INHALT
Kommissar Tommy Bergmann steht am Abgrund. Bis heute gibt es keine Spur von der 13-jährigen Amanda, die er schon seit Monaten sucht. Jetzt wurde das Mädchen für tot erklärt, der Mörder angeblich beerdigt und der Fall offiziell abgeschlossen. Gibt Bergmann seine Ermittlungen nicht auf, wird er suspendiert. Doch er kann nicht anders, er muss weitergraben in diesem hoffnungslosen Fall und wird dafür von seinen Kollegen isoliert. Als er fast aufgeben will, stößt er auf die Spuren einer Sekte. Ihr Anführer sieht sich als weiser Hirte, der das einfache Leben liebt. Er glaubt, dass ein Mörder erlöst werden kann, wenn ein junges Mädchen geopfert wird. Wie Amanda. Oder wie die Tochter von Susanne Bech, Bergmanns Kollegin. (Quelle: Klappentext List)
MEINE MEINUNG
„Der einsame Bote“ vom norwegischen Bestseller-Autor Gard Sveen ist bereits der 3. Band seiner Krimi-Serie um den Osloer Kommissar Tommy Bergmann. Ohne die Vorgängerbände zu kennen, ist es allerdings nicht sehr ratsam den neuesten Band zu lesen. Er enthält sehr viele Querverweise zu den vorangegangenen Fällen und früheren Ermittlungen, so dass einige fesselnde Verwicklungen und Andeutungen ohne Kenntnis der Hintergründe nicht völlig verstanden werden können. Hier wäre ein Hinweis im Klappentext des Buchs sehr wünschenswert, um etwaigen Enttäuschungen der Leser vorzubeugen.
Sveen hat eine gelungene, komplexe Fortsetzung seines Vorgängerbands »Teufelskälte« vorgelegt und den Kriminalfall mit einem unglaublich packender Showdown zum Abschluss gebracht. Insgesamt kann dieser Band allerdings nicht mehr an den hervorragenden, atmosphärisch dichten Auftakt seiner Krimireihe mit dem Titel »Der letzte Pilger« heranreichen.
Nach einem Einstieg mit einem groben Überblick über die bisherigen Ereignisse in Form einer Pressemitteilung werden viele Fäden aus dem Vorgängerband wieder aufgegriffen, die die volle Konzentration des Lesers fordern. Durch Rückblicke und Wechsel der Erzählstränge baut sich schon bald enorme Spannung auf. Es entfaltet sich eine hochkomplexe Handlung mit typischen Elementen eines fesselnden Psychothrillers. Die vermisste 13jährige Amanda, die Opfer eines bestialischen Kinderschänders ist - ein toter Serienkiller, der von den Toten auferstanden zu sein scheint und Spuren zu einer mysteriösen, religiösen Sekte in Litauen, die grausame Rituale praktiziert – eine große Herausforderung für den genialen Ermittler der Osloer Polizei, den ernsthafte Zweifel an den Ergebnissen der damaligen Ermittlungsarbeit plagen. Obwohl Bergmann wegen einer Abmahnung im Entführungsfall von Amanda nicht mehr ermitteln darf, setzt er seine Jagd nach dem wahren Mörder auf eigene Faust und entgegen dem Willen seiner Vorgesetzten fort. Parallel hierzu ermittelt seine junge Kollegin Susanne Bech in einem anderen Fall, der mit Bergmanns Untersuchungen zusammenzuhängen scheint, und sie rasch in akute Gefahr bringt. Nach und nach lässt Sveen uns in erschreckende Abgründe der menschlichen Psyche blicken. Bergmanns Ausflug nach Vilnius nimmt uns mit auf eine nervenaufreibende Achterbahnfahrt, ein mysteriöses Katz-und-Maus-Spiel offenbart uns ein verstörendes Horrorkabinett an Perversitäten und Schrecken. Als typisch skandinavischer Krimi ist der Roman nahezu durchgehend von einer beklemmenden, düsteren Stimmung geprägt, die nur selten von einigen Lichtblicken durchbrochen wird, und die extrem dunkle Handlung unterstreicht.
Der Protagonist Tommy Bergmann ist ein sehr vielschichtiger, hochkomplexer Charakter – ein Antiheld, der mit großen psychischen Problemen zu kämpfen hat. Die Einblicke in sein Privatleben und seine persönlichen Probleme nehmen in diesem Band keinen sehr großen Raum ein. Seine inneren Dämonen und charakterlichen Defizite wie seine Gewalttätigkeit gegenüber Frauen, deren Wurzeln scheinbar in der Vergangenheit liegen und weiterhin im Dunkeln bleiben, scheint er mittlerweile besser im Griff zu haben. Seine besessene Suche nach der Wahrheit, großes Engagement und Ausdauer im Job machen ihn trotz seiner unverantwortlichen Alleingänge und dunklen Seiten zwar interessant, aber nicht allzu sympathisch. Insgesamt wirkte er auf mich sehr unnahbar und konnte mich nicht richtig mitreißen. Die übrigen Charaktere sind ausreichend plastisch und lebensnah ausgearbeitet, so dass ihre Handlungen für mich weitgehend nachvollziehbar waren.
Die teilweise verwirrenden Details aus der Vergangenheit fügen sich allmählich wie Puzzleteilchen zusammen und geben Hinweise auf Tommys aktuelle Ermittlungen. Nach einigen unvorhersehbaren Wendungen, falschen Spuren, etlichen Sackgassen und unfassbar grausamen und abstoßenden Enthüllungen, die beim Leser starke Nerven erfordern, gipfelt der Krimi in einem packenden Showdown, der an Dramatik kaum zu überbieten ist. Die Aufklärung des komplizierten Falls war insgesamt schlüssig und nachvollziehbar, und doch bleiben noch einige offene Aspekte, die den Leser verwirrt zurücklassen. Nach diesem schockierenden Ende bin ich gespannt, ob es für Bergmann überhaupt im neuen Band weitergehen kann.
FAZIT
Eine fesselnde Fortsetzung des unglaublich düsteren, abgründigen Krimis mit der noch ausstehenden Auflösung des hochkomplexen Falls aus dem Vorgängerband!