Manchmal sind Autoren eben die besseren Geschichtslehrer
Mit dem Prager Frühling und seinen Folgen habe ich mich, bevor ich "Das hungrige Krokodil" las, nie wirklich beschäftigt. Sicher, dieser war in unzähligen historischen Romanen, die ich las und die die ...
Mit dem Prager Frühling und seinen Folgen habe ich mich, bevor ich "Das hungrige Krokodil" las, nie wirklich beschäftigt. Sicher, dieser war in unzähligen historischen Romanen, die ich las und die die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts anhand einer schicksalhaften Familensaga erzählten, Thema, ich muss aber zugeben, dass mich die Geschichte nach 1961 noch nie wirklich vom Hocker gerissen hat. Woran es genau liegt, weiß ich nicht zu sagen. Vielleicht, weil wir im Geschichtsunterricht in der Mittelschule ausschließlich über die DDR gesprochen haben und meine Geschichtslehrerin das Thema gelangweilt und genervt herunterrasselte, was zur Folge hatte, dass ich regelmäßig im Unterricht entschlief. Vielleicht wurde der Prager Frühling auch thematisiert, aber ich habe es verpennt... Sei es drum.
Manchmal sind Bücher die besseren Geschichtslehrer. Oder die Autoren, die sie schreiben. Wie Sandra Brökel. Wenn Sandra Brökel eine Bedienungsanleitung für eine Bohrmaschine schreiben würde, würde ich sie lesen. Ihr Schreibstil fängt ihre Leser ein, nimmt sie mit auf die Reise und lässt sie nicht mehr los, bis man die letzte Seite gelesen hat. So auch beim Lesen ihres Buches "Das hungrige Krokodil".
"Das hungrige Krokodil" ist die Lebensgeschichte von Dr. Pavel Vodák, ein renommierter Kinderarzt und Psychiater. Man begleitet ihn durch seine Jugendzeit, als er die Besetzung seines Heimatland durch die Nationalsozialisten miterleben muss, als jungen Arzt, der sich um die befreiten KZ-Häftlinge von Theresienstadt kümmert und als Unterstützer der Reformpolitik, die den Sozialismus menschlicher gestalten sollte. Man erlebt Pavel aber auch als einen zutiefst entmutigten Mann, der nach der Niederschlagung des Prager Frühlings keine Zukunft mehr für sich und seine Familie in der Tschechoslowakei und keinen anderen Ausweg mehr sieht, als aus seinem Heimatland zu flüchten. Und man begleitet ihn auf seiner Flucht und fiebert mit, dass ihm diese gelingt.
Durch Sandra Brökels unvergleichlichen Schreibstil ist man nicht nur Leser der Geschichte, man wird zu Pavel und sieht seine und einen großen, wichtigen Teil der tscheschischen Geschichte durch seine Augen. Ein wunderbares, lesenswertes Buch.