Eine tieftraurige, wahnsinnig ermutigende Fabel über eine Krähe als Trauerbegleiter
Bei der Übersicht der neuen Kein & Aber Pockets ist mir ein Buch besonders ins Auge gefallen: Max Porters „Trauer ist das Ding mit Federn“. Dieser dünne Band mit dem ansprechenden Titel (und orangem Seitenschnitt!) ...
Bei der Übersicht der neuen Kein & Aber Pockets ist mir ein Buch besonders ins Auge gefallen: Max Porters „Trauer ist das Ding mit Federn“. Dieser dünne Band mit dem ansprechenden Titel (und orangem Seitenschnitt!) zog nach Lektüre des Klappentextes bald bei mir ein. Es geht um eine Familie mit zwei Kindern, die nach dem plötzlichen Tod der Mutter wieder zurück in die Normalität, in den Alltag, finden müssen, und dazu müssen sie ihre Trauer hinter sich lassen. Eines Tages, nicht allzu lange nach dem Todesfall, klingelt es an der Haustür und der Vater wird überrumpelt von einer grausigen Gestalt, die bei genauerem Betrachten eine Krähe ist, die so lange bleiben will, bis die Familie ihre Trauer bewältigt hat. Von da an gestaltet sich der Tagesablauf der Familie recht ungewöhnlich, wohnt doch nun eine fluchende, derbe, makabere Krähe unter ihnen, die keine Gelegenheit auslässt, den Vater und die Zwillinge von ihrer Depression und Wut abzulenken, um sie ihnen im nächsten Moment mitten ins Gesicht zu reiben. In wechselnden Perspektiven erfahren wir, wie das Zusammenleben mit Krähe (ohne Artikel) abläuft und ob es auch tatsächlich funktioniert. Denn Krähe kann sich auf einen großen Erfahrungsschatz berufen, munter erzählt er (Ja, Krähe ist männlich) von anderen Trauernden, die ihr Schicksal weniger gut aufgenommen haben.
"Nach-vorne-Schauen als Konzept ist für Deppen, denn jeder vernünftige Mensch weiß, dass Trauer ein Langzeitprojekt ist. Ich werde nicht überstürzen. Es bremse, beschleunige oder nehme niemand den Schmerz, den wir leiden."
Max Porters Debütroman zeichnet eine ganz besondere Sprache aus. In kurzen, stilistisch von poetisch oder beobachtend bis lyrisch wechselnden Kapitel lernen wir die vier Charaktere kennen und können ihre Heilung verfolgen. Während der Vater eher pragmatisch denkt und teilweise erschrocken über seine eigenen Gedanken ist, beispielsweise wenn er realisiert, dass er sich nun ab sofort bis in alle Zeit allein um die beiden Söhne kümmern muss, ist Krähe umso makabrer — wobei sein Ton stets diffus, direkt und oft auch ziemlich derb ist. (»VOGELFEDERN IN DEINER SPALTE, DEINEM SCHWANZAUGE, DEINEM MAUL […] Ich setzte meine Klaue auf seinen Augapfel und erwog Ausstechen, aus Jux oder Mitleid.«)
Ob Krähe ein physischer Charakter ist oder nicht, ist schwierig zu beurteilen, da er seine Gestalt verändern kann und an mehreren Passagen offenbar nicht von den Familienmitgliedern wahrgenommen wird. Aber Krähe überwacht „seine“ Familie, hat sie im Auge, schaut, dass sie ihre Trauer hinter sich lassen. Und auf jeden Fall ist Krähe einer der herausstechendsten literarischen Charaktere, die mir je begegnet sind. Sein Wahnsinn, sein Ekel-Faktor (s. Zitat oben), natürlich seine tierische Art (er ist und bleibt ja eine Krähe, so personifiziert er auch sein mag), seine Erzählungen und „Weisheiten“, die oftmals komplett sinnfrei sind und den Vater nur verwirren — Krähe ist ein wunderbar gezeichneter Charakter. So muss es sein! Trotz der Kürze des Buchs (126 Seiten) lag mir Krähe bereits nach wenigen Seiten am Herzen, und wenn man dann weiterliest, wird einem warm ums Herz bei den Dingen, die er für die Familie tut.
Die vollständige Rezension findet ihr auf dem Blog: https://killmonotony.de/rezension/max-porter-trauer-ist-das-ding-mit-federn