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Veröffentlicht am 15.09.2016

Wahrheit oder Fiktion?

Nach einer wahren Geschichte
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Wie kann ein Bestsellerautor nach einem solchen unerwarteten und überwältigenden Erfolg ein neues Buch schreiben? Vor dieser Frage steht die französische Autorin Delphine de Vigan, deren im Wesentlichen ...

Wie kann ein Bestsellerautor nach einem solchen unerwarteten und überwältigenden Erfolg ein neues Buch schreiben? Vor dieser Frage steht die französische Autorin Delphine de Vigan, deren im Wesentlichen autobiografischer Roman „Das Lächeln meiner Mutter“ (über den Selbstmord ihrer Mutter und Familiengeheimnisse) 2011 ein großer Erfolg wurde. Viele Schriftsteller scheitern an dieser Herausforderung, nicht so de Vigan. In der ersten Person erzählt sie fragmentarisch und um Chronologie bemüht von den Monaten im Anschluss an das Erscheinen ihres letzten Buches, die für sie zu einem Albtraum werden und in eine totale Schreibblockade münden. Sie trifft die kluge und elegante - namenlos bleibende - L., die als Ghostwriter arbeitet. Diese schleicht sich in ihr Leben, wird zu einer Freundin, einer Vertrauten, ihr immer ähnlicher werdend. Von Beginn an warnt uns die Autorin, selbst auf das Risiko hin, uns die Spannung zu nehmen, dass diese Freundschaft einen gefährlichen Einfluss auf sie selbst haben werde. Diesbezüglich kann das Buch gut und gerne als Psychothriller durchgehen, und so liest es sich auch. Das wird auch äußerlich kenntlich gemacht, indem Stephen King jeweils eingangs der drei großen Buchabschnitte zitiert wird. Eine Besonderheit wird besonders Literaturinteressierten gefallen: Während die Autorin uns ihre heftigen verbalen Diskussionen mit L. über Literatur und die Aufgabe eines Autors schildert, liefert sie uns interessante Aspekte über die Kunst des Romanschreibens. L. drängt sie, einen neuen Teil ihrer Autobiografie zu schreiben. Ihr zufolge müsse sich eine Autorin ihres Formats der Wahrheit verschreiben und nicht ihre Zeit mit erfundenen Geschichten verschwenden. Aber Delphine streubt sich dagegen. Überhaupt steht das Thema Wahrheit/Fiktion im Mittelpunkt. Sehr geschickt wirft de Vigan im Leser fortschreitend bis zum ganz fantastischen Schluss Zweifel auf: Beruht die Erzählung auf einer wahren Geschichte, erzählt die Autorin also ihre Geschichte? Darauf könnten der Buchtitel und die ersten Seiten hindeuten. Oder ist alles Fiktion, erzählt sie also nur eine Geschichte? Eine Antwort wird man nicht finden.

Ein unbedingt empfehlenswerter, anspruchsvoller Roman.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein berührender Roman über Freundschaft zwischen den Generationen

Bevor die Welt erwacht
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Ona Vitkus ist eine 104 Jahre alte Immigrantin aus Litauen, boshaft, mit dem Leben hadernd. Unterstützung im Haushalt soll sie von einem elfjährigen Pfadfinder erhalten, der eine Menge Ticks hat. Etwas ...

Ona Vitkus ist eine 104 Jahre alte Immigrantin aus Litauen, boshaft, mit dem Leben hadernd. Unterstützung im Haushalt soll sie von einem elfjährigen Pfadfinder erhalten, der eine Menge Ticks hat. Etwas hat aber der Junge, das Ona ihr Misstrauen aufgeben lässt. Vielleicht ist es sein mangelndes Selbstbewusstsein oder sein Interesse an ihrem Leben oder seine Leidenschaft für das Guinness-Buch der Rekorde. Jedenfalls entsteht zwischen beiden eine enge Freundschaft. Zwei gemeinsame ehrgeizige Projekte haben sie: Erstens will und soll Ona es aufgrund ihres Alters zu einem Eintrag ins Guinness-Buch schaffen und zweitens ist sie dem Jungen Interviewpartnerin für eine Schulhausaufgabe. Nachdem er eines Tages plötzlich stirbt, kommt fortan statt seiner sein Vater Quinn, ein Gitarrist ohne durchschlagenden Erfolg, der zu seinem Sohn nie eine Beziehung hat aufbauen können. Quinn und Ona freunden sich an und über Ona lernt Quinn seinen verstorbenen Sohn kennen.

