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Veröffentlicht am 15.09.2016

Wahrheit oder Fiktion?

Nach einer wahren Geschichte
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Es ist in der Tat ein meisterliches Verwirrspiel, was mir als Leserin die Französin Delphine de Vigan in ihrem neuen Roman „Nach einer wahren Geschichte“ bietet. Das Cover bringt einen Einstieg in die ...

Es ist in der Tat ein meisterliches Verwirrspiel, was mir als Leserin die Französin Delphine de Vigan in ihrem neuen Roman „Nach einer wahren Geschichte“ bietet. Das Cover bringt einen Einstieg in die im Buch beschriebenen Ereignisse. Abgebildet ist in mehreren medaillonartigen Ausschnitten der Kopf einer Frau aus einer halbschrägen rückwärtigen Perspektive. Der Bildausschnitt nimmt Anspielung auf das Cover des letzten Buchs der Autorin, in der sie über den Selbstmord ihrer Mutter geschrieben hat. Dieses Buch war sehr familiär und persönlich. Die Fakten sind im Internet leicht zu überprüfen. „Nach einer wahren Geschichte“ beginnt wenige Monate nach der Veröffentlichung dieses Romans.

In einem kurzen an ihre Leser gerichteten Vorwort nennt Delphine de Vigan gleich in den ersten Sätzen ihr Problem, das sie in den vergangenen drei Jahren hatte und über das sie hier schreibt: In der Phase der Findung zu einem Thema für dieses neue Buch wurde sie zeitweilig von einer Schreibblockade an der Fortsetzung ihrer Arbeit gehindert. Aus der Retrospektive kann sie auch den Grund dafür benennen. Er liegt in der Beziehung zu einer Frau die sie im Folgenden „L.“ nennt.

Delphine de Vigan lernt L. auf einer Party kennen. Aus der Situation heraus vertraut sie sich ihr mit einem kurzen unangenehmen Wortwechsel mit einer Leserin an, der sich auf der letzten Lesung ereignet und der sie verstört hat. Mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen zeigt L. Verständnis und mitfühlende Worte. In der Folge entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine zunehmend engere Freundschaft, die sogar so weit geht, dass Delphine die ansonsten streng geheimen Überlegungen zu einem neuen Buch mit L. teilt, in dem sie ihrer Fantasie freien Lauf geben möchte. L. widerspricht ihr vehement und besteht darauf, dass Delphine nur mit einem Buch Erfolg haben wird in dem sie weitere real geschehene Ereignisse verarbeiten soll. Delphine ist durch den anhaltenden Widerspruch irritiert, es kommt zu der erwähnten Schreibblockade. L., die als Ghostwriterin für andere Autoren arbeitet, bietet ihr ihre Hilfe an, die sie gerne annimmt. Als Delphine endlich erkennt, dass L. nicht immer in ihrem Sinne arbeitet, plant sie entsprechende Maßnahmen. Doch darauf scheint L. bereits gewartet und sich vorbereitet zu haben.

Was zuerst als Statement für eine besonders enge Freundschaft, geprägt von Empathie und Anteilnahme beginnt, liest sich in der Folge als mit psychologischer Raffinesse gestalteter Thriller. Dadurch, dass die Autorin in der Ich-Form aus der Retrospektive erzählt, ist dem Leser von Beginn an klar, dass sie die Machenschaften L.s aufgedeckt hat und das vorliegende Buch gilt praktisch als Beweis dafür, dass sie ihre Blockade überwunden hat. Doch was bleibt ist die Frage danach, ob der Roman eine Fiktion ist oder den tatsächlichen Prozess des Schreibens abbildet. Hat die Autorin Delphine de Vigan ihre ursprüngliche Vorstellung, als nächstes einen erdachten Roman zu schreiben, hier umgesetzt oder konnte L. sie mit ihrem Wunsch nach einer wahren Geschichte bleibend beeinflussen?

