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Veröffentlicht am 17.06.2018

Glückliche Jahre in Paris

Paris, ein Fest fürs Leben
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Als Ernest Hemingway im Jahre 1956 mit seiner vierten Ehefrau Mary Paris besuchte, ließ er sich im Hotel „Ritz“ seinen Koffer aushändigen, den er dreißig Jahre zuvor dort im Keller deponiert hatte. Er ...

Als Ernest Hemingway im Jahre 1956 mit seiner vierten Ehefrau Mary Paris besuchte, ließ er sich im Hotel „Ritz“ seinen Koffer aushändigen, den er dreißig Jahre zuvor dort im Keller deponiert hatte. Er enthielt Skizzen, Aufzeichnungen und Tagebücher über die Zeit, als er mit seiner ersten Ehefrau Hadley in Paris lebte. Dieses Material bildete die Grundlage seiner Biografie über die Zeit von 1921 bis 1926, an der er dann bis zu seinem Selbstmord 1961 arbeite. Das Ergebnis wurde posthum 1964 unter dem Titel „A Moveable Feast“ veröffentlicht und erschien erstmals 1965 bei Rowohlt unter dem Titel “Paris – Ein Fest fürs Leben“.

Es war wohl für Hemingway eine unbeschwerte, glückliche Zeit in Paris, als er sich entschlossen hatte, nicht mehr als Journalist zu arbeiten, sondern sich nur seiner Schreibkunst zu widmen. Geld war zwar knapp und öfters wurde auch gehungert, wenn er aber eine Geschichte verkaufen konnte, wurde ordentlich gefeiert. Man trank Champagner, ging in die besten Restaurants zum Essen und vergnügte sich auf der Rennbahn. Die Winter verbrachte das Paar in Schruns/Vorarlberg beim Skilaufen. Das Geld hierzu wurde oftmals von Freunden geliehen. Freunde hatte Hemingway während dieser Zeit reichlich. Da war zunächst Gertrude Stein. Die Freundschaft zu ihr war ihm anfangs sehr hilfreich, als er sie jedoch nicht mehr benötigte, brach er den Kontakt ab. Weitere mehr oder weniger gute Freunde waren Ezra Pound, Scott Fitzgerald, T.S. Eliot und zeitweise auch James Joyce.

Hemingway zeichnet hier ein atmosphärisch dichtes Bild von Paris in den 20ern und seiner Bewohner. Er hat dabei ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Sehr warmherzig schreibt er über seine Freunde und erwähnt auch einige Male liebevoll seine Frau und seinen Sohn. Die ganze Schilderung ist von gelassener Heiterkeit und hoffnungsvoller Zuversicht durchdrungen, von der schwierigen finanziellen Situation und der drückenden Armut ist wenig zu spüren. Lebendige Dialoge und detaillierte Beschreibungen vermeintlicher Belanglosigkeiten runden den guten Gesamteindruck ab.

Fazit: Ein interessanter Abschnitt aus Hemingways Leben – für Leser die ihn und seine Bücher mögen beinahe ein Muss!

Veröffentlicht am 03.06.2018

Falsche Zeit – falscher Ort …

Das Geheimnis des Goldschmieds
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Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen ...

Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen von seinen Erinnerungen. Drei Monate dauerte damals, 1974, seine leidenschaftliche Affäre als 19jähriger mit Celia, einer wesentlich älteren Frau. Dann verließ sie ihn und brach ihm das Herz, genau wie ihres 20 Jahre zuvor gebrochen wurde, als ihr Verlobter nicht zur Hochzeit erschien.

Als der Mann im Dorf ankommt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, plötzlich befindet er sich in den fünfziger Jahren. Dort begegnet er einem jungen Mädchen, das ihm seltsam vertraut ist. Die beiden verlieben sich leidenschaftlich ineinander und planen ihre Hochzeit. Am Tag vor der Trauung beginnt das Drama, das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Die spanische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Elia Barceló wurde 1957 in der Provinz Alicante geboren. Sie studierte in London, München, Paris, Florenz, Rom und Innsbruck und schrieb etliche Romane, Kurzgeschichten und Jugendbücher, von denen einige in Deutsch übersetzt wurden. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Heute lebt die zweifache Mutter mit ihrem österreichischen Mann in Innsbruck und unterrichtet an der dortigen Universität.

