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Veröffentlicht am 03.10.2018

Reise im Magic Bus

Hippie
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1970 trifft der Brasilianer Paulo in Amsterdam die Niederländerin Karla. Gemeinsam reisen sie von Amsterdam in einem Bus Richtung Nepal. Ein lange Reise durch viele Länder. Sie sind gute Reisegefährten, ...

1970 trifft der Brasilianer Paulo in Amsterdam die Niederländerin Karla. Gemeinsam reisen sie von Amsterdam in einem Bus Richtung Nepal. Ein lange Reise durch viele Länder. Sie sind gute Reisegefährten, aber wie sich ihre Beziehung zueinander gestalten wird, muss sich erst ergeben.
Interessant, wie Coelho seine Figuren entwirft. Sein alter Ego Paulo zeichnet er als schüchtern, aber auch neugierig auf Neues und Karla ist selbstbewusst und betimmend. Eigentlich ergänzen sie sich ganz gut.

Es ist die Zeit der Hippiebewegung voller Hoffnung auf eine andere Zukunft mit Freiheit und Liebe.

Auch andere Mitreisende bekommen ausreichend Raum für ihre Geschichte, z.B. der Franzose Jacques und seine Tochter Marie, die gemeinsam auf der Suche nach einem neuen Leben reisen.

Die Figur Paulo teilt Erfahrungen des Autors, z.B. Stromschockbehandlung während psychiatrischer Aufenthalte und später Verhaftung und Folter, obwohl er unschuldig ist.
Das hat ihn innerlich tief verwundet, doch er spricht kaum darüber. Gleichzeitig treibt ihn um, was es mit anderen Religionen und Bewegungen auf sich hat, etwa Hare Krishna oder der Sufismus. Und dann hat er noch den Traum, Schriftsteller zu werden.
Auch das Thema Drogen wird nicht ausgespart, so gibt es eine intensive Szene, in der Paulo in einem House of the Rising Sun einen Heroinabhängigen interviewt und eine Passage, in der Marie auf einem LSD-Trip ist.
Ein zentraler Halt auf der Reise ist Istanbul. Für einen der Reisenden endet hier die Fahrt.

Es ist ganz spannend zu lesen, wie die verschiedenen Figuren Erfahrungen machen, mit denen sie nicht gerechnet haben.

Paulo Coelho hat viel in seinem neuen Roman gepackt, der zum Glück durchgehend erzählerisch gestaltet ist und sich nicht nur in philosophischen Ansätzen erschöpft. Er schließt damit gut an den Stil seiner Romane Untreue und Die Spionin an. Auch Fans von „Veronika beschließt zu sterben“ sind hier nicht falsch.
Hippie ist nicht ganz sein bestes Buch, gehört aber klar in die obere Kategorie. Es hat Spaß gemacht, den Roman zu lesen.

Veröffentlicht am 18.09.2018

Gesellschaftsportrait von Relevanz

Hausbrand
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Kamila Shamsie ist eine britisch-pakistanische Autorin, die ich sehr schätze. Herausstellen möchte ich die gelungenen Romane Verglühte Schatten und broken verses. Und doch hat sie mit Hausbrand jetzt vielleicht ...

Kamila Shamsie ist eine britisch-pakistanische Autorin, die ich sehr schätze. Herausstellen möchte ich die gelungenen Romane Verglühte Schatten und broken verses. Und doch hat sie mit Hausbrand jetzt vielleicht ihr bestes und wichtigstes Buch geschrieben. Hausbrand ist geschickt und gut durchkonzipiert geschrieben und besitzt wichtige Themen. Insbesondere ist es ein London-Roman, die eine Gesellschaft zeigt und ihre Konflikte mit der Akzeptanz der muslimischen Bevölkerung.
Dafür lehnt sich Kamila Shamsie an Antigone von Sophokles an, eine griechische Mythologie. Das muss man aber nicht erkennen, um den Roman zu würdigen. Es ist auch ein beeindruckender Familienroman.
Im Mittelpunkt eine Familie von muslimischen Briten mit pakistanischen Wurzeln: Isma und ihre jüngeren Geschwister, die 19jährigen Zwillinge Aneeka und Parvais. Ihr Vater war Dschihad und starb auf dem Weg nach Guantanamo. Das prägt seine Familie natürlich.
Die Geschichte teilt sich in 5 Abschnitte auf, mit jeweils einem anderen Protagonisten im Mittelpunkt: Isma, Eanmonn, Parvaiz, Aneeka, Karamat.
Durch diese Technik entsteht ein gesellschaftliches Gesamtbild von Relevanz.

Veröffentlicht am 13.09.2018

Menschen im Hotel, und ein Frettchen

Abigail
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Hotel California ist ein heller Roman. Zwar haben die Protagonisten auch ihre Sorgen, aber es herrscht ein optimistischer Grundton vor. Das wird auch durch die patente Hauptfigur Abigal, die in einem Hotel ...

