Profilbild von txtrovert

txtrovert

Lesejury Profi
offline

txtrovert ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit txtrovert über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.07.2018

Ein unterhaltsames Buch für junge Leser, das die Aufmerksamkeit für Feminismus und psychische Krankheiten bereits früh schärft.

Spinster Girls – Was ist schon normal?
0

Auf Instagram ist mir dieser Titel bereits des Öfteren begegnet, die Prämisse klang interessant und ein wenig nach Bridget Jones, kombiniert mit Georgia Nicholson plus einer gewaltigen Prise Feminismus ...

Auf Instagram ist mir dieser Titel bereits des Öfteren begegnet, die Prämisse klang interessant und ein wenig nach Bridget Jones, kombiniert mit Georgia Nicholson plus einer gewaltigen Prise Feminismus — Holly Bourne trifft mit „Was ist schon normal?“ also den Zahn der Zeit und packt wichtige, aktuelle Themen in ihre neue Buchreihe: Die Spinster Girls! Drei Bände werden insgesamt erscheinen, der nächste erscheint bereits Ende August. Dieser Roman ist in der Tat etwas Besonderes. Während die Rahmenhandlung fast nach Klischee anmutet (Wie bekomme ich Jungs dazu, sich in mich zu verlieben? Wann finde ich Mr. Right?), ist „Was ist schon normal?“ doch so vieles mehr. Doch zurück zum Anfang. Wir nehmen aus Evies Sicht an ihrem Leben teil, aus irgendeinem Grund scheint sie Medikamente zu nehmen und ihre (ehemals) beste Freundin hat sich in einen Beziehungs-Zombie verwandelt. Wie gut, dass Evie Amber und Lottie kennenlernt, die eigene Ansichten zum Thema Jungs haben und Evie feministische Werte näher bringen wollen. Doch Evie möchte nur eins, nämlich normal sein, denn ihre Krankheit hielt sie lange Zeit davon ab, überhaupt ein normales Teenagerleben zu führen. Der Wunsch nach dem ersten Kuss, dem ersten Freund und der Schwärmerei für Jungs in einer Band clasht mit den femististischen Grundsätzen von Amber und Lottie, die Evie davon abhalten wollen, in ihr eigenes Verderben zu rennen…

»Wenn Jungs älter werden, nennt man sie ›Junggesellen‹ und findet das sexy. […] uns nennt man direkt ›Katzenlady‹ oder ›alte Jungfer‹. Ein männliches Pendant dazu gibt’s nicht. Genau wie es kein Wort für Kerle gibt, die mit jeder ins Bett gehen – während es tonnenweise dafür für Mädchen gibt. Die Sprache selbst ist sexistisch – sie zementiert doch nur diese total verallgemeinernden, völlig kranken Vorstellungen darüber, wie Jungs und Mädchen zu sein haben…«

Holly Bourne hat es geschafft, was ich in meiner Jugend (und auch jetzt noch!) bei vielen, vielen Büchern für Jugendliche (und leider auch für Erwachsene) vermisse: weibliche Protagonistinnen, die ihr Trachten nach männlicher Begleitung kritisch überdenken. Plus: Unser Hauptcharakter hat eine Zwangs- und Essstörung. Diese Kombination versprach, interessant zu werden! Wir erfahren mithilfe Evies Tagebuch (so in etwa), wie sie trotz ihrer großen Schwierigkeiten ihren Alltag meistert, was sie alles dafür gibt, endlich auch ein „normales“ Leben zu führen. Doch wie der Buchtitel schon so schön fragt: was ist schon normal? Evie stürzt sich seit es ihr besser geht und sie wieder das Haus verlassen kann ins Getümmel und macht sofort ausgerechnet das, was ihre Therapeutin als gefährlich empfindet: mit Jungs anbandeln. Und obwohl diverse Flirts mit Herzklopf-Faktor Evies Leben ins Chaos zu stürzen drohen und ihre Krankheit wieder ihr hässliches Haupt erhebt, versucht sie weiterhin, ein „normales Leben“ zu führen. Ihren neuen Freundinnen, mit denen sie den Spinster Girls Club gegründet hat, traut sie sich nicht, auch nur irgendwas zu sagen. Teenage angst at its finest. Amber und Lottie versuchen jedoch, Evie von ihrem gefährlichen Gefühlsdusel, in dem sie sich zu verlieren droht, abzubringen.

