Profilbild von Fornika

Fornika

Lesejury Star
offline

Fornika ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Fornika über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2018

Geht unter die Haut

Tausend strahlende Sonnen
0

Nach dem Tod ihrer Mutter wird Mariam mit dem sehr viel älteren Raschid verheiratet. Mit gerade einmal 15 Jahren muss sie ihm nicht nur eine gute, sprich gehorsame Ehefrau sein, sondern auch mit dem Verlust ...

Nach dem Tod ihrer Mutter wird Mariam mit dem sehr viel älteren Raschid verheiratet. Mit gerade einmal 15 Jahren muss sie ihm nicht nur eine gute, sprich gehorsame Ehefrau sein, sondern auch mit dem Verlust ihrer Mutter und dem Umzug in die Stadt Kabul fertig werden. Dort spürt man die politischen Umbrüche und Konflikte hautnah. Nur wenige Häuser weiter wächst Laila auf, die noch eine große Rolle in Mariams Leben spielen soll.

Khaled Hosseini hat mich mit seiner Geschichte über die zwei so unterschiedlichen Frauen wirklich sehr beeindruckt. Einerseits berichtet er von dem traurigen Schicksal der beiden, andererseits lässt er auch viele Infos über politische Gegebenheiten und Hintergründe einfließen. Diese Mischung geht nicht nur unter die Haut, sondern lässt einen auch viel Neues erfahren, was mir sehr gut gefallen hat. Die zwei Frauen könnten unterschiedlicher fast nicht sein, was natürlich auch an ihrer Herkunft liegt. Mariam wächst fast isoliert in der Provinz auf, Laila bei sehr weltoffenen Eltern in der Großstadt. Dass trotzdem beide unter der Fuchtel eines tyrannischen Mannes landen, ist umso bitterer und zeigt wie wenig Möglichkeiten Frauen in dieser Zeit geboten waren: keine nämlich. Die Verachtung, Gewalt gegen und auch die Hilflosigkeit der Frauen selbst zeigt der Autor schonungslos, viele Szenen sind unglaublich grausam und doch leider sehr authentisch. Da die Erzählperspektive zwischen den beiden wechselt, kann man die Gedanken und Gefühle beider gut nachvollziehen. Der Autor beschreibt aber nicht nur die Figuren, sondern auch ihre Umgebung sehr plastisch, sodass man Kabul und die Heimat der beiden sehr bildlich vor Augen hat. Er trifft immer den richtigen Ton, sodass schonungslos erzählt, aber nicht überdramatisiert wird. Ein kritischer und ergreifender Roman, der noch lange nachwirken wird.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Kindheitstraum

Charlie and the Chocolate Factory
0

Charlie Bucket lebt mit seiner Familie in bitterster Armut. Sein jährliches Highlight ist die geburtstägliche Tafel Schokolade aus der Fabrik von Willy Wonka. Die liegt in Sichtweite von Charlies Zuhause, ...

Charlie Bucket lebt mit seiner Familie in bitterster Armut. Sein jährliches Highlight ist die geburtstägliche Tafel Schokolade aus der Fabrik von Willy Wonka. Die liegt in Sichtweite von Charlies Zuhause, könnte aber nicht weiter entfernt sein, denn niemand darf hinein. Bis Mr Wonka eines Tages goldene Tickets unter die Menschheit bringt; goldene Tickets, die einen ganzen Tag lang Aufenthalt in der verrückten Firma versprechen. Und Charlie? Der findet eines davon…
Ich gebe ja zu die Geschichte vor allem durch ihre Verfilmungen zu kennen, höchste Zeit also auch die Originalstory nachzuholen. Enttäuscht wurde ich nicht. Dahls Erzählung über den genialen, exzentrischen, schwarzhumorigen und sehr witzigen Wonka hat mich wirklich begeistert. Seine Firma ist ein Kuriosum und ein Paradies für Naschkatzen. Das eine oder andere hätte ich gerne selbst probiert. Die Figuren sind kindgerecht, trotzdem hat man auch als Erwachsener seine Freude daran, ebenso am Erzählstil. Der ist einfach gehalten, aber trotzdem mit einem feinen Witz versehen. Sehr schön sind auch die Illustrationen aus der Feder von Quentin Blake, der Dahls Vorlage ganz wunderbar mit Zeichnungen untermalt. Eine rundum gelungene Geschichte also, die dem berühmten Schlaraffenland Konkurrenz macht. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 18.06.2018

Ganz großes Kino

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
0

June ist gerade einmal 15 als ihr Onkel Finn an AIDS stirbt. Der Finn, der ihr die Sonntage versüßte. Der Finn, der als Einziger in der Familie ihre Leidenschaft für das Mittelalter verstand, mit dem sie ...