„Das Geheimnis des Goldschmieds“ ist ein wunderbares kleines Buch voller Poesie, eine kurze, intensive Geschichte über die Suche nach einer verflossenen Liebe, über Sehnsucht und Treue. Gekonnt spricht die Autorin die Fantasie des Lesers an und spielt dabei mit den Zeiten, die sie geschickt verschachtelt und ineinander überfließen lässt. Man fühlt sich in einer Zeitschleife gefangen und hofft nach den knapp 100 Seiten, dass das Wunder 1999 um Mitternacht auf der Dachterrasse doch noch geschehen wird …

Fazit: Ein Kabinettstückchen der Erzählkunst, ein Lesevergnügen der besonderen Art, eine Geschichte, die sich angenehm von den üblichen abhebt.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Gefühle auf Irrwegen …

Der Liebeswunsch
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Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt ...

Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt hat. Dabei schweifen seine Gedanken zurück, er erinnert sich an seine Zeit mit Anja, an seine Freundschaft mit Leonhard und an seine Ehe mit Marlene, die davor mit Leonhard liiert war und sich dann für ihn entschied. Es dauerte lange, bis der Riss in der Freundschaft damals beseitigt war – so lange, bis Leonhard Anja kennen lernte und sie bald darauf heiratete. Nun war alles gut, zwischen den beiden Paaren herrschte eine vertrauensvolle Freundschaft – bis … bis Paul und Anja …

Mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Roman „Der Liebeswunsch“ gelang dem 1925 in Neuss geborenen, als ‚Meister der Gegenwartsliteratur‘ bezeichneten, deutschen Schriftsteller Dieter Wellershoff endlich der Durchbruch beim breiten Publikum. Das Buch wurde ein Bestseller, der 2006 auch verfilmt wurde. Zuvor schrieb er fünf Romane, unzählige Novellen, Erzählungen, Kurzgeschichten, Essays, Hörspiele, Bühnenstücke und Drehbücher – für die er zahlreiche Preise erhielt. Wellershoff ist verheiratet, lebt in Köln, hat zwei Töchter, die ebenfalls als Autorinnen tätig sind und einen Sohn, der Arzt geworden ist.

Gleich zu Beginn der Geschichte erfährt man von dem tragischen Ausgang. Die Pointe ist aber nicht vorweg genommen, sondern erhöht eigentlich nur die Spannung, wie es wohl dazu kommen konnte. Paul und Marlene, beide Ärzte, sind auch nach vielen Jahren Ehe noch sehr glücklich und zufrieden. Auch Leonhard, ein angesehener Richter, ist mit seinem Leben zufrieden, seit er die viel jüngere Anja im Hause seiner Freunde kennen lernte, sie heiratete und sie bald darauf einen Sohn bekamen. Doch wie das Leben so spielt, das Glück ist oft ein flüchtiger Gast. Anjas Wunsch nach Liebe steht im Widerspruch zu ihrem Ehealltag, den sie als banal und falsch empfindet, sie versucht vergeblich, diesem Konflikt zu entfliehen. Eine Katastrophe bahnt sich an, und niemand ist in der Lage, diese abzuwenden.

Das Buch ist von beeindruckenden Sprachintensität, eindringlich und sehr lebendig. Die Figuren sind so lebensecht, dass man meint sie zu kennen. Sehr realistisch schildert Wellershoff das Geschehen und beleuchtet dabei die Psyche der Protagonisten aus verschiedenen Perspektiven. Er lässt jeden der vier Hauptpersonen in Ich-Form aus seiner Perspektive erzählen, seine persönlichen Gedanken und Empfindungen erläutern und dringt dabei tief in das Seelenleben ein. Dazwischen erlebt der Leser die Ereignisse auch aus Sicht eines neutralen Beobachters. Beklemmend intensiv und genau beschrieben sind die Gefühle der Freunde, ihre intimen Wünsche und geheimen Phantasien innerhalb dieser Vierer-Beziehung, aber auch ihre Ängste und Empfindsamkeiten.

Fazit: Ein Roman der fesselt und berührt, der gefangen nimmt und im Leser noch lange nachklingen wird. Meine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.05.2018

This is Water – Das hier ist Wasser

Das hier ist Wasser / This is Water
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Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, ...

Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, denn alle wussten von der Sprachgewalt seiner Romane und Kurzgeschichten. Was dann folgte übertraf alle Erwartungen. Wallace hielt vor den in schwarzen Roben gehüllten jungen Leuten und ihren Angehörigen eine flammende Rede, ein Leitfaden für das Leben, eine Anstiftung zum Denken, eine Anleitung zum eigenen Entscheiden. Mit einigen einfachen Parabeln versuchte er, das egozentrische Denken junger Menschen in empathische Bahnen zu lenken.

Nach Martin Luther Kings Rede von 1963, „I have a Dream“, ist dies wohl die zweitbekannteste Rede, die je in den USA gehalten wurde. Sie ist dort mittlerweile Pflichtlektüre für alle Abschlussklassen, eine kleine Anleitung für das Leben, die man jedem Jugendlichen mitgeben möchte. Besondere Bedeutung erhält die Rede wenn man weiß, dass David Foster Wallace ständig gegen seine Alkoholabhängigkeit kämpfte und unter schweren Depressionen litt. Während einer dieser depressiven Phasen, im Alter von nur 46 Jahren, sah er nur noch einen Ausweg, er erhängte sich.

Fazit: Ein kleines Büchlein mit gewichtigem Inhalt, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte und das man getrost öfter zur Hand nehmen kann.

Veröffentlicht am 25.04.2018

Unterdrückte Gefühle …

Der schwarze Falter
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Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer ...

Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer Herzattacke. Ein Schock für seine beiden Töchter Sarah und Hope, zu denen er ein inniges Verhältnis hatte – eine Befreiung für seine Ehefrau Ursula, die jahrzehntelang unter seiner Lieblosigkeit und Kälte leiden musste. Kurze Zeit nach der Beerdigung schlägt der langjährige Verleger der Familie vor, eine Biographie über Gerald Candless zu schreiben. Mit dem Gedanken, eine Lobeshymne auf den geliebten Vater zu verfassen, erklärt sich die ältere Tochter Sarah dazu bereit. Doch mit Bestürzung muss sie bald feststellen, dass im Lebenslauf des berühmten Autors einiges nicht stimmt. Er hat weder an der Universität studiert, noch als Reporter bei der Zeitung gearbeitet, wie er früher seinen Mädchen erzählt hatte. Weitere Recherchen ergeben, dass Gerald Candless bereits im Alter von sieben Jahren verstorben ist. Sarah ist fassungslos. Wer war ihr Vater wirklich? Was hatte er zu verbergen, dass er mit sechsundzwanzig Jahren eine völlig neue Identität angenommen hatte? Anhaltspunkte kann sie eventuell in seinen Büchern finden, in denen er Etappen seines Lebens verarbeitet hat und die alle auf dem Cover einen schwarzen Falter als Erkennungszeichen tragen …

Die Autorin Barbara Vine, die eigentlich Ruth Rendell hieß und unter diesem Namen über 30 Bücher, hauptsächlich Kriminalromane, veröffentlichte, wurde 1930 in South Woodford geboren und starb am 2. Mai 2015 in London. Unter dem Pseudonym Barbara Vine schrieb sie überwiegend Thriller mit psychologischem Hintergrund. Sie war bekannt für ihre elegante Dichtkunst und wurde mit zahlreichen angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet.

„Der schwarze Falter“ überrascht den Leser schon zu Beginn mit einer hintergründigen Spannung, die bis zum Ende durchhält. Dabei ist es kein Kriminalroman oder Thriller nach gewohntem Muster, sondern eher eine Detektivgeschichte, in der Tochter Sarah die Ermittlungen leitet. Zwar kann man schon verhältnismäßig früh ahnen, warum Gerald Candless seine Identität gewechselt hatte, doch die auslösenden Umstände erfährt man erst zum Schluss. Dann erst wird man der ganzen Tragweite des Ereignisses bewusst und kann dem Protagonisten und seinem Handeln ein gewisses Verständnis entgegenbringen.

Mehrere Handlungsstränge beleben das Geschehen und werden am Ende perfekt zusammen geführt: die Geschichte einer lieblosen Ehe, die erleichterte Witwe und ihr allmähliches Antasten an ein neues Leben, die Beziehungsunfähigkeit der beiden Töchter und ihre langsame Annäherung an ihre Mutter, Sarahs spannende Nachforschungen über ihre Familie und nicht zuletzt die Entdeckung des sorgsam gehüteten Geheimnisses aus Geralds Vergangenheit. Sehr lebendig und verschiedenartig sind die Charaktere, jeder für sich besticht durch Individualität. Man empfindet ihre Emotionen und erlebt diese als Leser hautnah mit, fühlt Trauer über ihre geplatzten Träume, ist wütend über ein Netz von Lügen und blickt in Abgründe der menschlichen Seele.

Fazit: Ein gut durchdachtes, stimmiges Psycho-Drama mit beklemmendem Ende. Empfehlenswert für Leser, die eher die leisen Töne lieben!