M.A.R.Y.
„Aber ich habe mir geschworen die Wahrheit aufzuschreiben und die Dinge wie sie passiert sind. Das werde ich tun. Und mein Haar hat die Farbe von Milch.“
Inhalt
Mary wächst als die jüngste von insgesamt ...
„Aber ich habe mir geschworen die Wahrheit aufzuschreiben und die Dinge wie sie passiert sind. Das werde ich tun. Und mein Haar hat die Farbe von Milch.“
Inhalt
Mary wächst als die jüngste von insgesamt 4 Töchtern auf einem Bauernhof auf. Von Kindesbeinen an sind die Mädchen harte, körperliche Arbeit gewöhnt. Im Sommer des Jahres 1831 bekommt Marys Vater aber ein verlockendes Angebot: Eine seiner Töchter soll im Haushalt des Pfarrers ihren Dienst antreten und bekommt dafür Kost und Logis gestellt, der Vater nimmt freudestrahlend an und schickt seine Jüngste, ist sie es doch die seit der Geburt eine körperliche Behinderung hat und auf dem Hof ohnehin nicht jede Arbeit so schnell und gut erfüllen kann, wie er es sich erhofft. Im Haushalt von Mr. Graham wird es Marys Aufgabe, sich um die herzkranke Frau des Pfarrers zu kümmern und den Haushalt zu organisieren. Gemeinsam mit der der Zugehfrau Edna arrangiert sie sich irgendwie, obwohl sie sich von Anfang an nicht wohl fühlt. Als nach kurzer Zeit im Dienst der Familie Graham die Pfarrersfrau verstirbt, entlässt Mr. Graham die zweite Angestellte, behält aber Mary bei sich. Und schon bald schrubbt sie nicht nur die Böden, poliert das Geschirr, kocht das Essen und wäscht die Sachen, sondern muss es auch ertragen, dass der gottesfürchtige Hausherr jeden Abend in ihr Zimmer kommt und sich zu ihr legt …
Meinung
Die englische Autorin Nell Leyshon thematisiert in ihrem zweiten Roman den Missbrauch Schutzbefohlener, in einer Zeit, in der Begriffe wie Recht und Unrecht nicht für alle Personen, nicht für alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen verfügbar waren. In diesem Roman zeigt sie nicht nur, wie das alltägliche Leben auf einem ganz normalen Bauernhof aussah, sondern auch, welche Willkür den Menschen - den Kindern insbesondere - jeden Tag widerfahren ist. Dabei geht sie darauf ein, wie abgebrüht und objektiv die Heranwachsenden die Welt um sich herum wahrnehmen, ohne gegen die Umstände, in denen sie aufwachsen zu rebellieren. Denn es fehlt nicht nur an Alternativen, sondern im Wesentlichen auch an Bildung und Entwicklungschancen. Für die Protagonistin Mary entsteht dadurch ganz schnell und ohne ihr Einverständnis ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis. Denn egal, wie sehr sie auch Mr. Graham verachtet, er ist es, der ihr das Lesen und Schreiben beibringt und diese Möglichkeit erfüllt sie mit innerer Zufriedenheit, mit Stolz und einer Einzigartigkeit, die sie sich um alles in der Welt wünscht. Dafür erträgt sie lange, was sie nicht ändern kann und redet sich ein, dass ihr Aufenthalt im Hause Graham einem höheren Zweck dient.
Dennoch konnte mich dieser intensive Roman nicht vollends überzeugen. In erster Linie schreibe ich das der sehr einseitigen Erzählperspektive zu, die darüber hinaus so schlicht und einfach gehalten ist, wie es sich wohl für ein Bauernmädchen des 19. Jahrhunderts gehört. Denn Mary selbst ist es, die den Leser durch ihre persönliche Geschichte führt und ihn alle Umstände aus erster Hand kennenlernen lässt. Ich hätte mir an dieser Stelle mehr Vielfalt und andere Erzählstimmen gewünscht, weil dadurch vielleicht eine andere Intension entstanden wäre. Gerade die Beweggründe des Mr. Graham bleiben irgendwo zwischen Einsamkeit, Schuldgefühlen und Lebensaufgabe hängen, so dass an dieser Stelle einiges an Interpretatiosspielraum bleibt. Auch die Hauptprotagonistin erscheint mir stellenweise sehr abgebrüht und durch nichts zu schockieren, allerdings weiß ich nicht, ob das an ihren Lebensumständen oder ihrem Charakter selbst liegt.
Fazit
Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen eindringlichen, doch ungewöhnlichen Roman, der mit einer klar umrissenen Handlung und einer dominanten Erzählfigur aufwartet und den Leser mit hinein ins Jahr 1831 nimmt und ihm zeigt, wie sich der Alltag einer ungebildeten, ausgebeuteten jugendlichen Arbeitskraft anfühlte. Weder stilistisch noch emotional konnte mich der Text wirklich fesseln, er liest sich gut und schnell, auch eine gewisse Grundspannung kann man ihm nicht absprechen, doch es fehlt einfach das gewisse Etwas, so dass ich hier zur Ansicht gelangt bin, dass sich nicht viel Allgemeingültigkeit, nicht viele Denkansätze nach der Lektüre aufbauen und das ich eine Bewertung des Inhalts unter den heutigen gesellschaftstauglichen Gesichtspunkten nicht vornehmen kann, sie würden Mary und ihrer Lebensgeschichte nicht gerecht werden.