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Veröffentlicht am 20.09.2018

Jede Familie hat ihre Geheimnisse

Liebe und Verderben
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Für mich war es das erste Buch der Autorin. Ich kannte zwar ihren Namen und vom Titel her auch eines ihrer Bücher, allerdings kam sie für mich als Lektüre bisher nicht in Frage, weil es eigentlich nicht ...

Für mich war es das erste Buch der Autorin. Ich kannte zwar ihren Namen und vom Titel her auch eines ihrer Bücher, allerdings kam sie für mich als Lektüre bisher nicht in Frage, weil es eigentlich nicht mein bevorzugtes Genre ist. Dieses Buch hat mich mit dem Klappentext und einer Leseprobe angesprochen. Das Thema um die Familie, die mit den Problemen des im Vietnamkrieg gefangengenommenen Vaters zurechtzukommen muss, in einer Zeit, die ich nur von Fotos und aus Erzählungen kenne, hat mich sofort angesprochen und neugierig gemacht. Das die Geschichte in Alaska spielt, einem Sehnsuchtsland für mich und viele Andere, war natürlich auch ausschlaggebend.


Diese Sehnsucht nach Alaska, das zur damaligen Zeit viele Aussteiger und Suchende angezogen hat, ist im ganzen Buch sehr präsent. Die Autorin beschreibt Orte, Landschaft und Bewohner mit so viel Liebe und Authentizität, dass man als Leser das Gefühl hat mitten unter ihnen zu leben. Großartig!
Die Figuren sind klar gezeichnet, versehen mit liebevollen Details, gut charakterisiert. Der Leser baut sofort Sympathien auf und wird dadurch emotional in die Geschichte eingebunden. Man nimmt Anteil am Schicksal von Leni und ihrer Familie.

Leni, die Tochter von Cora und Ernt, ist recht verloren als sie 1974 in Alaska ankommt. Dadurch das ihre Eltern bis dahin ziemlich rastlos gewesen sind, konnte sie nie irgendwo wirklich heimisch werden und Kontakte knüpfen. Bedingt durch das Trauma ihres Vaters, das zur damaligen Zeit noch nicht wirklich als solches anerkannt und behandelbar war, ist ihr Leben nicht wie das anderer Kinder ihres Alters, sie fühlt sich immer als Außenseiter und ist dementsprechend einsam. Die ganze Familie hofft darauf, dass Alaska ihr Leben verändern wird und die Familie, vorallem der Vater, hier endlich wieder glücklich sein kann.
Man liest im Buch den Satz - Alaska bringt das Beste in einem Menschen zum Vorschein, aber auch das Schlechteste - und genau das muss auch Leni leider erkennen, den mit der Düsternis und der Einsamkeit des Winters kommen auch die Dämonen zum Vorschein, die ihren Vater nach seinen Erfahrungen im Krieg verfolgen.

Emotional aufwühlend erzählt die Autorin vom harten Alltag der Familie, vom auf und ab der Gefühle, je nach dem in welcher Stimmung der Vater gerade ist, von bedingungsloser Liebe, von Hörigkeit, von emotionaler Abhängigkeit, von psychischem Verfall. Erschreckend schildert sie die häusliche Gewalt, die vom Vater ausgeht und die unzureichenden Möglichkeiten für Leni und ihre Mutter, Hilfe zu bekommen. Unvorstellbar für uns heute, damals Alltag. Sie erzählt aber auch von Freundschaft, Hilfsbereitschaft, der ersten Liebe, vom Erwachsenwerden und davon seinen eigenen Weg zu finden.

Die Autorin hat es bis kurz vor Schluss geschafft mich voll mitzunehmen, dann ist sie aber doch noch ins romantische Genre abgebogen, das eigentlich nicht so meins ist, trotzdem war ich auch hier emotional dabei und stellenweise zu Tränen gerührt. Dann hatte ich allerdings stark das Gefühl, die Autorin möchte auf den letzten Seiten noch möglichst viel unterbringen, man wurde fast durch die letzten Ereignisse gehetzt, die für mich etwas To much waren, aber sicher dem Stil der Autorin entsprechen.

