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Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein abscheulicher Frevel - Auge um Auge - Ein spannender Kriminalroman

Küstenbrut
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Im kleinen Ort Niederwiek, an der deutschen Ostseeküste, wird die Leiche brutal ermordeten Galeristin Dana Wolff aufgefunden. Erste Spuren führen den Polizisten Bert Mulsow zu Kunsthistoriker Professor ...

Im kleinen Ort Niederwiek, an der deutschen Ostseeküste, wird die Leiche brutal ermordeten Galeristin Dana Wolff aufgefunden. Erste Spuren führen den Polizisten Bert Mulsow zu Kunsthistoriker Professor Richard Gruben, dessen Visitenkarte mit persönlicher Nachricht versehen, bei der Toten gefunden wird. Mulsow kontaktiert Gruben, doch dieser ist sich sicher, dass er die Tote nicht kennt. Da Mulsow und Gruben ein Jahr zuvor bereits gemeinsam einen Kriminalfall gelöst haben, bittet ihn Mulsow an die Küste, um die Bilder der Ermordeten zu begutachten. Professor Richard Gruben ahnt nicht, welch dramatische und unmenschliche Intrigen ihn erwarten.

Die Autorin:

Anja Behn, geboren 1972 in Rostock, studierte Bauingenieurwesen und arbeitet in einer Rostocker Baufirma. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in Mecklenburg. Küstenbrut ist ihr zweiter Kriminalroman.

Neugierig auf mehr? Auf meinem Blog Nisnis's Bücherliebe findet ihr ein Interview mit der Autorin aus Januar 2016.

Reflektionen:

Mit großer Freude habe ich den zweiten Kriminalroman der Autorin Anja Behn erwartet. Ihr Krimi-Debüt „Stumme Wasser“ hat mir sehr gut gefallen und deshalb war meine Erwartungshaltung gegenüber ihrem neuen Werk sehr hoch.

So viel vorweg:

Anja Behn hat es mit Leichtigkeit geschafft, mich erneut zu begeistern.

Den sympathischen Kunsthistoriker Richard Gruben und den Polizisten Bert Muslow kannte ich bereits aus „Stumme Wasser“. Die beiden Figuren verloren kein Tröpfchen ihrer sympathischen Charaktereigenschaften. Die Figur Richard Gruben kam mir nun aber noch viel näher, da anfangs auch sein Privatleben maßvoll, aber noch intensiver, in die Geschichte einfloss. Nach der Geburt seines Sohnes kam es zur Trennung von seiner Frau Charlotte, die mit dem Baby in eine andere Stadt zog. Um als Vater für sein Kind da zu sein, pendelt Gruben. Doch der ständige Streit und zusätzlich der Alltagsstress lösen einen Hörsturz aus und folglich leidet er an einem Tinnitus.

Im Verlauf der Handlung wundert man sich schon, dass Professor Gruben als Kunsthistoriker fast gänzlich ohne polizeiliche Unterstützung auskommt, als er einen Mord und weitere Verbrechen aufzuklären versucht, aber ich kann diese etwas unrealistische Vorgehensweise augenzwinkernd und mit Leichtigkeit akzeptieren. Meine Akzeptanz basiert auf eine rundherum harmonische Geschichte. Von Polizist Bert Mulsow hätte ich gern noch mehr gelesen, denn er erscheint ebenso sympathisch und kompetent wie Richard Gruben, aber er bleibt als Figur doch noch etwas blass.

Die Geschichte spielt an der Ostseeküste Deutschlands in einem kleinen Ort. Entsprechend dramatisch wird die Ermordung der Galeristin Dana Wolff empfunden. Die Polizei vermutet zunächst einen brutalen Serienvergewaltiger, der die Menschen im Ort in Angst und Schrecken versetzt. Merkwürdig nur, dass die Visitenkarte Richard Grubens bei der Toten aufgefunden wird, auf der Gruben die Nachricht: „Du schuldest mir eine Nacht. Ruf mich an R.“ notiert hatte. Gruben kennt Dana nicht, aber es handelt sich definitiv um seine Handschrift. Zunächst tappen Mulsow und Gruben im Dunkeln, und dann tun sich im Umfeld der Toten Abgründe auf, die nur nach und nach ans Licht kommen. Einige der involvierten Figuren besitzen nachweislich ein Mordmotiv, doch die Handlung ist so verstrickt, dass sehr lange unklar bleibt, wer den Mord an Dana begangen hat. Meine eigenen Überlegungen, wer der Täter sein könnte, werden von der Autorin immer wieder mit geschickten Wendungen außer Betrieb gesetzt. Weitere Verbrechen Geschehen. Die Spannung knistert kontinuierlich.