Der Roman beginnt eher behäbig damit, dass Delphine den Beginn ihrer Beziehung zu L. schildert und in vielen Details auf die Gründe eingeht, die sie dazu hatte, sich ihrer neuen Freundin anzuvertrauen. Bereits in dieser Phase weist sie auf besondere Situationen hin, die ihr später seltsam erscheinen. Auch mir als Leser waren diverse Szenen suspekt. L. übernimmt neben der Autorentätigkeit immer mehr Eigenheiten von Delphine. Doch erst dann beginnt die Geschichte beängstigend und vor allem zunehmend spannend zu werden. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, bleibt bei mir schließlich die Frage: Wer ist L.?

Delphine de Vigan treibt mit diesem Roman ein perfides Spiel um Freundschaft, Vertrauen Machtgewinn, aber auch um Vertrauensbruch und Machtmissbrauch im trügerischen Schein zwischen Fiktion und Realität und der Suche nach der Identität von L. Die Idee zu diesem Buch finde ich grandios. Für dieses Lese-Highlight gebe ich gerne eine Leseempfehlung für anspruchsvollere Leser.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr gut geschriebener Gesellschaftsroman

Der letzte Sommer
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„Der letzte Sommer“ oder „Der Sommer vor dem Krieg“ wie das Buch von Helen Simonson in der Übersetzung des englischen Originaltitels heißt nimmt den Leser mit ins Jahr 1914. Die Autorin siedelt ihre Geschichte ...

„Der letzte Sommer“ oder „Der Sommer vor dem Krieg“ wie das Buch von Helen Simonson in der Übersetzung des englischen Originaltitels heißt nimmt den Leser mit ins Jahr 1914. Die Autorin siedelt ihre Geschichte in der Kleinstadt Rye in der Grafschaft East Sussex im Südosten England an, die sie bestens kennt weil sie in der Gegend aufgewachsen ist.

Gediegen sind die Herrenhäuser eingerichtet, in denen die Frauen auf ihre Ehemänner unter der Woche warten, die im fernen London ihren Regierungsgeschäften nachgehen. Besonderes viel Achtung finden vor allem die Adeligen. Der tägliche Fünf-Uhr-Tee gehört zum gesellschaftlichen Leben hinzu, bei dem unter den Anwesenden Klatsch und Tratsch ausgetauscht und anstehende Entscheidungen des Alltags diskutiert werden. Das Ritual spiegelt sich im Cover wieder.

Agatha Kent gehört auch zu den erwähnten Frauen, auch wenn sie keinen Adelstitel trägt. Gerne gesellen sich in den Semesterferien ihre beiden Neffen Hugh, der angehende Mediziner, und Daniel, der von einem Leben als Dichter an der Seite seines Freunds träumt, zu ihr. Die beiden schätzen die fortschrittlichen Gedanken ihrer Tante, die vor noch nicht allzu langer Zeit in den Schulbeirat gewählt wurde, der aktuell über die Einstellung eines neuen Lateinlehrers zu entscheiden hat. Sie hat für Beatrice Nash gestimmt. Aber eine Frau in diesem Fach ist umstritten, zumal sich herausstellt, dass Beatrice jünger und attraktiver ist als zunächst vermutet. Doch die angehende neue Lehrerin zerstreut schnell die Zweifel des Beirats, weil sie glaubhaft versichert keine Ehe eingehen zu wollen. Sie möchte sich ihre einmal gewonnene Freiheit der Entscheidungen nach dem Tod ihres Vaters, dem sie stets zur Seite war und den sie auf seinen Reisen begleitet hat, nicht zu verlieren.

Unterdessen ziehen die ersten deutschen Truppen gegen Frankreich und veranlassen Großbritannien zum Kriegseintritt. Die ersten Bewohner der Kleinstadt melden sich zum Kriegsdienst. Vor Ort werden Aktionen zum Spendensammeln durchgeführt und Lebensmittel bevorratet. Fast jeder hat den Wunsch, das Vaterland im Kampf auf seine Weise zu unterstützen.

