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Veröffentlicht am 12.06.2018

Zweifel bis zum Schluss

Zwischen Wahrheit und Lüge
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Bis zum letzten Kapitel hadert der Leser mit der Glaubwürdigkeit der Hauptangeklagten Isa. Ist sie nun das Opfer einer abscheulichen Vergewaltigung gewesen, oder ist sie Mittäterin einer grauenhaften Hinrichtung? ...

Bis zum letzten Kapitel hadert der Leser mit der Glaubwürdigkeit der Hauptangeklagten Isa. Ist sie nun das Opfer einer abscheulichen Vergewaltigung gewesen, oder ist sie Mittäterin einer grauenhaften Hinrichtung? Oder ist sie beides?

Gerade diese Unsicherheit, diese Zweifel an Isas Unschuld, haben mich nach der Lektüre nachdenklich hinterlassen. Warum stellen wir ein Vergewaltigungsopfer in Frage? Warum muten wir den Opfern durch Untersuchungen, Prozessen, usw. im Nachhinein soviel Leid zu? Reicht es nicht, dass sie bereits Opfer einer der widerwärtigsten Taten wurden?

Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass ein Opfer Rache empfindet, Genugtuung für die an ihr begangenen Taten erfahren möchte. Ich bin ein entschiedener Gegner von Selbstjustiz, ganz gewiss möchte ich in keinem Land leben in dem Selbstjustiz an der Tagesordnung ist. Aber ich kann den Hass eines Opfers annähernd nachempfinden. Vielleicht ist es das, was mich die ganze Lektüre über hat zweifeln lassen. Tatsächlich habe ich mich immer zwischen "Wahrheit und Lüge" befunden, der Titel des Thrillers ist Programm.

Dass James Grippando ursprünglich als Anwalt gearbeitet hat, schlägt sich in seinem Büchern stark nieder. Es sind Prozessthriller, vieles spielt sich vor Gericht ab. Der hauptverantwortliche Anwalt Jack taucht bei Grippando in einem Thriller bereits 1994 auf. Mittlerweile ist Jack reifer geworden, seine Verhöre vor Gericht sind gut durchdacht. Keiner macht ihm so schnell etwas vor. Doch auch er hat seine Zweifel.

Eine Vergewaltigung hinterlässt Wunden. Tiefe, schmerzhafte Wunden. Sie verändern einen Menschen, die Wunden reichen bis in eine Partnerschaft hinein, sie verfolgen einen jahrelang. All das wird in diesem Thriller sehr deutlich. James Grippando kann auf besonders drastische oder brutale Darstellungen verzichten, ihm geht es darum der Wahrheit auf dem Grund zu gehen. Wie schwierig sich genau das darstellt, wird mit diesem Buch mehr als deutlich. Ein Buch, welches mich nachdenklich zurück lässt.

Veröffentlicht am 06.05.2018

Gefangen in sich selbst

Die Lichter unter uns
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Dieses Buch hat mich unglaublich hin- und hergerissen. Die Protagonisten leben in einer Scheinwelt. Keiner steht zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen. Statt dessen bleiben sie in ihren Lebenslügen ...

Dieses Buch hat mich unglaublich hin- und hergerissen. Die Protagonisten leben in einer Scheinwelt. Keiner steht zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen. Statt dessen bleiben sie in ihren Lebenslügen gefangen. Dass sie sich dabei selbst und ihr Umfeld verletzen, lässt sie jeweils kalt. Beim Lesen treten immer wieder neue "Schockmomente" auf. Zumindest habe ich sie so empfunden, wenn z.B. der Sohn mit der Lebensgefährtin des Vaters sexuell verkehrt.

Verena Carl greift Themen des Lebens auf, über die aber nur sehr selten gesprochen wird. Wie verhält es sich beispielsweise mit dem Vater, der eigentlich sich Männern gegenüber hingezogen fühlt, aber aus Angst geächtet zu werden und den Kontakt zum eigenen Kind zu verlieren seine Neigung nicht auslebt? Am Ende leiden mindestens zwei, er und seine Ehefrau. Diese wiederum hat eh bereits Augen für andere Männer, denn auch sie möchte begehrt werden. So lebt jede/r sein/ihr eigenes Gefühlsleben, ohne um das Wissen der Gefühle des/der anderen.

