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Veröffentlicht am 25.07.2018

Halali

Waidmannstod
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bläst man zu Ehren verdienter Waidmänner und es wird auch hier zu Ehren des Toten, des 64jährigen Harro Probst von seinen Jagdgefährten geblasen.

Köstlich, abstrus, witzig und spritzig, dann wieder zutiefst ...

bläst man zu Ehren verdienter Waidmänner und es wird auch hier zu Ehren des Toten, des 64jährigen Harro Probst von seinen Jagdgefährten geblasen.

Köstlich, abstrus, witzig und spritzig, dann wieder zutiefst philosophisch - dieser Krimi trifft mich bis ins Mark, berührt jede Pore in mir. Schon lange habe ich mir einen Kommissar bzw. einen Krimi-Protagonisten gewünscht, der so tickt wie ich - und voilà - hier ist er nun: Daniel Voss, Einzelgänger und Rückkehrer in die alte Heimat.. Und ganz unverhofft ist er aufgetaucht!

Nicht, dass ich den Autor Maxim Leo bislang nicht kannte, nein, "Haltet Euer Herz bereit", seine Familiebiographie habe ich bereits mit großem Respekt und sehr gerne vor einigen Jahren gelesen, aber es hat mit nicht derartig vom Hocker gerissen, mir neue Lesefreuden offenbart.

Das ist dafür aber jetzt geschehen. "Wow"! Bin ich gelegentlich durchaus als humorlose Schachtel verschrien, fühle ich hier mein Humorverständis genau erkannt und getroffen.Und auch all meine anderen Ansprüche, die ich an Krimis stelle, werden befriedigt. Wenn es Daniel Voss "in echt" gäbe, würde ich versuchen, ihn kennenzulernen. Voss' Team ist originell und mit Wiedererkennungswert ebenso wie sein restliches Umfeld, das vor allem aus seiner pflegebedürftigen Mutter und deren polnischer Pflegerin Maja, die nur so vor Ideen sprüht, besteht. Dieser Krimi hat sooo viel - auch ein überraschendes, unverhofftes Ende..Und neben Humor jede Menge Tiefgang und Esprit.

Ich bin wunschlos glücklich - nein, nicht ganz: ich wünsche mir, dass aus diesem Band um den brandenburgischen Kommissar Daniel Voss eine Serie wird und zwar eine möglichst lange!

Veröffentlicht am 24.07.2018

Was dahinter steckt

Als wir unsterblich waren
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Die zurückgezogen lebende Ethnologie-Studentin Alex aus Ost-Berlin trifft in DER Wende-Nacht - richtig, am 9. November 1989- auf den westdeutschen Kommilitonen Oliver, einen Historiker, und lernt ihn sofort ...

Die zurückgezogen lebende Ethnologie-Studentin Alex aus Ost-Berlin trifft in DER Wende-Nacht - richtig, am 9. November 1989- auf den westdeutschen Kommilitonen Oliver, einen Historiker, und lernt ihn sofort lieben. Es hat sie so umgehauen, dass sie gleich mehrere Tage bei ihm verbringt, um ihn dann gleich mitzunehmen und ihn ihrer Großmutter, der geliebten Momi vorzustellen. Die erlebt bei seinem Anblick einen Schock, der noch größer wird, als Oliver seinen Familiennamen nennt...

Was steckt dahinter? Dem Leser werden die Augen geöffnet durch die Geschichte Paulas, einer jungen Sozialdemokratin vor, während und nach dem ersten Weltkrieg. Auch sie eine Berlinerin, lebt sie für ihre Zeit ausgesprochen unkonventionell - außer in ihrer unbegrenzten Liebe zum schönen Clemens. Der Leser taucht tief ein in Paulas Leben - und in die deutsche Geschichte, vor allem die der einfachen und nicht ganz so einfach Leute - eben der Bürger des ausgehenden Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Charlotte Roth erzählt so mitreißend, so lebendig, aber auch humorvoll, dass es quasi unmöglich ist, dieses Buch vor dem Ende - und auch dann nur sehr ungern - aus der Hand zu legen.

Was für ein Buch! Ich wünsche ihm, dass es auch noch in vielen, vielen Jahren gelesen wird, so historisch wichtig und unglaublich unterhaltsam, wie es ist. Die Charaktere waren mir beim Lesen unheimlich nah, ich liebte sie (Alex, Paula und Oliver), litt mit ihnen (Paula und vor allem Harry mit seiner unerwiderten Liebe.