Außer dem Schein meiner Leselampe ist es dunkel. Ich höre plötzlich merkwürdige Geräusche, unsere Hündin hebt den Kopf, ich halte den Atem an und es läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Nein, es ist nichts. Aber, es hätte ja etwas sein können…! Danke Anja Behn, für dieses gruselige Gefühl!

Ich mag die Schauplätze dieses Kriminalromans, die mir Anja Behn mit einem Hauch eines wunderbaren Ostsee Flairs näher bringt.

Die Hauptprotagonisten sind intensiv und ausdrucksstark gezeichnet, aber sie bleiben trotzdem beabsichtigt undurchsichtig und geheimnisvoll. Nur häppchenweise gibt die Autorin die Charakterzüge der Figuren preis und so erscheinen deren Legenden rätselhaft, kriminell bis hin mysteriös. Als Leser kann ich mich kaum festlegen, welche Figur welches Verbrechen begangen haben könnte und dieser Umstand beschert mir sehr spannende Lesestunden im Krimi-Rätsel-Modus.

Besonders gut dargestellt fand ich Danas hinterbliebene Tochter Lena. Das Mädchen im Teenageralter verschweigt etwas sehr gravierendes. Etwas abscheuliches und frevelhaftes hat Dana ihrer Tochter hinterlassen, doch diese schweigt auf Biegen und Brechen, auch noch als sie längst ernsthaft in Gefahr schwebt. Die inneren Konflikte des Mädchens haben mich mitunter auch sehr berührt und am liebsten hätte ich sie geschüttelt, damit sie endlich erzählt welche grausamen Geschehnisse ihr Leben so sehr belasten.

In diesem Kriminalroman begeistern mich nicht nur die spannende Story oder die sorgfältig erschaffenen Figuren, sondern auch der gefestigte Schreibstil und der Ausdruck der Autorin. Vergleiche ich den Stil vom Debüt-Krimi „Stumme Wasser“ mit „Küstenbrut“, kann ich an dieser Stelle nur ein „Wow!“ von mir geben, denn man erkennt deutlich die angenehme, literarische Entwicklung der Autorin. Anja Behn geht noch mehr ins Detail, sie geht bis ins Kleine und sie verwebt die Perspektiven geschickt durch ihren anspruchsvollen Ausdruck. Dadurch erlebe ich den Krimi äußerst intensiv, so dass ich bis zur letzten Seite sehr gefesselt bin.

Allen Lesern die sich nun fragen ob sie eventuell erst „Stumme Wasser“ lesen sollten, kann ich beruhigend versichern, dass man „Küstenbrut“ genießen kann, ohne den Vorgänger gelesen zu haben.

Fazit und Bewertung:

Küstenbrut ist ein sehr spannender und anspruchsvoll geschriebener Kriminalroman, den ich sehr gern empfehle. Man darf interessante Figuren und eine rundherum runde Geschichte erwarten, die fesselnd unterhält.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Was hat Kathy vor ihrem Verschwinden so unfassbar verändert? Myron Bolitar ermittelt

Das Spiel seines Lebens - Myron Bolitar ermittelt
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Adam Culver wird bei einem augenscheinlichen Raubüberfall getötet. Jessica, die Tochter des Gerichtsmediziners, glaubt jedoch nicht an die Version der Polizei, denn sie sieht einen Zusammenhang mit dem ...

Adam Culver wird bei einem augenscheinlichen Raubüberfall getötet. Jessica, die Tochter des Gerichtsmediziners, glaubt jedoch nicht an die Version der Polizei, denn sie sieht einen Zusammenhang mit dem Verschwinden ihrer Schwester Kathy vor 18 Monaten.

Jessica Culver beauftragt den Sportagenten Myron Bolitar Nachforschungen über das Verschwinden ihrer Schwester anzustellen. Erste Spuren führen zu Profi-Footballer Christian, der mit Kathy verlobt war und mit dem Myron kurz vor einem Vertragsabschluss steht. Myron hat großes Interesse daran, dass Verschwinden von Kathy aufzuklären, denn er glaubt nicht, dass der Mordverdacht gegen Christian Bestand haben wird. Außerdem möchte Myron Bolitar seinen Sport-Favoriten zukünftig nicht im Gefängnis besuchen.

Der Autor:

Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er hat bislang zwölf Thriller geschrieben, die in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Harlan Coben wurde als erster Autor mit den drei wichtigsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet, dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award. Harlan Coben gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in New Jersey.

Reflektionen:

Ich bin ein waschechter Harlan Coben – Fan und es war fast klar, dass mir dieses Buch gefallen würde. Natürlich gefällt mir der ein oder andere Harlan Coben Thriller besser oder weniger gut, aber mit diesem Thriller hat er mich wirklich gut gepackt und zusätzlich sehr überrascht, denn erst auf den letzten zehn Seiten kristallisierte sich der wahre Täter heraus. Klar hatte ich Vermutungen, aber die hat Harlan Coben immer wieder durch intelligente Wendungen zunichte gemacht und erst sehr spät in der Geschichte verschmelzen die Perspektiven ineinander.

Der Schreibstil des Autors ist gewohnt locker, fluffig, salopp und humorvolle sowie ironische Dialoge würzen die Handlung. Manches könnte man als übertriebe Coolness deklarieren und überspitzt gesagt, etwas weniger wäre ein Mehr gewesen, doch ich mochte diesen Stil, der mich kompromisslos an die Seiten presste.

Das Spiel seines Lebens ist mein erster Thriller aus der Myron Bolitar - Reihe, den man sehr gut als „stand alone“ lesen kann. Ich habe zu keiner Zeit das Gefühl, dass mir Inhaltliches aus den vorherigen Büchern fehlt. Harlan Cobens Figuren sind gewohnt gut und feingliedrig charakterisiert. Die einen sympathisch, die anderen boshaft unsympathisch.

Mit dem Sportagenten Myron Bolitar ist Harlan Coben eine äußerst authentische und sympathische Figur geglückt, von der ich unbedingt noch mehr lesen möchte. Myron agiert und ermittelt mit seinem Freund Win, Windsor Home Lookwood III, einem Börsenmakler. Die beiden ergänzen sich, wobei Win doch schon gern einmal eiskalt drauf haut. Die beiden haben sich an der Universität kennengelernt und teilten sich ein Zimmer. Später waren siegemeinsam „kurz“ beim FBI beschäftigt.

Anfangs hatte ich ein wenig Schwierigkeiten den zahlreichen Figuren zu Folgen beziehungsweise diese auseinanderzuhalten. Vermutlich lag das jedoch daran, dass ich mit Football bisher nur wenige Berührungspunkte besitze. Aber nach den ersten Kapiteln legte sich dieses Gefühl und der Durchblick war zurück.

Die Figur der Kathy fand ich sehr interessant dargestellt. Ihre familiären Verhältnisse wurde sehr interessant erzählt. Kathy verschwindet in diesem Thriller spurlos und es stellt sich die Frage, was Kathy vor ihrem Verschwinden so extrem verändert hat. Von dem Liebchen wird sie plötzlich schlampig bis nuttig und dieses Verhalten schockt ihr Umfeld. Durch die gesamte Handlung hindurch erhält der Leser genug Gedankenfutter, um selbst hinter dieses Geheimnis zu kommen, während die tatsächliche Auflösung sehr erschreckend und schockierend zugleich ist.

In diesem Thriller ist es Harlan Coben in besonderem Maße gelungen, mich als Leser hinters Licht zu führen. Verstrickungen der Figuren und Wendungen in der Handlung sorgen dafür dass die Spannung niemals abreist, obwohl keine explosiven Dinge geschehen, die die Spannungskurve nach oben schraubt. Ich empfand die Spannung eher gleichmäßig auf einem sehr angemessenen Niveau für einen guten Thriller.

Fazit und Bewertung:

Ein gewohnt guter und spannender Thriller aus der Myron Bolitar – Reihe, der mich sehr gut und intelligent unterhalten hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Tue Böses und ernte Gutes – Spannend, authentisch und außergewöhnlich

Berlin Gangstas
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Kolja ist Russe und Kemal Türke.
Sie sind Berliner Gangstas.
Zusammen sind sie KOKE.
Sie sind Geschäftspartner und
die besten Freunde ever.
Kolja und Kemal schleusen Flüchtlinge nach Europa und,
sie ...

