Manchmal ist der Trostpreis der Hauptgewinn
Familie und andere TrostpreiseSonny führt ein ganz eigenes Leben. Es bleibt ihm mit seinen Neurosen und Phobien auch nicht viel anderes übrig. Sein Vormund Thomas ist für ihn sowohl Vaterfigur als auch bester Freund. Deshalb ist Sonny ...
Sonny führt ein ganz eigenes Leben. Es bleibt ihm mit seinen Neurosen und Phobien auch nicht viel anderes übrig. Sein Vormund Thomas ist für ihn sowohl Vaterfigur als auch bester Freund. Deshalb ist Sonny klar, dass er auf eine ganz spezielle Reise gehen muss, als er zu seinem 21. Geburtstag nicht nur die üblichen Geschenke (die er sehr liebt) bekommt, sondern fünf Briefe (ganz übel, wenn man an einer Umschlagphobie leidet), Cassetten mitsamt einem Abspielgerät und ein riesiges Vermögen – sein Erbe. Also macht er sich auf nach England und verknüpft die Suche nach seinen Wurzeln mit Schauplätzen aus seinem Lieblingsfilm „Shaun of the Death“. Je mehr er in die Vergangenheit reist, desto klarer wird ihm, wie seine Zukunft aussehen soll …
Nein, in diesem Buch ist nichts und niemand so, wie man selbst oder seine Nachbarn. Hier trifft man ausnahmslos auf Ausnahmeerscheinungen. Aber das ändert nichts daran, dass alles ganz genau so geschehen sein könnte! So irre vieles ist, so glaubhaft ist es dennoch.
Ein wenig schwer tat ich mich mit der Tatsache, dass sich Sonny an arg wenig aus seiner Kindheit erinnern kann. Das grenzt schon an eine Amnesie. Auch wundert es, dass er erst an seinem 21. Geburtstag auf die Idee kommt, mehr über sich selbst herauszufinden. Nie Fragen gestellt? Nie gewisse Menschen vermisst? Ich kann mir das nur sehr schwer vorstellen.
Dafür finde ich fast alle seine Schlüsse und Handlungen, die aus seinen Entdeckungen resultieren, sehr nachvollziehbar und oft auch bewundernswert. Die eine oder andere Entdeckung ist in meinen Augen Grund genug, Neurosen und Phobien zu entwickeln und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Sonny in seiner Zukunft ein paar davon wieder ablegen wird.
Seine Reise in die Vergangenheit ist gleichzeitig der Start in seine Zukunft. Das ist wunderbar gelungen und fühlt sich kein bisschen konstruiert an. Martine McDonagh hat für ihren Protagonisten eine männliche Figur gewählt und erzählt in der Ich-Form. Das ist ihr sehr gut gelungen. Seine Entwicklung, die natürlich sehr eng mit seiner Reise verknüpft ist, gefällt mir sehr gut. Trotz aller Änderungen bleibt er in wichtigen Punkten sich selbst treu und handelt auch in Extremsituationen nie überstürzt. Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit lässt sie den Leser Figuren mögen oder hassen, ohne dass sie das direkt schreibt. Ganz dezent beschreibt sie die Handlungen und überlässt dem Leser seine Wahl.
So entwickeln sich aus einem anfangs urkomischen, mit der Zeit dann aber immer ernster werdenden Roadtrip die Reise zu sich selbst und die Erkenntnis, was Familie bedeutet und ausmacht. Dass gute Menschen manchmal auch schlechte und schlimme Dinge tun, zeigt die Autorin hier ebenfalls. Auch wenn der Stimmungsumschwung einen kleinen Bruch in den Lesefluss bringt, mag man insgesamt gar nicht aufhören zu lesen. So still dieses Buch ist, so viel hat es zu sagen.
Ein sehr tiefgründiges Buch. Ganz ohne verschönernde romantische Verklärung. Teils knallhart - aber genau das macht es gut. Von mir gibt es dafür vier Sterne!