Verena Carl schreibt sehr poetisch. Dieser Schreibstil trägt dazu bei, das Buch quasi "in einem Rutsch" zu lesen. Die Leichtigkeit des Covers mag trügen, denn die Autorin greift schwierige zwischenmenschliche Konflikte auf. Mal wieder bestätigt sich, dass Loslassen soviel schwieriger ist als an dem Gewohnten festzuhalten.

Veröffentlicht am 30.04.2018

Den Boden unter den Füßen weggerissen bekommen

Das Curaçao-Komplott - Hinter Gittern im Paradies - Autobiografischer Roman
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#Rezension

Frank Pulina: Das Curaçao-Komplott. Hinter Gittern im Paradies. 1. Aufl. 2018. DeBehr, 301 S.

Inhalt:

Jo ist ein erfahrener Pilot, der für unterschiedliche Auftraggeber arbeitet. Als er von ...

#Rezension

Frank Pulina: Das Curaçao-Komplott. Hinter Gittern im Paradies. 1. Aufl. 2018. DeBehr, 301 S.

Inhalt:

Jo ist ein erfahrener Pilot, der für unterschiedliche Auftraggeber arbeitet. Als er von einem türkischen Luftfrachtunternehmer engagiert wird, ist es für ihn ein Job wie jeder andere. Es geht auf die Karibikinsel Curaçao. Doch statt blauen Likörs und schöner Strände erwartet ihn die schlimmste Zeit seines Lebens. Er wird in die schmutzigen Drogengeschäfte seines Auftraggebers hineingezogen und landet unverschuldet im Gefängnis. Ein Alptraum beginnt. Das vermeintliche Paradies verwandelt sich in eine Hölle.

Beurteilung:

Die Vorstellung ist wirklich bitter, von heute auf morgen "den Boden unter den Füßen" entrissen zu bekommen. Es ist in der vorliegenden Autobiografie der Moment der mir am prägnantesten in Erinnerung bleibt. Der Moment in dem Pulina begreift, dass es nun verdammt ernst wird, dass ihm die Haft auf Curaçao droht. Bis dahin scheint er noch für alles eine Erklärung zu haben, z. B. warum sich die weitere Crew etwas merkwürdig verhält, oder warum bereits die Auftragsvergabe so ganz anders als gewohnt verlaufen ist. Aber Pulina braucht den Auftrag, das Jahr ist nicht so erfolgreich gelaufen wie erwartet. Also fragt er nicht weiter nach, sondern ist froh um die Beauftragung.

Hätte er besser doch nachgefragt? Ganz gewiss! Es gibt Momente im Leben, wo das Bauchgefühl der beste Ratgeber ist. Dies war ein solcher Moment. Er hätte ihn vor dem unangenehmen Erlebnis der Haft auf Curaçao bewahrt. Die Vorstellung allein ist schon verstörend, weit entfernt von der Heimat und den Angehörigen, in einem völlig anderen Rechtssystem, in Haft unter landesüblichen Bedingungen. D. h., schlecht versorgt, mangelnder Rechtsbeistand und Einsamkeit. All das beschreibt Pulina, wie es nur jemand beschreiben kann, der es an der eigenen Haut erlebt hat.

Dass der Schrecken dann doch nach recht kurzer Zeit beendet ist, erscheint wie ein Glücksfall. Man bedenke, selbst die Oberfrist von 6 Monaten Untersuchungshaft wird in Deutschland sehr oft überschritten. Besonders makabere Beispiele berichten von vier- und fünfjähriger Untersuchungshaft. Zu Recht wurde diese Praxis jüngst vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Kein Mensch ist schuldig, solange nicht die Beweise einen überführen und das Gericht entsprechend entschieden hat.

Pulina wird zukünftig wohl stärker auf sein Bauchgefühl hören. In seiner Erinnerung werden Begegnungen mit Mitgefangenen bleiben, die ebenso ohne Verurteilung auf Curaçao in Haft sitzen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass auf Curaçao die Fahne der Niederlande weht. Vielleicht dient ja diese Autobiografie dazu, dass sich die Niederlande und die europäische Gemeinschaft dieses Problems stärker annimmt. Zu wünschen wäre es.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Komm, lass uns Freunde sein!