Obwohl Evies amouröse Eskapaden beinahe vorhersehbar sind und einiges nach Schema F verläuft, überzeugt alles, was nicht zur Rahmenhandlung gehört, viel mehr: Der Alltag mit der Zwangsstörung, die vielen Rituale, der Umgang mit unerwarteten Situation, all das war faszinierend für mich. Ich habe in der Vergangenheit bereits einige Bücher über OCD (Obsessive-compulsive disorder) gelesen und Evies Schicksal hat mich vielleicht am meisten berührt — obwohl sie natürlich auch fast zwanghaft daran festhält, dass sie jetzt sofort einen Freund braucht. Da waren die Charaktere von Amber und Lottie gute Gegenstücke, die zwar auch verrückt nach Jungs sind, aber eben die feministische Sichtweise mitbringen. Sie berichten Evie vom Bechdel-Test, von Stereotypen, blauer Flüssigkeit in Tamponwerbungen, gegenderter Sprache und Rollenbildern und bringen ihr Selbstbild doch ein wenig ins Schwanken. Jedoch nicht genug, um sich von einem bestimmten Typ fernzuhalten, der ihr überhaupt nicht gut tut.

"Mit ihnen hatte ich immer das Gefühl, etwas zu lernen. Sie hatten so entschiedene Meinungen, eine solch hohe Meinung davon, ein Mädchen zu sein, sodass es schwer war, sich davon nicht mitreißen zu lassen. […] Ich meine, wir sind schon cool, nicht? Und die Welt rollt dir Steine in den Weg, wenn du eine Muschi hast."



Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/holly-bourne-was-ist-schon-normal

Veröffentlicht am 14.07.2018

Die Ausbeutung der Natur und der Zynismus von Reality-Shows treffen hier aufeinander und verweben sich zu einem Coming-of-Age-Roman, der nichts erklärt, sondern nur in Frage stellt.

Hier ist es schön
0

„Hier ist es schön“ von Annika Scheffel ist eines dieser Bücher, bei denen man nicht weiß, woran man ist. Allein der Klapptentext klingt nach Coming-of-Age, Sci-Fi, vielleicht auch Jugendroman — das hat ...

„Hier ist es schön“ von Annika Scheffel ist eines dieser Bücher, bei denen man nicht weiß, woran man ist. Allein der Klapptentext klingt nach Coming-of-Age, Sci-Fi, vielleicht auch Jugendroman — das hat mich neugierig gemacht. Das und dieses wunderwunderschöne Cover, auf dem man eine Sternenkarte sieht. Es geht um Irma, die ihr normales, plätscherndes Leben ein wenig satt hat. Als ein Fernsehsender junge Menschen sucht, die sich auf eine interstellare Reise begeben wollen, um das Fortleben der Menschheit zu sichern, zögert sie nicht lange und bewirbt sich. Und sie wird ausgewählt. Ihre Freunde und Familie sind schockiert und kommen nicht darüber weg, als Irma sie verlässt. Zehn Jahre soll sie nun in einer Art Arena leben, in der sie und die anderen Jugendlichen für die Mission trainiert werden — aber nur zwei von ihnen sollen später ausgewählt werden, um die Reise anzutreten. Wie sich der Sender das vorgestellt hat, dass man mit nur zwei Menschen einen neuen Planeten besiedeln soll, bleibt ein Geheimnis. ? Nach zehn Jahren, so heißt es, sollen die Familien ihre Sprösslinge noch ein letztes Mal sehen dürfen. Doch das fällt ins Wasser, und stattdessen sollen Irma (natürlich wurde sie ausgewählt!) und Sam (der das Leben außerhalb der Arena nicht kennt) sofort das Raumschiff besteigen. Doch Sam hat da andere Pläne. Bevor er die Erde verlässt, möchte er sie zumindest ein Mal gesehen haben. Irma folgt ihm, mehr genötigt als freiwillig, und begleitet ihn bei der ersten und letzten Reise auf unserem Heimatplaneten.

"Wir alle hier draußen suchen nach einer Zukunft, die sich lohnt. Ich frage mich, ob das so schlau ist — wer kümmert sich um die Gegenwart? Warum wird Lohnenswertes immer in anderen Zeiten, an anderen Orten vermutet? Ich habe […] irgendwie das Gefühl, wir lassen die Gegenwart im Stich."