Kolja ist Russe und Kemal Türke.
Sie sind Berliner Gangstas.
Zusammen sind sie KOKE.
Sie sind Geschäftspartner und
die besten Freunde ever.
Kolja und Kemal schleusen Flüchtlinge nach Europa und,
sie haben ein gemeinsames Ziel:

Flüchtlinge sollen fair und auf menschliche Weise ins Wohlstandsparadies Deutschland geschleust werden. Sie wollen Flüchtlinge retten. Sie quetschen Flüchtlinge nicht in Lkws, um sie beispielsweise im nächsten Bordell abzuliefern, wo sie dann ihr Leben lang Schulden abarbeiten müssen. KOKE ist seriös und am Wohle des Menschen orientiert. Es gibt kein Kleingedrucktes und alles geht fair zu.

Doch Berlins Unterwelt ist voller Gangstas. Einer von ihnen will KOKE zwingen ihre Route zu ändern. KOKE soll Drogen und Waffen transportieren und Kinder, die zur Prostitution vorgesehen sind, unterwegs aufnehmen. Als sich die beiden weigern, erklärt ihnen ein Hardcore-Gangster den Krieg. Doch bevor sich KOKE geschlagen gibt, halten sie an ihrem Gutmenschentum fest und geben sich äußerst kämpferisch. Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes und sie finden sich plötzlich inmitten eines brutalen Alptraums wieder.

Der Autor:

Stefan Schweizer, geboren 1973, lebt in einer deutschen Großstadt. Er bewegt sich gerne in fremden Kulturen, in exotischen subkulturellen Milieus und ist Grenzgänger zwischen den Scenes: ob psychedelische Jam-Bands, Techno-Szene oder Rap-Bewegung – Berührungsängste hat er keine. Seit 2012 veröffentlicht er Belletristik. BERLIN GANGSTAS ist der neue, moderne Gesellschaftsroman. (Quelle: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag)

Reflektionen:

Der Roman beginnt mit einem Prolog, der nur vier Buchstaben auf einer ansonsten leeren Seite präsentiert:

F. d. s., A!

(Übersetzt: Fick dich selber, Arschloch!)

Da musste ich das erste Mal schmunzeln und ich hatte auf den nachfolgenden, dicht bedruckten 449 Seiten noch einige Male guten Grund dazu. Aber, ich war auch berührt, zwischendurch sogar aggressiv, dann wütend und im Neugierde-Modus total unter Spannung, den Stil genießend und unendlich erleichtert, über ein klasse Showdown und ein geschicktes und gutes Ende.

BERLIN GANGSTAS ist mein viertes Buch, das ich von Autor Stefan Schweizer lese. Es ist so wunderbar, wenn man als Leser spürt wie sich schriftstellerisches Potenzial in Gold verwandelt, wenn man deutlich erkennt wie sich der Stil weiterentwickelt und unumstößlich gefestigt hat. Wenn dann der Stil und die Sprache noch so außergewöhnlich sind, dass der Wiedererkennungswert auf 100 % steigt und die Handlung zu einem Lese-Highlight des Jahres wird, dann schätzt man sich als Leser sehr glücklich, die Bücher dieses Autors genießen zu dürfen.

Bei dieser Rezension habe ich ernsthaft Sorge, dass meine Worte diesem außergewöhnlichen Roman nicht gerecht werden könnten, denn zu speziell ist der Stil, den ich kaum mit Sätzen umschreiben vermag.

Ich versuche es:

Die Handlung umfasst Themen wie Migration, Ausländerkriminalität, Integration, Kriminalität und Korruption. Es geht um das Schleusen von Flüchtlingen, Drogengeschäfte- und deren Konsum, Waffenhandel, um innige, wahre Freundschaft und um Familie und Clans. Der Schauplatz des Romans ist Berlin, doch er könnte in jeder größeren Stadt in Deutschland spielen, in der die Kriminalitätsrate auf hohem Niveau agiert.

Die Handlung ist dicht. Sehr dicht sogar. Mir fällt kaum ein Roman ein, der so dicht an dicht mit Figuren spielt, Informationen ausschüttet ohne überladen zu wirken und der sehr lebendige Dialoge, inklusive einer außergewöhnlichen Sprache bietet.

Die Sprache ist ein äußerst kurzweiliger Gangstas-Slang. Er lädt trotz der ernsten Thematiken immer wieder maßvoll zum Schmunzeln ein. Das Besondere, wie ein Sahnehäubchen oben auf ist, dass dieser Slang in Dialogen zwischen Kemal und Kolja zusätzlich viele fundierte Fakten mitliefert. Diese betreffen die oben genannten inhaltlichen Thematiken, das Zeitgeschehen, Politisches und und und. Stefan Schweizer hat es glanzvoll gemeistert, seine gewissenhaften Recherchen über 9/11, RAF, Bad Kleinen und NSU fluffig leicht und doch anspruchsvoll in die Dialoge hineinzuschreiben ohne den Leser in irgendeiner Weise damit zu überfordern.