„Der letzte Sommer“ ist zunächst ein ruhiges Buch. Die Autorin beschreibt das beschauliche Leben mit großen und kleinen Problemen in Rye. Neben dem Tagesgeschehen in den herrschaftlichen Familien beschreibt sie auch beispielhaft den Alltag der ärmeren Bevölkerung. Später kommt das Schicksal einiger Weltkriegs-Flüchtlinge aus Belgien hinzu, die Aufnahme in der Kleinstadt finden. Als der Krieg ausbricht, scheint er zunächst noch weit entfernt. Gönnerhaft machen sich einige Gedanken dazu, wie man aus der Ferne helfen kann. Doch im Laufe der Wochen wird die Lage immer ernster, immer mehr Engländer leisten ihren Dienst an der Front. Der Krieg beginnt sein hässliches Gesicht zu zeigen. Und bald schon kennt auch in Rye jeder jemanden der einen lieben Menschen im Kampf verloren hat oder zumindest schwer verletzt wurde. Auch Familie Kent bleibt davon nicht verschont. Helen Simonson stellt das Leben zur damaligen Zeit überzeugend realistisch dar. Die Ereignisse sind in ihrer Schilderung erschreckend, die Folgen der Fronteinsätze grausam. Glücklicherweise erspart die Autorin dem Leser detaillierte Kampfbeschreibungen.

Beatrice ist eine selbstbewusste Frau, die sich gegen die in ihren Kreisen erwartete Ehe als soziale Absicherung stemmt. Sie selbst ist wohl am meisten von sich selbst überrascht als sie feststellt, dass sich aus einer Freundschaft im Laufe der Zeit mehr entwickelt und tiefe Gefühle in ihr wachgerufen werden. Die Autorin versammelt interessante Personen im Hause Kent und im Umfeld der Familie, die bewusst nicht immer einer Meinung sind. Ihre Charaktere stattet sie liebevoll mit verschiedensten Eigenarten aus.

Die Autorin bedient sich einer ausgefeilten Sprache, die sich flüssig lesen lässt. Obwohl die Schatten des Krieges über der ganzen Geschichte liegen, ist der Roman charmant geschildert und in den Dialogen blitzt immer wieder der Sarkasmus auf, der teilweise auch der angespannten Lage geschuldet ist. Neben der Einbindung in die geschichtlichen Ereignisse finden auch politische und sozialkritische Themen Eingang in die Erzählung. Immer wieder zoomt sie ganz nah ran, schildert Szenen detailreich und richtet den Blick des Lesers sowohl auf das Kleine als auch auf das Wesentliche.

Für viele endet mit Kriegsausbruch der Lebenstraum. „Der letzte Sommer“ fängt einige dieser Vorstellungen ein. Viele der Figuren habe ich lieb gewonnen und obwohl der Verlauf des Krieges allseits bekannt ist, hat mich deren Schicksal betroffen gemacht. Wer sich für die damalige Zeit interessiert, ist hier genau richtig und wird sich wie ich in der Geschichte verlieren. Gerne gebe ich dafür eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mit Einfühlungsvermögen erzählt und in Erinnerung bleibend

Ein Monat auf dem Land
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„Ein Monat auf dem Land“ des schon vor Jahren verstorbenen Autors J.L.Carr erscheint zum ersten Mal in deutscher Sprache. Das Cover des Buchs wirkt schlicht, aber doch wertvoll in seiner Einfachheit, ...

„Ein Monat auf dem Land“ des schon vor Jahren verstorbenen Autors J.L.Carr erscheint zum ersten Mal in deutscher Sprache. Das Cover des Buchs wirkt schlicht, aber doch wertvoll in seiner Einfachheit, so wie das Leben auf dem Land. Ein Blatt in Form eines Vogels hebt sich haptisch und glänzend von einem cremeweißen, strukturierten Untergrund ab.

An einem regnerischen Sommertag im Jahr 1920 kommt der Londoner Restaurator Tom Birkin am Bahnhof des kleinen Städtchens Oxgodby in Yorkshire an. Er hat den Auftrag angenommen, ein Wandgemälde aus dem Mittelalter in der Kirche freizulegen. Mit in seinem Gepäck hat er neben wenigen Dingen für das alltägliche Leben einen Haufen Erinnerungen an seine Zeit als Soldat im 1. Weltkrieg. Sichtbar geblieben ist ihm aus dieser Zeit ein ständiges Zucken im Gesicht.