Dieser Roman hat es innerhalb der ersten Seiten geschafft, dass ich mich so auf das noch Kommende gefreut habe, es ist unfassbar. Durch Briefe, die allerlei Personen an Irma, als sie schon in der Arena war, gesendet haben, erfährt man zunächst nicht viel. Doch irgendwie auch schon zu viel. Aber man weiß noch nicht alles, man wird neugierig. Sehr neugierig. Wie ist der Alltag in der Arena? Wie sieht das Raumschiff aus? Und wann geht’s denn auf ins All? Das sind alles Fragen, die unbeantwortet bleiben. Über den Alltag in der Arena erfährt man wenig bis kaum etwas, das Schiff wird nur verschwommen beschrieben und wann es ins All geht, weiß ich auch nicht. Nachdem Annika Scheffel von den Briefen nach draußen, außerhalb der Arena, wechselt, fällt der Spannungsbogen rapide ab. Wir erfahren allerhand über Irmas Familie und auch, was aus ihren Freunden geworden ist, wie alle gespannt die Fernsehsendung schauen und in den Aufzeichnungen nach einem Zeichen suchen, dass Irma ihre Briefe gelesen hat. Irmas Eltern fallen immer tiefer in ein schwarzes Loch, und vor allem ihre Mutter kommt mit dem Verlust ihrer Tochter überhaupt nicht zurecht. Die Charaktere von Irmas Mutter und Vater, ja sogar von Sam, sind wunderbar ausgefleischt — im Gegensatz zu Irma selbst: Sie ist die Person, die ich in diesem Roman am wenigsten mag. Sie erscheint trotzig, stur, launisch und nicht besonders freundlich. Da habe ich deutlich mehr mit ihren Eltern mitgefühlt, die darunter leiden, dass ihre Tochter sich gegen ein Leben mit ihnen, auf der Erde, entschieden hat und allen und allem den Rücken kehrt.

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/annika-scheffel-hier-ist-es-schoen

Veröffentlicht am 04.07.2018

Dekadenz und Lush Life in Kenia zur Kolonialzeit — ein Fest für die Sinne mit kritischem Blick auf die historischen Hintergründe.

Kenia Valley
0

Ich muss gestehen, „Kenia Valley“ von Kat Gordon ist primär wegen seiner tollen Optik bei mir eingezogen. Der Plot klang ein wenig nach Lesen außerhalb der Komfortzoneund die Länge (420 Seiten, fast schon ...

Ich muss gestehen, „Kenia Valley“ von Kat Gordon ist primär wegen seiner tollen Optik bei mir eingezogen. Der Plot klang ein wenig nach Lesen außerhalb der Komfortzoneund die Länge (420 Seiten, fast schon zu viel für mich!) schüchterte mich etwas ein. Dennoch kann ich nach der Lektüre bestätigen: Es hat sich gelohnt! Es geht um den 15-jährigen Theo, der mit seiner wohlhabenden Familie nach Kenia zieht, da sein Vater, zuständigen für die erste Eisenbahnlinie in Afrika, dort seiner Arbeit nachgehen wird. Nach ihrer Ankunft begegnet die Familie dem charmanten Freddie und seiner absolut hinreißenden Geliebten Sylvie, und Theo ist sofort Feuer und Flamme für die beiden — besonders für Sylvie. Dass beide zehn Jahre älter sind, scheint höchstens Theos Eltern zu stören, und schon bald taucht er ab in eine Welt des Glamours, aus Champagner, Freizügigkeit, Sundownern, Affären und Krocket — und wilden Sexpartys. Theo liebt sein Leben, er liebt seine Freunde und ihren Lebensstil. Alle erscheinen glücklich, mit ihren afrikanischen Hausdienern, die alle „Totos“ nennen, und die Lebensfreude dort in Kenia könnte kein Wässerchen trüben. Dennoch sehnt Theo sich nach der Zuneigung Sylvies, und es bricht ihm das Herz, als er mitgeteilt bekommt, sie verlasse das Land.

"Daressalam war exotisch gewesen, aber dieses neue Kenia war das Afrika, von dem ich geträumt hatte […], und ich konnte es kaum abwarten, dass die Zugfahrt ein Ende nahm und mein Leben in dieser unglaublichen Landschaft begann."