Die Spannung ist prompt da. Sie explodiert zwischendurch und verliert nie an Fahrt. Für mich ein echter Page-Turner, den ich kaum aus der Hand legen kann.

Die eigensinnigen, authentischen Figuren Kemal und Kolja sind definitiv sehr liebevoll gezeichnet. Aber auch die anderen, die bösen Figuren, zeugen von intensiver Charakterisierung. Die Charaktere sind sehr detailliert erschaffen und auch hier nehme ich als Leser so viele Charaktereigenschaften von ihnen auf, dass ich ein sehr reales Bild der Protagonisten im Kopf habe. Auch hier erneut eine Besonderheit. Alle Figuren besitzen auch eine persönliche Gedankenwelt, an die Stefan Schweizer seine Leser intensiv teilhaben lässt. Dadurch gewinnt der Roman an Authentizität. Denkt man darüber nach was in diesem Roman geschieht, dann schockt die Wirklichkeit zutiefst und einmal mehr. Überhaupt ist die Handlung von Tiefgründigkeit gesegnet, die ich so liebe, wenn ich lese.

Stefan Schweizer spielt auch mit Perspektiven, die von Kapitel zu Kapitel zu Figuren springen. Der Wechsel ist für den Leser jederzeit nachvollziehbar und so bildet sich ein übersichtliches Gesamtbild, aller handelnden Figuren und Ereignissen.

Kemal und Kolja haben in ihrem bisherigen Leben schon viel erlebt. Der eine haute drauf wie Rambo, der andere hatte die Taliban zum Freund. Doch nun wollen sie Menschen helfen, sie retten und human behandeln. Als der Hardcoregangster auftaucht und die beiden in die Knie zwingen will, geraten diese in einen Konflikt. Sie stellen nämlich fest, dass sie scheinbar Böses tun müssen, um Gutes zu erreichen. Diesen Konflikt hat Stefan Schweizer bestens in Szene gesetzt und dieser begleitet den Leser durch die gesamte Geschichte.

BERLIN GANGSTAS ist als Großstadtroman deklariert, doch die Zuordnung des Genres ist für mich wenig nachvollziehbar. Für mich ist BERLIN GANGSTAS ein Kriminalroman, der mit manch einem Thriller-Element aufwartet. Ich hoffe sehr, dass die Krimi-Fans diesen Roman auch wirklich entdecken, denn als Krimi-Fan suche ich selten unter Romanen einen Kriminalroman.

Fazit und Bewertung:

Ein intelligenter und aktueller Gesellschaftsroman, den ich im Genre Kriminalroman platziert hätte. Er ist sehr lesenswert, spannend und gesellschaftskritisch, vor allem aber in einem besonderen Stil der fesselt und sehr kurzweilig unterhält.

Meine absolute Leseempfehlung an die Leser, die gern etwas Neues entdecken möchten.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die (Be-)Deutung der Literatur und ihr Sinn im Leben

Der Sinn des Lesens
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Während des Paris-Marathons 2012 läuft Pieter Steinz seine persönliche Bestzeit. Ein Jahr danach, raubt ihm eine leichte Windbrise gnadenlos den Atem. Fortan lauscht er dem Wetterbericht, um 'den' Weg ...

Während des Paris-Marathons 2012 läuft Pieter Steinz seine persönliche Bestzeit. Ein Jahr danach, raubt ihm eine leichte Windbrise gnadenlos den Atem. Fortan lauscht er dem Wetterbericht, um 'den' Weg zur U-Bahn zu wählen, bei dem er den Wind im Rücken hat, um sein Büro selbstständig zu erreichen. Er ist immer mehr erschöpft und sogar Gesellschaft scheint ihn zu ermüden.

Im Sommer 2013 erfährt der niederländische Journalist, Literaturkritiker und Buchautor Pieter Steinz, dass er an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS erkrankt ist. Diese bittere Tatsache nimmt er zum Anlass und schreibt 52 Essays. Er liest erneut seine Lieblingsbücher, von seinen liebsten Autoren (Charles Dickens, Alexandre Dumas, Shakespeare, Proust, Astrid Lindgren, Thomas Mann, Kafka, Oscar Wild und weitere große Autoren), und er setzt seine Krankheit und seinen körperlichen Verfall in Beziehung zur Weltliteratur.

