Eine Mischung aus grausamer Kriegsgeschichte, Zombieapokalypse und Lovecraft-Stil.
"Obwohl er ein außerordentlicher, ja nahezu übernatürlich begabter Chirurg war,
ein biomedizinischer Fachmann und ein Wunderkind der Wissenschaft,
galt Wests Besessenheit von jeher nicht den Lebenden, ...
"Obwohl er ein außerordentlicher, ja nahezu übernatürlich begabter Chirurg war,
ein biomedizinischer Fachmann und ein Wunderkind der Wissenschaft,
galt Wests Besessenheit von jeher nicht den Lebenden, sondern den Toten:
der Wiederherstellung von abgestorbenem Gewebe, genauer gesagt der Reanimation menschlicher Gebeine."
(S. 9)
Zombieapokalypse m al anders, denn hier ist kein Virus der Grund, weshalb sich die Toten erheben und geifernd durch die Gegend torkeln, sondern die wahnsinnigen Experimente eines Doktors. Sein Name - Herbert West.
Liebhaber von H.P. Lovecraft-Romanen hatten mit ihm eventuell schon durch die Novelle "Reanimator - Der Wiedererwecker" das Vergnügen. Tim Curran spinnt die Sache weiter, bzw. lässt er sie wieder auferstehen - wie Herbert West die Toten.
Wir schreiben das Jahr 1815 und der Erste Weltkrieg ist im vollem Gange. Mit Creel, einem amerikanischen Journalisten und Kriegsberichterstatter begeben wir uns nach Flandern. Er hat sich dem 12. Bataillon der Briten angeschlossen, um hautnah über den Krieg zu berichten.
Durch ihn gelangen wir auf die blutigen Schlachtfelder und lernen wahre Grausamkeit kennen - zerfetzte und verstümmelte Leichen egal wohin das Auge reicht, Giftgasangriffe und deren Auswirkungen und Ratten, die selbst vor den Lebenden nicht Halt machen. Immer mehr wird er in den Strudel des Krieges und der einhergehenden Grausamkeiten und Schrecken hinab gerissen und doch ist dies nicht mal annähernd das Erschreckendste, denn - die Toten erheben sich.
Man liest hauptsächlich aus Creels Sicht, jedoch wird diese vereinzelt durch Gedanken eines Kriegsarztes unterbrochen, der lange unbekannt und ohne Namen bleibt. Dieser arbeitet, mehr oder weniger freiwillig, mit Dr. West zusammen. Man erhält dadurch Einblick in das provisorische Kriegslabor des Doktors und dort geschieht Unaussprechliches. Er züchtet in Frankenstein-Manier Wesen aus Leichenteilen und in einem riesigen Bottich scheint das Böse selbst vor sich hinzuköcheln.
Lange Zeit hat man eher das Gefühl ein Kriegstagebuch zu lesen, da der Autor sich hauptsächlich auf die Grausamkeiten des Krieges konzentriert. Dies jedoch in sehr atmosphärischer und eindringlicher Weise.
Er lässt Bilder im Kopf entstehen, die einem an den Schrecken des Ersten Weltkrieges teilhaben lassen und man spürt regelrecht wie sich das Kriegstrauma in den Soldaten entwickelt und sie verändert und hört die Granaten neben sich einschlagen. Die Atmosphäre wurde also hervorragend eingefangen, ist durchgehend düster und wird zunehmend unheimlicher.
Auch bezüglich des Schreibstils bin ich begeistert. Dieser ist flüssig und äußerst bildhaft, trägt aber auch durchaus lyrische Züge, welche man sich nur zu gerne voller Genuß auf der Zunge zergehen lässt.
"Dann kehrte Stille über der gesamten Ödnis ein - erwartungsvolle Stille;
unförmige Schemen schwebten suchend umher, wisperten einsam und keuchten gepresst wie von Erde beschwert.
Hier nämlich herrschte ewige Geisterstunde,
und das grinsende Klüngel der Grabschatten zog wie der Wind im Oktober durch einen düsteren Kirchhof,
ihr Atem ein Seufzen wie aus verregneten Grüften."
(S 106)
Trotz dieser vielen positiven Aspekte, wartete ich doch voller Ungeduld, dass endlich mal etwas passiert und damit meine ich keinen Bombenhagel oder andere Schrecken des Krieges. Ich wartete auf die Zombies, die Monster, die Wiedererweckten. Diesbezüglich muss man sich bis zur Mitte des Buches nämlich gedulden.
Bis dahin gibt es nur lose Andeutungen, ein Verdacht, dass dort draußen auf dem Schlachtfeld etwas lauert und eben die wenigen Einblicke in die Sicht des unbekannten Arztes.
Ab der Mitte des Buches nimmt dann der Horror Einzug - langsam und bedächtig, sich mit jeder lesenden Seite steigernd, um schließlich mit einer Flut an missgestalteten Toten zu enden.
"Jetzt bemerkte er es, hörte sie ganz deutlich: Essgeräusche.
Zähne, die in Fleisch bissen und über Knochen schabten;
zu laut für Ratten. Das es Hunde waren, glaubte er nicht.
Fremde Wesen dort draußen, die Nahrung gefunden hatten,
Völlerei betrieben, unsäglichen Hunger stillten."
(S. 81)
Das Ende selbst mag für manche unbefriedigend erscheinen, ist es doch ein typisches Lovecraft-Ende. Es handelt sich also um ein mehr oder weniger offenes, unklares Ende, welches gewisse Zweifel bezüglich der wahren Gründe hinterlässt, sowie ein Gefühl, dass der Horror und Grusel noch nicht ausgestanden ist.
Fazit:
Mich konnte der Autor vor allem durch seinen atmosphärischen und äußerst plastischen Schreibstil von sich überzeugen, welcher trotz der Thematik vereinzelt lyrische Züge enthält. Hier hält man sozusagen einen modernisierten Lovecraft in den Händen.
Auch wenn es mir etwas zu lange dauerte bis die Wiedererweckten auftauchten, so bin ich, als Lovecraft-Fan, von dieser Story begeistert.
Das war definitiv nicht mein letzter Curran.
© Pink Anemone