Das Buch war aufgrund der Geschichte, dem spürbaren Zeitgeist und dem Stil der Autorin definitiv ein Leseerlebnis für mich und bekommt so am Ende volle Punktzahl. Das Finale hat mich zwar stark an Forrest Gump erinnert, ist jetzt nicht zu 100% meins, wird die Fans der Autorin aber mit Sicherheit voll überzeugen.

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  • Cover
  • Geschichte
  • Erzähstil
  • Charaktere
  • Gefühl
Veröffentlicht am 01.09.2018

Big Brother 4.0

Die Hochhausspringerin
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Was für eine zutiefst verstörende Zukunftsvision. Wenn das die schöne neue Welt ist von der Alle träumen, dann möchte ich nicht in ihr leben.

Als vor Jahren die erste Folge von Big Brother lief ging ein ...

Was für eine zutiefst verstörende Zukunftsvision. Wenn das die schöne neue Welt ist von der Alle träumen, dann möchte ich nicht in ihr leben.

Als vor Jahren die erste Folge von Big Brother lief ging ein Aufschrei durch die Massen. Der Großteil der Leute war begeistert, der Voyeur im Menschen kam zum Vorschein und Datenschützer liefen Sturm gegen das Format der 24 Stunden Überwachung. Die Möglichkeit zu beobachten und an jeder Minute im Leben anderer Personen teilhaben zu können fasziniert. Aber möchte ich das?

Die Figuren im Buch leben unter ständiger Beobachtung, ja eigentlich Überwachung. Alles wird aufgezeichnet, gespeichert und analysiert. Der Arbeitgeber kann nicht nur auf Daten den Job betreffend zugreifen, sondern hat auch Einblick in den allgegenwärtigen Fitness Tracker, oder persönliche digitale Daten. Alles ist einsehbar, vom Schlafpensum, über den Alkoholkonsum, bis hin zu den besuchten Seiten im Internet und dem Finanzscore. Der gläserne Mensch ist hier schon lange Realität, und sollte dem Chef nicht gefallen was er sieht, drohen Konsequenzen.

Die Autorin beschreibt in ihrem Buch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Einen leben in Randgebieten, den sogenannten Peripherien, unter schlechten klimatischen Bedingungen, schmutzig, heruntergekommen, ohne Perspektiven. Den Bewohnern ist der Weg in die "besseren" Bezirke versperrt, ausser für bestimmte Arbeiten, oder durch besondere Talente, die in sogenannten Castings mit viel Tam Tam gesucht werden. Über die genauen Verhältnisse an diesen Orten erfährt der Leser nicht viel. Generell gibt die Autorin keinen Einblick in die Entwicklungen, die zu dieser Gesellschaftsform geführt haben. Sie konzentriert sich mit der Geschichte ganz auf die direkten Geschehnisse um die Hauptfiguren.

Das Gefühlschaos der Hauptfigur wird sehr klar dargestellt, man kann den steigenden Druck spüren, ebenso die Verzweiflung und den Wunsch allen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Zukunftsvision der Autorin ist sehr kalt, emotionslos, technisiert, standardisiert. Was für die Figuren im Buch das Ideal darstellt, ist für den Leser der blanke Psychoterror. Die totale Kontrolle.

Der unaufgeregte, klare Stil der Autorin trägt ganz maßgeblich dazu bei, die Atmosphäre des Buches auf den Leser zu übertragen und unterstreicht die Wirkung der Charaktere. Er passt zur Sterilität der Lebensumstände die beschrieben werden, zur Perfektion, die der Mensch glaubt erreicht zu haben.

Starke Parallelen zeigt das Buch zu "1884" und "Qualityland". Anders als in viele bekannten Dystopische kommt es in diesem Buch nicht zu einer Auflehnung gegen das System, eher im Gegenteil. Die Hauptfigur ergeht sich am Ende in Resignation, zu festgefahren ist sie in den Zwängen der Gesellschaft.
Das Buch erzählt vom Drang des Menschen nach Optimierung, dem Wunsch ein Ideal zu erreichen, Teil einer funktionierenden Gemeinschaft zu sein. Es erzählt aber auch vom Verlust der Individualität, der Eigenständigkeit, der Selbstbestimmung und natürlich der Privatsphäre. Ein Buch das nachdenklich macht, sprachlos, teilweise wütend und am Ende fassungslos .
Wenn das die angestrebte Perfektion ist, dann bin ich aus Überzeugung und vollstem Herzen unperfekt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
  • Idee
Veröffentlicht am 16.08.2018

Moderne Gedichte

Ungestüme Dreistigkeiten
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Ich weiß gar nicht wann ich das letzte mal Gedichte gelesen habe, vor diesem Buch. Natürlich in der Schule, die bekannten Dichter, und teilweise sind sogar noch einige Zeilen im Gedächtnis geblieben.

Später ...

Ich weiß gar nicht wann ich das letzte mal Gedichte gelesen habe, vor diesem Buch. Natürlich in der Schule, die bekannten Dichter, und teilweise sind sogar noch einige Zeilen im Gedächtnis geblieben.

Später dann eher unbewusst, am Rande, als Bestandteil von anderen Büchern.

Jannik Richter schreibt keine Gedichte im klassischen Stil, also nichts Schweres mit unzähligen Strophen. Er schreibt modern, leicht, flott, humorvoll, direkt, aber auch tiefsinnig und zum Nachdenken anregend. Teilweise Pointen so treffsicher wie ein Geschoss.
Der Stil hat mich oft an Heinz Erhardt und Loriot erinnert.

Die im Buch enthaltenen Gedichte decken ein breites Themenspektrum ab und sind dem folgend in verschiedene Kapitel eingeteilt.

Das Buch ist optisch sehr schön gestaltet. Dafür sorgen auch die Illustrationen von Lea Weil. Eine kleiner Minuspunkt für mich persönlich - ich hätte es lieber als Hardcover gesehen. Gerade Gedichtbände nimmt man ja gerne wieder und wieder zur Hand und blättert sie durch, da nutzt sich ein Taschenbuch doch schnell ab finde ich. Aber das ist meckern auf hohem Niveau und wird ja vielleicht bei einer späteren Ausgabe umgesetzt.

Veröffentlicht am 05.08.2018

Wunderbares Kopfkino

Die wundersame Erkundung der Farbe Moll
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Über das Äußere eines Buches verliere ich eher selten ein paar Worte. In diesem Fall allerdings ist es mir wichtig.

Der Acabus Verlag hat hier wirklich ein Kleinod geschaffen. Ein zartes, kleines Buch, ...

Über das Äußere eines Buches verliere ich eher selten ein paar Worte. In diesem Fall allerdings ist es mir wichtig.

Der Acabus Verlag hat hier wirklich ein Kleinod geschaffen. Ein zartes, kleines Buch, ein Handschmeichler wie ich finde. Passend zum Inhalt ist der Einband mit einer Aquarell Landschaft gestaltet, die ebenfalls den Schutzumschlag ziert. Ein Buch das man gern zur Hand nimmt, durchblättert und sich einzelne Textpassagen mit dem Lesebändchen markiert.

Die Kunst, die man auf dem Cover schon entdeckt, zieht sich als wichtiger Bestandteil durch die Geschichte. Die Vermischung zweier künstlerischer Ausdrucksformen, der Literatur und der Malerei, ist der Autorin ausgesprochen gut gelungen. Das Werk eines real existierenden Malers ist gekonnt in die Geschichte um ihre fiktiven Figuren eingesponnen.

Der Leser hangelt sich mit den beiden Protagonisten Ben und Mona anhand der Gemälde durch die Handlung und die wunderbar plastisch beschriebenen Orte. Die Autorin beschreibt sie eindrücklich und macht Lust darauf sie zu entdecken. Ich kannte den Maler Ferdinand Holder nicht und habe mich während der Lektüre mit seinen eindrucksvollen Bildern beschäftigt. Ich kann die Faszination nachspüren, die Mona und Ben zu ihrer Reise inspiriert hat.