Die Symptome seiner Krankheit interpretiert er in die gelesene Literatur hinein. Beispielsweise leidet Pieter Steinz unter dem Symptom des Stimmverlusts, den er thematisch in dem Märchen die kleine Meerjungfrau (Hans Christian Andersen) wiederfindet. Darin muss sich die kleine Meerjungfrau entscheiden, ob sie Tanzen oder Sprechen möchte.

Der Autor:

Pieter Steinz, geb. 1963 in Rotterdam, arbeitete über zwanzig Jahre als Redakteur und Buchkritiker bei der Tageszeitung NRC Handelsblad und wurde 2012 Direktor der niederländischen Stiftung für Literatur. Neben zahlreichen Artikeln und Buchbesprechungen ist er in den Niederlanden ein weit geschätzter und vielfach ausgezeichneter Verfasser glänzend geschriebener Sachbücher über Kunst, Kultur und vor allem Literatur. (Quelle: Reclam Verlag)

Zitat von Pieter Steinz

„In der Anfangsphase meiner Krankheit hatte ich bereits eine Menge verrückter Geschichten erlebt, in denen untätige Mediziner, Ärzte, die diese Bezeichnung nicht verdienen, und Bekannte, die sich mit der Krankheit ALS keinen Rat wussten, eine Hauptrolle spielten. Eine Freundin, die bei der Zeitung arbeitete, bestand darauf, dass ich sie aufschreibe, doch ich wollte den vielen schon existierenden Krankengeschichten nicht noch eine weitere hinzufügen. Da kam mir der Gedanke, dass ich die diversen Aspekte meiner Situation mit der Literatur verbinden könnte, die ich gerade las oder die ich gelesen hatte – denn das hatte ich schließlich mein Leben lang getan: als Genussleser und als Kritiker.

Live by the book, die by the book.

Bei den etwa sechzig von mir ausgewählten Werken handelt es sich übrigens nicht nur um meine Lieblingsbücher: Manchmal habe ich mich auch für eines entschieden, weil es perfekt illustrierte, was ich in einem bestimmten Moment fühlte oder dachte.“ (Quelle: Reclam Verlag/Im Gespräch mit Pieter Steinz)

Reflektionen:

Schon an dieser Stelle möchte ich Lesern den „Den Sinn des Lesens“ sehr ans Herz legen. Jeder Literaturliebhaber hat bereits von Pieter Steinz Lieblingsautoren gelesen und ich verspreche, dass dieses Werk sehr bereichern und beeindrucken wird. Es lädt zum Schmunzeln ein, wenn Pieter Steinz beispielsweise über seine Lebensader aus Plastik schreibt (Magensonde) oder wenn er hilflos TV-Koma-Glotzen und Koma-Lesen betreibt und beschreibt. Der Sinn des Lesens produziert auch Wut und schier unerträgliche Hilflosigkeit und er lässt ein Meer aus Tränen entstehen.

Pieter Steinz Talente sind sein besonderes Gespür für die Literatur und sein kunstvolles, schriftstellerisches Können. Die 52 Essays gewähren dem Leser nicht nur Einblicke in die großartige Weltliteratur sondern auch in den Alltag des erkrankten Autors, nach der bitteren Diagnose ALS (Amyothrophen Lateralsklerose).

ALS ist eine seltene und unheilbare Nervenkrankheit. Sie ist der aggressive Bruder der Multiplen Sklerose und sie betrifft die Nervenzellen, die die Muskulatur versorgen. Pieter Steinz ist von der bulbären Form betroffen, mit der die kürzeste Lebenserwartung einhergeht und die als erstes das Atemzentrum betrifft, bis hin zur Lähmung der Atemmuskulatur. Innerlich plaudert er nach wie vor wie ein Wasserfall, doch inzwischen wollen seine Worte nur elendig schwerfällig über seine Lippen gleiten.

Erschreckend nüchtern und ehrlich gerade heraus erzählt Pieter Steinz von seiner Krankheit, inklusive seiner peinlichsten Momente und schätzt sich dabei dennoch glücklich, dass seine Hände noch nicht gelähmt sind, sodass er noch schreiben kann. Ihm ist es bewusst dass er seinen Stapel ungelesener Bücher nicht mehr schaffen wird zu lesen, denn die Zeit dafür ist zu kurz, seine Leseposition raubt ihm bereits den Atem als betreibe er einen Spitzensport und Proust ist ihm längst zu schwer.

