Eine Kindheit, die fassungslos macht
Angelika Klüssendorf schrieb die Romanreihe rund um ein junges Mädchen, dass eine grausame Kindheit erlebt, sich aber Stück für Stück zurück ins Leben kämpft. Das Mädchen erschien 2011, April 2015 und ...
Angelika Klüssendorf schrieb die Romanreihe rund um ein junges Mädchen, dass eine grausame Kindheit erlebt, sich aber Stück für Stück zurück ins Leben kämpft. Das Mädchen erschien 2011, April 2015 und der dritte Teil, Jahre später, 2018 bei Kiepenheuer und Witsch.
DAS MÄDCHEN
Sie ist zwölf Jahre alt und erlebt eine tragische Kindheit an der Seite ihres jüngeren Bruders Alex in der ehemaligen DDR. Sie kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist der Unzufriedenheit ihrer Mutter ausgesetzt. Diese ist alkoholkrank, tyrannisiert ihre Kinder, indem sie sie beleidigt, demütigt und prügelt. Der Vater, ebenfalls ein Trinker, ist fast nie da. Um all das ertragen zu können, flüchtet sich das Mädchen in fantastische Kinderbücher und Märchen.
Immer wieder versucht sie von zuhause auszureißen, landet am Ende aber doch wieder in ihrer lieblosen Familie. Sie lebt zeitweise in einem Kinderheim, in dem sie andere Kinder kennen lernt, die ähnlich schlimme Erfahrungen in ihrem Elternhaus machen mussten. Wirklichen Anschluss aber findet sie nicht. Sie klaut, träumt sich in Fantasiewelten und versteckt ihren dürren Körper unter Schichten von Kleidung. Der Versuch, sich das Leben zu nehmen, zeigt ihre Aussichtslosigkeit.
APRIL
Es sind die späten Siebziger in Leipzig. Inzwischen nennt sie sich April und ist erwachsen geworden. Ihre traumatische Vergangenheit versucht sie hinter sich zu lassen, was nicht immer gelingt. Sie beginnt ein neues Leben, eines als selbstbestimmte Frau mit eigenen Bedürfnissen und Interessen. Ihre Zeit im Heim ist vorüber, die Lehre hat sie abgebrochen und arbeitet nun als Büroangestellte. Immer noch kommt sie an Grenzen und umstößt diese.
Sie verliebt sich in Hans, die beiden werden ein Paar und leben zusammen. Er akzeptiert sie, wie sie ist und gibt ihr das Gefühl, genug zu sein. Beide bekommen einen Sohn, Julius. Anfangs noch ängstlich, von ihm verlassen zu werden, wird April selbstbewusster und bald ist sie es, die verlässt. Vorher aber steht die Ausreise aus der DDR, in den Berliner Westen an. Die qualvollen Kindheitsmomente klingen nie ganz ab und machen der jungen Frau nach wie vor das Leben schwer. Erinnerungen, Verluste und Enttäuschungen haben sie geprägt. Dieser Teil endet zu Beginn der Achtziger Jahre.
JAHRE SPÄTER
Inzwischen ist April dreißig Jahre alt. Auf einer Lesung in Hamburg lernt sie den Chirurgen Ludwig kennen und beide werden ein Paar. Er ist penetrant, ja manchmal schon dreist in seiner Art und Weise, sie zu umgarnen. Beide erleben eine intensive Zeit, in der sie Telefonstreiche bei Ludwigs Kollegen begehen und auch vor Diebstählen nicht zurück schrecken. Ludwig und April heiraten und bekommen einen Sohn, Samuel.
Die Zweisamkeit brauchen beide und können sie doch nicht ertragen. Die Beziehung hat etwas sehr Ungutes und treibt sie mehr und mehr auseinander. April kämpft gegen Depressionen und die Dämonen ihrer Vergangenheit und muss sich immer wieder mit ihrer Ehe auseinandersetzen, in der sie sich gefangen fühlt. Sie genießt die Aufmerksamkeit Fremder und lernt so andere Männer kennen, überschreitet auch dort wieder Grenzen und hat doch kein schlechtes Gewissen. Zu unglücklich ist sie in der Verbindung mit Ludwig. Neben all dem, versucht sie ihren Söhnen eine bessere Mutter zu sein, als ihre eigene es war.
MEISTERHAFT UMGESETZT
Die Trilogie wurde von Klüssendorf meisterhaft umgesetzt und berührt vom ersten bis zum letzten Band. Die Erzählweise ist klar und sachlich, gut strukturiert und verliert sich nicht in Einzelheiten. Die dargestellten Situationen zeichnen sich durch Prägnanz und Nüchternheit aus. Zwischendurch war es für mich schwer zu ertragen, die Szenen im ersten Band lesen zu müssen. Dennoch möchte man als Leser wissen, wie das Leben des jungen Mädchens weiter verläuft und ob sie es schafft, aus der Negativspirale auszubrechen.
Durch ihre immense Sachlichkeit gelingt es Klüssendorf, nicht zu sentimentalisieren und somit nicht zu beeinflussen. Ganz von selbst bahnt sich die Geschichte von April ihren Weg in die Herzen der Lesenden. Die Bücher überzeugen durch ihre Kraft und Authentizität, ihre Schonungslosigkeit und Bündigkeit. Eine ganz klare Empfehlung meinerseits.