Wer vor vielen, vielen Jahren wie ich durch Christine Brückners wunderbaren Roman "Jauche und Levkojen" aufgerüttelt wurde und ein neues Gefühl für Heimat, Geschichte und auch für Literatur entwickelte - dem wird auch dieses Buch ein Anstoß sein, sich mehr mit der "Vorzeit" - mit einer etwas früheren, aber für uns ebenso grundlegenden - zu beschäftigen, die Zusammenhänge zur Gegenwart sind einfach zu brennend und zu real, um sie zu ignorieren.

Ein Buch zum Immer-wieder-lesen, zum Vorlesen, zum Weitergeben (aber meines bleibt hier - für die beiden ersteren Aktionen) und vor allem: zum Verschenken, kurzum: Ein Buch fürs Leben! Wenn ich jemandem etwas richtig Gutes tun will, quasi mit Wohlfühlgarantie - dann werde ich ihm in Zukunft dieses Buch verehren! Ein Segen, dass es im Original als Taschenbuch erscheint, so ist es gleich möglich, es ganz, ganz weit zu verbreiten - so weit, wie es das verdient hat. Obwohl das meiner Ansicht nach erst nach einer Übersetzung ins Englische und vor allem ins Französische und Russische erst so richtig möglich wäre - es bleibt also, ganz, ganz fest die Daumen zu drücken für Autorin und Buch und natürlich die Werbetrommel zu rühren: Eine solch literarische Sensation darf auch den Nachbarn in unserem inzwischen so global gewordenen Europa nicht vorenthalten werden!

Veröffentlicht am 24.07.2018

Tic Tic Tourette

Sechs Millionen Kekse im Jahr
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oder: Wenn Körperteile ihren eigenen Kopf haben

Tourette: Ein Phänomen, über das ich schon viel gehört, ja sogar einen Roman - in "Motherless Brooklyn" von Jonathan Lethem spielt Tourette eine maßgebliche ...

oder: Wenn Körperteile ihren eigenen Kopf haben

Tourette: Ein Phänomen, über das ich schon viel gehört, ja sogar einen Roman - in "Motherless Brooklyn" von Jonathan Lethem spielt Tourette eine maßgebliche Rolle - gelesen habe. Aber jemand, der damit lebt, ist mir noch nie begegnet.

Bis jetzt: denn die Schilderung von Jessica Thom ist so lebendig, dass ich sofort das Gefühl habe, sie vor mir zu sehen! Ein eindringliches Buch, das ihren Alltag überaus eindrucksvoll schildert - Wie ergeht es ihr im Job ? Was hat sie alles so erlebt? Wie tic(t) sie? Wie ihre Freunde?

Nun, die Antworten darauf sind so faszinierend wie beeindruckend und haben mich vor allem verunsichert - verunsichert in meinem alltäglichen Verhalten gegenüber mir unbekannten, sich nicht 100%tig konform verhaltenden Personen. Jessica Thom beschreibt nämlich ein Dilemma, dem sie Tag für Tag aufs Neue ausgesetzt ist: Tourette ist ja ein sehr auffälliges Syndrom, das - wenn man es wie sie in seiner stärksten Ausprägung hat - nicht zu verbergen ist. Das heißt, Jessica begegnet Tag für Tag Menschen, die sich durch sie bzw. ihr Verhalten gestört oder gar belästigt fühlen, bestenfalls sind sie neugierig. Nein: allerbestensfalls sind sie mit der Krankheit vertraut und signalisieren ihre Solidarität, doch das geschieht nur selten - Tourette ist eben selten. Oft wird sie angefeindet - bspw. von einer alten Frau in der U-Bahn, die sie auffordert, die Schimpfwörter sein zu lassen und auf alle Erklärungen absolut uneinsichtig reagiert. Es gibt aber auch Fragen, wie die einer Mutter, die wissen möchte, was es mit Jessica auf sich hat, um es ihrer Tochter erklären zu können oder lässige Kommentare wie den eines Vaters, der auf den Spruch seines Sohnes "Die Frau spinnt" antwortet: "Sie spinnt nicht - sie bringt sich zum Ausdruck" (S. 59)

Das Buch ist witzig, den Jessica erzählt mit viel Selbstironie, es ist rührend, denn sie ist von einem ganzen Pulk Vertrauter umgeben, die Tag für Tag mit ihren Tics leben müssen und wollen und das ist alles andere, als leicht, kann es doch sein, dass wie im Falle ihrer Mutter, deren Hund gerade verstorben war und sie aus Jessicas Mund "Mummy hat den Hund getötet" vernehmen musste, eine höchst unsensible, natürlich unfreiwillige Reaktion erfolgt.