Wer nun glaubt dass Pieter Steinz verbittert und klagend von seiner Krankheit schreibt, dem sei gesagt, dass er dies nicht tut. Sicher hadert er mit seinem unerbittlichen Schicksal, doch er ist auch dankbar, dass er mit seiner Familie bisher ein sehr glückliches Leben gelebt hat und dass er einen Beruf ausübt, der ihn absolut erfüllt. Dieses Wissen schenkt ihm eine innere Zufriedenheit, die man sich als Leser nur sehr schwer vorstellen kann, die man jedoch jeder seiner Zeilen entnehmen kann.

Pieter Steinz betrachtet in diesem Werk die Literatur und seine Krankheit ernst, lebensfroh und sogar humorvoll. Oft bringt er mich mit seinen Anekdoten und Interpretationen zum Schmunzeln und ich frage mich, ob es hinsichtlich seines Leids angemessen ist, dies zu tun. Ich teile seine Emotionen wie Wut und Hilflosigkeit gegenüber Situationen, in denen Ärzte, Lebensumstände, Hindernisse im Alltag und der körperliche- wie seelische Schmerz, die eine große Rolle in seinem Leben einnehmen. Manchmal klappe ich zutiefst berührt und traurig den Buchdeckel zu und versuche meine Tränen wegzublinzeln und all das Gelesene auszuhalten. Doch dann klärt sich mein Blick wieder, denn Pieter Steinz große Liebe zur Literatur ist so deutlich zu spüren, dass ich all seine Essays auch sehr genießen kann.

Fazit und Bewertung:

Der Sinn des Lesens ist ein wundervolles Werk und ich empfehle es jedem Literatur-Liebhaber.

Vielen Dank an meinen lieben Nachbarn Gerd, der mir dieses besondere Buch geschenkt hat, dass von nun an einen ganz besonderen Platz in meinem Bücherregal einnimmt. Dr. Gerd Busse arbeitet seit vielen Jahren mit Pieter Steinz zusammen und er übersetzte dieses Werk aus dem Niederländischen.

Ich werde Pieter Steinz noch vieler meiner Gedanken schenken.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Macht der Musik oder, als der Himmel vor Verzweiflung schrie

Totenlied
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In einem Antiquitätengeschäft in Rom kauft Violinistin Julia Ansdell ein antikes Notenheft, aus dem eine handschriftliche Aufzeichnung eines unbekannten Walzers hinausflattert.

Zuhause angekommen, beginnt ...

In einem Antiquitätengeschäft in Rom kauft Violinistin Julia Ansdell ein antikes Notenheft, aus dem eine handschriftliche Aufzeichnung eines unbekannten Walzers hinausflattert.

Zuhause angekommen, beginnt sie den unbekannten Walzer auf ihrer Geige zu spielen. Während die aufwühlende Melodie von Julia einiges an Können abverlangt, tötet Julias dreijährige Tochter ihre Katze.

Als Julia bemerkt dass merkwürdige Dinge geschehen, während sie den unbekannten Walzer spielt, macht sie sich berechtigterweise, vor allem um ihre Tochter Lily, große Sorgen. Lily wird aggressiv und Julia kann sie kaum wiedererkennen. Erschreckt über das Verhalten ihres Kindes sucht sie einen Kinderarzt auf, der die Kleine aufwendig medizinisch untersucht. Dabei stellt er fest, dass Lily dieses Musikstück in ihrem Langzeitgedächtnis abgespeichert hat. Unmöglich, wo doch der Walzer niemals veröffentlicht wurde und Lily ihn garantiert noch nie gehört haben kann.

Julia ist mit ihren Gedanken und Sorgen allein. Ihr Ehemann Rob vermutet, dass Julia psychische Probleme hat, da auch schon ihre Mutter Camilla psychiatrisch behandelt wurde. Um der Herkunft des Stücks auf den Grund zu gehen und um gegebenenfalls dadurch auf Lilys Verhalten rückschließen zu können, reist Julia zurück nach Rom. Doch sie ahnt nicht, dass ihr Leben in höchster Gefahr ist.

Die Autorin:

So gekonnt wie Tess Gerritsen vereint niemand erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, war die Autorin selbst erfolgreiche Ärztin. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Thriller »Die Chirurgin«, in dem Detective Jane Rizzoli erstmals ermittelt. Tess Gerritsen lebt mit ihrer Familie in Maine.