Die Amerikafalle
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#Rezension

Martin Amanshauser: Die Amerikafalle. Oder: Wie ich lernte die Weltmacht zu lieben. 1. Aufl. 2018, Verlag Kremayr & Scheriau.

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Wenige Tage nach dem Vergeltungsschlag gegen das ...

#Rezension

Martin Amanshauser: Die Amerikafalle. Oder: Wie ich lernte die Weltmacht zu lieben. 1. Aufl. 2018, Verlag Kremayr & Scheriau.

????????????

Wenige Tage nach dem Vergeltungsschlag gegen das Assad-Regime durch die USA und deren Verbündete, veröffentliche meine Rezension zu Amanshauser "Die Amerikafalle". Wie ich finde, ein sehr günstiger Augenblick.

Zunächst aber zum Inhalt:

Benin, Goa, Kirgisistan: Man könnte meinen, Martin Amanshauser habe schon alles gesehen und erlebt. Als es ihn mit Kind und Kegel für ein halbes Jahr in die Universitätsstadt Bowling Green, Ohio, verschlägt, erwartet ihn daher eine Überraschung: Die Amerikafalle schnappt zu. Ob obligatorischer Autokauf, das Abholen der Kinder von der Schule, auf Lesereise oder beim Super Bowl-Fernsehabend: Alles ist gleichermaßen vertraut wie befremdlich. So sehr Amanshauser der Skeptiker bleiben will, der er ist – allmählich bringen ihn die ebenso unerschütterlich freundlichen wie enervierend prinzipientreuen Menschen dazu, sich in dieses widersprüchliche Land zu verlieben.

Beurteilung:

Martin Amanshauser ist mehr als ein lesenswerter Reisebericht gelungen - "Die Amerikafalle" ist ein Freundschaftsangebot.

Ein Freundschaftsangebot an uns Lesern aus dem "good old Europe", die wir nur allzu gerne in die allgemeinen Stereotypenzuschreibungen verfallen, wenn es um die Betrachtung der Vereinigten Staaten geht. Amanshauser lädt uns ein über den Tellerrand zu schauen.

Völlig vorurteilsfrei kann diese Betrachtung nicht vonstatten gehen, dafür haben sich über Jahre Vorurteile bei einem jeden von uns angesammelt. Diese kann auch Amanshauser nicht vollkommen ablegen. Er ist aber bereit sich korrigieren zu lassen. Einige Vorurteile wiederum finden Bestätigung, wenn es zum Beispiel um die absurde Autoliebe und deren übertriebenes Fahrverhalten geht. Doch unter Freunden darf man das, man darf kritisieren ohne gleichzeitig ein ganzes Land und Volk zu diskreditieren. Zu keinem Zeitpunkt fällt Amanshauser in diese verlockende "Amerikafalle", er bleibt stets offen für Überraschungen. Immer begleitet von einer liebevoll-ironischen Betrachtung.

Wenn Amanshauser also beispielsweise beschreibt auf welcher sprachlichen Vielfalt er innerhalb des Amerikanisch-Englischen trifft, tritt dadurch die unglaubliche Vielfalt dieser Nation zutage. Die USA sind eben kein Einheitsbrei. Sie sind nach wie vor Zufluchtsort für die Sehnsüchte vieler Menschen.

Wie lange nicht, befinden sich die USA derzeit im Umbruch. Trumps Wahl ist dafür das beste Beispiel. Seine Präsidentschaft spaltet die Nation, Amanshauser beschreibt es ironisch, doch zugleich sehr treffend, wie folgt: "Trump ist wie Masturbation: Wenn dann geht man dieser Leidenschaft nur heimlich nach".

"Die Amerikafalle" macht Spaß auf die USA. Zu einem Zeitpunkt an dem alte und langbewährte Bündnisse auseinanderzugehen scheinen, sie zumindest stark in Frage gestellt werden. Amanshauser Liebe zu diesem Land wird sehr deutlich, der Untertitel könnte auch lauten: Komm, lass uns Freunde sein!