Die Autorin schafft zwei völlig unterschiedliche Hauptfiguren, die sich über das gleiche Problem finden. Unzufrieden im Beruf und gefangen im Alltagstrott stehen sie kurz vor einem Burn Out und suchen ihr Heil in der gemeinsamen Flucht. Der Leser erfährt wie schwer es ihnen fällt loszulassen und alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, und begleitet sie auf ihrer Reise durch eine von der Autorin in bunten und bildhaften Worten beschriebene Landschaft.

Herrliche Wortgebilde bauen kraftvolle Bilder, man hat das Gefühl den Figuren direkt über die Schulter zu schauen und kann ihr Staunen über die neuen Eindrücke quasi fühlen. Ich empfehle allen Stressgeplagten eine solche Tour als Therapie, oder zumindest die Lektüre dieses Buches.

Veröffentlicht am 27.07.2018

Ewige Liebe

Ein Fiebelkorn
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Eine große Liebe, eine Ehe die mehr als ein halbes Jahrhundert dauert. Unvorstellbar am Tag der Hochzeit, so weit in der Zukunft.

Johanna und Wilfried sind nun schon so lange ein Paar, miteinander verbunden ...


Eine große Liebe, eine Ehe die mehr als ein halbes Jahrhundert dauert. Unvorstellbar am Tag der Hochzeit, so weit in der Zukunft.

Johanna und Wilfried sind nun schon so lange ein Paar, miteinander verbunden in Zeiten der Kriegsgefangenschaft, des Sozialismus, des Mauerfalls, in Zeiten der Freude und der Trauer. Die Beiden verstehen sich ohne Worte in ihrem kleinen Zuhause, kennen die Macken des Anderen, kommen zurecht mit ihrer Aufgabenverteilung, kümmern sich umeinander, ergänzen sich im Alltag um auch keinem, vor allem nicht den Kindern, zur Last zu fallen, oder den Nachbarn Grund zum Tratsch zu geben.

Das dieses Leben, dieser liebevolle Umgang miteinander, den der Autor mit so leichten, leisen Worten beschreibt, gar nicht so leicht funktioniert merkt der Leser schnell. Die körperlichen Gebrechen erschweren den Alltag und gerade in den sprunghaften Gedankengängen der Beiden, denen der Leser folgt, wird klar, dass das Alter seine Spuren hinterlassen hat..
Die Gedanken purzeln nur so durch den Kopf, springen durch die Zeit und durch die Erinnerungen, manchmal konfus, ohne Sinn, ohne Anlass. Für die Beiden völlig normal, für den Leser erste Anzeichen vom Verfall, von einer beginnenden Demenz- oder Alzheimererkrankung.

Der Autor schafft es mit seinem Schreibstil gut dieses Chaos im Kopf darzustellen ohne den Personen ihre Würde zu nehmen. Erinnerungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit werden geschickt in's Heute eingebettet und geben den Figuren Tiefe, erklären deren Charakter und Verhalten.

Es gibt nachdenkliche, melancholische, traurige Szenen, aber auch viel leichten, unaufgeregten Humor und Szenen zum Schmunzeln. Man mag die Fiebelkorns sofort und möchte sie am liebsten adoptieren.

Woher der Autor sein Wissen um dieses Thema nimmt ist mir nicht klar, er gehört einer Generation an in der die Fiebelkorns seine Großeltern sein könnten und hat ähnliches vielleicht persönlich erlebt. Er schafft mit seiner Erzählung eine unbeschreibliche Atmosphäre, die Vertrautheit der Hauptfiguren miteinander ist quasi körperlich spürbar beim Lesen.
Ein sehr rühriges Buch mit viel Raum zum Nachdenken über das Leben, das Alter, die Liebe, über Partnerschaft, das Alleinsein, und über Verlust und den Umgang damit.