Die Geschichte setzt fünf Jahre später wieder ein, nachdem Theo sein Studium abgeschlossen hat und nach Afrika zurückkehrt. Jetzt, als Mann, will er Sylvie für sich gewinnen und Freddie ausstechen. Doch Kenia scheint nicht mehr dasselbe zu sein: Freddie und alle anderen der Clique erscheinen müde und verbraucht, obwohl sie standhaft versuchen, den Happy Valley Lifestyle aufrechtzuerhalten. Sylvies Mann ist zwischenzeitlich gestorben und Theos Schwester birgt ein Geheimnis, das sie ihren Eltern und keinem im Dorf erzählen kann. Dazu kommen noch heftige politische Debatten, aus denen Theo sich eigentlich heraushalten will, als Freddie jedoch eine rechten britischen Organisation beitritt und für sie starke Werbung betreibt, wird Theo zum ersten Mal seit seiner ersten Ankunft in Kenia vor zehn Jahren gezwungen, sich Gedanken zu machen, ob seine Freunde wirklich so gut für ihn sind und ob er das elitäre Gehabe und die Respektlosigkeit gegenüber den Totos weiter tatenlos mit ansieht. Denn obwohl seine Liebe zu Sylvie endlich beantwortet scheint, geschehen in Afrika Dinge, mit denen Theo so nicht gerechnet hat.

Kat Gordon zeichnet mit „Kenia Valley“ ein detailliertes Portrait Afrikas zur Blüte der Kolonialzeit, bevor Aufstände und Unruhen das friedliche Leben der reichen Anwohner zunichte machen. Sie lässt uns teilhaben am schillernden Alltag des Happy Valley Sets, der nur aus Feiern, festlichen Dinnern und Exzessen zu bestehen scheint. Dazu lässt sie historische Elemente einfließen, um uns ein akkurates Bild zu präsentieren: Die Rolle der Frau wird beispielsweise dargestellt, die zwar in England bereits wählen darf, aber in Kenia nicht unverheiratet wohnen darf. Alle Bewohnerinnen des Valley leiden mehr oder weniger darunter und heiraten sofort den Nächstbesten, sobald ihr Gatte nicht mehr passend erscheint. Theos Schwester Maud leidet ganz besonders unter den Umständen in Kenia, sie ist gegen den herablassenden Umgang mit den Totos, Elfenbeinhandel und die Entwürdigung der Afrikaner im Allgemeinen. Sie ist es auch, die Theo zum Denken zwingt, denn er befindet sich auch bei seinem zweiten Aufenthalt in Kenia unter dem Bann des Happy Valley Sets, auch wenn er das nicht wahrhaben will.

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/kat-gordon-kenia-valley

Veröffentlicht am 25.06.2018

Ein Genre-loses Werk, das mit einer einzigartigen Story-Idee überzeugt, aber ein wenig langatmig ist.

Das Buch der seltsamen neuen Dinge
0

Ein mysteriöser goldener Brief trudelte vor einer Weile in meinem Briefkasten ein, ein Brief von einem Peter, der sich an einem verrückten Ort zu befinden scheint. Später dann die Auflösung: Es handelt ...

Ein mysteriöser goldener Brief trudelte vor einer Weile in meinem Briefkasten ein, ein Brief von einem Peter, der sich an einem verrückten Ort zu befinden scheint. Später dann die Auflösung: Es handelt sich um Michel Fabers von seinen Fans lang ersehnten neuen Roman „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“. Ein wunderschönes Cover, eine wahnsinnig interessante und originelle Geschichte, doch schreckte mich die Länge dieses Buches mit seinen fast 700 Seiten ab. Doch der Kein & Aber Verlag war anscheinend so davon überzeugt, dass mir dieser Wälzer gut gefallen wird, denn kurze Zeit nach dem goldenen Briefchen fand ich den kleinen Klops wartend im Briefkasten. So viel kann ich schon vorwegnehmen: Wie gut, dass ich ein wenig zum Lesen „genötigt“ wurde! ? Die Grundidee der Geschichte ist auch schnell zusammengefasst: Ein Pastor namens Peter soll seine Frau Bea, seinen Kater Joshua und vor allem seinen Heimatplaneten zurücklassen, um auf einem fremden Planeten namens Oasis zu missionieren. Die dort ansässigen Außerirdischen kennen Jesus und die Bibel (das „Buch der seltsamen neuen Dinge“) bereits, doch sind die vorherigen Priester verschwunden und Peter soll der Ersatz sein. Spannende Fragen kommen nach den ersten Seiten direkt in meinen Sinn: Wie sieht der Planet aus, wie die Außerirdischen? Wie kann Peter sich mit ihnen verständigen? Wieso haben Aliens auf einem fremden Planeten Bedarf nach Religion? Und wird Bea Peters Abwesenheit verkraften? Und ist Jesus auch für die Sünden der Oasier gestorben, lässt sich eine Religion einfach auf eine andere Spezies auf einem fernen Planeten übertragen?