Tom liebt seine Arbeit. Und hier, weit entfernt von der Hektik der Großstadt, findet er die Ruhe die er benötigt, um seine Gedanken zu ordnen. Neben den furchtbaren Kriegserfahrungen beschäftigt ihn vor allen Dingen, dass seine Frau ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hat. Nicht jeder in der Dorfgemeinschaft freut sich über seine Anwesenheit. Doch die Schönheit der Landschaft und die Herzlichkeit der meisten Ortsansässigen geben ihm den nötigen Abstand zu seiner Vergangenheit und die Ruhe dazu, sein Leben neu auszurichten.

Die Geschichte wird in der Ich-Erzählperspektive Tom Birkins geschildert. Auf diese Weise kann der Leser auch seinen Gedanken folgen. Tom ist ein guter Beobachter. Personen weiß er so zu beschreiben, dass man sie sich gut vorstellen kann. Beispielsweise ist da der geizig erscheinende Pfarrer Keach mit seiner bezaubernden, an seiner Arbeit interessierten Frau. Oder auch Charles Moon, ein Ausgräber vor Ort, der zu einem guten Kumpel von ihm wird. Die Familie des Stationsvorsteher und Laienpredigers Ellerbeck nimmt sich seiner in besonderer Weise an und er erhält dadurch die Möglichkeit am Dorfleben aktiv mitzuwirken.

Tom Birkin erzählt in der Retrospektive. Sehr viele Jahre später erinnert er sich mit Wehmutl an die damalige Zeit. Über seinen derzeitigen Status erfährt man nichts. Dennoch verbleibt beim Leser der Eindruck, dass er sein Glück sowohl im Beruf als auch in der Liebe gefunden hat. Der Monat oder eigentlich mehrere Wochen in der ländlichen Gegend von Oxgodby haben ihn verändert, er hat sich mit seiner Vergangenheit ausgesöhnt. In der ihm zur Verfügung gestellten Glockenturmkammer lebt er sehr bescheiden und ist mit Wenigem zufrieden. Er versucht zu verstehen, warum seine Frau ihn verlassen hat und beginnt langsam sich für neue Erfahrungen zu öffnen. Besonders stolz macht ihn in dieser Zeit, dass seine Fähigkeiten als Restaurator Anerkennung finden. Seine Arbeit am Wandgemälde gibt der Autor realistisch und mit Kenntnissen wieder.

J.L. Carr ist gebürtig aus Yorkshire und versteht es, die Liebe zu seiner Heimat in diesem Buch dem Leser zu vermitteln. Ein heiterer Grundton überlagert die schrecklichen Erinnerungen des Protagonisten. Der Autor erzählt mit sehr viel Einfühlungsvermögen. „Ein Monat auf dem Land“ ist eine berührende Geschichte, die in Erinnerung bleibt, daher meine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine amüsant charmante Geschichte über die Bewohner eines österreichischen Bergdorfs

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam
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„Blasmusikpop“ ist der Debütroman von Vea Kaiser, in dem sie die ungewöhnliche Lebensgeschichte der Familien Irrweins und Gerlitzens, die in einem abgelegenen Alpenbergdorf in Österreich wohnen, über mehrere ...

„Blasmusikpop“ ist der Debütroman von Vea Kaiser, in dem sie die ungewöhnliche Lebensgeschichte der Familien Irrweins und Gerlitzens, die in einem abgelegenen Alpenbergdorf in Österreich wohnen, über mehrere Generationen hinweg erzählt. Die Schilderungen der Autorin gehen über Jahrzehnte, dennoch ist es der jüngste Spross der Familie Johannes A. Irrwein der eigentlich im Mittelpunkt steht. Die Kapitel werden von kursiv gesetzten Texten beendet, in der die historische Geschichte des Dorfs, aufgezeichnet von eben jenem Johannes, erzählt wird. In diesen Aufzeichnungen wird der Leser auch eine Erklärung für den Untertitel des Buchs „wie die Wissenschaft in die Berge kam“ finden.

