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Veröffentlicht am 23.08.2018

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Vox
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In einem Amerika der nicht allzu fernen Zukunft lebt Jean mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Obwohl Jean einen Doktortitel besitzt ist ihr Platz daheim am Herd. Die neue Regierung der Reinen hat es ...

In einem Amerika der nicht allzu fernen Zukunft lebt Jean mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Obwohl Jean einen Doktortitel besitzt ist ihr Platz daheim am Herd. Die neue Regierung der Reinen hat es so beschlossen. Die Frauen brauchen nicht zu arbeiten, ihre Aufgabe ist es, Haus und Kinder zu hüten. Und still zu sein. Besonders um Letzteres durchzusetzen, hat die Regierung den Frauen Armbänder umgelegt, Armbänder, die die Worte zählen. Nur noch hundert Worte pro Tag sind den Frauen erlaubt. Schlimmer noch, schon die kleinen Mädchen werden am Sprechen gehindert. Wobei das Sprechen in der Entwicklung doch so viel ausmacht.

Es scheint so als solle die Hälfte der Bevölkerung verdummt werden, zu gleichgeschalteten Dienerinnen erzogen werden. Drakonische Strafen drohen, wenn das Kontingent überschritten wird. Kein Abweichen ist erlaubt. Doch plötzlich bietet sich Jean eine Chance, ihren Beruf wieder aufzunehmen. Ihre Forschungsarbeit wird von den Regierenden gebraucht. Wofür bleibt für Jean zunächst unklar. Und große Forderungen kann sie nicht stellen. Doch zumindest für die Dauer ihrer Forschungstätigkeit dürfen Jean und ihre Tochter wieder reden.

Wir lassen uns den Mund nicht verbieten. Das hätte Jean vielleicht sagen müssen als sich abzeichnete, wie die Regierung agiert. Heute bereut sie, dass sie die Mahnungen ihrer besten Freundin abgetan hat. So schlimm kann es doch nicht werden, sie werden es nicht tun. Die Geschichte lehrt: es wird so schlimm und sie tun es. Wehret den Anfängen, so schnell ist es zu spät. So schnell sind Menschen ausgegrenzt. Warum fragt sich so selten jemand, wie es wäre, wenn er der Ausgegrenzte wäre. Würde nicht häufiger Schlimmeres verhindert werden, wenn man sich in die Lage des anderen hinein versetzte, bevor man etwas verurteilt oder jemanden zum Außenseiter macht. In diesem ausgesprochen packenden Thriller trifft es die Frauen, die klein gehalten und verdummt werden sollen. Doch es kann jeden treffen. Es ist die Aufgabe einer Gesellschaft sich gegen solche Umtriebe zu wehren.

Jedes Wort der Güte, jedes Wort gegen die Ausgrenzung, jedes Wort für ein friedliches Miteinander zählt. Klar zeigt die Autorin, die Gefahren auf, wenn man negative Entwicklungen einer Gesellschaft unterschätzt. Die Aufgabe ist es, dagegen zu halten. Auch wenn der Showdown nicht so ganz zum hervorragenden Rest des Buches passen mag, sollte dieser aufrüttelnde Roman unbedingt gelesen werden.

Veröffentlicht am 18.08.2018

Dämonen

Die Frau mit den grünen Augen
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Von seinem alten Widersacher Oberst Tan wurde Shan in einer abgelegenen Gemeinde Tibets als Polizeiwachtmeister eingesetzt. Das hätte er sich nach dem langen Gefängnisaufenthalt auch nicht träumen lassen. ...

