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Veröffentlicht am 15.09.2016

Monatshighlight

Der letzte Sommer
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Zum Inhalt:

Im Sommer 1914 bewirbt sich die alleinstehende Beatrice Nash auf eine Stelle als Lateinlehrerin in der kleinen englischen Stadt Rye. Agatha Kent und deren zwei Neffen Daniel und Hugh nehmen ...

Zum Inhalt:

Im Sommer 1914 bewirbt sich die alleinstehende Beatrice Nash auf eine Stelle als Lateinlehrerin in der kleinen englischen Stadt Rye. Agatha Kent und deren zwei Neffen Daniel und Hugh nehmen sie alsbald unter ihre Fittiche. Das ist auch dringend nötig, denn die Damen der ansässigen Oberschicht sind etwas pikiert von Miss Nash, die über keinen männlichen Versorger verfügt und auch sonst ziemlich modern und für die damalige Zeit fast emanzipiert daherkommt. Hier bedarf es einer gehörigen Portion Fingerspitzengefühl, um nicht als loses Frauenzimmer dazustehen und das bisschen Freiheit und Selbstständigkeit zu genießen, welches jungen Frauen damals von der englischen Gesellschaft zugestanden wurde. Miss Nash lebt sich einigermaßen ein und schließt erste Freundschaften.

Der Ausbruch des Krieges bringt ungeahnt und langsam, aber unaufhaltsam, große, teils dramatische Veränderungen mit sich. Immer mehr junge Männer ziehen in den Krieg, erste Flüchtlinge werden in der Kleinstadt einquartiert und jeder versucht mehr oder weniger selbstlos zu helfen. Lebensmittel und Kleidung werden knapper und dann sind die ersten Toten zu beklagen. Schließlich stehen auch Hugh und Daniel vor der Entscheidung, ob sie sich freiwillig zum Wehrdienst melden sollen.

Meine Meinung:

Auf den ersten Seiten findet die Autorin noch einen sehr betulichen Ton, um die kleine, oberflächlich heile, ländliche Idylle der englischen Grafschaft zu beschreiben. Gefährlich scheinen nur die scharfen Zungen der Upperclass-Ladies und die strengen Moralvorstellungen der Gesellschaft. Aber spätestens mit der Ankunft der Flüchtlinge ändert sich Stück für Stück das Timbre der Geschichte und nimmt an Spannung und Dramatik zu. Im Zentrum des Geschehens ist nicht nur die liebenswerte kluge Beatrice sondern auch der Medizinstudent Hugh, der heftige Leidenschaft für die Tochter seines Professors empfindet, und der Fillou Daniel, der sich zum Dichter und Denker berufen fühlt. Tante Agatha ihrerseits versucht als Mittlerin alle Fäden in der Hand zu halten und die jungen Leute vor allzu großen Fehlern zu bewahren.

Nach einer kurzen Anlaufzeit wurde ich von der Geschichte immer mehr in ihren Bann gezogen. Die Darsteller werden so glaubwürdig und menschlich beschrieben – mit all ihren Ecken und Kanten – dass ich sie schnell ins Herz geschlossen habe. Ich habe mich von Anfang an gesorgt, wer vor allem von den jungen Männern das Kriegsende noch erleben wird und war dennoch überrascht wie dramatisch und spannend und ergreifend der letzte Abschnitt dann wurde.

Hugh und Daniel wachsen beide über sich hinaus - wie es oft in Kriegszeiten der Fall ist. Denn nur in solchen Zeiten kann man oft die wahre Größe und Kraft eines Menschen messen. Und mit der Tiefe und Größe der Liebe ist es ähnlich. Erst Schmerz und Tod lassen erahnen, wie groß sie war und wie wichtig. Da ist es vorbei mit Zurückhaltung und Unsicherheit.
Ich war teilweise so berührt, dass mir die Tränen in die Augen gestiegen sind. Die Autorin findet Worte und Adjektive und Beschreibungen für das Leid, den Krieg, den Tod und die Liebe, die so schön und wahrhaftig sind, dass mir ganz schwummerig geworden ist. Das letzte Drittel des Buches hat mich echt umgehauen.

