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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

beeindruckend, spannend und aktuell

Die Attentäter
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Antonia Michaelis beschreibt drei junge Menschen, deren Leben untrennbar verwoben sind. Cliff, Alain und Margarete wohnen im selben Haus, seit sie ungefähr vier Jahre alt sind. Magisch voneinander angezogen, ...

Antonia Michaelis beschreibt drei junge Menschen, deren Leben untrennbar verwoben sind. Cliff, Alain und Margarete wohnen im selben Haus, seit sie ungefähr vier Jahre alt sind. Magisch voneinander angezogen, lieben sie sich und können es doch nicht wirklich zugeben, sind auch immer wieder von einander abgestoßen und kommen doch nicht voneinander los. In manchem sind sie sich zu ähnlich und in anderem völlig verschieden.
Margarete und Alain wachsen in intakten Familien auf, eher wohlbehütet. Alain und Cliff sind beide begnadete Maler und Zeichner, wobei Cliff über ein fotografisches Gedächnis verfügt. Mararete ist die Bodenständige, Vernünftige der Drei und gibt den beiden anderen immer wieder Halt und Erdung. Cliff leidet sehr darunter, dass seine Mutter sich von ihm und seinem Vater getrennt hatte um Karriere zu machen, vielleicht auch gerade wegen ihrer türkischen Wurzeln etwas zu zielgerichtet und ehrgeizig; außerdem konnte sie die Wutausbrüche und Kontrollverlust ihres Sohnes einfach nicht mehr ertragen. Cliff ist völlig zerrissen, immer auf der Suche, nach ihr, nach Anerkennung, einem Sinn, versteht sich selber als „formbare Masse auf der Suche nach Form“ ( S.145), provoziert, sucht Ärger und immer wieder die Nähe „dunkler“ Gruppierungen; zwischendurch lebt er in einer Psychatrie oder ist im Ausland verschwunden. Alain und Margarete stellen dann mit Wehmut fest: „ Er ist schon wieder aus unserer Welt gefallen“ und, sobald Cliff zurückkommt haben sie ein Auge auf ihn, hoffen „alles würde in Ordnung kommen“. Immer wieder tauchen die Bilder von Flügeln und Engeln, bzw. einem gefallenen Engel auf, auch als Unterscheidung zwischen Hell und Dunkel, Gut und Böse, so wie Cliff Alain und sich selber sieht.

Cliff konvertiert zum Islam, radikalisiert sich. Gerade sein fotografisches Gedächnis sowie seine Fähigkeit zu zeichnen, machen ihn für den IS so interessant und er wird damit beauftragt, in Berlin „den Tag des Blutes“ zu organisieren...

Antonia Michaelis versteht es meisterhaft zu beschreiben, welche Entwicklung die Drei durchmachten, die Kämpfe und Zerrissenheit, dieses Schwanken und Hoffen und doch keinen anderen Ausweg mehr zu sehen um gerettet zu werden. Die ersten Seiten fand ich etwas anstrengend zu lesen und dann, plötzlich, war ich gefangen von der Sprache und der Geschichte, die ganz authentisch wirkt, bis zum Ende fesselt und dann noch nachwirkt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

zauberhafte Geschichten, wundervoll illustriert

Giesbert in der Regentonne
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An einem Tag, an dem es wie aus Eimern schüttete, wurde der Regenrinnen-Wicht Gisbert durch das Fallrohr in das darunterstehende Regenfass gespült, in dem er nun lebt.
Gisbert erforscht den Garten, lernt ...

An einem Tag, an dem es wie aus Eimern schüttete, wurde der Regenrinnen-Wicht Gisbert durch das Fallrohr in das darunterstehende Regenfass gespült, in dem er nun lebt.
Gisbert erforscht den Garten, lernt seine neuen Nachbarn kennen: verschiedene Wichte, den Kater Munz, ein Eichhörnchen, einen Frosch, eine Laufente..., mit denen er einiges erlebt, wobei er manches Mal etwas ungestüm ist und alles auf den Kopf stellt. Er liebt es, auf seiner Flöte zu spielen, Gedichte zu reimen und kann, wenn er genügend wütend ist, das Wasser überlaufen lassen.

Gisbert, ein echter Sympathieträger und eindeutig ein nettes Kerlchen, mit dem sich Kinder identifizieren können, weiß manchmal nicht so Recht, wie er mit seinen Gefühlen umgehen soll, z.B. mit Wut oder Liebeskummer; er ist immer neugierig, hilfsbereich und erforscht die Welt.
Auch seine Gedichte und Späße bereiten beim Vorlesen und Zuhören Spaß, genau wie die vielen wundervollen Bilder, die man auf jeder Doppelseite entdecken kann.
Mir gefällt auch sehr, dass die Geschichte in einzelne Kapitel unterteilt wurde, so dass die einzelnen Leseabschnitte in sich abgeschlossen sind.