Von seinem alten Widersacher Oberst Tan wurde Shan in einer abgelegenen Gemeinde Tibets als Polizeiwachtmeister eingesetzt. Das hätte er sich nach dem langen Gefängnisaufenthalt auch nicht träumen lassen. Wirklich frei ist Shan natürlich nicht, dafür dass er seinen Sohn hin und wieder für ein paar Tage sehen darf, musste er den Posten übernehmen. Zu Tans Leidwesen dauert es nicht lange und Shan findet einen westlich gekleideten Toten in einem alten Grab. Damit nicht genug, neben einer uralten Leiche wird ein toter Chinese gefunden, der wohl schon seit ca. 50 Jahren tot ist. Und Teil eines unangekündigten Gefangenentransports ist eine Frau mit auffallend grünen Augen.

Auch wenn es bereits der neunte Auftritt von Shan ist, kommt in keinem Moment Langeweile auf. Wie hier das widersinnige Streben der Herrschaftsmacht China gegen die tibetische Kultur, gegen den Reichtum der hergebrachten Sagen und ihre Verknüpfung mit den Lehren des Buddhismus in aller Absurdität beschrieben wird, ist einfach immer wieder fesselnd. Freut man sich im ersten Moment, dass Shan der Hölle des Gulags entkommen ist, währt diese Freude nicht lange, denn schnell erfährt man, an welche Bedingungen die vermeintliche Freiheit geknüpft ist. Nicht nur das, auch auf seiner Wache hat es Shan nicht leicht, gegen die Dorfoberen zu bestehen. Schnell wird er verdächtigt mit den einheimischen und nur geduldeten Tibetern gemeinsame Sache zu machen.

Gekonnt gibt der Autor einen Abriss über das Leben der Tibeter in ihrer eigenen Provinz unter der chinesischen Herrschaft, ohne dabei belehrend zu wirken. Geschickt wird die Geschichte des Toten mit der Geschichte des Landstrichs verwoben. Warum nur wird die tibetische Bevölkerung dermaßen unterdrückt? Was ist so schlimm an ihrer eher friedliebenden Kultur? Außer, dass sie eben nicht chinesisch ist. So plastisch beschrieben, dass man beinahe glauben könnte, man wandele selbst durch die Hochebenen und sehe die Gebetsfahnen. Man glaubt den leisen und beinahe humorigen Widerstand spüren, den die Tibeter leisten. Man empfindet die leichte Hoffnung der Jugend, die nie enttäuscht werden sollte. Gleichzeitig verfolgt man einen spannenden Fall, in dem man schließlich erfährt, warum ein jüngerer Mann mit westlicher Kleidung sterben musste.

Eine Serie, deren Bücher immer wieder fesseln und die lehrreich sind, ohne zu belehren.

Veröffentlicht am 02.08.2018

Ein Gerechter

Am Seil
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In Wien lebt die Jüdin Regina mit ihrer kleinen Tochter Lucia. Während des zweiten Weltkrieges sind schon viele Verwandte geflohen oder verschwunden. Die Repressalien gegen die jüdischen Mitbürger werden ...

In Wien lebt die Jüdin Regina mit ihrer kleinen Tochter Lucia. Während des zweiten Weltkrieges sind schon viele Verwandte geflohen oder verschwunden. Die Repressalien gegen die jüdischen Mitbürger werden immer schlimmer. Als die Not am größten ist und sie der Aushebung ihrer Sammelwohnung und der Deportation nur dadurch entgehen, dass sie in eben genau jenem Moment zwar auf dem Heimweg, aber nicht daheim sind, greift als Retter Reinhold Duschka ein, der beste Freund von Lucias Vater. Ohne lange zu zögern oder nach einem Dank zu fragen, bringt er Regina und ihre Tochter in seiner Werkstatt für das Kunsthandwerk unter. Dort müssen die beiden zwar peinlich darauf achten, nicht aufzufallen, im Trubel der Werkstätten aber kann ihre Gegenwart untergehen.