Natürlich gibt es einige Zufälle. Aber sei`s drum. Das tut der Spannung und Glaubhaftigkeit der Geschichte keinen Abbruch. Einige Szenen haben sich mir direkt eingebrannt, weil sie so gut beschrieben waren.

Ich gebe ehrlich zu, dass ich anfangs nicht erwartet hatte, dass die Geschichte so eine Fahrt aufnimmt und mich am Ende restlos überzeugt. Ich wünschte mir, man würde das Buch verfilmen.

Mein Fazit:

Von mir eine ganz dicke Leseempfehlung und volle Punktzahl.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Grandiose Fortsetzung

Der Herr des Turmes
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Ich hatte ja den ersten Teil "Das Lied des Blutes" von Anthony Ryans Trilogie verschlungen und konnte so die Fortsetzung kaum erwarten. Ich war außerdem sehr gespannt, ob er die hohen Erwartungen ...


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Ich hatte ja den ersten Teil "Das Lied des Blutes" von Anthony Ryans Trilogie verschlungen und konnte so die Fortsetzung kaum erwarten. Ich war außerdem sehr gespannt, ob er die hohen Erwartungen erfüllen und mit der Fortsetzung die Geschichte auf gleichen Niveau halten würde können.

Zum Inhalt: Es ist ein dicker Wälzer und der Titel "Der Herr des Turms" bezieht sich natürlich auf Vaelin al Sorna, der hofft, nun sein Schwert stecken lassen zu dürfen und als Turmherr einen ruhigeren und unblutigen Job zu bekommen. Natürlich weit gefehlt, denn der eigentliche Kampf zwischen den Guten und den Bösen steht ja noch bevor. Deshalb ist dieser mittlere Band auch zu großen Teilen der Vorstellung neuer Charaktere geschuldet, die im finalen Band sicherlich noch alle eine große Rolle spielen werden. Deshalb springt die Geschichte auch zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her und es werden eine Handlungsfäden entrollt, die sich erst langsam entwirren und zu einem gemeinsamen Strang gebunden werden müssen.

Meine Meinung: Man braucht ein bisschen Ausdauer und Geduld für diesen zweiten Teil. Er unterscheidet sich etwas im Erzählrythmus und eigentlich finde ich das gut, denn der Autor spielt mit unseren Erwartungen und fordert uns mit Neuem und auch mit Ausschweifungen, die wir nicht gleich in direkten Zusammenhang mit Vaelins Schicksal bringen. Mir hat vor allem sehr gefallen, dass jetzt auch mehr als eine Frau für wichtige Hauptrollen besetzt wurden und auch, dass sein treuer Gefährte aus dem ersten Band wieder in einer neuen Rolle auftaucht. Die Sprache ist wie erwartet kraftvoll und lässt viele Szenen entstehen, die das Kopfkino hervorragend bedienen.

Fazit: Es handelt sich um ausgefeilte und anspruchsvolle High-Fantasy mit einer epochalen Breite erzählt und dennoch auf keiner Seite langweilig oder vorhersehbar. Ich habe auf diesen grandiosen zweiten Teil mit viel Freude gelesen und hoffe, das Finale lässt nicht zu lange auf sich warten. Ryan hat meine Erwartungen erfüllt. Chapeau.

Veröffentlicht am 15.09.2016

bitte mehr von Jenny

Endgültig
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Jenny Aaron ist seit einem missglückten Zugriff mit ihrer Sondereinheit vollkommen erblindet. Aber stur und energiegeladen hat sie sich zurückgekämpft – ins Leben und ihren Job als Ermittlerin. Sie hat ...