June ist gerade einmal 15 als ihr Onkel Finn an AIDS stirbt. Der Finn, der ihr die Sonntage versüßte. Der Finn, der als Einziger in der Familie ihre Leidenschaft für das Mittelalter verstand, mit dem sie Streifzüge durch das New York der 80er Jahre machte, mit dem sie lachte und weinte. Und in den sie heimlich verliebt war. Auch Finn war verliebt. In Toby. Eine Liebe, von der June nichts wusste.

Ich bin sonst für gefühlsduselige Coming-of-Age-Romane so gar nicht zu haben. Doch dieser Roman hat mich voll erwischt. Eben weil er gefühlvoll ist ohne gefühlsduselig zu sein. Und weil er zwar von einem Teenager handelt, aber eben ohne den YA-Stempel aufgedrückt zu bekommen. Brunt hat eine sehr rührende, traurige, aber gleichzeitig kraftvolle Geschichte rund um June und ihre Familie geschrieben. June ist ein etwas seltsames Mädchen, eine Einzelgängerin, die sich nicht gut in die breite Masse ihrer Altersgenossen einfügen kann. Die einem aber trotz ihrer Eigenheiten schnell sympathisch ist. Finn stirbt nach Kapitel eins und doch hat man das Gefühl, dass er June, Toby und den Leser noch sehr lange begleitet. Ich war direkt etwas traurig ihn nicht persönlich gekannt zu haben, so sympathisch und faszinierend ist seine Figur. Aber auch Toby mochte ich sehr gerne, den man gemeinsam mit June neu kennen lernt.
Die Autorin schreibt sehr einfühlsam und poetisch, unendlich große Trauer und Melancholie ziehen sich durch die Geschichte, die trotzdem auch unglaublich fröhliche Momente hat. Dabei wirkt nichts davon aufgesetzt, sondern alles sehr echt. Ihre Art mit den großen Themen Verlust und Tod umzugehen, aber auch mit der Stigmatisierung HIV-Erkrankter in jener Zeit, hat mich sehr beeindruckt. Ein wundervoller Roman, der mit leisen Tönen doch eine durchdringende Botschaft verbreitet. Und eine Autorin, die sich schnell in mein Leserherz geschrieben hat.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Vom Professor zum Ermittler

Corpus (Ein Thomas-Wilde-Roman 1)
0

1936 hält Europa den Atem an: in Spanien tobt ein Bürgerkrieg, in Deutschland regieren die Nazis mit harter Hand, und in England sieht man sich ebenfalls in einer Krise, will doch der König allen Ernstes ...

1936 hält Europa den Atem an: in Spanien tobt ein Bürgerkrieg, in Deutschland regieren die Nazis mit harter Hand, und in England sieht man sich ebenfalls in einer Krise, will doch der König allen Ernstes eine Geschiedene ehelichen. In Cambridge wird das Leben des Geschichtsprofessor Thomas Wilde ebenfalls erschüttert; Nancy, eine alte Freundin seiner geschätzten Nachbarin Lydia wird tot aufgefunden. Was auf den ersten Blick wie ein Selbstmord durch eine Überdosis aussieht, sorgt bald bei Lydia und Thomas für Zweifel.