Der Autor Erich Hackl nimmt sich häufiger der Geschichten von Menschen an, die es verdient haben, ein solches literarisches Denkmal zu erhalten. Zusammengesetzt aus Lucias Erinnerungen, Recherchen und Vermutungen zeichnet er das Bild eines Retters, dem es eine Selbstverständlichkeit war, Schutz zu gewähren. Über vier lange Kriegsjahre half er unermüdlich und verlangte nichts. Sehr nahe geht einem auch die Qual und die Angst, die Regina und ihre Tochter empfinden mussten angesichts der überall lauernden Gefahr.

Möglicherweise bedarf es einer gewissen Gewöhnung an die Art wie kurze Sätze und Worte aneinandergereiht werden. Vielleicht wirken die Perspektivwechsel etwas eigen. Hat man sich dem Duktus des Autors allerdings geöffnet, findet man eine berührende Schilderung von wahren Schicksalen, eine Perle einer Erzählung. Man spürt wie bedrückt und bedroht das Leben der Beteiligten in jeder Sekunde dieser Lebensphase ist, wie sehr sie die Entdeckung fürchten, die mögliche Denunziation, wie sie versuchen, der Langeweile zu entgehen. Auch die Erleichterung als dieser unselige Krieg mit seinen menschenfeindlichen Auswüchsen endlich zu Ende ist gut nachzuempfinden. Man freut sich, das Lucia, Regina und Reinhold nach dem Krieg ein freies und selbstbestimmtes Leben beschieden war, von dem Lucia berichten kann. Man wünscht sich, es gäbe viel zu berichten von solchen Menschen.

Reinhold Duschka - ein Gerechter unter den Völkern.

Veröffentlicht am 22.07.2018

Das Portrait

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
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Was bliebt ist ein Portrait, dass Finn von seiner Patentochter June und ihrer Schwester Greta gemalt hat. Finn ist tot. Er hat eine große Lücke in die Familie gerissen, obwohl nicht alles über ihn gesagt ...

Was bliebt ist ein Portrait, dass Finn von seiner Patentochter June und ihrer Schwester Greta gemalt hat. Finn ist tot. Er hat eine große Lücke in die Familie gerissen, obwohl nicht alles über ihn gesagt werden durfte. Die Mutter der Kinder, deren Bruder er war, hatte strenge Regeln aufgestellt, wenn es um den Umgang innerhalb der Familie ging. June, ist gerade erst 14 geworden, sie ist schier untröstlich. Finn war nicht nur der beste Patenonkel, er war auch ihr bester Freund. Die zwei Jahre ältere Greta, die immer toll ist und alles schafft, kann seine Stelle nicht einnehmen. Da erhält June eine Nachricht, von dem, über den nicht gesprochen werden durfte.

Äußerlich scheint June eher unscheinbar, doch sie hat ein großes Herz. Natürlich ist auch sie nicht frei von Neid und Missgunst, auch Eifersucht kennt sie gut. Die alles überstrahlende Greta hat nur wenig Zugang zu ihrem Leben. Doch auch June will mal die sein, die zuerst kommt. Vielleicht ist ihre Beziehung zu Finn deshalb so besonders. Ihr besonderer Onkel ist eben ihr Patenonkel und nicht der beider Schwestern. Manchmal denkt June mit Wehmut an die Zeit zurück als sie und Greta noch die besten Schwestern und engsten Freundinnen waren, sie eine Einheit bildeten.

In der Zeit angesiedelt als AIDS den Erkrankten nicht viel Zeit zum Überleben ließ bietet dieser Entwicklungsroman nicht nur eine Erinnerung an die grausamen Auswirkungen der Krankheit, er reißt einen auch hinein in eine Familie, die trauert, weil sie vor der Zeit einen lieben Menschen verloren hat. Ein Mensch, der fehlbar schien wie jeder eigentlich, den man ungern gehen ließ und doch gehen lassen musste. Mit der Trauer geht jeder anders um. Doch irgendwie hat jeder einen sehr lieben Freund, Bruder oder Onkel verloren. Niemand kann Finn ersetzen, doch vielleicht kann jemand in der Trauer helfen, der selbst den größten Verlust erlitten hat. June erfährt vieles von Finn, das sie vor seinem Tod nicht erfahren hat. Finn-Geschichten, die ihr helfen mit der Leere klarzukommen. Und es bleibt das Portrait, das erstaunliche Veränderungen durchmacht, je nachdem aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.

