„Als sie ihm die Hand an die Wange legt, überwältigt ihn die Sehnsucht nach damals. Nach dem hier. Nach diesem Augenblick – nach jener Zeit, nach der Hand seiner jungen Frau. Nach Kuwait. Nach allem, was früher war. Denn er weiß, dass der Traum gleich enden und alles in Sekunden vorbei sein wird.“
Inhalt
Erzählt wird hier die Geschichte der wohlhabenden Familie Yacoub, begonnen bei Salma, der Großmutter, die in jungen Jahren ihre Heimat Jaffa verlassen musste. Hinein in das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder, die alle im Laufe ihres Lebens erkennen müssen, dass sie die Heimat, mit der sie sich verbunden fühlen nicht immer frei wählen können und das sie die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Verbundenheit mit den Menschen und Kulturen mehr im Herzen tragen müssen. Obwohl es die politischen Unruhen, die gewaltsamen Kriege waren, die einst dafür verantwortlich waren, dass eine Flucht unabdingbar wurde, so bleibt es Jahrzehnte später die ungewisse Lage, die Alia und ihren Mann Atef bindet. Mit dem Blick auf die Kinder, der Sicherheit vor Augen bleibt eine Rückkehr ausgeschlossen. Und für die Enkelkinder stellt sich die Frage nach einem Leben in Palästina nicht mehr, findet ihr Leben doch jenseits dieser Welt statt, denn plötzlich ist Amerika das Herkunftsland und nur die älteren Familienmitglieder erinnern an eine andere Abstammung.
Meinung
Die palästinensisch-amerikanische Autorin Hala Alyan fokussiert in ihrem Debütroman nicht nur die Entwurzelung von Menschen, deren Heimatland keine Sicherheit bietet, sondern erzählt in erster Linie einen groß angelegten Familienroman, der sich mit dem Leben an sich, den normalen und unberechenbaren Entwicklungen beschäftigt und räumt dabei den Gedanken ihrer Protagonisten einen immensen Stellenwert ein. Die ursprüngliche Aussage, die darin liegen mag, dass es keinen Ort gibt, der für immer und ewig Bestand hat, wandelt sich schnell in eine epische Erzählung über Mütter, Töchter und Söhne, ihre Probleme, ihre Wünsche und Hoffnungen aber auch die Enttäuschungen auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Ursprünglich habe ich etwas mehr Bedrohung von außen erwartet, um dann festzustellen, dass es vielmehr um die Ängste aus dem Inneren geht. Denn ein weiteres Augenmerk stellt auch der Widerstand der Kinder dar, die sich nicht in die alten Rollenmuster ihrer Eltern flüchten möchten, sondern so, wie es ihre Zeit vorschreibt, Neuerungen und Änderungen anzunehmen.
Ein flüssiger Schreibstil, der manchmal leider von unnötigen Fremdworten begleitet wird (das Glossar am Buchende gibt Auskunft, dennoch habe ich nicht viel darin geblättert), nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Untiefen einer Gemeinschaft, die Blutsbande und Freunde gleichermaßen sind. Sehr schön aufgefächert ist die Gliederung zwischen den traditionsbewussten Eltern, den rebellischen Kindern, den autonomen Enkeln. Und dadurch, dass die Autorin eine Kapiteleinteilung nach ihren diversen Protagonisten vornimmt, gelingt es dem Leser auch, sich in alle Köpfe hineinzuversetzen und immer die zwei Seiten der Medaille wahrzunehmen. Diesen Schachzug finde ich sehr clever und angenehm abwechslungsreich für diese Art der Erzählung.
Zum Lieblingsbuch fehlte mir dann aber doch etwas, manchmal hätte ich mir einen strafferen Handlungsrahmen gewünscht, ganz sicher auch mehr Einblicke in die politischen Hintergründe und nicht zuletzt eine tatsächliche Aussage, eine über die man auch nach dem Lesen des Buches noch nachsinnen kann. So bleibt es doch ein persönlicher, ein durchaus normaler Familienroman, ohne herausragende Persönlichkeiten, geprägt vom ganz alltäglichen Wahnsinn, von Abschieden und Ankünften von Liebe und Aufopferung, von Verlusten und Gewinnen.
Fazit
Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen umfassenden Familienroman, der viele Generationen miteinander verbindet, der sich psychologisch in die jeweiligen Mitglieder der Gemeinschaft hineinversetzt und sie zu etwas Besonderem macht. Das Buch würdigt die Arbeit aller Mütter und Väter in der Erziehung ihrer Kinder, es lobt das Engagement und die Liebe der Großeltern zu ihren Kindern und Kindeskindern und zeigt durch den ganz normalen Verlauf des Lebens, das jedes Menschenalter seine Möglichkeiten aber auch Verbindlichkeiten mit sich bringt, ganz egal wo auf der Welt man sich heimisch fühlt. Ich spreche eine Leseempfehlung aus, die Geschichte konnte mich gut unterhalten und bestärkt mich in einigen Gedankenspielen über den Wert menschlicher Beziehungen.