Jenny Aaron ist seit einem missglückten Zugriff mit ihrer Sondereinheit vollkommen erblindet. Aber stur und energiegeladen hat sie sich zurückgekämpft – ins Leben und ihren Job als Ermittlerin. Sie hat sich mit ihrer Behinderung arrangiert. Hat gelernt mit ihren anderen Sinnen zu sehen. Außerdem trainiert sie eine Kampfsportart und vermittelt auch bei ihren Kollegen den Eindruck dass sie auch weiterhin wehrhaft und kompetent ist. Ihre Verunsicherung über das Fiasko bei dem damaligen Einsatz behält sie weitgehend für sich. Die teilweise Amnesie über den Vorfall beginnt bereits zu bröckeln und sie hofft ständig, dass ihr Gedächtnis wieder vollständig zurückkehrt.

Der Einsatz, zu dem sie nach Berlin gerufen wird, ist von Anfang an ein ungewöhnlicher. Ein Inhaftierter Gewaltverbrecher, den sie einst selbst mit hinter Gitter gebracht hatte, hat eine Psychologin ermordet und will nur mit Jenny sprechen. Aber dahinter steckt viel mehr, als alle ahnen.

Andreas Pflügler hat mit seiner Heldin Jenny Aaron eine sehr ungewöhnliche Hauptdarstellerin und Ermittlerin in einem Kriminalroman erschaffen. Ihre Behinderung gibt diesem Buch eine weitere, mir so noch unbekannte Erzählebene. Die Empfindungen und Gefühle einer blinden Polizistin werden sehr glaubwürdig geschildert. Es stellte sich mir gar nicht wirklich die Frage, ob es überhaupt so etwas gäbe – eine blinde Ermittlerin? In Jennys Fall erschien es mir ganz logisch und sogar teilweise hilfreich, dass sie durch ihre Behinderung viel empfindsamer und aufmerksamer geworden ist. Das Aufeinandertreffen mit dem inhaftierten Boenisch ist ein Psychoduell, welches mich in seiner Dramatik an „Das Schweigen der Lämmer“ denken lies, auch wenn Boenisch natürlich nicht Lektors Charisma hat und auch ganz andere Beweggründe ihn zu seinem Handeln getrieben haben.
Mir hat dieser erste Teil überaus gut gefallen und ich hoffe sehr, dass es eine Fortsetzung geben wird.

Unbedingt hervorheben möchte ich die tolle Optik dieses Romans. Ich bin in den gelben Schnitt und die gelbe Blindenschrift total verliebt. Liebe Verlags-Verantwortlichen: Bitte unbedingt beim nächsten Teildieser Reihe ähnliche Hardcoverausstattung. Ist wirklich ein Eyecatcher.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mit Keksen durchs Jahr

Sechs Millionen Kekse im Jahr
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Die Vorstellung, die man von der Tourette-Krankheit hat, sind im ersten Augenblick nicht falsch, wenn man dieses Buch liest. Im Gehirn läuft bei diesem Krankheitsbild etwas ab, was ich wie ständige Kurzschlüsse ...