Fazit: Eine ganz zauberhafte Vorlesegeschichten über einen liebenswerten und manchmal ungestümen Wicht, wundervoll illustriert.

Veröffentlicht am 15.09.2016

großartig erzählt, spannend bis zum Schluß – und das nicht nur für Jugendliche!

Kellerkind
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Kristien Dieltiens hat im Rahmen der historischen Gegebenheiten ihre eigene Wahrheit über Kaspar Hauser geschrieben, wobei man stets merkt, wie sehr sie sich mit der Zeit und den überlieferten Gegebenheiten ...

Kristien Dieltiens hat im Rahmen der historischen Gegebenheiten ihre eigene Wahrheit über Kaspar Hauser geschrieben, wobei man stets merkt, wie sehr sie sich mit der Zeit und den überlieferten Gegebenheiten auseinandergesetzt und die Erbprinztheorie in den bekannten Details verfolgt hat.
Sehr beieindruckend erzählt sie in zwei Handlungssträngen die Lebensgeschichte des Michaels, der mit einer Hasenscharte geboren wird, deshalb zeitlebens Ausgrenzungen und Spott erlebt. Abwechselnd mit Michaels Leben wird die Geschichte Kaspar Hausers erzählt – und, wie zu erwarten, kreuzen die Wege der beiden sich hin und wieder.

Kristien Dieltiens versteht es meisterhaft, die bekannte Geschichte Kaspar Hausers zu erzählen, jenes rätselhaften „Wolfskindes“, das 1828 auf den Nürnberger Marktplatz gefunden wurde und fünf Jahre später unter genauso mysteriösen Umständen verstarb. Bekannt wurde er nicht nur durch die Erbprinztheorie; sondern besonders seine frühkindliche Lebensgeschichte, geprägt von Reizarmut, steht in der Psychologie als Paradebeispiel für Hospitalismus und findet sich namentlich auch im „Kaspar-Hauser-Syndrom“ wieder. Ein wenig scheint diese Geschcihte „aus der Mode“ gekommen zu sein; als letzte mir bekannte Bearbeitung dieses Themas fällt mir da nur Reinhard Meys Lied ein. Kristien Dieltiens geht mit ihrem Buch aber wesentlich weiter und läßt den Leser in die Zeit eintauchen, beleuchtet den Zeitgeist: Weltansichten, Brauchtum, Heiligenverehrung und Auslegung von Omen sowie Sprüchen, die Rolle der Frau... und erzählt so über Kaspar Hausers Leben in einem großartig aufgearbeiteten Kontext, stimmig und spannend. Gerade diese vielen Details lassen die Vergangenheit so lebendig und nachempfindbar werden.

Besonders gut gefallen mir auch die reduzierten und im Dunklen gehaltenen Illustrationen, die im Einklang stehen mit Kaspar Hausers Eindrücken als Kellerkind.

Fazit: großartig erzählt, spannend bis zum Schluß – und das nicht nur für Jugendliche!

Veröffentlicht am 15.09.2016

chic oder altbewährt und heimisch – das ist hier die Frage

Schwarzbuch Superfood
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Im „Schwarzbuch Superfood“ werden einige trendige Superfrüchte durchleuchtet; gemeinsam haben sie den weiten Transport und andere bedenkliche Zusatzeigenschaften zu den versprochenen werbewirksamen. So ...

Im „Schwarzbuch Superfood“ werden einige trendige Superfrüchte durchleuchtet; gemeinsam haben sie den weiten Transport und andere bedenkliche Zusatzeigenschaften zu den versprochenen werbewirksamen. So werden bei erhöhter Nachfrage z.B. Teile des Regenwaldes gerodet oder Pestizide in höherem Maße eingesetzt um eine intensivere Ernte zu ermöglichen. Viele der Superfoods lassen sich nicht lange langern und schon gar nicht in frischem Zustand weit transportieren, müssen dafür getrocknet und zu Pulver, Pellets, Kapseln, Sirup verarbeitet werden, wobei einige der angepriesenen Wirkstoffe leiden.
Mich haben besonders die empfohlenen Höchstmengen dieser Superfoods verwundert, ebenso auch einige mir vorher nicht bekannte Details, z.B. dass die Afa-Alge nicht separat, sondern immer zusammen mit nicht essbaren, giftigen Algen verarbeiten werden, weil eine getrennte Abfischung nicht möglich ist. Bei vielen der hier vorgestellten Superfoods wird klar, dass die angepreisenen gesundheitsfördernden Wirkungen oft gar nicht oder nur in vitro oder Versuchstier belegt wurden; bei manchen werden sogar Warnungen, auch bzgl. der Dosierung ausgesprochen. Es werden sogar Superfoods vorgestellt, die mir bislang noch nicht bekannt waren, aber sehr wohl schon im Vormarsch sind, z.B. Macawurzel und Noni, beide wohl mit umstrittener Wirkung; wobei von der Nori wohl „kostbare“ Produkte aus der Frucht hergestellt werden, der Wirkstoff sich jedoch in der Wurzel befinden soll.
Man muß sich schon fragen, ob diese Superfood-Mode sinnvoll und vertretbar ist, zumal durch die erhöhte Nachfrage Nutzfläche verloren geht, die für eigenen Nahrungsanbau benötigt wird. Will man überhaupt etwas essen, was möglicherweise durch Pestizide stärker belastet ist, als regionale Produkte und benötigen wir überhaupt diese Nahrungsergänzungen, die einen weiten, nicht energieneutralen Weg hinter sich haben?
Die Autorinnen stellen ganz richtig fest: Warum in die Fene schweifen, wenn das Gute liegt so nahe? - und portraitieren heimische Superfoods wie Aronia, Brennessel, Giersch, Heidelbeeren u.a.,
stellen auch hier Wirkung, Verabreichung vor. Sie sind nicht so modern oder kostspielig, man kann mit ihrem Verzehr auch nicht unbedingt angeben; dafür aber lange erprobt, mindestens genauso wirksam, viel frischer, klimaneutraler und man kann sie selber anbauen oder sammeln.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein außergewöhnliches Buch, das jeder gelesen haben sollte

