Tiefgründiger und doppelsinniger Roman
„Manchmal muss man ganz von vorne Anfangen. Manchmal muss man alles abbrennen.“
Shaker Heights: Perfekte Stadt, perfekte Menschen. So scheint es auf den ersten Blick. Doch gleich zu Beginn brennt ein ...
„Manchmal muss man ganz von vorne Anfangen. Manchmal muss man alles abbrennen.“
Shaker Heights: Perfekte Stadt, perfekte Menschen. So scheint es auf den ersten Blick. Doch gleich zu Beginn brennt ein Feuer im zweifachen Sinn Löcher in die Fassade. Denn das Haus der Richardsons steht lichterloh in Flammen. Buchstäbliche kleine Feuer sind entfacht und wirbeln das Leben einer - wohl nur auf den ersten Blick - perfekten Vorzeigefamilie durcheinander. Ein Schuldiger ist schnell gefunden; Mr und Mrs Richardson sowie ihre drei Kinder Lexie, Trip und Moody sind sich einig, dass Izzy, das jüngste Familienmitglied, verantwortlich für die Katastrophe ist. Aber auch im übertragenen Sinne scheinen kleine Feuer überall die Handlung voranzutreiben. Denn es zeigt sich gleich zu Beginn, dass die Idylle in Shaker Heights mehr Schein als Sein ist. Dass müssen auch die Künstlerin Pearl und deren Tochter Mia lernen, die sich entschließen in dem beschaulichen Vorort von Cleveland sesshaft zu werden. Geheimnisse und Sehnsüchte beider Familien kommen ans Licht und verändern das Leben aller Beteiligten.
Celeste Ng gelingt es, den Leser durch detaillierte Beschreibung in die Scheinwelt des wohlhabenden Vorortes einzuführen. Man kann sich die gleich gestrichenen, prachtvollen Häuser mit ihren akkuraten Vorgärten und die Menschen, die dort leben und hinter den makellosen Gardinen nach dem nächsten örtlichen Skandal Ausschau halten, sehr gut vorstellen. Auch die einzelnen Charaktere sind sehr authentisch geschildert und durchlaufen mehr oder weniger einen Entwicklungsprozess. Mir hat besonders gut gefallen, dass die Autorin mit Stereotypen spielt. Die meisten Figuren sind nur auf den ersten Blick klischeehaft; im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass vieles nur eine aufgesetzte Fassade ist, um dem perfekten Leben in der perfekten Umgebung zu entsprechen. Jede der Figuren hat ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte und am Ende zeigt sich, wer es schafft, sich von den Erwartungen und Regeln zu befreien und sein Leben zu leben. Durch diesen spannenden Blick hinter die Fassaden der Menschen haben sich bei mir auch ständig die Sympathien geändert. In einem Moment kann man das Verhalten einer Person überhaupt nicht nachvollziehen und im nächsten Moment erfährt man etwas aus der persönlichen Geschichte dieser Person und kann ihr Handeln verstehen. Dementsprechend war ich während des Lesens einem ständigen Auf und Ab der Gefühle ausgesetzt.
„Kleine Feuer überall“ ist ein großartiger Roman. Gesellschaftskritisch aber mit viel Fingerspitzengefühl und Anteilnahme entwirft Celeste Ng ein spannendes Psychogramm zweier Familien. Als Leser wird man dazu angeregt über Themen wie die Kluft zwischen Arm und Reich, die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern oder die Konsequenzen von Geheimnissen zu reflektieren. So lässt einen der Roman nachdenklich zurück und wirkt noch lange nach.