Das Jessica sich mit der für sie notwendigen Akzeptanz ganz wunderbar in den Alltag - wenn auch nicht in einen mit zu vielen Vorschriften - einfügen kann, zeigen Einblicke in ihr Berufsleben, ihr Leben mit Freunden und Familie.

Mich hat das Buch vor allem zum Nachdenken, zum Weiterdenken gebracht: würde ich - trotz meiner Beschäftigung mit diesem Thema - ein Tourette-Syndrom direkt erkennen. Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht. Ich würde mich, wie so viele andere, zunächst peinlich berührt abwenden und erst beim zweiten oder gar dritten Hinsehen bzw. Kontakt nachdenklich werden. Und könnte ich so sein wie Jessicas Familie, wie ihre Verwandten? Ich weiß es nicht, denn sie müssen ihr ganzes Leben - auch ihr Gefühlsleben auf Tourette einstellen - Jessica hat nicht nur sprachliche Tics, sondern auch körperliche, sie schlägt sich selbst bzw. bewegt sich unkontrolliert, was zu Verletzungen führen kann: Freundschaft und Familie bedeuten hier also permanenten Beistand.

Sie sehen, dieses Buch ist sehr bereichernd, dazu noch unterhaltsam - allein deswegen sei es von mir wärmstens empfohlen!

Veröffentlicht am 24.07.2018

Kinder des kalten Krieges

Winterkinder
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Das sind die Eltern des Autors Owen Matthews, die Russin und Sowjetbürgerin Ljudmila - Mila - Bobikova und der Brite und Waliser Mervyn Matthews, die sich in den 60er Jahren in Moskau begegnen. Eine ungewöhnliche ...

Das sind die Eltern des Autors Owen Matthews, die Russin und Sowjetbürgerin Ljudmila - Mila - Bobikova und der Brite und Waliser Mervyn Matthews, die sich in den 60er Jahren in Moskau begegnen. Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier ebenso ungewöhnlicher Menschen, eine mit einer Art von Happy End: aber mit keinem richtigen. Dies ist nämlich kein Roman, es ist die Familiengeschichte des Autors und wahre Geschichten sind bekanntlich zu verzweigt, zu vielschichtig, um einen klaren Anfang und ein klares Ende zu haben.

Stopp! Nein, falsch! Einen Beginn hat diese Geschichte durchaus, sie nimmt ihren Anfang in der Verhaftung von Boris Bibikow, Milas Vater, eines strammen Kommunisten der - fast - ersten Stunden, der wie so viele Opfer der stalinistischen Säuberungen wird. Und auch wieder nicht... genauso, wie sie mehrere Enden bzw. Ausgänge hat, hat sie auch mehrere Anfänge, so die Begegnung von Boris und Marta, den Großeltern des Autors.

Ein wirklich beeindruckendes, ein erschütterndes, ein aufklärerisches und dabei sehr privates Buch! Viel erfährt der Leser über die harten Zeiten des Stalinismus, in denen das Land quasi verhungerte, in denen jeder einfach nur versuchte, zu überleben: so auch Owen Matthews Tante mit dem ausgesprochen sowjetrussischen Vornamen Lenina, seine Mutter Mila und seine Großmutter Marta, die lange Jahre in der Verbannung lebte - getrennt von ihren Töchtern, die in Waisenhäusern aufwuchsen (Mila) bzw. für sich selbst sorgten (Lenina). Beide haben als Erwachsene trotzdem ein erfülltes Leben geführt: Lenina in einer glücklichen Ehe mit dem schönen, einbeinigen Sascha, Ljudmila als junge Wissenschaftlerin - bis sie durch die Begegnung mit und der Liebe zu Mervyn Matthews zu einer Gejagten, einer Wartenden wurde.

Nicht nur das Schicksal von Milas Familie wird geschildert, nein, auch die überaus ungewöhnliche Entscheidung des jungen, erfolgreichen Wissenschaftlers Mervyn Matthews aus einfachen Verhältnissen für ein - zumindest zeitweiliges - Leben in der Sowjetunion. Höchst ungewöhnlich für die 50er und 60er Jahre! Doch dann lernen sich die beiden kennen und lieben und wollen ihr weiteres Leben miteinander verbringen - ein unvorstellbarer, unrealisierbar erscheinender Wunsch. Wie es dann doch klappt - es ist einfach unglaublich!

