwerk!


"Das Meer war ein prachtvolles, stürmisches Wesen, blauer als der Himmel, mit silbernen Wellenkämmen und Flügeln aus Gischt und Nebel. Seine Stimmen waren weiße Vögel mit schwarz gefleckten Flügeln und das tiefe Dröhnen von Wasser gegen Fels."


Vor allem zeichnet diese Reihe jedoch die hinreißende Atmosphäre aus, die unter anderem durch den besonderen Schreibstil von Traci Chee generiert wird. Die bildgewaltige Sprache schafft es, die schöne Vielseitigkeit Kelannas und ihrer Bewohner in Worte zu bannen, sie mit Vergleichen greifbar zu machen und sie mit ergreifenden Metaphern direkt in unserem Herzen zu verankern. Dabei kreiert sie einen eigentlich abstrusen Mix aus brutaler Düsternis und süßen Träumen. Noch nie habe ich eine Geschichte gelesen, in der düstere Gedanken so dicht neben zärtlicher, verborgener Liebe liegen, in der neben der brutalen Welt noch so viel Platz für sehnsuchtsvoller Melancholie ist, in der auf der einen Seite spannende Abenteuer locken während ein Wort weiter schon der tiefe Abgrund wartet. Trotz dass diese Teil handlungsintensiver, blutiger und epischer ist, beschert er uns dennoch einen zarten, vorsichtigen Blick auf die Charaktere und enthüllt mit einfühlsamen Gefühlsbeschreibungen die Abgründe der menschlichen Seele.


"Als sie ihn fand war er ein Nichts gewesen - kein Mensch und kaum ein Tier. Er hatte sich neu erschaffen müssen, um Archer zu werden: der Junge ohne Vergangenheit und mit einer strahlenden Zukunft an der Seite seiner Retterin. Aber jetzt, da ihm wieder einfiel, was er alles getan hatte, konnte er nicht einfach Archer sein. Oder das namenlose Tier aus seinen Erinnerungen. Oder der Junge, der er vorher gewesen war. Ganz gleich, wer er jetzt war, er wusste, dass er sie nicht verdient hatte."


Durch den teils auktorialen Erzähler und teils personalen Erzähler bekommen wir die Möglichkeit, unsere lesenden Blicke über alle Zeiten, über alle Königreiche Kelannas und in etliche Köpfe schweifen zu lassen und gleichzeitig globale, lokale, zwischenmenschliche und innerpersonelle Entwicklungen im Auge zu behalten.

Sefia ist immer noch die Hauptprotagonistin und mit ihrer verständnisvollen, mutigen, herzlichen, sensiblen, selbst bestimmten, gewitzten Art einfach liebenswert. Hier macht sie jedoch eine leise, zaghafte Entwicklung durch, die sie auf eine ganz neue Betrachtungsebene hebt. War sie zuvor von ihrem Durst nach Rache für den Tod ihrer Eltern und der Entführung ihrer Tante getrieben, leidet sie nach der Begegnung mit der Wache unter der Wahrheit, dass ihre eigenen Eltern Schuld am Leid sind, dass Archer und so vielen anderen widerfahren war. Als ihre Tochter nimmt sie einen Teil der Schuld auf sich und will als Ausgleich verstehen, wieder gut machen und vor allem: Archer beschützen, egal was auf dem Spiel steht.


"Wer bist du dann?"
Er strich ihr über die Innenseite des Handgelenks. "Ich... ich weiß nicht. Manchmal bin ich einer von ihnen." Er machte eine Kopfbewegung zum Lager, wo Frey und die Jungs immer noch feierten. "Ich habe eine Mission, ein Ziel. Aber dann wieder... bin ich der Killer, den du im Dschungel gefunden hast, der ohne Namen, und ich will etwas kaputt machen, zerstören... aber so will ich nicht mehr sein." Jede Stelle, die er berührte, kribbelte vor Wärme, und als er das Gesicht zu ihr neigte, war Sefia von dem Schwung seines Kinns und seiner Lippen gebannt. (…)
"Wer möchtest du dann sein?", flüsterte sie. Sanft fuhr er ihr über die Wange.
"Ich will gut sein. Ich will ganz sein. Ich will der Junge sein, den du verdienst!"


Doch da dieser mit seiner Bestimmung kämpft und immer mehr zu dem Menschen wird, der er nie sein wollte, stellt sich das als schwieriger heraus, als gedacht. Nachdem der junge Mann von seiner Familie weggerissen, zum Kämpfen ausgebildet und zum Töten gezwungen wurde, hat es eine ganze Weile und viel Unterstützung durch Sefia benötigt, um wieder den Menschen in sich zu entdecken. Doch immer noch ist da dieser geschlagene, gebrochene Teil in ihm, der nach Blut schreit. Und als er das Echo dieses Bedürfnisses in den Gesichtern der befreiten Jungen sieht, wächst in ihm immer mehr der Drang zu kämpfen an und es stellt sich die Frage, ob er nicht ungewollt in die Hände der Wache spielt, wenn er dem unerbittlichen Krieger, den die Prophezeiung vorsieht, immer ähnlicher wird.


"Bei den schwierigen Fragen gibt es kein Richtig. Da gibt es nur das,
womit du am besten leben kannst."


Ein wunderbarer Seitenstrang der Handlung sind wieder die Abenteuer von Käpt´n Lees auf seinem Schiff, die "Strömung der Zuversicht". Schon im ersten Teil habe ich den geheimnisvollen Käpt´n genau wie seine Crew, dem starken Zimmermann Ross, dem blinden und doch nicht orientierungslosen Ersten Steuermann, dem mutigen Lind, der geschickten Doc, dem missmutigen Jigo, dem begabten Cooky, der jungen Vorsängerin Jules mit der wunderschönen Stimme und vielen weiteren besonderen Persönlichkeiten, ins Herz geschlossen. Doch während Käpt´n Lees in Band 1 mit wahnwitzigen Abenteuern versucht hat, auf Teufel komm raus in den Köpfen der Menschen als Erinnerung zu überleben und somit unsterblich zu sein, bewegt ein Einwand seiner ersten Vorsängerin ihn zum Umdenken: Ist er ein Mensch, der es würdig ist, sich an ihn zu erinnern? Um sicherzugehen, dass er sich seinen Platz in der Geschichte auch wirklich verdient hat, beginnt er die Gesetzlosen um sich zu vereinen um dem Krieg ein für alle mal ein Ende zu setzen...


"Das wird eine Herausforderung", sagte Dimarion.
"O ja."
"Mühsam."
"Ja."
"Und unbedeutend."
"Ja."
Dimarion bohrte seinen Stock in den Sand. "Ich kenne dich lange genug, Käpt´n. Du machst keine unbedeutenden Sachen. Sie sichern dir nicht deinen Platz in der Geschichte."
"Ich weiß" (…) "Aber sie machen dich zu einem Menschen, der einen Platz in der Geschichte verdient hat!"


Nebenbei verfolgen wir auch wieder Tanin, deren Geschichte und Beweggründe genau wie der genaue Hintergrund der Machenschaften der Wache genauer durchleuchtet werden. Und während sie in Band 1 klar als Antagonistin gesehen werden konnte, wird die Ambivalenz hier immer größer und dem Leser fällt es immer schwerer, sie für ihre Taten zu verurteilen. Sehr bereichert hat die Geschichte auch die vielen neuen Charaktere, die durch die Blutritzer ihren Teil in der Handlung finden. Der Anführer Kaito, die willensstarke Frey, die Brüder Versil und Aljan, alle haben sie einen Platz in meinem Herz gefunden!


"Wir waren tot, aber jetzt stehen wir wieder auf. Was geschrieben steht, trifft immer ein!"


Ein ganz neuer Handlungsstrang, der mich sehr gefreut und auch sehr berührt hat ist die Geschichte um den König von Delienne: letzter der Linie Corabelli - Eduoar, der einsame König. Als König steht er dem Plan der Wache im Weg und muss deshalb aus dem Verkehr gezogen werden. Darauf ist der galante Diener, sein bester Freund Arcadimon angesetzt. Doch in ihm kämpfen schon zu lange widersprüchliche Gefühle, zu große Zweifel, als dass er den Mann ermorden könnte, der gleichzeitig sein größtes Glück und sein schlimmstes Verderben ist....


"Kälte ergriff Arcadimons Herz. (…)
Nein.
Nein.
Nein. (…)
"Dir gehört die Liebe eines Corabellis", flüsterte Ed. "Für uns sind Liebe und Tod eins."


Insgesamt streben alle Handlungsstränge auf die Frage nach dem Schicksal und ob man es abwenden kann zu. Inwiefern unsere liebgewonnenen Protagonisten ihrer Bestimmung entgehen und zu einem guten Ende finden können, werden wir aber leider erst in Band 3 erfahren, welcher am 25. April 2019 erscheinen wird. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt!



Fazit:

Die Frage nach dem Schicksal kann dieses wundervolle Märchen für Erwachsene zwar nicht beantworten, dennoch verzaubert es durch seine brutale Düsternis und süßen Träumen. Auf der einen Seite handlungsintensiver, blutiger und epischer, enthüllt es auf der anderen mit einfühlsamen Gefühlsbeschreibungen die Abgründe der menschlichen Seele.

Veröffentlicht am 30.05.2018

Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Tausend strahlende Sonnen
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Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 ...

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 Seiten
Originaltitel: A Thousand Splendid Suns
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
10,90€ (Taschenbuch)
12€ (Gebundene Ausgabe)




Inhalt:


Mariam ist fünfzehn, als sie aus der Provinz nach Kabul geschickt und mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid verheiratet wird. Jahre später erlebt Laila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Als ihre Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie Raschids Zweitfrau. Nach anfänglichem Misstrauen werden Mariam und Laila zu engen Freundinnen. Gemeinsam wehren sie sich gegen Raschids Brutalität. Während der Taliban-Herrschaft überstehen sie die Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt - und ihre Stärke wächst ins schier Unermessliche...



Bewertung:



Schon seit ich "Traumsammler" von ihm gelesen habe, gehört Khaled Hosseini für mich zu den Größen der Gegenwartsliteratur. Doch mit diesem ergreifenden Roman über das Schicksal zweier Frauen in Afghanistan lässt er den Vorgängerroman weit hinter sich zurück und geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung der Gesellschaft gegenüber Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe der beiden Frauen, die ihnen die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz!


Erster Satz: "Mariam war fünf, als sie zum ersten Mal das Wort "harami" hörte."


Das Cover lässt mit der gelb-roten Farbgebung, der kahlen Landschaft und den vereinzelten Blättern im oberen Bereich auf die drückende Hitze Afghanistans schließen und greift mit der einsamen, leicht vornübergebeugten, verschleierten Frauensilhouette im Vordergrund das Hauptthema des Buches auf. Ganz besonders berührend finde ich jedoch den Titel "Tausend strahlende Sonnen", welcher von einem Gedicht von Saib-e-Tabrizi abgeleitet ist, welches in verschiedenen Zusammenhängen mehrmals im Buch zitiert wird. Sehr bald wird klar, wofür die strahlenden Sonnen stehen: für die Schönheit Afghanistans, die Liebe und die Hoffnung, die den Menschen über die schweren Zeiten hinweghelfen.


