„In our family portrait we look pretty happy … let’s go back to that.”
„Als die Kirche den Fluss überquerte“ ist eine in zwei Teile zerfallende Familiengeschichte. Sie kreist um die beiden tiefen Einschnitte im Leben des Ich-Erzählers Daniel, die zusammenhanglos relativ dicht ...
„Als die Kirche den Fluss überquerte“ ist eine in zwei Teile zerfallende Familiengeschichte. Sie kreist um die beiden tiefen Einschnitte im Leben des Ich-Erzählers Daniel, die zusammenhanglos relativ dicht aufeinanderfolgen – oder besser gesagt: Der Ich-Erzähler selbst kreist um diese zwei Ereignisse und der Leser dreht sich gezwungenermaßen mit. Während der ersten Romanhälfte fühlte ich mich teils wie auf einem Karussell, aus dem es keinen Ausstieg gab, das änderte sich dann jedoch abrupt. Aber der Reihe nach.
Zu Beginn des Buches trennen sich Daniels Eltern, scheinbar aus heiterem Himmel, was ihn schwer trifft. Der Sohn hat immense Schwierigkeiten, mit der neuen Situation klarzukommen. Die Familie scheint sein einziger Lebensinhalt zu sein: Freunde spielen keine Rolle, auch Hobbys, eine Ausbildung oder ein Studium werden nicht erwähnt. Tatsächlich hat sich mir lange nicht erschlossen, was der Protagonist den lieben langen Tag macht, und das fand ich höchst erstaunlich, ist er doch bereits zu Beginn des Buches 20 Jahre alt. Diese Altersangabe konnte ich lange nicht mit seinem Denken und Fühlen in Einklang bringen. Nicht nur aus diesem Grund blieb mir Daniel über viele Kapitel fremd – doch das änderte sich in Folge des zweiten lebensverändernden Ereignisses, das der Hauptfigur widerfährt. Daniels Mutter Lieselotte erkrankt schwer und ohne Hoffnung auf Genesung und plötzlich wurde das Gefühlschaos des Protagonisten absolut nachvollziehbar dargestellt. Hatte ich vorher das Gefühl, dass die Autorin keinen komplett stimmigen Ton traf, fuhren mir Trauer, Verzweiflung, Angst und Wut plötzlich in einer unterwarteten Intensität unter die Haut. Sprachlich steht der erste Teil dem zweiten in nichts nach, aber die Schönheit von Didi Drobnas Formulierungen konnte ich erst komplett würdigen, als ich mich nicht mehr unwillkürlich fragte, was mit dem Ich-Erzähler bloß nicht stimmt.
Was beide Teile eint, sind die kapitelweise eingefügten Anekdoten aus Daniels Kindheit, in denen er sich an Ereignisse erinnert, die ihn und die ganze Familie geprägt haben. Passend zum Buchcover ging mir der Refrain eines Popsongs der Künstlerin Pink durch den Kopf: „In our family portrait we look pretty happy, we look pretty normal, let’s go back to that.“ Daniel sehnt sich nach einer unwiderruflich vergangenen Zeit, nach der vermeintlich heilen Welt seiner Kindheit. Seine Erinnerungen waren von Beginn an packend geschildert und halfen mir anfangs über die unreife Jammergestalt hinweg, die er in der Romangegenwart abgab. Überhaupt hat Autorin Drobna ein Händchen für die Schilderung von kuriosen, tragikomischen Geschichten so wie sie auch Emotionen sehr greifbar schildert. Bei der Schilderung dramatischster Krisen läuft sie zu Höchstform auf. „Als die Kirche den Fluss überquerte“ liest sich nicht einfach so weg, es hinterlässt Spuren. Am Ende war ich mit der Hauptfigur völlig versöhnt und kann mir überdies vorstellen, „Als die Kirche den Fluss überquerte“ irgendwann noch ein zweites Mal zu lesen. Es ist ein weises Buch über Familie, Beziehungen und Gefühle und nicht nur Daniel wächst an seinen schmerzhaften Erfahrungen, sondern nimmt die Leser des Romans auch in dieser Beziehung mit.