Hotel California ist ein heller Roman. Zwar haben die Protagonisten auch ihre Sorgen, aber es herrscht ein optimistischer Grundton vor. Das wird auch durch die patente Hauptfigur Abigal, die in einem Hotel arbeitet, getragen.
Der Name Abigal wunderte mich. Ist der nicht etwas altmodisch? Welche junge Frau heißt denn heute noch so? Aber das sollte einen nicht stören.
Ich liebe Romane, Filme oder Fernsehserien über Hotels und das Leben der Gäste und des Personals. Das gilt umso mehr, wenn es sich um traditionsreiche, familiär geführte Hotels handelt.

Beim Personal hat Abigal gute Freunde und Kollegen. Unter den Gästen gibt es ganz unterschiedliche Charaktere. Da ist zum Beispiel die siebzigjährige Martha mit ihrem Frettchen. Ein Orignal! Sie wohnt dauerhaft im Hotel.Ein neuer Gast ist William, der schnell sehr wichtig für Abigal wird.
Abigals fürsorgliche und freundliche Art prägt den Roman. Eine starke und sympathsiche Hauptfigur ist wichtig für einen Roman dieser Art.
Mein einziger Kritikpunkt ist das abrupte Ende. Ein paar Seiten mehr hätten dem Finale gut getan.

Eine gute Entscheidung des Moments-Verlags, die Hotel California-Reihe zu bringen.

Veröffentlicht am 01.09.2018

Nach dem Tod wird er ein Rabe sein

Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!
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Ein sehr autobiographischer Roman, erstaunlicherweise durchgängig und konsequent in einer Versform, die aber gut lesbar ist. Ein langes Prosagedicht! Von dieser Form sollte sich kein Leser abschrecken ...

Ein sehr autobiographischer Roman, erstaunlicherweise durchgängig und konsequent in einer Versform, die aber gut lesbar ist. Ein langes Prosagedicht! Von dieser Form sollte sich kein Leser abschrecken lassen. Sie ist im Gegenteil ein entscheidender Mehrwert.

Die Autorin stammt aus Rumänien,lebt aber schon lange in Deutschland und schreibt auch auf Deutsch.

Die Protagonistin des Romans kehrt für kurze Zeit zurück, als ihr Vater nach einem Unfall zum Pflegefall wird. Er liegt im Krankenhaus und wohl bald sterben wird.
Doch die Distanz zwischen ihnen ist groß. Er war immer ein 100prozentiger Kommunist, ein hoher Parteifunktionär. Nicht umsonst ist der Untertitel des Romans Tod eines Patrioten.
Der Vater hatte 2 langjährige Geliebte, Rebecca und Daria. Aber seine Tochter, die das Land verlassen hatte, ist für ihn eine Verräterin.
An so einem Vater kann man sich abarbeiten. Das tut sie und zeigt einen langen Sterbevorgang. An manchen Stellen kann das Lesen auch qualvoll sein.

Erwähnenswert ist noch das kluge Nachwort des großen György Dalos.

Erschienen ist das Buch in dem den kleinen unabhängigen Verlag PalmArtPress. Es sei dem Buch zu wünschen, dass es beim Deutschen Buchpreis auch in die Short List kommt.

Veröffentlicht am 25.08.2018

Lesefest

Sültzrather
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Der Roman Sültzrather, wenn man dieses Buch überhaupt als Roman bezeichnen kann, ist ein literarisches Lesefest.
Es ist ein Buch mit experimentellen Einschlägen, konsequent wird außer Namen alles klein ...

Der Roman Sültzrather, wenn man dieses Buch überhaupt als Roman bezeichnen kann, ist ein literarisches Lesefest.
Es ist ein Buch mit experimentellen Einschlägen, konsequent wird außer Namen alles klein geschrieben, aber dennoch eigentlich ganz gut lesbar.
Es ist ein Werk über einen fiktiven Österreichischen Dichter namens Vitus Sültzrather und dessen Leben und seine Literatur, die nach seinem Tod vom Autor untersucht und analysiert wird, soweit sie noch vorhanden ist. Dazu gibt es z.B. häufig einen Blick in die Notizbücher und es gibt die Biographie, die der Neffe des Dichters geschrieben hat.

Im Buch nehmen Zitate und Fußzeilen einen großen Raum ein. Es gibt so viele Fußzeilen, dass diese selbst Teil des Textes werden und man sollte nicht versäumen sie tatsächlich zu lesen.
Friederike Mayröcker hat einmal ein ganzes Buch geschrieben, das nur aus Fußzeilen bestand. So weit geht Josef Oberhollenzer nicht, sein Text bleibt leicht und verspielt. Mit der Zeit bildet sich ein spezifischer Ton heraus.
Ich würde mir wünschen, dass dieses originelle Buch es auf die Short List des Deutschen Buchpreis schafft!