Veröffentlicht am 13.04.2018

Hin - und Hergerissen

Die letzte Reise der Meerjungfrau
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Rezension

Imogen Hermes Gowar: "Die letzte Reise der Meerjungfrau: oder wie Jonah Hancock über Nacht zum reichen Mann wurde".
Roman, 1. Aufl. April 2018, Bastei Lübbe, 560 S.

Inhalt:

Ein Wunder, raunen ...

Rezension

Imogen Hermes Gowar: "Die letzte Reise der Meerjungfrau: oder wie Jonah Hancock über Nacht zum reichen Mann wurde".
Roman, 1. Aufl. April 2018, Bastei Lübbe, 560 S.

Inhalt:

Ein Wunder, raunen die einen. Betrug, rufen die anderen. Für den Kaufmann Jonah Hancock zählt nur eines: Die Meerjungfrau, die sein Kapitän aus Übersee mitgebracht hat, versetzt ganz London in Staunen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Kunde in den Kaffeehäusern, Salons und Bordellen der Stadt. Jonah steigt in die obersten Kreise der Gesellschaft auf und verkauft seine Meerjungfrau schließlich für eine schwindelerregende Summe. Nur die Gunst der Edelkurtisane Angelica Neal bleibt unerschwinglich für ihn, denn als Beweis seiner Liebe fordert Angelica eine eigene Meerjungfrau. Jonah setzt alles daran, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Doch Wunder haben einen hohen Preis.


Beurteilung:

Hin- und Hergerissen bin ich bei der Beurteilung dieses Buches.

Auf der einen Seite bin ich fasziniert in die Welt Angelicas eingetaucht, welche im England des 18. Jahrhunderts ihr Leben durch die Arbeit als Edelprostituierte sichert. Welches Los bleibt ihr zu damaliger Zeit als alleinstehende Frau auch anderes übrig? Oftmals ein Dasein als Straßenprostituierte, der Gewalt, Krankheiten und den menschlichen Abgründen ausgesetzt. Es geht wahrlich um das Überleben in einer gnadenlosen Zeit. Die Realität überspielt Angelica, indem sie sich ganz auf das Äußere und den schönen Dingen des Lebens konzentriert. Zufrieden ist sie dennoch nicht, denn sie strebt immer nach mehr, mehr Aufmerksamkeit, mehr Reichtum und mehr Liebe.

Auf der anderen Seite das bescheidene Leben des Mr. Hancock. Mehr oder weniger durch Zufall gerät er in die Hände einer Meerjungfrau. Dieses bereits verstorbene und äußerlich eher abschreckende Wesen, verhilft Mr. Hancock schnell zu beachtlichen Ruhm. Als er nun auf Angelica trifft, verfällt er der Edelhure vollkommen. Diese wiederum nutzt die Gunst der Stunde und wünscht sich eine eigene Meerjungfrau von Mr. Hancock. Erst dann will sie sich ihm ganz hingeben. Ab jetzt findet Mr. Hancock keine Ruhe, bis er nicht in den Besitz einer weiteren Meerjungfrau gelangt. Doch glücklich wird er dabei nicht, zu sehr hängt sein Herz an Vergangenem, zu sehr sehnt er sich nach einer bereits erlebten Liebe.

Die Autorin bedient sich die Zeitepoche des 18. Jahrhunderts als historische Kulisse. Als historischen Roman würde ich das Buch dennoch nicht einstufen. Die Kulisse ist eher "Nebenschauplatz", ich empfinde den Roman eher als Drama, eingepackt in einem historischen Hintergrund.

Der Titel mag verwirren. Es geht weniger um Nautik oder um das magische Wesen Meerjungfrau ansich. Für mich bildet in diesem Zusammenhang die Meerjungfrau eine Metapher. Sie steht für unerreichbare Sehnsüchte einerseits und für den Mut zum Loslassen andererseits.

Ich gestehe, ich habe zunächst eine ganz andere Geschichte erwartet. Nichts desto trotz hat mich der vorliegende Roman nicht weniger gefesselt.

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