Ein "schrecklich gutes" Buch
Selten tue ich mich so schwer mit einer Rezension, wenn mir ein Buch dermaßen gut gefallen hat. Doch das Buch hat mehr in mir ausgelöst, als nur Gefallen - viel mehr. Es beschäftigt mich, wirkt noch lange ...
Selten tue ich mich so schwer mit einer Rezension, wenn mir ein Buch dermaßen gut gefallen hat. Doch das Buch hat mehr in mir ausgelöst, als nur Gefallen - viel mehr. Es beschäftigt mich, wirkt noch lange nach, wühlt eigene (schmerzhafte) Erinnerungen auf und begeistert mcih gleichzeitig. Dieses Kuddelmuddel in mir kann ich schwer in Worte fassen. Doch gerade das, finde ich, macht das Buch zu einem so guten, wertvollen Werk.
Anna wird in ihrer Schulklasse systematisch fertiggemacht. Es fängt recht harmlos an. Eine neue Mitschülerin in der Klasse hängt sich an Annas beste Freundin und fängt an, gegen Anna zu sticheln und sie arrogant zu nennen. Das breitet sich aus. Das Mobbing wird immer stärker und verletzender und schließlich geht es so weit, dass sich bis auf ganz wenige Ausnahmen alle Mitschüler aktiv beteiligen.
Der Leser erlebt das Ganze im Nachhinein aus Annas Tagebucheinträgen und durch Antons Augen, der Annas bester Freund und auch Mitschüler der Klasse war. Die Tagebucheinträge werden von Simon, dem Vater der Protagonistin gelesen und auch seine Perspektive findet Beachtung.
Dieses Buch verdient einen (Jugendbuch)Preis. Es zeigt ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Gefühl, welche Auswirkungen Mobbing haben kann. Wie leicht es für die "Täter" ist, zu solchen zu werden, sich an dem Mobbing zu beteiligen und es nicht einmal als Grausamkeit wahrzunehmen.
Und wie schrecklich es für das Opfer ist, wird sehr, sehr deutlich gezeigt.
Es sind nicht nur die Bemerkungen in der Schule, die schmerzen. Das Opfer, in diesem Fall die Protagonistin Anna, vereinsamt zunehmend, weil sie sich zunächst natürlich von den Tätern zurückzieht, im weiteren Verlauf aber auch von ihrem Vater, der sie nicht versteht, von Anton, ihrem besten Freund, weil der ja eh nichts für sie tun kann und sie nur noch mehr Spott abbekommt, wenn sie mit ihm zusammen ist und schließlich sogar von Freunden, mit denen sie per Email in Kontakt steht.
Anna (ebenso wie die meisten Mobbingopfer, denke ich) kommt schließlich selbst zu der Überzeugung, dass es wahr ist, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Sie glaubt, dass sie scheiße ist (entschuldigt den Ausdruck, aber genau so empfindet es das Opfer!) und dass schließlich dann auch die anderen Kontaktpersonen das merken müssten, daher zieht sie sich immer mehr zurück.
Mir ging es als Leser so, dass ich teilweise zu Anna wurde und mit ihr gelitten habe und gleichzeitig eine Beschützerrolle einnehmen wollte, das Bedürfnis hatte, dieses Mädchen in den Arm zu nehmen und ihr zu sagen, dass es nicht wahr ist.
Aber auch in die anderen Personen konnte ich mich gut einfühlen, so zum Beispiel in Anton, den besten Freund, und Simon, dem Vater des Opfers und zum Schluss sogar in zwei der Täter, die völlig überrollt waren von den Auswirkungen dessen, was sie als harmlos empfunden haben, was ja schließlich alle mitgemacht haben und keiner so gewollt hat.
Das Ende fand ich noch mal richtig gut, Astrid Frank hat noch mal draufgelegt! Es beantwortet einige Fragen, bietet aber immer noch Raum für eigene Interpretation und lässt den Leser zurück mit einem ... wie soll ich sagen...
...
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WOW!
Es ließ mich ziemlich sprachlos zurück, weil ich das alles noch gar nicht packen konnte. Da steckt so viel drin, das geht gar nicht alles in meinen Kopf - vor allem steckt da auch so viel Gefühl drin, das ich gar nicht alles so schnell verarbeiten kann.
Nach vier Wochen schreibe ich endlich diese Rezi und bin immer noch völlig geplättet. Natürlich geht der Alltag weiter und ich bin nicht ständig mit diesem Thema beschäftigt, doch es lässt mich auch nicht mehr los.
DANKE, Astrid, für dieses tolle Buch! Ich hoffe, dass es noch viele Menschen so erreicht und bewegt, wie es mich erreicht und bewegt hat und es immer noch tut. Es ist wirlich, wie in der Überschrift gesagt, schrecklich gut - denn es ist fantastisch, wunderbar einfühlsam und mitreißend, aber gerade dadurch wird das Schreckliche, das Anna erlebt, auch für mich als Leser spürbar und tut mir mit weh.
Ich hoffe, dass das Buch auch in Schulklassen gelesen wird und freue mich sehr, dass die Autorin alles tut, um das zu ermöglichen.