Dies ist ein außergewöhnlicher Roman über die Themen Kummer, Verlust, Tod, Hoffnung und Freundschaft. Obwohl sehr traurig, lässt er einen überhaupt nicht sentimental oder gar depressiv werden. Sehr beeindruckend sind die Romanfiguren, allen voran „der Junge“, dem man nur auf wenigen Seiten zu Anfang begegnet, der aber dennoch wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte läuft. Seine Stimme klingt immer wieder durch, selbst in den Kassettenaufnahmen über Onas Leben, die nur von ihr besprochen werden. Überhaupt sind diese Aufnahmen, die regelmäßig im Wortlaut eingestreut werden, ein gelungenes technisches Mittel. Denn obwohl die Geschichte in der Gegenwart angelegt ist, erfahren wir auf diese Weise so viel über Onas Vergangenheit. Der Junge bleibt vornamenlos, braucht aber auch gar keinen Namen. Am Ende zeigt er allen, worauf es im Leben ankommt. Jede der weiteren Romanfiguren lernt durch ihn wichtige Dinge über sich selbst und dass sie von mehr Wert ist als selbst angenommen. Auch erst zu diesem späten Zeitpunkt erfahren wir Einzelheiten zu dem morgendlichen Ausflug des Jungen auf dem Fahrrad (das passender Weise auf dem Cover abgebildet ist), der ihm den Tod gebracht hat. Diese Passage ist noch einmal sehr berührend geschrieben.

Ein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Pflegealltag in deutschen Altersheimen

Die letzten Dinge
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Die Autorin hat ja schon in anderen Romanen Arbeitswelten beschrieben. Jetzt vermittelt sie uns Lesern einen guten Eindruck der für Pfleger sehr belastenden Arbeit in einem Altersheim. Wenngleich das Buch ...

Die Autorin hat ja schon in anderen Romanen Arbeitswelten beschrieben. Jetzt vermittelt sie uns Lesern einen guten Eindruck der für Pfleger sehr belastenden Arbeit in einem Altersheim. Wenngleich das Buch bereits im Jahr 2005 erschienen ist, ist die Thematik so aktuell wie nie. Sowohl Personal als auch Bewohner des (fiktiven) Altersheims „Abendruh“ sind Opfer des Pflegenotstands. Egal, welche berufliche Qualifikation die Mitarbeiter aufweisen, ob examiniert oder „nur“ Stationshilfe, - alle stellen sich täglich aufs Neue bis zur Selbstaufgabe den Anforderungen der zeitintensiven und nervenaufreibenden Pflege betagter, verwirrter Alter. Umso schöner ist es zu erfahren, dass die meisten ihren Job gerne machen, sei es der schwule Pfleger Ivy, der die Nacht zum Tag macht und Mühe mit pünktlichem Erscheinen auf der Arbeit hat, die aus Sibirien stammende Pflegerin Nadjeschda, für die die Zustände in den Heimen in ihrer Heimat sogar noch schlimmer sind, oder die kurz vor der Rente stehende Stationsleiterin Rosalinde, die bis an ihre eigenen gesundheitlichen Grenzen geht. Sehr schön zu lesen sind die (übrigens äußerlich nicht kenntlich gemachten) wörtlichen Reden der Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Dialekten. Die Bewohner bilden ebenfalls ein buntes Potpourri und geben einen guten Ausblick darauf, wie es ist, alt zu werden. Da ist etwa die demente 96jährige, die immer noch täglich zu ihrer gehobenen Arbeitsstelle will, die ebenfalls verwirrte Alte, die sämtliche Gebisse auf der Station stiehlt, oder der ewig nur die gleichen Worte lallende alte Mann.

Wer irgendeine Beziehung zu Altersheimen hat – sei es, weil dort Angehörige leben, sei es, weil er dort arbeitet -, wird dieses Buch mögen. Bestimmt aber auch andere.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein bewegender Roman über Freundschaft

Und damit fing es an
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Der Roman erzählt im Wesentlichen die Geschichte einer Freundschaft zweier Männer, Gustav Perle und Anton Zwiebel. Sie beginnt 1947 in einer Kleinstadt in der Schweiz. Gustav wächst in ärmlichen Verhältnissen ...

