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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.07.2018

unterhaltsames Sachbuch oder informatives Unterhaltunsbuch

Das Tage-Buch
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Heike Kleen ist ehrlich, so ehrlich, dass sie zuerst von ihrer eigenen Beklemmtheit das Thema Menstruation betreffend schreibt. Von der leiser werdenden Stimme, das Gefühl bloßgestellt zu werden und der ...

Heike Kleen ist ehrlich, so ehrlich, dass sie zuerst von ihrer eigenen Beklemmtheit das Thema Menstruation betreffend schreibt. Von der leiser werdenden Stimme, das Gefühl bloßgestellt zu werden und der Scham, die daran haftet. Um genau das geht es nämlich zuerst einmal. Um die Scham über die Regel, über einen natürlichen Prozess, dem sich die meisten Frauen auf die ein oder andere Art stellen (müssen). Woher kommt sie und was macht sie mit uns?
Viele Punkte waren mir vorher bekannt, andere haben mich überrascht und auch schockiert. Allein die Namen, die wir für „die Tage“ haben schwanken zwischen lächerlich, euphemistisch und beleidigend. Überhaupt kann die Menstruation schnell zum Knackpunkt werden. Dass eine Überhöhung des Phänomens genauso gefährlich ist, wie ein verschweigen, macht das Buch wunderbar klar. Diese Vielschichtigkeit an Blickwinkeln hat mich sehr überrascht und gefreut. Individuelle Zugänge ist hier das richtige Stichwort.
Heike Kleen folgt der Geschichte auch durch die Erfindung diverser Hilfsmittel wie Tampon, Binde und Menstruationstasse. Wie und wo sie entwickelt wurden, was ihre Vor- und Nachteile sind. Auch die Gefahren, die viele nicht kennen. Vergiftungserscheinungen, die durch Tampons entstehen genauso wie die Masse an Chemie, die gerade heute in diesen Produkten verarbeitet wird. Auch auf die Idiotie, dass Frauen auf etwas, dass sie oft monatlich benötigen aus einem natürlichen Prinzip heraus Luxussteuer zahlen müssen, wird dabei eingegangen und auf das immense Tabu, dass die Monatsblutung in einigen Ländern noch immer ist. Dort, wo Frauen für eine Woche aus der Gesellschaft verbannt werden, das Haus nicht verlassen dürfen oder sogar jegliche Kommunikation verwehrt wird, ist die Periode noch immer etwas Mysteriös-Gefährliches und dadurch auch die Frau selbst.
Gerade in den letzten Jahren ranken sich viele neue Vorstellungen um die Regel. Ein Teil davon kommt durch neue Methoden, das Blut aufzufangen. Heike Kleen hat in Selbstversuchen von Free Bleeding über Menstruationhöschen bis zur Tasse alles ausprobiert und gibt im Buch ihre persönlichen Erfahrungen wieder. Dahinter steckt auch viel Recherche zu den einzelnen Produkten, sodass ein tiefes und informatives Bild entsteht. Informativ sind auch die Kapitel zu PMS, Schmerzen bei der Menstruation und Mittel gegen die Blutung. Auch hier wird auf reelle Gefahren in Bezug zu hormonellen oder gar operativen Methoden fundiert eingegangen.
Neben der Fülle an Recherche und Auswertung kommt aber auch der Stil nicht zu kurz. Heike Kleen schafft es, einen amüsanten und gleichzeitig professionellen Zugang zum Thema zu schaffen. Dadurch wird Das Tagebuch zu einer Unterhaltungslektüre, aus der jede*r sehr viel mitnehmen kann. Tatsächlich habe ich beim Lesen des Buches auch immer wieder mit meinem Sohn geredet. Der hatte zum Ende der vierten Klasse das erste Mal Sexualkunde. Das passte und als er das Buch auf dem Couchtisch gesehen hatte und neugierig wurde, habe ich ihm erklärt, um was es geht. Was Menstruation ist, wusste er schon, dennoch konnten wir über viele Details und auch den Umgang mit der Blutung der Frau reden.
Ein Buch, dass ich darum nicht nur jeder Frau, sondern auch den Männern ans Herz lege. Es wird vieles erklären, bietet Möglichkeiten zum Gesprächsstoff und klärt einfach auf. Ein besonderer Tipp ist dieses Buch aus meiner Sicht auch für Jugendliche in der Pubertät, weil es vor allem Mädchen helfen kann, den eigenen Körper während einer seiner größten Veränderungen besser zu verstehen.

