Profilbild von Herbstrose

Herbstrose

Lesejury Star
offline

Herbstrose ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Herbstrose über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.07.2018

Ein Kommissar am Tiefpunkt …

Weißglut
0

Kriminalkommissar Axel Steen ist am Tiefpunkt angelangt – von Frau und Kind verlassen hat er ohne Haschisch seine Ängste nicht mehr im Griff und zu allem Unglück wird auch noch der neue Mann an der Seite ...

Kriminalkommissar Axel Steen ist am Tiefpunkt angelangt – von Frau und Kind verlassen hat er ohne Haschisch seine Ängste nicht mehr im Griff und zu allem Unglück wird auch noch der neue Mann an der Seite seiner Ex, Jens Jessen, sein neuer Vorgesetzter. Mitten in diesem Chaos bekommt er einen neuen Fall, die Vergewaltigung einer jungen Frau, der ihn an den ungeklärten, vier Jahre zurück liegenden, Mordfall eines 18jährigen Mädchens erinnert. Als auch noch die DNA des Täters übereinstimmt, ist Steen wild entschlossen, den sadistischen Vergewaltiger und Mörder zu finden. Dazu ist ihm jedes Mittel recht, er ergreift dabei auch illegale Maßnahmen und zieht sich das Missfallen seiner Kollegen zu …

Nach „Unruhe“ ist „Weissglut“ der zweite Fall für Kommissar Axel Steen, „Bedrängnis“ und „Aisha“ folgen. Eine Verfilmung der ersten drei Bände ist in Planung. Autor dieser erfolgreichen Serie ist der dänische Journalist Jesper Stein, der in Kopenhagen als Kriminalreporter tätig ist. Er lebt in Nørrebro, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Jesper Stein ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem »Goldenen Lorbeer«, dem wichtigsten dänischen Literaturpreis. (Kiepenheuer & Witsch)

Obwohl ich Kommissar Steen ziemlich unsympathisch fand, war ich von dem Buch gefesselt. Der Leser erhält Einblick in die alltägliche, realistische Polizeiarbeit, die sehr von manch anderen Krimis abweicht. Auch Polizisten können drogenabhängig werden, auch sie können Probleme haben, auch sie verstehen sich nicht immer mit ihren Kollegen und können verschiedener Meinung sein. Viele falsche Spuren führen sowohl die Ermittler als auch den Leser in die Irre und lassen sie lange Zeit im Dunkeln tappen.

Sehr gut gefallen hat mir der Schreibstil des Autors. Bildhaft und einprägsam, aber trotzdem realistisch, beschreibt er seine Protagonisten und zeichnet ein exaktes Bild Kopenhagens im Hochsommer bei flirrender Hitze. Dennoch ist die Grundstimmung düster und die Atmosphäre bedrückend, man vergisst namlich nie, dass ein sadistischer Serientäter sein Unwesen treibt.

Fazit: Ein Krimi der mich überzeugt hat, fesselnd und glaubhaft, den ich mit gutem Gewissen weiter empfehlen kann.

Veröffentlicht am 17.06.2018

Glückliche Jahre in Paris

Paris, ein Fest fürs Leben
0

Als Ernest Hemingway im Jahre 1956 mit seiner vierten Ehefrau Mary Paris besuchte, ließ er sich im Hotel „Ritz“ seinen Koffer aushändigen, den er dreißig Jahre zuvor dort im Keller deponiert hatte. Er ...

Als Ernest Hemingway im Jahre 1956 mit seiner vierten Ehefrau Mary Paris besuchte, ließ er sich im Hotel „Ritz“ seinen Koffer aushändigen, den er dreißig Jahre zuvor dort im Keller deponiert hatte. Er enthielt Skizzen, Aufzeichnungen und Tagebücher über die Zeit, als er mit seiner ersten Ehefrau Hadley in Paris lebte. Dieses Material bildete die Grundlage seiner Biografie über die Zeit von 1921 bis 1926, an der er dann bis zu seinem Selbstmord 1961 arbeite. Das Ergebnis wurde posthum 1964 unter dem Titel „A Moveable Feast“ veröffentlicht und erschien erstmals 1965 bei Rowohlt unter dem Titel “Paris – Ein Fest fürs Leben“.

Es war wohl für Hemingway eine unbeschwerte, glückliche Zeit in Paris, als er sich entschlossen hatte, nicht mehr als Journalist zu arbeiten, sondern sich nur seiner Schreibkunst zu widmen. Geld war zwar knapp und öfters wurde auch gehungert, wenn er aber eine Geschichte verkaufen konnte, wurde ordentlich gefeiert. Man trank Champagner, ging in die besten Restaurants zum Essen und vergnügte sich auf der Rennbahn. Die Winter verbrachte das Paar in Schruns/Vorarlberg beim Skilaufen. Das Geld hierzu wurde oftmals von Freunden geliehen. Freunde hatte Hemingway während dieser Zeit reichlich. Da war zunächst Gertrude Stein. Die Freundschaft zu ihr war ihm anfangs sehr hilfreich, als er sie jedoch nicht mehr benötigte, brach er den Kontakt ab. Weitere mehr oder weniger gute Freunde waren Ezra Pound, Scott Fitzgerald, T.S. Eliot und zeitweise auch James Joyce.

Hemingway zeichnet hier ein atmosphärisch dichtes Bild von Paris in den 20ern und seiner Bewohner. Er hat dabei ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Sehr warmherzig schreibt er über seine Freunde und erwähnt auch einige Male liebevoll seine Frau und seinen Sohn. Die ganze Schilderung ist von gelassener Heiterkeit und hoffnungsvoller Zuversicht durchdrungen, von der schwierigen finanziellen Situation und der drückenden Armut ist wenig zu spüren. Lebendige Dialoge und detaillierte Beschreibungen vermeintlicher Belanglosigkeiten runden den guten Gesamteindruck ab.

Fazit: Ein interessanter Abschnitt aus Hemingways Leben – für Leser die ihn und seine Bücher mögen beinahe ein Muss!

Veröffentlicht am 03.06.2018

Falsche Zeit – falscher Ort …

Das Geheimnis des Goldschmieds
0

Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen ...

Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen von seinen Erinnerungen. Drei Monate dauerte damals, 1974, seine leidenschaftliche Affäre als 19jähriger mit Celia, einer wesentlich älteren Frau. Dann verließ sie ihn und brach ihm das Herz, genau wie ihres 20 Jahre zuvor gebrochen wurde, als ihr Verlobter nicht zur Hochzeit erschien.

Als der Mann im Dorf ankommt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, plötzlich befindet er sich in den fünfziger Jahren. Dort begegnet er einem jungen Mädchen, das ihm seltsam vertraut ist. Die beiden verlieben sich leidenschaftlich ineinander und planen ihre Hochzeit. Am Tag vor der Trauung beginnt das Drama, das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Die spanische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Elia Barceló wurde 1957 in der Provinz Alicante geboren. Sie studierte in London, München, Paris, Florenz, Rom und Innsbruck und schrieb etliche Romane, Kurzgeschichten und Jugendbücher, von denen einige in Deutsch übersetzt wurden. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Heute lebt die zweifache Mutter mit ihrem österreichischen Mann in Innsbruck und unterrichtet an der dortigen Universität.

„Das Geheimnis des Goldschmieds“ ist ein wunderbares kleines Buch voller Poesie, eine kurze, intensive Geschichte über die Suche nach einer verflossenen Liebe, über Sehnsucht und Treue. Gekonnt spricht die Autorin die Fantasie des Lesers an und spielt dabei mit den Zeiten, die sie geschickt verschachtelt und ineinander überfließen lässt. Man fühlt sich in einer Zeitschleife gefangen und hofft nach den knapp 100 Seiten, dass das Wunder 1999 um Mitternacht auf der Dachterrasse doch noch geschehen wird …

Fazit: Ein Kabinettstückchen der Erzählkunst, ein Lesevergnügen der besonderen Art, eine Geschichte, die sich angenehm von den üblichen abhebt.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Gefühle auf Irrwegen …

Der Liebeswunsch
0

Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt ...

Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt hat. Dabei schweifen seine Gedanken zurück, er erinnert sich an seine Zeit mit Anja, an seine Freundschaft mit Leonhard und an seine Ehe mit Marlene, die davor mit Leonhard liiert war und sich dann für ihn entschied. Es dauerte lange, bis der Riss in der Freundschaft damals beseitigt war – so lange, bis Leonhard Anja kennen lernte und sie bald darauf heiratete. Nun war alles gut, zwischen den beiden Paaren herrschte eine vertrauensvolle Freundschaft – bis … bis Paul und Anja …

Mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Roman „Der Liebeswunsch“ gelang dem 1925 in Neuss geborenen, als ‚Meister der Gegenwartsliteratur‘ bezeichneten, deutschen Schriftsteller Dieter Wellershoff endlich der Durchbruch beim breiten Publikum. Das Buch wurde ein Bestseller, der 2006 auch verfilmt wurde. Zuvor schrieb er fünf Romane, unzählige Novellen, Erzählungen, Kurzgeschichten, Essays, Hörspiele, Bühnenstücke und Drehbücher – für die er zahlreiche Preise erhielt. Wellershoff ist verheiratet, lebt in Köln, hat zwei Töchter, die ebenfalls als Autorinnen tätig sind und einen Sohn, der Arzt geworden ist.

Gleich zu Beginn der Geschichte erfährt man von dem tragischen Ausgang. Die Pointe ist aber nicht vorweg genommen, sondern erhöht eigentlich nur die Spannung, wie es wohl dazu kommen konnte. Paul und Marlene, beide Ärzte, sind auch nach vielen Jahren Ehe noch sehr glücklich und zufrieden. Auch Leonhard, ein angesehener Richter, ist mit seinem Leben zufrieden, seit er die viel jüngere Anja im Hause seiner Freunde kennen lernte, sie heiratete und sie bald darauf einen Sohn bekamen. Doch wie das Leben so spielt, das Glück ist oft ein flüchtiger Gast. Anjas Wunsch nach Liebe steht im Widerspruch zu ihrem Ehealltag, den sie als banal und falsch empfindet, sie versucht vergeblich, diesem Konflikt zu entfliehen. Eine Katastrophe bahnt sich an, und niemand ist in der Lage, diese abzuwenden.

Das Buch ist von beeindruckenden Sprachintensität, eindringlich und sehr lebendig. Die Figuren sind so lebensecht, dass man meint sie zu kennen. Sehr realistisch schildert Wellershoff das Geschehen und beleuchtet dabei die Psyche der Protagonisten aus verschiedenen Perspektiven. Er lässt jeden der vier Hauptpersonen in Ich-Form aus seiner Perspektive erzählen, seine persönlichen Gedanken und Empfindungen erläutern und dringt dabei tief in das Seelenleben ein. Dazwischen erlebt der Leser die Ereignisse auch aus Sicht eines neutralen Beobachters. Beklemmend intensiv und genau beschrieben sind die Gefühle der Freunde, ihre intimen Wünsche und geheimen Phantasien innerhalb dieser Vierer-Beziehung, aber auch ihre Ängste und Empfindsamkeiten.

Fazit: Ein Roman der fesselt und berührt, der gefangen nimmt und im Leser noch lange nachklingen wird. Meine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.05.2018

This is Water – Das hier ist Wasser

Das hier ist Wasser / This is Water
0

Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, ...

Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, denn alle wussten von der Sprachgewalt seiner Romane und Kurzgeschichten. Was dann folgte übertraf alle Erwartungen. Wallace hielt vor den in schwarzen Roben gehüllten jungen Leuten und ihren Angehörigen eine flammende Rede, ein Leitfaden für das Leben, eine Anstiftung zum Denken, eine Anleitung zum eigenen Entscheiden. Mit einigen einfachen Parabeln versuchte er, das egozentrische Denken junger Menschen in empathische Bahnen zu lenken.

Nach Martin Luther Kings Rede von 1963, „I have a Dream“, ist dies wohl die zweitbekannteste Rede, die je in den USA gehalten wurde. Sie ist dort mittlerweile Pflichtlektüre für alle Abschlussklassen, eine kleine Anleitung für das Leben, die man jedem Jugendlichen mitgeben möchte. Besondere Bedeutung erhält die Rede wenn man weiß, dass David Foster Wallace ständig gegen seine Alkoholabhängigkeit kämpfte und unter schweren Depressionen litt. Während einer dieser depressiven Phasen, im Alter von nur 46 Jahren, sah er nur noch einen Ausweg, er erhängte sich.

Fazit: Ein kleines Büchlein mit gewichtigem Inhalt, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte und das man getrost öfter zur Hand nehmen kann.