„Nicht zu zählen sind die Monde, die auf ihren Dächern schimmern,
noch die tausend strahlenden Sonnen, die verborgen hinter Mauern stecken.“


Die in vier Teile unterteilte Geschichte beginnt mit der Kindheit Mariams in einem kleinen Ort nahe Herat in der Mitte Afghanistans. Sehr sensibel, einfühlsam und mit großer Intensität erzählt Khaled Hosseini, wie die 15jährige Mariam nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater mit einem doppelt so alten Schuhmacher verheiratet wird und unterwürfig Missachtung, Misshandlung aushalten muss und auf ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung nur Ablehnung, Schmerz und Unterdrückung findet.
Auf dem Tiefpunkt ihres Lebens lassen wir sie vorübergehend alleine, wie die restliche Welt auch und widmen uns stattdessen der jungen Laila. Während Mariam als unehelicher Bastard in ärmlichen Verhältnissen in ländlichem Gebiet aufgewachsen ist, ist Laila Teil eines gut situierten Lehrers und kann im lebendigen Kabul zur Schule gehen und zur selbst bestimmten, gebildeten Frau heranwachsen. An ihrer Seite steht der einbeinige aber sonst lebensfrohe Tarik, mit dem sie seit Kindertagen ein Herz und eine Seele ist und der mit vorschreitendem Alter ganz neue Gefühle in Laila weckt. Als jedoch der Krieg losbricht, ihre Familie von einer Bombe zerfetzt wird und Tarik mit seiner Familie ins Ausland fliehen muss, bleibt sie alleine zurück - und schwanger. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu heiraten und als sich ihr viel älterer Nachbar anbietet, sie zur Zweitfrau zu nehmen, zieht sie kurzerhand bei Raschid und Mariam ein.
Im nun folgenden dritten Teil dürfen wir mit verfolgen, wie die beiden Frauen von Fremden, zu Rivalinnen, zu Geduldeten, zu Verbündeten werden und wie sich langsam eine Verbindung zwischen den beiden aufbaut, die auf tiefem Verständnis, Verbundenheit und Liebe fußt. Durch Laila findet Mariam endlich ihre Ankerkennung und Liebe und wird durch diese von ihrer Isolation befreit, bekommt die Kraft, Grenzen zu überwinden, ihre Verletzlichkeit zu entblößen und sich schließlich selbst zu opfern, damit Laila ein besseres Leben führen kann...


"Sie würde im Herzen ihrer Mutter keinen solchen Eindruck hinterlassen wir ihre Brüder, denn Mamis Herz war wie ein fahler Sandstrand, auf dem Lailas Spuren von den Wellen des Kummers, die darüber hinwegbrandeten, immer wieder weggespült wurden."


Während wir in der Erzählung um Mariam und Lailas Schicksal versinken, wird uns beiläufig die Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Ära des 11. Septembers erzählt, wobei die persönliche Geschichte mit der historischen untrennbar verwoben wird. Dadurch sind die Aufruhr im Land, die Revolution, die Bombardierungen, die Machtergreifungen, die Unterdrückungen, die Gesetzesänderungen, die Kämpfe, eng mit Lailas und Mariams Geschichte verbunden, was Afghanistan, genauer Kabul, zu mehr als nur einer Kulisse macht. Ohne Fakten unter die Nase gerieben zu bekommen erhalten wir hier einen umfassenden Eindruck von dem Leid und der Ungerechtigkeit, die die Bevölkerung dieses Landes erdulden mussten und bauen nebenbei eine persönliche Beziehung zu dem stark gebeutelten Land auf, die weiteres Wegsehen eigentlich unmöglich macht! Das Auf und Ab, der von Fremdbestimmung, Unterdrückung, Gewalt aber auch aus Liebe entsprungener Willenskraft, geprägten Geschichte um die beiden Frauen, ist dabei repräsentativ für das Schicksal des gebeutelten Afghanistans. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


"Tja, meine jungen Freunde, das ist das Schicksal unseres Landes", sagte der Chauffeur und schnippte eine Zigarettenkippe aus dem Fenster. "Ein Eroberungsfeldzug nach dem anderen. Mazedonier, Sassaniden, Araber, Mongolen. Und jetzt die Russen. Aber wir sind wie die Festungsmauer da drüben. Ramponiert und kein schöner Anblick, aber immer noch stehend."


Während "Drachenläufer" als Vater-Sohn-Geschichte verstanden wird, kann "Tausend strahlende Sonnen" als Mutter-Tochter-Geschichte gelesen werden, da die Beziehung der beiden Frauen, die vom Alter her Mutter und Tochter sein könnten, im Mittelpunkt steht. Bezeichnend ist, dass sie sich an mehreren Stellen im Buch als Mutter und Tochter ausgeben. Mit den beiden bekommen wir zwei sehr starke Frauenfiguren vorgesetzt, mit deren Träumen, Gefühlen und ihrem täglichen Kampf ums Überleben ich mich gut identifizieren konnte, auch wenn sie komplett anderen kulturellen Kreisen entstammen. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschlich, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt.

Dabei kreist der Roman um ein sehr aktuelles Thema. Berichte über Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Steinigungen wegen Ehebruchs, die Zugangsverweigerung zu Bildung und Erziehung, Arbeit und Gesundheitsversorgung und die zwanghafte Verschleierung lassen keinen Zweifel an der bedrückenden Situation von Frauen in einigen muslimischen Staaten. Die Geschichte sensibilisiert für die Unterdrückung der Frauen, weist jedoch gleichzeitig die Forderung nach mehr Druck durch den Westen zurück. Denn durch äußeren Zwang für gleiche Rechte zu sorgen, missachtet die Komplexität der kritisierten Gesellschaft. Der Roman gibt allen hinter einer Burka versteckten Frauen ein Gesicht und lässt mich mein Weltbild neu überdenken. Ich muss zugeben, dass ich bis vor wenigen Tagen auch noch mit einer leisen Gefühlsmischung aus Mitleid und Missbilligung an komplett verschleierten Frauen vorbeigelaufen bin und nicht verstanden habe, was für ein kultureller Druck hinter diesem Thema steht - auch bei Familien in Deutschland. Ich für meinen Fall werde auf jeden Fall für immer einen anderen Blickwinkel auf die Frau in Burka am Straßenrand haben.


"So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam."


Ganz besonders schön ist, dass wir es hier mit einer berührenden Liebesgeschichte zu tun haben, die trotz all der furchtbaren Grausamkeiten im Großteil der Handlung hoffnungsvoll, warmherzig und schön anmutet. Auch wenn die beiden Frauen in absolut unglücklichen Verhältnissen leben und keinerlei Perspektiven zu haben scheinen, ist es letztlich die Liebe, die bei Hosseini siegt. Der Autor schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.

Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie ist hier, zwischen den frisch gestrichenen Wänden, in den neu gepflanzten Bäumen, in den Wolldecken, die die Kinder wärmen, in diesen Kissen und Büchern und Stiften. Im Lachen der Kinder. Vor allem aber ist Mariam in ihrem eigenen Herzen, wo sie so ell wie tausend Sonnen leuchtet."



Fazit:

Der Roman geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung gegenüber den beiden Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe, die Mariam und Laila die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz! Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Veröffentlicht am 30.05.2018

Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Tausend strahlende Sonnen
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Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 ...

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 Seiten
Originaltitel: A Thousand Splendid Suns
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
10,90€ (Taschenbuch)
12€ (Gebundene Ausgabe)




Inhalt:


Mariam ist fünfzehn, als sie aus der Provinz nach Kabul geschickt und mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid verheiratet wird. Jahre später erlebt Laila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Als ihre Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie Raschids Zweitfrau. Nach anfänglichem Misstrauen werden Mariam und Laila zu engen Freundinnen. Gemeinsam wehren sie sich gegen Raschids Brutalität. Während der Taliban-Herrschaft überstehen sie die Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt - und ihre Stärke wächst ins schier Unermessliche...



Bewertung:



Schon seit ich "Traumsammler" von ihm gelesen habe, gehört Khaled Hosseini für mich zu den Größen der Gegenwartsliteratur. Doch mit diesem ergreifenden Roman über das Schicksal zweier Frauen in Afghanistan lässt er den Vorgängerroman weit hinter sich zurück und geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung der Gesellschaft gegenüber Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe der beiden Frauen, die ihnen die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz!


Erster Satz: "Mariam war fünf, als sie zum ersten Mal das Wort "harami" hörte."


Das Cover lässt mit der gelb-roten Farbgebung, der kahlen Landschaft und den vereinzelten Blättern im oberen Bereich auf die drückende Hitze Afghanistans schließen und greift mit der einsamen, leicht vornübergebeugten, verschleierten Frauensilhouette im Vordergrund das Hauptthema des Buches auf. Ganz besonders berührend finde ich jedoch den Titel "Tausend strahlende Sonnen", welcher von einem Gedicht von Saib-e-Tabrizi abgeleitet ist, welches in verschiedenen Zusammenhängen mehrmals im Buch zitiert wird. Sehr bald wird klar, wofür die strahlenden Sonnen stehen: für die Schönheit Afghanistans, die Liebe und die Hoffnung, die den Menschen über die schweren Zeiten hinweghelfen.


„Nicht zu zählen sind die Monde, die auf ihren Dächern schimmern,
noch die tausend strahlenden Sonnen, die verborgen hinter Mauern stecken.“


Die in vier Teile unterteilte Geschichte beginnt mit der Kindheit Mariams in einem kleinen Ort nahe Herat in der Mitte Afghanistans. Sehr sensibel, einfühlsam und mit großer Intensität erzählt Khaled Hosseini, wie die 15jährige Mariam nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater mit einem doppelt so alten Schuhmacher verheiratet wird und unterwürfig Missachtung, Misshandlung aushalten muss und auf ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung nur Ablehnung, Schmerz und Unterdrückung findet.
Auf dem Tiefpunkt ihres Lebens lassen wir sie vorübergehend alleine, wie die restliche Welt auch und widmen uns stattdessen der jungen Laila. Während Mariam als unehelicher Bastard in ärmlichen Verhältnissen in ländlichem Gebiet aufgewachsen ist, ist Laila Teil eines gut situierten Lehrers und kann im lebendigen Kabul zur Schule gehen und zur selbst bestimmten, gebildeten Frau heranwachsen. An ihrer Seite steht der einbeinige aber sonst lebensfrohe Tarik, mit dem sie seit Kindertagen ein Herz und eine Seele ist und der mit vorschreitendem Alter ganz neue Gefühle in Laila weckt. Als jedoch der Krieg losbricht, ihre Familie von einer Bombe zerfetzt wird und Tarik mit seiner Familie ins Ausland fliehen muss, bleibt sie alleine zurück - und schwanger. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu heiraten und als sich ihr viel älterer Nachbar anbietet, sie zur Zweitfrau zu nehmen, zieht sie kurzerhand bei Raschid und Mariam ein.
Im nun folgenden dritten Teil dürfen wir mit verfolgen, wie die beiden Frauen von Fremden, zu Rivalinnen, zu Geduldeten, zu Verbündeten werden und wie sich langsam eine Verbindung zwischen den beiden aufbaut, die auf tiefem Verständnis, Verbundenheit und Liebe fußt. Durch Laila findet Mariam endlich ihre Ankerkennung und Liebe und wird durch diese von ihrer Isolation befreit, bekommt die Kraft, Grenzen zu überwinden, ihre Verletzlichkeit zu entblößen und sich schließlich selbst zu opfern, damit Laila ein besseres Leben führen kann...


"Sie würde im Herzen ihrer Mutter keinen solchen Eindruck hinterlassen wir ihre Brüder, denn Mamis Herz war wie ein fahler Sandstrand, auf dem Lailas Spuren von den Wellen des Kummers, die darüber hinwegbrandeten, immer wieder weggespült wurden."


Während wir in der Erzählung um Mariam und Lailas Schicksal versinken, wird uns beiläufig die Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Ära des 11. Septembers erzählt, wobei die persönliche Geschichte mit der historischen untrennbar verwoben wird. Dadurch sind die Aufruhr im Land, die Revolution, die Bombardierungen, die Machtergreifungen, die Unterdrückungen, die Gesetzesänderungen, die Kämpfe, eng mit Lailas und Mariams Geschichte verbunden, was Afghanistan, genauer Kabul, zu mehr als nur einer Kulisse macht. Ohne Fakten unter die Nase gerieben zu bekommen erhalten wir hier einen umfassenden Eindruck von dem Leid und der Ungerechtigkeit, die die Bevölkerung dieses Landes erdulden mussten und bauen nebenbei eine persönliche Beziehung zu dem stark gebeutelten Land auf, die weiteres Wegsehen eigentlich unmöglich macht! Das Auf und Ab, der von Fremdbestimmung, Unterdrückung, Gewalt aber auch aus Liebe entsprungener Willenskraft, geprägten Geschichte um die beiden Frauen, ist dabei repräsentativ für das Schicksal des gebeutelten Afghanistans. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


"Tja, meine jungen Freunde, das ist das Schicksal unseres Landes", sagte der Chauffeur und schnippte eine Zigarettenkippe aus dem Fenster. "Ein Eroberungsfeldzug nach dem anderen. Mazedonier, Sassaniden, Araber, Mongolen. Und jetzt die Russen. Aber wir sind wie die Festungsmauer da drüben. Ramponiert und kein schöner Anblick, aber immer noch stehend."


Während "Drachenläufer" als Vater-Sohn-Geschichte verstanden wird, kann "Tausend strahlende Sonnen" als Mutter-Tochter-Geschichte gelesen werden, da die Beziehung der beiden Frauen, die vom Alter her Mutter und Tochter sein könnten, im Mittelpunkt steht. Bezeichnend ist, dass sie sich an mehreren Stellen im Buch als Mutter und Tochter ausgeben. Mit den beiden bekommen wir zwei sehr starke Frauenfiguren vorgesetzt, mit deren Träumen, Gefühlen und ihrem täglichen Kampf ums Überleben ich mich gut identifizieren konnte, auch wenn sie komplett anderen kulturellen Kreisen entstammen. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschlich, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt.

Dabei kreist der Roman um ein sehr aktuelles Thema. Berichte über Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Steinigungen wegen Ehebruchs, die Zugangsverweigerung zu Bildung und Erziehung, Arbeit und Gesundheitsversorgung und die zwanghafte Verschleierung lassen keinen Zweifel an der bedrückenden Situation von Frauen in einigen muslimischen Staaten. Die Geschichte sensibilisiert für die Unterdrückung der Frauen, weist jedoch gleichzeitig die Forderung nach mehr Druck durch den Westen zurück. Denn durch äußeren Zwang für gleiche Rechte zu sorgen, missachtet die Komplexität der kritisierten Gesellschaft. Der Roman gibt allen hinter einer Burka versteckten Frauen ein Gesicht und lässt mich mein Weltbild neu überdenken. Ich muss zugeben, dass ich bis vor wenigen Tagen auch noch mit einer leisen Gefühlsmischung aus Mitleid und Missbilligung an komplett verschleierten Frauen vorbeigelaufen bin und nicht verstanden habe, was für ein kultureller Druck hinter diesem Thema steht - auch bei Familien in Deutschland. Ich für meinen Fall werde auf jeden Fall für immer einen anderen Blickwinkel auf die Frau in Burka am Straßenrand haben.


"So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam."


Ganz besonders schön ist, dass wir es hier mit einer berührenden Liebesgeschichte zu tun haben, die trotz all der furchtbaren Grausamkeiten im Großteil der Handlung hoffnungsvoll, warmherzig und schön anmutet. Auch wenn die beiden Frauen in absolut unglücklichen Verhältnissen leben und keinerlei Perspektiven zu haben scheinen, ist es letztlich die Liebe, die bei Hosseini siegt. Der Autor schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.

Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie ist hier, zwischen den frisch gestrichenen Wänden, in den neu gepflanzten Bäumen, in den Wolldecken, die die Kinder wärmen, in diesen Kissen und Büchern und Stiften. Im Lachen der Kinder. Vor allem aber ist Mariam in ihrem eigenen Herzen, wo sie so ell wie tausend Sonnen leuchtet."



Fazit:

Der Roman geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung gegenüber den beiden Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe, die Mariam und Laila die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz! Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Veröffentlicht am 30.05.2018

Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Tausend strahlende Sonnen
0

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 ...

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 Seiten
Originaltitel: A Thousand Splendid Suns
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
10,90€ (Taschenbuch)
12€ (Gebundene Ausgabe)




Inhalt:


Mariam ist fünfzehn, als sie aus der Provinz nach Kabul geschickt und mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid verheiratet wird. Jahre später erlebt Laila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Als ihre Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie Raschids Zweitfrau. Nach anfänglichem Misstrauen werden Mariam und Laila zu engen Freundinnen. Gemeinsam wehren sie sich gegen Raschids Brutalität. Während der Taliban-Herrschaft überstehen sie die Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt - und ihre Stärke wächst ins schier Unermessliche...



Bewertung:



Schon seit ich "Traumsammler" von ihm gelesen habe, gehört Khaled Hosseini für mich zu den Größen der Gegenwartsliteratur. Doch mit diesem ergreifenden Roman über das Schicksal zweier Frauen in Afghanistan lässt er den Vorgängerroman weit hinter sich zurück und geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung der Gesellschaft gegenüber Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe der beiden Frauen, die ihnen die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz!


Erster Satz: "Mariam war fünf, als sie zum ersten Mal das Wort "harami" hörte."


Das Cover lässt mit der gelb-roten Farbgebung, der kahlen Landschaft und den vereinzelten Blättern im oberen Bereich auf die drückende Hitze Afghanistans schließen und greift mit der einsamen, leicht vornübergebeugten, verschleierten Frauensilhouette im Vordergrund das Hauptthema des Buches auf. Ganz besonders berührend finde ich jedoch den Titel "Tausend strahlende Sonnen", welcher von einem Gedicht von Saib-e-Tabrizi abgeleitet ist, welches in verschiedenen Zusammenhängen mehrmals im Buch zitiert wird. Sehr bald wird klar, wofür die strahlenden Sonnen stehen: für die Schönheit Afghanistans, die Liebe und die Hoffnung, die den Menschen über die schweren Zeiten hinweghelfen.


„Nicht zu zählen sind die Monde, die auf ihren Dächern schimmern,
noch die tausend strahlenden Sonnen, die verborgen hinter Mauern stecken.“


Die in vier Teile unterteilte Geschichte beginnt mit der Kindheit Mariams in einem kleinen Ort nahe Herat in der Mitte Afghanistans. Sehr sensibel, einfühlsam und mit großer Intensität erzählt Khaled Hosseini, wie die 15jährige Mariam nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater mit einem doppelt so alten Schuhmacher verheiratet wird und unterwürfig Missachtung, Misshandlung aushalten muss und auf ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung nur Ablehnung, Schmerz und Unterdrückung findet.
Auf dem Tiefpunkt ihres Lebens lassen wir sie vorübergehend alleine, wie die restliche Welt auch und widmen uns stattdessen der jungen Laila. Während Mariam als unehelicher Bastard in ärmlichen Verhältnissen in ländlichem Gebiet aufgewachsen ist, ist Laila Teil eines gut situierten Lehrers und kann im lebendigen Kabul zur Schule gehen und zur selbst bestimmten, gebildeten Frau heranwachsen. An ihrer Seite steht der einbeinige aber sonst lebensfrohe Tarik, mit dem sie seit Kindertagen ein Herz und eine Seele ist und der mit vorschreitendem Alter ganz neue Gefühle in Laila weckt. Als jedoch der Krieg losbricht, ihre Familie von einer Bombe zerfetzt wird und Tarik mit seiner Familie ins Ausland fliehen muss, bleibt sie alleine zurück - und schwanger. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu heiraten und als sich ihr viel älterer Nachbar anbietet, sie zur Zweitfrau zu nehmen, zieht sie kurzerhand bei Raschid und Mariam ein.
Im nun folgenden dritten Teil dürfen wir mit verfolgen, wie die beiden Frauen von Fremden, zu Rivalinnen, zu Geduldeten, zu Verbündeten werden und wie sich langsam eine Verbindung zwischen den beiden aufbaut, die auf tiefem Verständnis, Verbundenheit und Liebe fußt. Durch Laila findet Mariam endlich ihre Ankerkennung und Liebe und wird durch diese von ihrer Isolation befreit, bekommt die Kraft, Grenzen zu überwinden, ihre Verletzlichkeit zu entblößen und sich schließlich selbst zu opfern, damit Laila ein besseres Leben führen kann...


"Sie würde im Herzen ihrer Mutter keinen solchen Eindruck hinterlassen wir ihre Brüder, denn Mamis Herz war wie ein fahler Sandstrand, auf dem Lailas Spuren von den Wellen des Kummers, die darüber hinwegbrandeten, immer wieder weggespült wurden."


Während wir in der Erzählung um Mariam und Lailas Schicksal versinken, wird uns beiläufig die Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Ära des 11. Septembers erzählt, wobei die persönliche Geschichte mit der historischen untrennbar verwoben wird. Dadurch sind die Aufruhr im Land, die Revolution, die Bombardierungen, die Machtergreifungen, die Unterdrückungen, die Gesetzesänderungen, die Kämpfe, eng mit Lailas und Mariams Geschichte verbunden, was Afghanistan, genauer Kabul, zu mehr als nur einer Kulisse macht. Ohne Fakten unter die Nase gerieben zu bekommen erhalten wir hier einen umfassenden Eindruck von dem Leid und der Ungerechtigkeit, die die Bevölkerung dieses Landes erdulden mussten und bauen nebenbei eine persönliche Beziehung zu dem stark gebeutelten Land auf, die weiteres Wegsehen eigentlich unmöglich macht! Das Auf und Ab, der von Fremdbestimmung, Unterdrückung, Gewalt aber auch aus Liebe entsprungener Willenskraft, geprägten Geschichte um die beiden Frauen, ist dabei repräsentativ für das Schicksal des gebeutelten Afghanistans. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


"Tja, meine jungen Freunde, das ist das Schicksal unseres Landes", sagte der Chauffeur und schnippte eine Zigarettenkippe aus dem Fenster. "Ein Eroberungsfeldzug nach dem anderen. Mazedonier, Sassaniden, Araber, Mongolen. Und jetzt die Russen. Aber wir sind wie die Festungsmauer da drüben. Ramponiert und kein schöner Anblick, aber immer noch stehend."


Während "Drachenläufer" als Vater-Sohn-Geschichte verstanden wird, kann "Tausend strahlende Sonnen" als Mutter-Tochter-Geschichte gelesen werden, da die Beziehung der beiden Frauen, die vom Alter her Mutter und Tochter sein könnten, im Mittelpunkt steht. Bezeichnend ist, dass sie sich an mehreren Stellen im Buch als Mutter und Tochter ausgeben. Mit den beiden bekommen wir zwei sehr starke Frauenfiguren vorgesetzt, mit deren Träumen, Gefühlen und ihrem täglichen Kampf ums Überleben ich mich gut identifizieren konnte, auch wenn sie komplett anderen kulturellen Kreisen entstammen. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschlich, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt.