Veröffentlicht am 16.04.2018

Hat Chancen zum Lieblingsbuch

Eine Handvoll Lila
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Seit sie denken kann, lackiert Grace sich die Fingernägel Lila, ganz so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat. Ein sichtbares Zeichen ihrer konkurrenzlosen Verbindung, die Grace zu zerstören droht. Denn ...

Seit sie denken kann, lackiert Grace sich die Fingernägel Lila, ganz so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat. Ein sichtbares Zeichen ihrer konkurrenzlosen Verbindung, die Grace zu zerstören droht. Denn ihre Mutter hat den Tod des Mannes nie verkraftet, springt von Blüte zu Blüte und baut immer auf den Halt ihrer Tochter. Die aber hat genug eigene Probleme. Eigentlich will Grace nämlich nach ihrem Abschluss an der Musikschule studieren, Kilometer von ihrer Mutter entfernt, aber kann sie das überhaupt? Und was ist das mit Eva, dem Mädchen, das gerade erst ihre Mutter verloren hat, und das Grace einfach nicht aus dem Kopf geht.
Mutterkomplexe, genau mein Fall. Doch hier ist es die große Verantwortung des Kindes für das Wohlergehen der Mutter, das im Mittelpunkt steht. Wieviel kann eine Jugendliche tragen, ohne daran zu zerbrechen? Mit einer feinfühligen Psychologisierung geht der Roman dem Crescendo an Gefühlen, das sich in Grace zusammenbraut, auf den Grund. Zwischen Glück und Neid, Angst und Hoffnung spielt sich die ganze Bandbreite an emotionalem Gefälle ab.
Gelungen ist, dass dabei auch die Nebenfiguren einbezogen werden. Die alkoholkranke Mutter, die Grace gleichzeitig mystisch erhöht und mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit behandelt, der beste Freund, der Grace retten will, aber gleichzeitig seine eigene Geschichte aufarbeiten muss, und natürlich Eva, die verzweifelt Halt in der grotesken Einsamkeit der Mutterlosigkeit sucht. Es ist eine wunderbare Komposition, die zeigt, dass alles Hand in Hand geht und Regen nicht ohne Sonnenschein kommt.

Veröffentlicht am 02.03.2018

aktuelle Geschichte für Kinder greifbar gemacht

Malalas magischer Stift
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Malala erzählt ihre eigene Geschichte. Ohne den Anspruch, ein Sachbuch zu sein, spricht das Buch auch von Magie und Kraft in unserem Innern. Sie berichtet dabei von Kindheitserinnerungen und Anekdoten. ...