Der Roman erzählt im Wesentlichen die Geschichte einer Freundschaft zweier Männer, Gustav Perle und Anton Zwiebel. Sie beginnt 1947 in einer Kleinstadt in der Schweiz. Gustav wächst in ärmlichen Verhältnissen bei seiner Mutter auf, ohne von ihr je Mutterliebe zu empfangen. Sein Vater ist unter ihm verschwiegenen Umständen verstorben, als er ein Baby war. Anton ist der Sohn eines wohlhabenden jüdischen Bankiers und neu in die Stadt gezogen. Er ist ein außerordentlich begabter Klavierspieler, scheitert aber bei entscheidenden Auftritten an seinen Nerven. Die beiden Jungen begegnen sich in der Vorschule und sind seither unzertrennbar. Aus Gustav unbekannten Gründen billigt seine Mutter ihre Beziehung nicht, während er bei den Zwiebels willkommen ist. In drei zu unterschiedlichen Zeiten spielenden Teilen wird ihr Leben geschildert.

Das Buch lebt insbesondere von den interessanten Romanfiguren Gustav und Anton. Letzterer scheint sich nie wohl in seiner Haut zu fühlen. Er wird als gequält, nie zufrieden und egoistisch dargestellt, der Gustavs sanftmütige Art ausnutzt. Dieser wiederum befolgt stets die ihm von seiner Mutter eingebläute Maxime, sich zu beherrschen. Gustav ist der einzige, der Anton versteht und in seine Seele gucken kann. Er lebt meistens in der Vergangenheit, erinnert sich oft an Momente seiner Kindheit und versucht in späten Jahren, das Geheimnis um seinen Vater aufzudecken. Seine engsten Beziehungen hat er zu alten Leuten.
Die Musik nimmt durchgängig eine wichtige Rolle in der Geschichte ein, wodurch diese so besonders wird. Sie hat fast das Tempo einer Symphonie. Antons Wut und Enttäuschung, seine Furcht vor vielen Menschen Klavier zu spielen, sein Hadern mit sich selbst und seinem Leben – alles wird durch das Thema Musik fast spürbar. Von daher halte ich den Titel „The Gustav sonata“ der englischen Originalausgabe für treffender als den ihrer deutschen Übersetzung.
Geschichtlich interessant ist auch, wie das Thema der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg und die Rolle der neutralen Schweiz aufgearbeitet wird.

Das Buch erhält von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Psychologisch interessanter Hintergrund

Boy in the Park – Wem kannst du trauen?
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Psychothriller zählen nur gelegentlich zu meinem Lesestoff. Dennoch liege ich wohl nicht falsch damit zu sagen, dass die in diesem Roman verarbeitete psychologische Thematik in der Art noch nicht in anderen ...

Psychothriller zählen nur gelegentlich zu meinem Lesestoff. Dennoch liege ich wohl nicht falsch damit zu sagen, dass die in diesem Roman verarbeitete psychologische Thematik in der Art noch nicht in anderen Thrillern aufbereitet wurde. Dreh- und Angelpunkt ist der Protagonist Dylan Aaronsen. Aber ist er wirklich der 46jährige Verkäufer in einem Nahrungsmittelergänzungsladen und Hobbydichter mit der einzigen Passion, seine Mittagspausen im Botanischen Garten in San Francisco zu verbringen, als den wir ihn zu Beginn kennenlernen? Als außenstehendem Leser kommen einem schon Zweifel. Denn ungewöhnlich ist es doch, dass er vehement an die Entführung eines kleinen, ihm nicht einmal namentlich bekannten Jungen glaubt, den er über eineinhalb Jahre hinweg täglich am Teich gesehen hat. Nicht einmal die Polizei will eine Vermisstenanzeige aufnehmen. Dylans auf eigene Faust unternommene suche führt ihn in eine Kleinstadt, wo ein grausamer Doppelmord im vermeintlichen Zuhause das kleinen Jungen geschieht, der Dylan gemeinsam mit einem jungen Erwachsenen nach Nashville fliehen lässt, wo er festgenommen wird. Während der nachfolgenden Inhaftierung führt er eine Gesprächstherapie mit einer Psychologin, deren Protokollaufzeichnungen letztendlich für uns Leser die Erhellung und psychologische Deutung der Hauptfigur des Buches und des Verwirrspiels um seine Person bringen. Die Fachterminologie, die hinter dem Phänomen steht, sei an dieser Stelle bewusst verschwiegen, um die Spannung beim Lesen nicht zunichtezumachen. Erschreckend und leider immer noch aktuell ist das Ereignis, das die ganze Kette psychologisch erklärbarer Ereignisse ausgelöst hat – die schwerwiegende körperliche Misshandlung eines Kindes durch den eigenen Vater. Dieses düstere Thema mit Warncharakter wird passend untermalt durch das dunkle Buchcover.

Ein beachtlicher Debütroman, den ich Lesern von Psychothrillern wärmstens empfehlen kann.