Spannender als ein Krimi liest sich stellenweise dieses Buch, dann auch wieder sehr humorvoll und herzlich, denn - wie gesagt - geht es hier um die Familie des Autors. Einfach umwerfend die Beschreibung seiner mittlerweile leider verstorbenen Tante Lenina: "Sie ist eine große Frau mit einer kräftigen Stimme, und sie leidet an vielen, vielen, oft beinahe tödlichen Krankheiten, über die sie sehr gerne spricht. (S.23)

Oder auch sein scharfer, demaskierender Blick - Owen Matthews ist Journalist und offenbar ein sehr guter - auf Menschen im Russland der 1990er Jahre. Es geht um Swetlana Timofejewna, Oberstleutnant der Moskauer Kriminalpolizei - eine zufällige Beobachtung: "Sie war eine dieser untersetzten, unbesiegbaren russischen Frauen mittleren Alters, die wie Dobermänner in den Vorzimmern aller großen Männer Russlands lauerten, Kartenverkaufsschalter beherrschten und Hotelrezeptionen kommandierten."

Anrührend die Naivität der jungen Sowjetbürger wie auch die der jungen Westeuropäer in den 1960er Jahren verschiedene Aspekte, der eigenen wie auch - vor allem - der anderen, vollkommen fremden Kultur gegenüber. Hier verfügt der Autor über verlässliche Quellen: die Liebesbriefe der eigenen Eltern in fünf langen Jahren der Trennung, in denen sie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs aufeinander warteten - und - vor allem Mervyn - unermüdlich daran arbeiteten, eine Lösung herbeizuführen.

Ein wichtiges, dabei unglaublich unterhaltsames Dokument für die Zeit des kalten Krieges, das ich jedem, der auch nur einen Hauch von Interesse an der Geschichte des 20. Jahrhunderts hat, ans Herz lege!

Veröffentlicht am 24.07.2018

Widerstand und Verrat, Tod und (Über)leben

Alles, was ich bin
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Sie sind Mitglieder der USPD, also Sozialisten, in vielen Fällen auch Juden: Dora Fabian, Mathilde Wurm, Doras Cousine Ruth Wesemann/Becker und ihr Mann Hans sowie viele andere, allen voran der noch heute ...

Sie sind Mitglieder der USPD, also Sozialisten, in vielen Fällen auch Juden: Dora Fabian, Mathilde Wurm, Doras Cousine Ruth Wesemann/Becker und ihr Mann Hans sowie viele andere, allen voran der noch heute bekannte Ernst Toller, dessen "Eine Jugend in Deutschland" ich schon als Teenager verschlungen habe: das macht ihr Leben im nationalsozialistischen Deutschland so unerträglich, dass sie noch 1933 fliehen: in die Schweiz, nach Frankreich, aber vor allem nach Großbritannien, nach London. Hier werden Dora Fabian und Mathilde Wurm 1935 in Doras Wohnung tot aufgefunden - eine wahre historische Begebenheit - nicht die Einzige, die in dieser Geschichte zur Sprache kommt. Für mich ist dies ein Zeitzeugenroman, basierend auf wahren historischen Ereignissen - einiges wurde modifiziert, doch alles hat einen wahren Kern. So kommt bspw. die zweifelhafte Rolle des späteren NDR-Intendanten und Bundesverdienstkreuzträgers Hans Wesemann als Nazi-Agent und somit als Verräter zur Sprache. Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Ernst Toller und der von Ruth geschildert, zwei in ihrer Wahrnehmung sehr verschiedene, in ihren politischen Standpunkten jedoch sehr ähnliche Sichtweisen.

Wir sehen Dr. Ruth Becker nun in Australien , eine sehr alte und sehr kluge Dame - die gerade eine beunruhigende Diagnose erhalten hat. Doch sie nimmt sie eher gelassen an, kann sie doch auf ein bewegtes und nicht ungefährliches Leben zurückblicken, auf die Zeit der Machtergreifung Hitlers und der Zeit davor, als sie und ihre Familie fleißige Synagogenbesucher waren, auf ihre Cousine Dora - die, wie auch der Rest der Familie, nicht überlebt hat - wir erleben ihre Sicht also in Form von Rückblicken. Toller hingegen spricht aus dem Jenseits, in das er sich bereits 1939 freiwillig verabschiedet hat.

Ein sehr atmosphärischer und aufschlussreicher Roman mit einigen - durchaus erträglichen - Längen, die offenbar dem Spagat zwischen Roman und historischer Realität geschuldet sind, mit denen die Autorin sehr verantwortungsvoll und einfühlsam umgeht. Mich erstaunt, dass eine Australierin so lebendig über Nazideutschland schreiben kann, aber möglicherweise ist dieses Erstaunen auch nur irgendwelchen Vorurteilen meinerseits geschuldet. Auf jeden Fall ein empfehlenswerter Roman, der den Leser bereichert dadurch, dass er sowohl aufschlussreich als auch lehrreich ist.