"Sein ganzes Leben – das begriff er, als jetzt die Fassaden der unbekannten Stadt vor ihm aufragten, Horte unvorstellbarer Wunder –, sein ganzes Leben gipfelte in diesem Moment."

Michel Fabers Werk lässt sich keinem Genre so richtig zuordnen, deshalb hat sich zunächst auch kein deutscher Verlag „erbarmt“, sein Buch zu verlegen. Zu religiös, zu esoterisch, zu viel Science Fiction. Doch so richtig Sci-Fi ist es nicht, genauso wenig wie ein Religionsratgeber. „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“ lässt sich nur ganz schwer in eine Schublade stecken, und das macht dieses Buch — neben der fantastisch originellen Story — zu etwas Besonderem. Der Autor erzählt die Geschichte um Peter und Bea und ihre „Fernbeziehung“ so emotional geladen, dass man als Leser richtig mitfiebern muss. Als es endlich zum ersten Zusammentreffen zwischen Peter und den Außerirdischen kommt, war ich dann so in der Story versunken, dass mich deren Art anfangs noch gar nicht gestört haben. Doch nach 300, 400 Seiten kommen Fragen auf: Warum interessieren sich diese Aliens für eine Religion von der Erde? Wie kommt es, dass die Außerirdischen einigermaßen Englisch sprechen können — Wie lange geht diese Mission bereits? Was kann ein christlicher Gott den Oasiern bieten? Leider bleiben diese Fragen leider unbeantwortet, Peter scheint sich selbst auch nicht zu wundern, wieso dieser Bedarf besteht.

Der Erzählstil Fabers gefällt mir gut, atmosphärische (teils etwas langatmige) Beschreibungen der Szenerie erschaffen ein lebendiges Bild von Oasis und den Menschen, die dort arbeiten und leben. Peter und Bea sind runde Charaktere, jeder von ihnen erhält eine umfassende Hintergrundstory, und der Eindruck entsteht, es könnte sich um reale Personen handeln. Wir erfahren, dass Peter vor seiner Zeit als Pastor obdachlos, drogenabhängig und Alkoholiker war und die Liebe zu Gott sein Leben um 180 Grad gewendet hat. Obwohl ich Atheist bin, hat es mir gefallen, von seinem Lebensweg zu lesen und wie der Glaube an Gott ihm geholfen hat, sein Leben zum Besseren zu bekehren. Dass er daher Pastor geworden ist, erscheint plausibel. Generell erscheint mir alles an Michel Fabers Welt realistisch, sogar der fremde Planet, selbst wenn es dort eine Art „tanzenden Regen“ gibt, der schon ein wenig surreal anmutet. Aber andererseits: Was wissen wir schon von fremden Planeten in fernen Galaxien und deren Physik und Umwelt? Richtig, nicht viel. Daher erscheint es mir überhaupt nicht unplausibel, dass es einen Planeten ohne Seen und Meere geben kann, auf dem trotzdem Leben entstanden ist. Faber macht hier alles richtig, und dennoch hatte ich das Gefühl, dass er sich zu viel Zeit gelassen hat, seine Erzählung auf den Punkt zu bringen. 680 Seiten sind doch arg lang, und von wie vielen Besuchen Peters bei den Oasiern muss man erfahren?

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/michel-faber-das-buch-der-seltsamen-neuen-dinge

Veröffentlicht am 02.04.2018

Eine überdrehte Satire, die das Erfolgsstreben der Businessmenschen aufs Korn nimmt

Der schwarze Gürtel
0

Bei den Frühjahrsnovitäten des Antje Kunstmann Verlags ist mir Eduardo Rabasas „Der schwarze Gürtel“ mit seinem schlichten Cover direkt ins Auge gesprungen. Zugegeben, neben den schicken Ausgaben der „Southern ...