Reflektionen:

Mit Totenlied ist Tess Gerritsen ein Meisterwerk gelungen. Für mich ist dieser stand alone Thriller definitiv ihr bester. In sehr schöner und fließender Sprache erzählt Tess Gerritsen eine Geschichte über einen Walzer, dessen Komponist und Herkunft unbekannt sind. Ihren gewohnt guten Schreibstil hat Tess Gerritsen mit Totenlied noch einmal übertroffen und sie versteht es wahrlich, die Spannung auf hohem Niveau durch die Seiten strömen zu lassen, ohne dass Blut aus ihm hinaustropft. Einige werden eventuell kritisieren, dass nicht allzu viele Thriller-Elemente in Totenlied berücksichtigt worden sind, doch ich persönlich empfinde das Genre Thriller gerechtfertigt, wenn er auch eher sanft aber dafür sehr intensiv daherkommt.

Totenlied wird in zwei Handlungssträngen erzählt, die in unterschiedlichen Zeitebenen spielen und die erst gegen Ende ineinanderfließen. Die Figuren sind sehr fein gezeichnet und sie besitzen ein Leben, an dem die Autorin den Leser maßvoll teilhaben lässt. Charakterstark oder labil, gut oder böse, viele Figuren mit unterschiedlichen charakterlichen Eigenschaften bereichern die Geschichte auf vielfältige Weise, ganz zum Genuss des Lesers.
Im ersten Handlungsstrang verändert sich Julias Tochter Lily, während sie den Walzer hört. Diese Veränderungen erlebt jedoch ausschließlich Julia und auch nur ihr gegenüber wird Lily plötzlich aggressiv. Julias Schilderungen stoßen in ihrem Umfeld auf Unglauben. Ihr Ehemann Rob vermutet gar, dass sie psychische Probleme hat, sodass sie in einen inneren Konflikt gerät, der sie fast zerreißt. Sie erkennt ihre eigene Tochter nicht wieder, kann sich ihr nicht mehr liebevoll und mütterlich nähern und sie entfernt sich auch von ihrem Ehemann. Sie beginnt eine Rolle zu spielen. Bei jedem Schritt den sie tut überlegt sie, wie er wirken wird, damit ihn niemand als krankhaft interpretieren kann. Diesen Konflikt setzt Tess Gerritsen brillant in Szene. Als Leser schlage ich mich auf die Seite der sympathischen Julia, da ich die Veränderungen des Kindes miterlebe.

Der zweite Handlungsstrang, ich würde ihn durchaus als Haupterzählstrang deklarieren, spielt in der Zeit kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Venedig, Italien. Man lernt den jungen, sympathischen und bescheidenen Lamberto kennen, dessen Vater ein bekannter Geigenbauer ist. Lamberto ist ein begnadeter Geigenspieler und er hat hochgesteckte Ziele, die er plötzlich nicht mehr umsetzten kann, da er als Jude nicht der italienischen, reinen Rasse angehört. Tess Gerritsen hat die Dramatik dieser Zeit ausgesprochen gut recherchiert, beschrieben und verarbeitet. Diese Perspektive bietet auf Grund der geschichtlichen Authentizität eine grausige Grundstimmung, die mich gepaart mit Spannung und Emotionalität unglaublich fesselt. Ich bin nicht diejenige, die gern Liebesgeschichten in Thrillern verpackt sieht, doch diese hier zerreißt mir fast das Herz.

Wie die Autorin im Nachwort betont, will sie mit diesem Roman den Menschen dieser finsteren Zeit ein Denkmal setzten, die Juden unterstützten und die Akte der Menschlichkeit vollbrachten, mit der sie Hoffnung säten. Auch Lamberto und seiner Familie wurden von selbstlosen Menschen Unterschlupf gewährt und aufopfernde Hilfe zuteil.

Das Vereinen der beiden Perspektiven gelingt Tess Gerritsen spielend leicht. Intelligent verknüpft sie die charakterstarken, authentischen Figuren von einst in das Hier und Jetzt und lässt mich emotional tief berührt zurück. Trotz dass der Showdown wie ein Gewittergrollen alles übertönt, indem Lambertos geliebte Musik und Geige noch einmal eine große Rolle spielen, bleibt dem Leser dennoch auch Luft zur persönlichen Interpretation.

Den Walzer „Incendio“, um den sich die Handlung im Kern dreht, komponierte Tess Gerritsen. Der Titel wurde von der preisgekrönten Violinistin Susanne Hou eingespielt und steht auf deren Webseite zum Download zur Verfügung.

Fazit und Bewertung:

Totenlied ist ein Highlight unter den Thriller-Neuerscheinungen. Es begeistert, fesselt und stimmt nachdenklich zugleich. Meine absolute Leseempfehlung, nicht nur an Thriller-Fans.