Dabei kreist der Roman um ein sehr aktuelles Thema. Berichte über Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Steinigungen wegen Ehebruchs, die Zugangsverweigerung zu Bildung und Erziehung, Arbeit und Gesundheitsversorgung und die zwanghafte Verschleierung lassen keinen Zweifel an der bedrückenden Situation von Frauen in einigen muslimischen Staaten. Die Geschichte sensibilisiert für die Unterdrückung der Frauen, weist jedoch gleichzeitig die Forderung nach mehr Druck durch den Westen zurück. Denn durch äußeren Zwang für gleiche Rechte zu sorgen, missachtet die Komplexität der kritisierten Gesellschaft. Der Roman gibt allen hinter einer Burka versteckten Frauen ein Gesicht und lässt mich mein Weltbild neu überdenken. Ich muss zugeben, dass ich bis vor wenigen Tagen auch noch mit einer leisen Gefühlsmischung aus Mitleid und Missbilligung an komplett verschleierten Frauen vorbeigelaufen bin und nicht verstanden habe, was für ein kultureller Druck hinter diesem Thema steht - auch bei Familien in Deutschland. Ich für meinen Fall werde auf jeden Fall für immer einen anderen Blickwinkel auf die Frau in Burka am Straßenrand haben.


"So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam."


Ganz besonders schön ist, dass wir es hier mit einer berührenden Liebesgeschichte zu tun haben, die trotz all der furchtbaren Grausamkeiten im Großteil der Handlung hoffnungsvoll, warmherzig und schön anmutet. Auch wenn die beiden Frauen in absolut unglücklichen Verhältnissen leben und keinerlei Perspektiven zu haben scheinen, ist es letztlich die Liebe, die bei Hosseini siegt. Der Autor schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.

Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie ist hier, zwischen den frisch gestrichenen Wänden, in den neu gepflanzten Bäumen, in den Wolldecken, die die Kinder wärmen, in diesen Kissen und Büchern und Stiften. Im Lachen der Kinder. Vor allem aber ist Mariam in ihrem eigenen Herzen, wo sie so ell wie tausend Sonnen leuchtet."



Fazit:

Der Roman geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung gegenüber den beiden Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe, die Mariam und Laila die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz! Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Veröffentlicht am 30.05.2018

Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!

Tausend strahlende Sonnen
0

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 ...

Allgemeines:

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (3. Februar 2014)
Genre: Historiendrama
ISBN-10: 3596030935
ISBN-13: 978-3596030934
ASIN: B00HWMVMRE
Seitenzahl: 400 Seiten
Originaltitel: A Thousand Splendid Suns
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
10,90€ (Taschenbuch)
12€ (Gebundene Ausgabe)




Inhalt:


Mariam ist fünfzehn, als sie aus der Provinz nach Kabul geschickt und mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid verheiratet wird. Jahre später erlebt Laila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Als ihre Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie Raschids Zweitfrau. Nach anfänglichem Misstrauen werden Mariam und Laila zu engen Freundinnen. Gemeinsam wehren sie sich gegen Raschids Brutalität. Während der Taliban-Herrschaft überstehen sie die Bombardierungen, Hunger und physische Gewalt - und ihre Stärke wächst ins schier Unermessliche...



Bewertung:



Schon seit ich "Traumsammler" von ihm gelesen habe, gehört Khaled Hosseini für mich zu den Größen der Gegenwartsliteratur. Doch mit diesem ergreifenden Roman über das Schicksal zweier Frauen in Afghanistan lässt er den Vorgängerroman weit hinter sich zurück und geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung der Gesellschaft gegenüber Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe der beiden Frauen, die ihnen die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz!


Erster Satz: "Mariam war fünf, als sie zum ersten Mal das Wort "harami" hörte."


Das Cover lässt mit der gelb-roten Farbgebung, der kahlen Landschaft und den vereinzelten Blättern im oberen Bereich auf die drückende Hitze Afghanistans schließen und greift mit der einsamen, leicht vornübergebeugten, verschleierten Frauensilhouette im Vordergrund das Hauptthema des Buches auf. Ganz besonders berührend finde ich jedoch den Titel "Tausend strahlende Sonnen", welcher von einem Gedicht von Saib-e-Tabrizi abgeleitet ist, welches in verschiedenen Zusammenhängen mehrmals im Buch zitiert wird. Sehr bald wird klar, wofür die strahlenden Sonnen stehen: für die Schönheit Afghanistans, die Liebe und die Hoffnung, die den Menschen über die schweren Zeiten hinweghelfen.


„Nicht zu zählen sind die Monde, die auf ihren Dächern schimmern,
noch die tausend strahlenden Sonnen, die verborgen hinter Mauern stecken.“


Die in vier Teile unterteilte Geschichte beginnt mit der Kindheit Mariams in einem kleinen Ort nahe Herat in der Mitte Afghanistans. Sehr sensibel, einfühlsam und mit großer Intensität erzählt Khaled Hosseini, wie die 15jährige Mariam nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater mit einem doppelt so alten Schuhmacher verheiratet wird und unterwürfig Missachtung, Misshandlung aushalten muss und auf ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung nur Ablehnung, Schmerz und Unterdrückung findet.
Auf dem Tiefpunkt ihres Lebens lassen wir sie vorübergehend alleine, wie die restliche Welt auch und widmen uns stattdessen der jungen Laila. Während Mariam als unehelicher Bastard in ärmlichen Verhältnissen in ländlichem Gebiet aufgewachsen ist, ist Laila Teil eines gut situierten Lehrers und kann im lebendigen Kabul zur Schule gehen und zur selbst bestimmten, gebildeten Frau heranwachsen. An ihrer Seite steht der einbeinige aber sonst lebensfrohe Tarik, mit dem sie seit Kindertagen ein Herz und eine Seele ist und der mit vorschreitendem Alter ganz neue Gefühle in Laila weckt. Als jedoch der Krieg losbricht, ihre Familie von einer Bombe zerfetzt wird und Tarik mit seiner Familie ins Ausland fliehen muss, bleibt sie alleine zurück - und schwanger. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu heiraten und als sich ihr viel älterer Nachbar anbietet, sie zur Zweitfrau zu nehmen, zieht sie kurzerhand bei Raschid und Mariam ein.
Im nun folgenden dritten Teil dürfen wir mit verfolgen, wie die beiden Frauen von Fremden, zu Rivalinnen, zu Geduldeten, zu Verbündeten werden und wie sich langsam eine Verbindung zwischen den beiden aufbaut, die auf tiefem Verständnis, Verbundenheit und Liebe fußt. Durch Laila findet Mariam endlich ihre Ankerkennung und Liebe und wird durch diese von ihrer Isolation befreit, bekommt die Kraft, Grenzen zu überwinden, ihre Verletzlichkeit zu entblößen und sich schließlich selbst zu opfern, damit Laila ein besseres Leben führen kann...