Einen Überblick, der eine erste Vermutung zulässt, welch munteres Treiben im Roman zu finden ist, bekommt man auf der ersten vordersten sowie hintersten Innenseite. In einer schematischen Zeichnung sind dort die Anordnung der wichtigsten Häuser des Orts sowie deren Bewohner zu sehen. Das Dorf hat es im Laufe seiner Existenz aufgrund seiner Abgeschiedenheit geschafft, sich weitestgehend autark zu halten und ohne Einflüsse aus der Umgebung. Aber bereits den Urgroßvater von Johannes zog es in die Welt hinaus und seine Neugierde an den Geschehnissen außerhalb der Heimat blieb auch nach seiner Rückkehr erhalten. Beim Vater von Johannes, der aus Tradition Holzschnitzer gelernt hatte, weckte eine Bandwurmerkrankung den Sinn danach, Arzt zu werden und so verließ er kurz nach der Geburt seiner Tochter Ilse das Dorf, ohne in den Folgejahren von sich hören zu lassen.

So wuchs Ilse in den ersten Jahren vaterlos auf. Jedoch gab es immer genügend helfende Hände, die Ilses Mutter zur Seite waren. Der nach neun Jahren zurückgekehrte Vater hatte Probleme damit, Zugang zu seiner Tochter zu finden. Sie war inzwischen mit den Traditionen und Bräuchen des Orts so verbandelt, dass sie für seine wissenschaftlichen Interessen kein Verständnis aufbringen konnte. Auch in diesen letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in denen Ilse aufwächst, finden technische Errungenschaften nur mühsam ihren Weg ins Dorf. Johannes A. Irrwein ist das einzige Kind von Ilse und Alois, dem Zimmermann. Doch statt sich für das Handwerk zu begeistern, hilft er lieber seinem Opa bei seinen Forschungen. Zum Leidwesen seiner Mutter findet er genügend Unterstützung dafür, statt wie im Ort üblich auf die Volksschule, im Tal aufs Gymnasium zu gehen.

Der Leser darf im Folgenden erleben wie Johannes, der sich bewusst ist, dass er ganz anders wie seine Altersgenossen ist, zu sich selber findet. Für ihn ist es nicht, einfach den Erwartungen der Dorfgemeinschaft und auch der seiner Eltern entgegenzutreten. Die Autorin ist selber in solch einem kleinen Ort aufgewachsen und man merkt der Harmonie ihres Schreibstils an, dass sie ihre eigenen Erfahrungen in den Schilderungen unterbringt. Liebevoll charakterisiert sie jeden einzelnen Bewohner mit seinen Ecken und Kanten. Vor allem Johannes wurde mir sympathisch und ich konnte sein Verhalten zu Personen, die es gut mit ihm meinten, deren Rat er aber nicht befolgen wollte, nachvollziehen. Es ist nicht einfach von einer Art Gruppenzwang abzuweichen.

Eingebettet in eine bezaubernde Bergwelt wünscht man sich als Leser etwas von der Gleichförmigkeit des Lebens, die im Bergdorf des Romans vorhanden ist, mit einer gewissen Gelassenheit für sich selbst. Der Dialekt in dem die Autorin die Bewohner sprechen lässt, fängt die ganz besondere Stimmung des Ortes und des Miteinanderseins ein. Vea Kaiser zeigt auf, dass es auch in solch einer kleinen 400-Seelen-Gemeinde durchaus Highlights gibt, sei es durch den neuen Stürmerstar beim Fußball oder dem ewigen Tratsch, der ein Windeseile auch die kleinste Abweichung vom Alltag im ganzen Dorf weiter verbreitet.

Die Autorin, die in ihrem Debüt eigentlich nur von täglichen Höhen und Tiefen des Lebens im Ort beziehungsweise vom Schulalltag im Gymnasium von Johannes schreibt, tut dies auf eine so amüsante, charmante Weise, sodass sie den Leser in seinen Bann zieht und ihn vielfach zum Schmunzeln bringt. Gerne empfehle ich das Buch an Jedermann weiter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein gelungenes Debüt

Die Frauen von La Principal
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„Die Frauen von La Principal“ ist der Debütroman des Spaniers Lluis LLach. Er erzählt über drei Generationen hinweg die Geschichte von drei Frauen, denen das Weingut La Principal in dem abgelegenen Dörfchen ...