Ich hatte von Rory Clements bisher noch nichts gelesen (sollte ich dringend nachholen), der Klappentext von Corpus hat mich jedoch sofort angesprochen. Enttäuscht wurde ich nicht. Corpus ist ein sehr lesenswerter Historien-/Polit-/Spionagethriller, der mich schon nach den nächsten Bänden schielen lässt. Thomas und Lydia sind ein interessantes Paar. Er, Amerikaner an einer britischen Eliteuni, verwitwet und mit seinem Außenseiterlos mittelmäßig zufrieden. Sie, Herausgeberin von Lyrikbänden, Single und ein unangepasster Freigeist. Ich mochte beide sofort und bin ihnen gerne durch die Geschichte gefolgt. Die entwickelt sich sehr spannend, sowohl die historischen Entwicklungen als auch die fiktiven sind mehr als brisant. Der Autor versteht es ganz hervorragend, diese zu verknüpfen und eine fesselnde Geschichte zu stricken. Der Schreibstil ist locker und flüssig, sodass manch trockener politischer Hintergrund trotzdem sehr gut zu lesen ist.
Corpus hat mir ausnehmend gut gefallen, ein spannender Politithriller, der mich an den Seiten hat kleben lassen.

Veröffentlicht am 09.04.2018

Purer Lesegenuss

Die letzte Reise der Meerjungfrau
1

„Sie denken an uns, selbst wenn wir weit weg sind. Sie bilden sich ein, uns zu sehen. Sie erzählen sich Geschichten über uns“.
Geschichten hat Jonah Hancock natürlich schon über Meerjungfrauen gehört. ...

„Sie denken an uns, selbst wenn wir weit weg sind. Sie bilden sich ein, uns zu sehen. Sie erzählen sich Geschichten über uns“.
Geschichten hat Jonah Hancock natürlich schon über Meerjungfrauen gehört. Umso größer die Überraschung, dass sein Handelsschiff mit einer echten Meerjungfrau von der großen Fahrt zurückkehrt. Während er noch darüber nachsinnt, wie er den Verlust der teuren Anschaffung auch nur ansatzweise bereinigen kann, steht auch die junge Angelica Neal vor Geldsorgen. Bisher hat sie ihr Leben als Liebchen eines reichen Mannes bestritten, nur hat der leider unlängst ins Gras gebissen.

Was habe ich diesen Roman genossen! Die junge Autorin hat mit ihrem Debut mein Leserherz gewonnen und das liegt nicht nur an der außergewöhnlichen Geschichte, sondern auch an ihrem Erzählstil. Das 18te Jahrhundert wird in kräftigsten Farben gemalt, die Beschreibungen geben ein dreidimensionales Bild ab und ich habe mich sehr schnell in Hancocks Büro heimisch gefühlt, in Angelicas Wohnung vom Obst genascht oder in Mrs. Chappells Bordell die Dekadenz bestaunt. Die Autorin lässt sich Zeit eine stabile Atmosphäre aufzubauen, so dass sich die Geschichte langsam und natürlich entwickeln kann. Ich brauche keine actionlastige Story, wer da einen anderen Geschmack hat, dem wird die letzte Reise der Meerjungfrau nicht stürmisch genug sein; für mich war das Tempo perfekt. Sehr gut gefallen haben mir auch die Charaktere, die bei weitem keine 08/15-Pappkameraden waren. Der Fokus liegt mal auf Jonah, mal auf Angelica, was Einblicke in zwei völlig unterschiedliche Lebensweisen jener Zeit bringt. Die beiden sind grundverschieden und gerade diese Gegensätze machen den Reiz aus (was Jonah manchmal an Energie fehlt, hat Angelica wiederum im Überfluss). Gemocht habe ich beide, auch wenn so jeder seine Fehlerchen hat. Aber nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch kleine Nebendarsteller (ich liebe Hancocks Nichte Sukie) haben sich sehr gut ins Gesamtbild eingefügt, sodass die Geschichte sehr rund geworden ist. Die Meerjungfrau bleibt ein mysteriöses Kuriosum, und als Leser wird die eigene Fantasie immer wieder mit einem durchgehen. Obwohl oft in Geschichten thematisiert, hat die Autorin diesen Wesen doch noch ein neues Gesicht verpassen können. Die Handlung entwickelt sich unvorhersehbar, ist manchmal spannend, oft auf feine Art und Weise witzig und schlägt doch auch ernste Töne an. Rundum gelungen also.
Mir hat dieser Roman ausnehmend gut gefallen und ich bin sehr froh, dass die Autorin bei ihrer Tätigkeit im Britischen Museum über eine „echte“ Meerjungfrau gestolpert ist und so zu diesem Roman inspiriert wurde. Was hätten wir ansonsten für eine gute Story verpasst ; )

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Atmosphäre
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere