“Die Seele meiner Schwester” von der amerikanischen Autorin Trisha Leaver ist ein Thriller über eine Schwesternbeziehung. Eine Geschichte über einen unerwarteten Identitätstausch, ein großes Geheimnis und die Suche nach der Wahrheit. Flüssig und unterhaltsam geschrieben. Für Jugendliche ab 13 Jahren und für interessierte Erwachsene.
Sie sind Zwillingsschwestern. Ella und Maddy. Optisch sind sie nur durch einen klitzekleinen Leberfleck an der Stirn zu unterscheiden. Charakterlich trennen sie jedoch Welten voneinander. “Maddy trug Röcke und Stöckelschuhe und glättete sich die Haare, ich trug am liebsten Jeans und T-Shirt und Pferdeschwanz. Sie ging freitagabends auf Partys und ließ keinen einzigen Schulball aus. Ich saß mit Mikrowellen-Popcorn auf der Couch und guckte mittelmäßige Horrorfilme.” (Zitat S.11). Ella ist ruhig und introvertiert, schreibt gute Noten und liebt das Zeichnen. Ihre Bewerbung für eine Kunsthochschule hat sie gerade eingereicht. Maddy hat Unmengen an Freunden, einen festen Freund namens Alex und ist in der Schule eher mittelmäßig. Auch wenn sie viel Ärger macht, schafft sie es irgendwie immer sich aus der Affäre zu ziehen. Sie weiß genau, was sie sagen muss und wie sie sich verhalten muss, um ihren Willen zu bekommen. Auch Ella überredet sie ab und zu — wenn sie mal wieder für eine Klausur nicht richtig gelernt hat — für sie “einzuspringen” und sich als ihre Zwillingsschwester auszugeben: “Inzwischen war ich so gut darin, Maddy zu spielen, dass noch nicht mal ihre Freunde etwas merkten. Ich behielt meine Haare so lang wie sie und hörte auf, mir pinke Strähnen zu färben, damit ich ihr ähnlicher sah. Ich bekam auch ihre Stimme hin, wusste genau, wie ich sie heben und senken musste, um ihren sarkastischen Ton zu treffen.” (Zitat S.10ff)
So lässt sich Ella auch dazu breitschlagen ihre Schwester eines Nachts von einer Party abzuholen. Doch irgendetwas ist anders mit Maddy an diesem Abend: ihre Stimme und dass sie weint und abseits der Gäste draußen in der Dunkelheit sitzt, obwohl es regnet und sie ganz nass wird. Ella gibt Maddy Teile ihre Kleidung, bevor sie heimfahren. Sie streiten sich, ehe Ella die Kontrolle über den Wagen verliert und sich ein Unfall ereignet, bei dem Maddy ihr Leben verliert. Und Ellawird für Maddy gehalten. Das Trisha Leaver Die Seele meiner SchwesterMuttermal an ihrer Schläfe: durch Scherben und Nähte nicht mehr erkennbar. Und so trifft Ella eine folgenschwere Entscheidung: “Wenn sie wollten, dass Maddy lebte, dann würde ich dafür sorgen, dass sie es tat. Maddy verdiente die Chance zu leben, glücklich zu sein. Die Chance hatte ich ihr mit meinem wütenden Herumreißen des Lenkrads genommen. […] Ich würde es wieder gutmachen, für sie, für meine Eltern, für Alex. Ich würde mich selbst begraben und Maddy mein Leben schenken.” (Zitat S.75) Doch bald merkt sie, dass ihr Plan gar nicht so einfach ist. Denn Maddy hatte ein dunkles Geheimnis…
“Die Seele meiner Schwester” beginnt mit einem Prolog, der bereits deutlich macht, was Ella getan hat und mit welchen Schwierigkeiten sie nun rechnen muss: “Ich will Frieden schließen mit meiner Entscheidung, aber Maddys Geheimnis verfolgt mich. Hinten in ihrem Schrank sind die dunklen Seiten ihres Lebens versteckt, und niemand außer mir kann sie sehen. Sie war nicht die, für die ich sie gehalten habe, aber das ist egal. Maddy war meine Schwester, meine Zwillingsschwester, und ich werde alles für sie tun, auch wenn das heißt, mich selbst zu verlieren.” (Zitat S.5)
Die Grundidee in dem Roman, der durchgehend aus Ellas Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist, ist gelungen. Die Sprache ist einfach und der Erzählstil sehr flüssig. Am Anfang wirken die Charaktere leider etwas klischeehaft, aber die Entwicklung jener wird schließlich glaubhafter und etwas greifbarer. Das Buch berichtet nicht nur von den aktuellen Ereignissen, sondern gibt auch immer wieder Erinnerungen an Ellas und Maddys gemeinsame Vergangenheit preis. Die Spannung hält sich auf einem mittleren, aber angenehmen Niveau — eine Geschichte, die man mal gut in einem Zug durchlesen kann. Ein wenig unglaubwürdig kam mir jedoch folgende Szene vor: als “Maddy” sich an den Lieblingsplatz ihrer Schwester zurückzieht (in einem Treppenhaus) und zu zeichnen anfängt. Etwas, was Maddy eigentlich nicht besonders gut konnte und besonders Ella auszeichnete:
“Ich war so versunken in meine Zeichnung, dass ich richtig zusammenzuckte, als es plötzlich klingelte. Die Tür ging auf und die wenigen Leute, die dieses Treppenhaus benutzen, liefen an mir vorbei. Ich ignorierte sie, konzentrierte mich auf das Blatt vor mir…” (Zitat S.148)
Wie kann sie riskieren sich so leicht dabei erwischen zu lassen? (was ja dann auch geschieht) Auch ihre Verhaltensweisen ihre Schwester zu imitieren, erscheinen mir manchmal nicht besonders bemüht. Das Ende wird dann zum Glück wieder richtig schön dramatisch, emotional und nervenaufreibend!
Das amerikanische Cover fand ich übrigens sehr gelungen. Schade, dass der Kosmos Verlag das nicht übernommen hat. Das deutsche wirkt einerseits faszinierend, andererseits für mich — farblich gesehen — leider auch etwas antiquiert.
Fazit: Abgesehen von ein paar inhaltlichen Schwächen ist “Die Seele meiner Schwester” ist ein Buch, das man mal gut so runterlesen kann.