„Die Frauen von La Principal“ ist der Debütroman des Spaniers Lluis LLach. Er erzählt über drei Generationen hinweg die Geschichte von drei Frauen, denen das Weingut La Principal in dem abgelegenen Dörfchen Pous zur Verwaltung und Bewirtschaftung anvertraut wurde. Es ist der Roman über die drei Marias, von der Mutter über die Tochter bis zur Enkelin. Obwohl die Schilderung der Ereignisse im Jahr 1940 beginnt, reichen die Rückblenden über 50 Jahre zurück und auch in die Zukunft.

1893 war für La Principal ein besonders wichtiges Jahr, denn Maria, deren Mutter früh verstorben ist, wurde von ihrem Vater und den vier Brüdern auf dem Familiengut allein zurückgelassen, um dieses „Symbol der Familie“ zu erhalten. Ein Schädling am Weinstock gab dem Winzer wenig Hoffnung auf weitere gute Erträge und so hatte er bereits früh Vorsorge für ein Leben der männlichen Familienmitglieder in Barcelona getroffen. Nachdem sie zunächst mit ihrem aufgezwungenen Schicksal hadert, arrangiert sich Maria, die von allen respektvoll bereits von jungen Jahren an „Die Alte“ genannt wird, schließlich damit. Sie findet ein viel zu kurz dauerndes Liebesglück aus dem eine Tochter hervorgeht, die sie ebenfalls Maria nennt.

Ganz klar zeigt der Autor die gesellschaftliche Stellung der Frau zum damaligen Zeitpunkt auf, die deutlich unter der des Mannes steht. Es ist ein steiniger Weg, den diese erste Maria gehen muss, um als Gutsherrin akzeptiert zu werden. Sie hat aus ihrer bisher untergeordneten Rolle von heute auf morgen Autorität zu zeigen und wichtige Entscheidungen zu treffen. Doch nicht sie ist es der in diesem Buch das Hauptaugenmerk zukommt, sondern ihrer Tochter. Diese zweite Maria wächst in einem wohlbehüteten Heim vaterlos auf. Doch über Jahre hinweg geben ihr die treue Amme und Hausangestellten Úrsula, sowie die Köchin Neus mit ihren Kindern, die sich der Familie verpflichtet fühlen, ein vertrautes Umfeld.

Aufgrund ihrer Stellung fällt es Maria nicht leicht einen Ehemann zu finden. In den 1940ern gab es einen hässlichen Zwischenfall, in der ihr Jugendfreund verwickelt war. Politik und Kirche bestimmten die Regeln des Zusammenlebens und Abweichlern drohten rigide Strafen. Doch nun nach Ende des spanischen Bürgerkriegs nimmt ein Kommissar aus Rius die Aufklärung eines vier Jahre zurückliegenden Mords wieder auf und die Spuren führen zu Maria und den Haushaltsangehörigen. Während der Autor dem Leser die Geschehnisse nebst den Rückblicken schildert, spannt er einen weiteren Handlungsbogen in die Gegenwart des Jahres 2001 auf. Auch hier begegnet man einer starken und selbstbewussten Maria, der Enkelin der „Alten“. Im Folgenden ergänzt sich der Roman zu einem runden Ganzen und noch mehr.

Vermutet man zunächst, dass die Amme Úrsula aus ihren Erinnerungen heraus die einzelnen kursiv gedruckten Einschübe im Buch erzählt, so bringen die gegenwärtigen Ereignisse eine unerwartete Wendung. Neben einer zarten Liebesgeschichte findet sich unter anderem in diesem Buch ein Kriminalroman, ein Bericht, ein Märchen und ja selbst Magie.

Von den Frauen dieses Romans, die hingebungsvoll in ihrer ungewohnten und teils auch ungewollten Rolle für das Anwesen und vor allem den damit verbundenen und auf sie angewiesenen Arbeitern kämpfen, wird jeder Leser sich gerne in den Bann ziehen lassen. “Die Frauen von La Principal“ ist ein gelungenes Debüt und ein Buch, das ich in seiner Vielfalt gerne weiterempfehle.