Ein berührendes Werk über Verlust und Trauer, aber auch Hoffnung, denn in jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne.

4,5 Sterne

Veröffentlicht am 19.06.2018

Für die Bedürftigen

Die rote Frau
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Nein, so ist es kein schönes Leben. Rayonsinspektor August Emmerich lebt im Männerwohnheim, seine Kriegsverletzung schmerzt, oft nagt der Hunger und in der Dienststelle muss er Hilfsarbeiten leisten. Auch ...

Nein, so ist es kein schönes Leben. Rayonsinspektor August Emmerich lebt im Männerwohnheim, seine Kriegsverletzung schmerzt, oft nagt der Hunger und in der Dienststelle muss er Hilfsarbeiten leisten. Auch für die Bevölkerung Wiens bringt das Jahr 1920 nicht viel Gutes. Viele Menschen haben keine Arbeit, leiden Hunger, leben am Rande der Gesellschaft. Die Folgen des ersten Weltkrieges sind noch lange nicht überwunden. Als ein beliebter Politiker ermordet wird, möchte Emmerich an der Untersuchung beteiligt werden. Doch die Vorgesetzten lassen ihn und seinen Assistenten Winter außen vor. August Emmerich wäre aber nicht er selbst, wenn er sich davon entmutigen lassen würde.

Zwar hat es August Emmerich in seinem zweiten Fall zur Abteilung „Leib und Leben“ geschafft, seine Tätigkeit dort hätte er sich allerdings anders vorgestellt. Nicht viel mehr als Zuarbeiten darf er leisten. Dabei will er doch auf die Straße und ermitteln. In einer eher nebensächlichen Angelegenheit gelingt es ihm, ein schnelles Ergebnis abzuliefern. Und damit hat er seinem Chef das Versprechen abgerungen, in die Morduntersuchung einbezogen zu werden. Schnell allerdings ist ein Verdächtiger gefasst, einer der Ärmsten der Gesellschaft, und Emmerich hat nur wenig Zeit, dessen Unschuld zu beweisen.

Aufmüpfig, intelligent und pfiffig macht sich August Emmerich an die Arbeit. Wenn die Vorgesetzten nicht hinter ihm stehen, geht er eben auf eigene Faust los. Sein Kollege Winter ist dabei meist an seiner Seite und wirkt ausgleichend auf ihn ein. Der Mord an dem Politiker kommt wie ein simpler Fall daher, vielleicht ein mißglückter Raub. Doch bald schon ergeben sich Spuren, die auf eine wahrhaft menschenfeindliches Komplott hindeuten.

Sehr anschaulich schildert die Autorin das Dasein der einfachen Menschen im Wien des Jahres 1920. Ein hartes Leben, das viele Entbehrungen beinhaltet. Das kleine Glück scheint beinahe unerreichbar. Und die wenigen hilfreichen Menschen, die die Situation verbessern wollen, sehen sich ungeahnten Widerständen gegenüber. Über den Fall wird dazu noch eine geradezu perfide Menschensicht der damaligen Zeit, von der man nicht glauben sollte, dass sie völlig überwunden ist, dargestellt. Und ein zunächst unspektakulärer Fall bekommt eine große Tiefe. Man ist mitgerissen und entsetzt und hat doch immer in Gedanken, dass diese Vergangenheit nicht fern ist. Schön wäre es, wenn die Menschen menschlich blieben, Sicherheit gibt es leider nicht. Und die Wurzeln des Übels wurden vielleicht schon zu damaligen Zeiten gesät.

Ein herausragender historischer Kriminalroman, der seinem Vorgänger in Nichts nachsteht.