Bei den Frühjahrsnovitäten des Antje Kunstmann Verlags ist mir Eduardo Rabasas „Der schwarze Gürtel“ mit seinem schlichten Cover direkt ins Auge gesprungen. Zugegeben, neben den schicken Ausgaben der „Southern Reach“-Trilogie sah es fast schon etwas langweilig aus, doch der Klappentext klang nach Spaß! Und zwar geht es um Fernando Retencio, der durch sein besonders energisches Streben „nach oben“ auszeichnet. Retencio ist schon fast zwanghaft auf das Erklimmen der Karriereleiter fixiert und wünscht sich nichts sehnlicher, als den schwarzen Gürtel endlich verliehen zu bekommen. Ob es diesen überhaupt gibt oder ob es sich hierbei nur um ein Gerücht aus der Chefetage handelt, um die Pérez, die Mitarbeiter, auf Trab zu halten, ist Retencio dabei ziemlich egal. Die Anzeigetafel, die die aktuellen Ränge der Mitarbeiter anzeigt, ist seine Bibel, sobald ihm etwas gelingt oder auch schief läuft, muss er sich seiner Position im Ranking vergewissern. Dass so ein Charakter ziemlich anstrengend sein kann, merkt auch seine Frau, die von seiner krankhaften Eifersucht die Nase voll hat. Retencio treibt es auf die Spitze, indem er einige wichtige Fälle richtig versemmelt und nicht einmal der Hausmeister von Soluciones ihm aus der Patsche helfen kann. Zu diesem hat Retencio nämlich ein besonderes Verhältnis: Der gute Dromundo wird sklavenähnlich und ohne großes Murren von dem machtgeilen Fernando für alle Belange ausgenutzt, ob es nun die Beschaffung von Informationen über den Fremdgeh-Status seiner Frau sind oder Dromundo aber auf allen Vieren Kleingeld aufsammeln soll, während Retencio ihm dabei mit einem Besen den Hintern versohlt, die Absurditäten Retencios nehmen kein Ende.

"In der Eingangshalle stellte er sich so hin, dass er die Anzeigetafel in ihrer ganzen Größe bewundern konnte. Er war wie hypnotisiert vom Tanz der Zahlen, von den endlosen Berechnungen, die anzeigten, wo jeder Einzelne im Moment stand."

Fernando Retencio wuchs mit einem Alkoholiker als Vater auf und wurde schon früh Zeuge, wie der Verfall eines Menschen aussieht. Schon früh wurde ihm eingebläut, wie wichtig es ist, gutes Geld zu verdienen und stets ein Dienstmädchen im Haus zu haben. Diese Lehren hat Retencio mit in sein späteres Berufsleben gebracht, wo er bei Soluciones nach… nun ja, Lösungen für anderer Leute Probleme sucht, so abwegig sie auch sein mögen: Einem Schriftsteller soll er helfen, einen Bestseller zu schreiben, einem zum Buddhismus gewechselten Boxer soll er wieder in den Ring verhelfen, ein von Nonnen festgehaltenes und missbrauchtes Mädchen soll er aus dem Kloster befreien. Die Aufgaben Retencios sind stets abwechslungsreich, und mit Hausmeister Dromundo und dessen Kopfgeschwüren auf der Glatze an seiner Seite bemüht er sich immer um eine möglichst gelungene Lösung, die ihm den schwarzen Gürtel näher bringen soll. Das Thema Ausbeutung ist ein Kernthema vom „schwarzen Gürtel“: Retencios Frau, auch ehemalige Kundin von Soluciones, arbeitet derweil mit Armen und Obdachlosen — doch nicht in dem Kontext, wie man zunächst annimmt. Rabasas Ideenreichtum sind auch hier kene Grenzen gesetzt: Die Menschen in ihrem Programm werden genötigt, Kunst zu erzeugen, ob sie nun Bilder malen oder Gedichte schreiben, die zu Höchstpreisen an reiche Schnösel verkauft werden. Eine finanzielle Entlohnung erhalten die Armen nicht, lediglich „wertvolle Erfahrungen“.



Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/eduardo-rabasa-der-schwarze-guertel