Die Vorstellung, die man von der Tourette-Krankheit hat, sind im ersten Augenblick nicht falsch, wenn man dieses Buch liest. Im Gehirn läuft bei diesem Krankheitsbild etwas ab, was ich wie ständige Kurzschlüsse beschreiben würde, die in verbalen und motorischen Zuckungen herauskommen. Dies sind aber nicht immer nur derbe Flüche, sondern weitaus häufiger, zumindest im Falle der Autorin Jessica Thom, seltsame Wortkombinationen, für den Aussenstehenden wirre Sätze und im besonderen das Wort Keks. Man kann sich als gesunder Mensch nicht vorstellen, was hier im Kopf abläuft, da ihre Äußerungen und Bewegungen unsteuerbar und unverhersehbar sind. Dennoch überrascht Jessica mit einer riesengroßen Portion Lebensmut, Weisheit und Humor, die ihr durch die Widrigkeiten ihres Alltags helfen. Auf eine Weise ist sie wirklich eine Behinderte, da sie oft die Hilfe fremder Menschen benötigt, um ihres verrückt spielenden Körpers Herr zu werden. Dies ist meist auch peinlich und unangenehm - ihr, weil sie diese Hilfe braucht aber gar nicht brauchen will und den Menschen, weil sie aus Unwissenheit oder Ignoranz oft falsch reagieren und sie und ihre Krankheit falsch einschätzen. Als Laie weiß man natürlich viel zu wenig von Tourette aber wie bei allen Behinderungen sollte man doch ganz normal und freundlich mit den Betroffenen umgehen und sie fragen, ob sie Hilfe benötigen und in welcher Form.
Sechs Millionen Kekes erzählt in Tagebucheinträgen von einem Jahr im Leben von Jessica. All ihre persönlichen Höhen und Tiefen werden teils sehr kurz und ehrlich geschildert. Sie spart nicht an Ironie und Selbstbetrachtung aber man spürt auch, dass sie manchmal an den garstigen Mitmenschen fast verzweifeln möchte. Erschreckend fand ich, dass sie sich manchmal Dinge versagt, da sie Angst hat vor ihren Ticks und den daraus resultierenden Situationen. Schön ist aber, dass sie liebe Menschen hat, die ihr immer wieder aufhelfen, sie aufrichten und sie von Herzen so lieben, wie sie nämlich ist. Ein kluger und lebenslustiger Mensch, der trotz einer hinterhältigen Krankheit, die im Laufe ihres Lebens immer neue größere Ticks nach sich zieht, das eigene Glück sucht und unbeirrt an das Gute glaubt.
Ein wunderschönes Buch.
Es ist sehr dünn - der Preis ist wirklich horrend und wird viele interessierte Leser abschrecken, was schade ist. Ds sollte der Verlag überdenken. Ich ziehe aber keinen Stern ab, weil das Buch so schön ist.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Barcelona im Winter

Der einzige Ausweg
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Ich war ja schon vom ersten Teil dieser Reihe schwer angetan. Dies liegt zum einen an Salgado, der auch in diesem zweiten Band als ruhiger und kluger Charakter intensiv gezeichnet wird. Dann natürlich ...

Ich war ja schon vom ersten Teil dieser Reihe schwer angetan. Dies liegt zum einen an Salgado, der auch in diesem zweiten Band als ruhiger und kluger Charakter intensiv gezeichnet wird. Dann natürlich am Setting Barcelona, welches mir fremd und exotisch ist und im Winter schön depressiv und trüb geschildert wird. Und am Schreibstil des Autors allgemein. Der es auch in "Der einzige Ausweg" wieder geschafft hat mich ohne viel Tamtam zu fesseln. Er verwendet viel Zeit auf die kriminalistische Suche und das Gefühlsleben seiner Protagonisten. Wie ein Puzzle breitet er den Fall vor uns aus und lässt uns mitraten und mitfinden. Wie zwei angebliche Selbstmorde zusammenhängen ist spannend und kniffelig und ohne große Klischees.

Besonders gefreut habe ich mich allerdings, dass Kollegin Castro nicht sang- und klanglos im Mutterschutz verschwindet, sondern stattdessen angefangen hat, nach der verschwundenen Ruth zu suchen. Dieser Handlungsstrang hat mir besonders gut gefallen.
Geschickt wird alles ineinander verwoben. Es handelt sich hier nicht um einen blutigen Page-Turner-Thriller sondern einen klugen und interessanten Krimi mit symphatischen Ermittlern, die hartnäckig den Spuren folgen und sich trotz ihrer privaten Probleme nie von ihren Nachforschungen abbringen lassen.

Mir gefällt die Reihe ausnehmend gut und ich freue mich, wenn es hoffentlich noch mindestens einen weiteren Teil mit Salgado gibt.