Die Freiheit nehm ich dir
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Patrick Spät stellt in elf Kapiteln Kehrseiten des Kapitalismus vor, beginnend mit dem Allmende-Raub im 13. Jahrhundert, der vielen das Land nahm und nur die Möglichkeit gab, die eigene Arbeitskraft zu ...

Patrick Spät stellt in elf Kapiteln Kehrseiten des Kapitalismus vor, beginnend mit dem Allmende-Raub im 13. Jahrhundert, der vielen das Land nahm und nur die Möglichkeit gab, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen.
Entlang der Geschichte zeigt Spät auf, dass Kapitalismus nur befristet funktionieren kann, wenn Zustände geschaffen werden, dass Freie sich in Lohn verdingen müssen und er immer soziale Ungerechtigkeit mit sich bringt. Beleuchtet wird der Aspekt der taktischen Kriegsführung um leicht bestechbare Diktatoren ins Amt zu setzen und gegen Bakschisch Land und Leute auszubeuten. Ganz klar ist, dass wir die Sklaverei nicht abgeschafft, sondern nur outgesourct haben. „Der Kapitalismus sägt den Ast ab, auf dem er sitzt, indem er seinen eigenen Markt zerstört.“; die Ressourcen sind halt endlich und das Wachstum auch.
Spät erörtert viele Aspekte, seien es Zockereien durch Banker und Finanzieren der Verluste durch die Steuerzahler, weltweite Überproduktion von Gütern, die Privatisierung öffentlicher Bereiche, Lobbyarbeit und im Vorstand sitzende „unabhängige“ Politiker samt ihren Nebeneinkünften, Landraub, Steuern, Reichensteuern und Steuervermeidung, Subventionen für Millionäre oder Massenentlassungen, neudeutsch „Arbeitsintensivierung“ genannt, Marketing, das den Verbraucher für sein Gewissen bezahlen läßt, Schuldenschnitt und auch, warum diesem System kaum Einhalt zu gebieten ist – so vielseitig, dass es gar nicht möglich ist, sie aufzuzählen.
Außerdem werden viele Bestrebungen der Vergangenheit oder z. Zt. erfolgreiche selbstverwaltete „Aussteigermodelle“ kurz benannt, die aber keine wirklich globale Lösung darstellen. Hierfür gibt Spät Denkanstöße und Forderungen an die Hand, z.B. die 30-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich; schwarzarbeitende Maschinen, die Arbeitnehmer ersetzen, sollen eine Abgabe an die Gemeinschaft zahlen; privatisierte Bereiche der öffentlichen Hand sollen zurückgeführt werden; der Mindestlohn soll deutlich über dem Existenzminimum liegen und auch für Lehrlinge, Praktikanten, arbeitende Gefängnisinsassen und Flüchtlinge gelten; Subventionen müssen gerechter verteilt und Lobbyarbeit vermieden werden; der Staat soll wieder die Verantwortung übernehmen und sich der Vermeidungsethik zuwenden. Vor allem sind die Bürger gefragt, die sich mittlerweile nicht mehr alles gefallen lassen und rebellieren...

Geistreich, wortgewandt und pointiert veranschaulicht Spät das Problem des Kapitalismus, gibt Denkanstöße, Erklärungen und mögliche Strategien. Die einzelnen Kapitel werden mit Zitaten eingeleitet, von denen ich zwei zitieren möchte:

„Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah'n sich an. / Und der Arme sagte bleich: /
Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“
Berthold Brecht

„Wenn irgendwer meiner Konkurrenten am Ertrinken wäre, dann würde ich ihm einen Schlauch in den Mund stecken und das Wasser aufdrehen. Das ist ein Kampf jeder gegen jeden.“
Ray Kroc ( Gründer von McDonalds)

Fazit: Ein außergewöhnliches Buch, das jeder gelesen haben sollte.