Malala erzählt ihre eigene Geschichte. Ohne den Anspruch, ein Sachbuch zu sein, spricht das Buch auch von Magie und Kraft in unserem Innern. Sie berichtet dabei von Kindheitserinnerungen und Anekdoten. Im Mittelpunkt steht der magische Stift, den Malala selbst aus einer Kinderserie kennt. Der Stift wird zur Metapher der Kraft der Gedanken und der eigenen Meinung.
Auf grandiose Art und Weise wird das komplexe reale Geschehnis heruntergebrochen zu einer Erzählung für Kinder. Indem aus Malalas Blickwinkel berichtet wird, ist die Sicht eine angenehm kindliche, die sich dennoch auf das Wichtigste konzentriert. Ein Gespräch mit dem Vater, Wünsche eines Kindes und das Unverständnis, dass Mädchen nicht in die Schule gehen dürfen. Mit einfachen Gedankengängen zeigt das Kinderbuch mehr Empathie und Vernunft, als so manches für Erwachsene.
Die Illustrationen dazu sind passend zum Text und erzählen mit. Malalas Zuhause, ihr Schulweg, ihre Träume. Ohne zu verkitschen oder auch zu trist zu wirken, ergänzen die Grafiken die Erzählung ideal. Auch hier dominiert der goldene Stift. Er kommt nicht nur zum Einsatz, wenn Malala träumt, sondern eben auch, wenn sie beginnt, zu schreiben. Diese Komposition finde ich sehr angenehm. Dass der Kopfschuss hier nicht explizit erwähnt, sondern lediglich angedeutet wird, passt zum Genre. Absolute Empfehlung.

Veröffentlicht am 28.02.2018

weiterhin eine starke Serie mit Spaß für alle

Miles & Niles - Jetzt wird's wild
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Nach zwei Schuljahren endlich einmal Sommerferien. Das haben Miles und Niles sich auch redlich verdient. Dass nicht nur ihr Erzfeind Josh Barkin, sondern auch sein Vater wieder eine wichtige Rolle spielt, ...

Nach zwei Schuljahren endlich einmal Sommerferien. Das haben Miles und Niles sich auch redlich verdient. Dass nicht nur ihr Erzfeind Josh Barkin, sondern auch sein Vater wieder eine wichtige Rolle spielt, erzeugt einen roten Faden durch die verschiedenen Bände. Gripps gegen Muckis, Freundschaft gegen Mobbing, sogar romantisch wird es diesmal. Miles und Niles entwickeln sich also weiter, was ich sehr toll finde. Viele Kinderbücher bleiben mit den ewig gleichen Charakteren stehen, hier geht es weiter.
Mit dem dritten Band der Reihe schließt sich nicht nur der Kreis zwischen den Schuljahren, sondern auch Miles endgültiges Ankommen in Yawnee Valley steht im Mittelpunkt. Während er im ersten Band selbst lernen musste, was ein richtiger Trickser ist und wie wichtig die tiefe Botschaft ist, wird er nun nicht nur zum Helden, sondern auch zum Meister dessen, was Niles ihm beigebracht hat. Auch hier wird der Bogen über die gesamte Reihe geschlagen. Fortsetzungen zu schreiben, die absolut für sich stehen können und dennoch einen Mehrwert für alle haben, die die ersten Bände kennen, ist nicht leicht. Hier wurde es geschafft.

Veröffentlicht am 07.11.2017

Packend, mit Botschaft

Das Erwachen
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Ein winziger Computervirus legt den Grundstein für ein globales Computernetzwerk, eine Maschinenintelligenz. Axel Krohn, Hacker mit einer gefährlichen Vergangenheit, ist längst auf der Flucht, als er erkennt, ...