"Sie würde im Herzen ihrer Mutter keinen solchen Eindruck hinterlassen wir ihre Brüder, denn Mamis Herz war wie ein fahler Sandstrand, auf dem Lailas Spuren von den Wellen des Kummers, die darüber hinwegbrandeten, immer wieder weggespült wurden."


Während wir in der Erzählung um Mariam und Lailas Schicksal versinken, wird uns beiläufig die Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Ära des 11. Septembers erzählt, wobei die persönliche Geschichte mit der historischen untrennbar verwoben wird. Dadurch sind die Aufruhr im Land, die Revolution, die Bombardierungen, die Machtergreifungen, die Unterdrückungen, die Gesetzesänderungen, die Kämpfe, eng mit Lailas und Mariams Geschichte verbunden, was Afghanistan, genauer Kabul, zu mehr als nur einer Kulisse macht. Ohne Fakten unter die Nase gerieben zu bekommen erhalten wir hier einen umfassenden Eindruck von dem Leid und der Ungerechtigkeit, die die Bevölkerung dieses Landes erdulden mussten und bauen nebenbei eine persönliche Beziehung zu dem stark gebeutelten Land auf, die weiteres Wegsehen eigentlich unmöglich macht! Das Auf und Ab, der von Fremdbestimmung, Unterdrückung, Gewalt aber auch aus Liebe entsprungener Willenskraft, geprägten Geschichte um die beiden Frauen, ist dabei repräsentativ für das Schicksal des gebeutelten Afghanistans. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


"Tja, meine jungen Freunde, das ist das Schicksal unseres Landes", sagte der Chauffeur und schnippte eine Zigarettenkippe aus dem Fenster. "Ein Eroberungsfeldzug nach dem anderen. Mazedonier, Sassaniden, Araber, Mongolen. Und jetzt die Russen. Aber wir sind wie die Festungsmauer da drüben. Ramponiert und kein schöner Anblick, aber immer noch stehend."


Während "Drachenläufer" als Vater-Sohn-Geschichte verstanden wird, kann "Tausend strahlende Sonnen" als Mutter-Tochter-Geschichte gelesen werden, da die Beziehung der beiden Frauen, die vom Alter her Mutter und Tochter sein könnten, im Mittelpunkt steht. Bezeichnend ist, dass sie sich an mehreren Stellen im Buch als Mutter und Tochter ausgeben. Mit den beiden bekommen wir zwei sehr starke Frauenfiguren vorgesetzt, mit deren Träumen, Gefühlen und ihrem täglichen Kampf ums Überleben ich mich gut identifizieren konnte, auch wenn sie komplett anderen kulturellen Kreisen entstammen. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschlich, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt.

Dabei kreist der Roman um ein sehr aktuelles Thema. Berichte über Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Steinigungen wegen Ehebruchs, die Zugangsverweigerung zu Bildung und Erziehung, Arbeit und Gesundheitsversorgung und die zwanghafte Verschleierung lassen keinen Zweifel an der bedrückenden Situation von Frauen in einigen muslimischen Staaten. Die Geschichte sensibilisiert für die Unterdrückung der Frauen, weist jedoch gleichzeitig die Forderung nach mehr Druck durch den Westen zurück. Denn durch äußeren Zwang für gleiche Rechte zu sorgen, missachtet die Komplexität der kritisierten Gesellschaft. Der Roman gibt allen hinter einer Burka versteckten Frauen ein Gesicht und lässt mich mein Weltbild neu überdenken. Ich muss zugeben, dass ich bis vor wenigen Tagen auch noch mit einer leisen Gefühlsmischung aus Mitleid und Missbilligung an komplett verschleierten Frauen vorbeigelaufen bin und nicht verstanden habe, was für ein kultureller Druck hinter diesem Thema steht - auch bei Familien in Deutschland. Ich für meinen Fall werde auf jeden Fall für immer einen anderen Blickwinkel auf die Frau in Burka am Straßenrand haben.


"So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam."


Ganz besonders schön ist, dass wir es hier mit einer berührenden Liebesgeschichte zu tun haben, die trotz all der furchtbaren Grausamkeiten im Großteil der Handlung hoffnungsvoll, warmherzig und schön anmutet. Auch wenn die beiden Frauen in absolut unglücklichen Verhältnissen leben und keinerlei Perspektiven zu haben scheinen, ist es letztlich die Liebe, die bei Hosseini siegt. Der Autor schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.

Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie ist hier, zwischen den frisch gestrichenen Wänden, in den neu gepflanzten Bäumen, in den Wolldecken, die die Kinder wärmen, in diesen Kissen und Büchern und Stiften. Im Lachen der Kinder. Vor allem aber ist Mariam in ihrem eigenen Herzen, wo sie so ell wie tausend Sonnen leuchtet."



Fazit:

Der Roman geht mit der grausamen Intensität der rücksichtslosen Unterdrückung und Verachtung gegenüber den beiden Frauen unter die Haut und trifft mit der hoffnungsvollen Liebe, die Mariam und Laila die Stärke zum Überdauern verlieht, direkt ins Herz! Ein ergreifender Roman, der seinesgleichen sucht!