Ein winziger Computervirus legt den Grundstein für ein globales Computernetzwerk, eine Maschinenintelligenz. Axel Krohn, Hacker mit einer gefährlichen Vergangenheit, ist längst auf der Flucht, als er erkennt, was er da versehentlich losgetreten hat. NSA, Polizei und Terroristen suchen ihn. Und bald auch die Maschinenintelligenz selbst, die die größte Bedrohung werden könnte, die die Menschheit je gesehen hat.
Der Thriller spielt in einer unweiten Zukunft, die einen leichten technischen Vorsprung hat. Mehr Technologie, fast nur noch selbstfahrende Elektrovehikel, mehr künstliche Intelligenzen. Dieser leichte Touch von Science-Fiction hat mir sehr gut gefallen und den Einstieg enorm erleichtern. Die Spannung wurde nicht forciert, wie ich es leider aus einigen anderen Thrillern kenne, sondern auch mal in Ruhephasen überlassen. Der Clou dabei: Es gibt mehrere Figuren, die vom auktorialem Erzähler betrachtet werden. Axel Krohn ist einer davon und für die Handlung wohl der wichtigste. Seien Begleiterin Giselle hat einige wenige eigenen Szenen, mehr im Fokus stehen dagegen der australische Ermittler Coogan und die Regierungsvertreterin Viktoria.
Die Mosaikteile der verschiedenen Geschichten laufen immer mehr miteinander zu, trennen sich teilweise wieder, um sich schließlich doch alle zu überschneiden. Dieser Aufbau hat mir gut gefallen und Aufmerksamkeit gefordert, so dass ich immer wieder Puzzleteile aneinanderfügen konnte. Die Erkenntnis kam in kleinen Happen, aber gerade das hat mir großen Spaß gemacht. Auch haben die unterschiedlichen Blickwinkel nicht nur individuelle Tendenzen gezeigt, sondern auch anderen Schwerpunkte gehabt. Schnell weiß der Leser mehr als die Figuren und ist doch auf der Suche nach der gleichen Lösung.
Natürlich haben das Setting und die Problematik des Buches auch ein Nachdenken über unsere eigene Situation bewirkt. Wie stark ist der „gläserne Mensch“ schon Wirklichkeit geworden und wie „normal“ finden wir das. Die Vorstellung einer Maschinenintelligenz war mir so plausibel wie die Reaktionen der unterschiedlichen Regierungen. Gleichzeitig fand ich die Skepsis der Menschen sehr gelungen. Wie viele bedienen sich tagtäglich elektronischer Geräte, mobiler Computer oder des Internets (uupps, das machen wir ja gerade beide), ohne wirklich zu wissen, was da abläuft, welche Mechanismen dahinterstecken. Damit meine ich keine Plattform-Algorithmen, sondern die einfache korrekte Anwendung, die für viele schon ein Problem ist. Alles entwickelt sich in einem rasanten Tempo, dem wir mit unserer Lernfähigkeit kaum hinterherkommen. Ich erinnere dabei gerne an das Wort „Neuland“ oder die Tatsache, wie wenige Menschen überhaupt wissen, was ein Buchblog überhaupt ist („Und was machst du da?“)
Das Schöne ist doch, wenn ein Buch mich so über mein tägliches Leben nachdenken lässt, gewinnt es für mich an Bedeutung und gleichzeitig erinnere ich mich in meinem täglichen Leben immer mal wieder an das Buch. In Das Erwachen verstehen die Figuren die Maschinenintelligenz sofort als gefährlich. Nicht nur, weil sie theoretisch die Menschheit sofort auslöschen könnte, da sie die Kontrolle über alle elektronischen Waffen hat, sondern, weil sie ihre eigene Existenz als unlogisch verstehen. Den Figuren ist durchweg klar, dass es hirnrissig ist, eine Welt künstlich in Regierungen zu unterteilen und sich gegenseitig zu bekriegen – und sie machen es trotzdem.
Gerade an diesem Beispiel zeigt der Roman, dass er nicht nur eine Möglichkeit technischer Entwicklung zeigt, sondern ihm eine Gesellschaftskritik zugrunde liegt. Und die Überlegung, dass die Vorstellungen in unseren Köpfen doch eigentlich absolut irrational und oft auf unser eigenes Verhalten abgestimmt sind, zeigt sich noch öfter. Eine der sinnigsten Erkenntnisse des Romans, auf die ich lange gehofft habe, ist für viele der Figuren eine absolute Überraschung und in der Leserunde war es das auch für viele der Leser. Mir hat sie vor allem gezeigt, wie ein großartiger Thriller, ein großartiger Roman aussieht, absolut stimmig, ohne erzwungene Spannung und mit wundervollen Sprachbildern.